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Hilfe für die patientenindividuelle Risikoabschätzung und Therapieentscheidung im klinischen Alltag

Exemplarische klinische Befunde bei MRONJ-Stadium 3.

Die antiresorptive Therapie aus onkologischer Indikation oder bei Patienten mit Osteoporose gehört zu den häufigen Begleitmedikationen vieler Patienten. Dabei gilt die medikamenten­assoziierte Kiefernekrose („medication-related osteonecrosis of the jaw“, MRONJ) als eine Komplikation, deren Ätiopathogenese bisher nicht geklärt erscheint. Als assoziierte Risikofaktoren, die zur Entwicklung einer Kiefernekrose beitragen, gelten systemische (Komedikation mit Glukokortikoiden oder Chemotherapeutika) und lokale Faktoren wie dentoalveoläre Eingriffe. Die kaufunktionelle Rehabilitation von Patienten unter antiresorptiver Therapie mit implantatgetragenem Zahnersatz wird weiterhin teilweise kontrovers in der Literatur diskutiert. Auf der einen Seite könnte das kompromittierte Knochenlager zu einer insuffizienten Osseointegration und geminderten Implantatüberlebensraten führen. Weiterhin könnten der Eingriff der Implantation oder das Implantat an sich sowie assoziierte Erkrankungen wie die Periimplantitis als auslösende Faktoren für die Entstehung einer MRONJ gesehen werden. Andererseits kann durch implantat­getragenen Zahnersatz das Risiko einer MRONJ durch eine potenzielle Druckstelle der schleimhautgetragenen Prothese gemindert und die Lebensqualität analog zu Patienten ohne antiresorptive Therapie, insbesondere bei zahnlosem Kiefer, gesteigert werden. Eine gute Mundhygiene und entsprechende supportive zahnärztliche Therapie sind bei allen Patienten unter anti­resorptiver Behandlung notwendig, insbesondere vor einer etwaigen Implantattherapie.
Die Mainzer Autoren Dr. Sebastian Blatt und Prof. Dr. Peer Kämmerer geben in ihrem Beitrag für die Implantologie 2/2022 einen kurzen Überblick über die aktuelle Evidenz bezüglich einer dentalen Implantation bei Patienten unter antiresorptiver Therapie. Einzelne Zusammenhänge zwischen Dosierung und Medikationsindikation und Entwicklung einer Kiefernekrose nach Implantation sollen ebenso wie das Implantatüberleben in diesem speziellen Patientenkollektiv im Kontext der aktuellen Literatur betrachtet werden. Ziel ist es, die patientenindividuelle Risikoabschätzung und Therapieentscheidung im klinischen Alltag stützen zu können.

In keiner anderen Disziplin der Zahnmedizin schreitet die Entwicklung so schnell voran wie in der Implantologie. Ziel der Zeitschrift ist es, dem Fortbildungsangebot im Bereich der Implantologie durch die Veröffentlichung praxisbezogener und wissenschaftlich untermauerter Beiträge neue und interessante Impulse zu geben und die Zusammenarbeit von Klinikern, Praktikern und Zahntechnikern zu fördern. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.
 

Einleitung

Seit der Beschreibung durch Marx et al. gilt die bisphosphonatassoziierte Kiefernekrose („bisphosphonate-related osteonecrosis of the jaws“, BPONJ) als gefürchtete Komplikation der antiresorptiven Therapie1. Die BPONJ ist definiert über die frühere oder aktuelle Einnahme von Bisphosphonaten (BP) und eine klinische Exposition des nekrotischen Knochenareals über acht Wochen trotz adäquater Therapie, jedoch ohne vorangegangene Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich2. Primär betrifft die Erkrankung Patienten mit Krebsleiden und intra­venöser Hochdosistherapie stickstoffhaltiger Bisphosphonate3, kann aber auch bei der oralen, niedrig dosierten Bisphosphonateinnahme im Rahmen der Osteoporosetherapie mit einer deutlich niedrigeren Prävalenz auftreten4. Der Pathomechanismus der Nekroseentstehung ist nicht vollständig aufgeklärt. Diskutiert wird ein Zusammenspiel aus einer kombinierten Pathologie des Hart- und umliegenden Weichgewebes durch zytotoxische Effekte der Medikamente auf Fibroblasten, Osteoblasten, Keratinozyten und Endothelzellen5. Die verminderte Angiogenese, das neue Wachstum aus bestehenden Blutgefäßen durch Sprossungsvorgänge, scheint hier eine entscheidende Rolle sowohl für die knöcherne als auch weichgewebliche Komponente der BPONJ zu spielen6. Stärker in den Fokus rücken aber insbesondere auch immunologische Aspekte der Pathologie, zuvorderst die Einwirkung von primären Immunzellen wie der Makrophagenpopulation7

