Eine Erkrankung ist selten, wenn sie weniger als fünf von 10.000 Menschen betrifft. Da es jedoch mehr als 8.000 seltene Erkrankungen gibt, sind Schätzungen zufolge allein in Deutschland etwa vier Millionen Menschen von einer seltenen Erkrankung betroffen.
Anlässlich des Tages der Seltenen Erkrankungen am 29. Februar spricht Dr. Franziska Rillig, Oberärztin im Martin Zeitz Centrum für Seltene Erkrankungen (MZCSE) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorfs (UKE), über den langen Weg zur Diagnose.
Es sind mehr als 8.000 seltene Erkrankungen bekannt
Was versteht man unter einer seltenen Erkrankung?
Dr. Franziska Rillig: Man spricht von einer seltenen Erkrankung, wenn weniger als fünf von 10.000 Menschen betroffen sind. Bekannt sind mehr als 8.000 seltene Erkrankungen, kontinuierlich kommen neue Krankheitsbilder hinzu – die Gesamtzahl der Betroffenen ist daher trotz der Seltenheit also hoch. Meistens handelt es sich um sehr unterschiedliche und komplexe Krankheitsbilder, die mit chronischen Verläufen und teilweise starken gesundheitlichen Einschränkungen verbunden sind. Interessant für die Zahnmedizin ist in diesem Zusammenhang, dass sich 15 Prozent aller seltenen Erkrankungen im oralen System manifestieren können.
Welche Erkrankungen sehen Sie im MZCSE des UKE?
Rillig: Wir sehen ein sehr breites Spektrum von seltenen Erkrankungen im Martin Zeitz Centrum für Seltene Erkrankungen (MZCSE) des UKE. Etwa 80 Prozent der seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt. Oftmals handelt es sich bei uns um genetisch bedingte neurologische Erkrankungen, Entwicklungsstörungen, aber zum Beispiel auch um Stoffwechselerkrankungen. Häufig sind es sogar so seltene Erkrankungen, dass rein rechnerisch weniger als 1 Mensch von einer Million Menschen betroffen ist.
Eine Odyssee, die mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte dauern kann
Wie kann eine Diagnose erfolgen?
Rillig: Der Weg zur Diagnose ist für Betroffene meist lang und schwerwiegend. Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen durchlaufen meist eine Odyssee, die mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte dauern kann. Sie besuchen viele Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen, ohne am Ende eine Diagnose zu erhalten. Damit eine seltene Erkrankung korrekt diagnostiziert werden kann, bedarf es eines interdisziplinären Teams sowie häufig umfangreicher genetischer Untersuchungen. Unsere Arbeit erfordert viel Zeit, Wissen und eine enge Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen.
Diagnoseunterstützung mithilfe von Künstlicher Intelligenz
Welche aktuellen Forschungsprojekte gibt es am MZCSE?
Rillig: Wir haben in Kooperation mit den Zentren für Seltene Erkrankungen in Lübeck und Bonn das Deutsche Register für Seltene Erkrankungen (DeRSE) etabliert und bauen dieses weiter aus. Hierbei handelt es sich um eine multizentrische Datenbank für Patientinnen und Patienten mit seltenen und unklaren Erkrankungen.
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, auch neue seltene Erkrankungen einheitlich zu erfassen sowie Prädiktoren für seltene Erkrankungen und auch die psychische Belastung unserer Patientinnen und Patienten zu evaluieren. Darüber hinaus arbeiten wir an einem gemeinsamen Projekt zur Diagnoseunterstützung von Patientinnen und Patienten mit unklaren Erkrankungen mithilfe von Künstlicher Intelligenz.
Diagnostische Versorgung mit interdisziplinärer Fallaufarbeitung
Wie kann das MZCSE Betroffenen helfen?
Rillig: Patientinnen und Patienten mit unklaren Erkrankungen, bei denen der Verdacht einer seltenen Erkrankung besteht, werden von ihren Haus- oder Fachärztinnen und -ärzten oder durch andere Kliniken bei uns vorgestellt. Wir bieten eine diagnostische Versorgung mit einer interdisziplinären Fallaufarbeitung an, geben Empfehlungen für das weitere Vorgehen und vermitteln wenn notwendig an weitere Expertinnen und Experten.
Außerdem sehen wir ausgewählte Patientinnen und Patienten in unserer interdisziplinären Sprechstunde und veranlassen gegebenenfalls eine breite genetische Diagnostik, die sogenannte Exomdiagnostik. Die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen erfolgt unter anderem in unseren Kompetenzzentren im UKE mit ausgewiesener klinischer und wissenschaftlicher Expertise.