Als assoziierte Risikofaktoren zur Entstehung der Kiefernekrose werden systemische und lokale Faktoren unterschieden. Hierbei zählen zu den systemischen Faktoren unter anderem eine Komedikation mit Chemotherapeutika oder Glukokortikoiden, Tabak- und Alkoholgenuss sowie Adipositas und fortgeschrittenes Alter8. Als lokale Faktoren werden insbesondere dentoalveoläre Interventionen genannt wie Zahnsanierung, Parodontaltherapie oder Wurzelspitzenresektion sowie insuffiziente prothetische Restaurationen und schlechte Mundhygiene. „Sicherheitsmaßnahmen“ wie begleitende Antibiose und ein plastischer Wundverschluss sind daher bei den genannten dentoalveolären Eingriffen bei Patienten unter antiresorptiver Therapie (gleich welcher Indikation) zwingend empfohlen9. Die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen dentaler Implantation und einer Kiefernekrose unter antiresorptiver Therapie erscheint in der Literatur bisher ungeklärt10

Darüber hinaus ist die Entwicklung einer Kiefernekrose bei bisphosphonatnaiven Patienten unter Therapie mit antiresorptiven Medikamenten wie monoklonalen „Receptor Activator of Nuclear Factor Kappa b Ligand“(RANKL)-Antikörpern, antiangiogenen Agenzien oder einer Kombination aus genannten Therapieformen mit einer Prävalenz von bis zu 16  Prozent beschrieben, weswegen die „American Association of Oral and Maxillofacial Surgeons (AAOMS)“ in ihrem Positionspapier von 2014 den offiziellen Terminus technicus „medication-related osteonecrosis of the jaw“ (MRONJ) statt der BPONJ vorschlägt11. Das Lebenszeitrisiko für Patienten, unter antiresorptiver Gabe eine MRONJ zu erleiden, liegt bei onkologischer Indikation bei knapp 1 Prozent, bei Therapie bei Osteoporose bei 0,1 Prozent12. Das klinische Bild der MRONJ ist gekennzeichnet durch eine ausgeprägte Schmerzsymptomatik, Weichgewebeschwellung, Ulzerationen oder Dysphagie und somit eine starke Einschränkung der mundbezogenen Lebensqualität der zumeist onkologischen Patienten13. Nach ihrer klinischen und radiologischen Manifestation wird die MRONJ nach AAOMS in vier Stadien eingeteilt (Abb. 1), welche in der deutschen S3-Leitlinie wie folgt zusammengefasst werden:

  • Stadium 0: keine klinischen Anzeichen für ne­krotischen Knochen, aber unspezifische Symptomatik und/oder radiologische Hinweise 
  • Stadium 1: exponierter oder sondierbarer nekrotischer Knochen bei asymptomatischen Patienten ohne Anzeichen einer Infektion 
  • Stadium 2: exponierter oder sondierbarer ne­krotischer Knochen in symptomatischen Patienten (Schmerzen, Rötung) mit Anzeichen einer Infektion 
  • Stadium 3: exponierter oder sondierbarer ne­krotischer Knochen in symptomatischen Patienten (Schmerzen, Rötung) mit Anzeichen einer Infektion und einem oder mehreren der folgenden Symptome: 
    – exponierter nekrotischer Knochen, der sich auf benachbarte Regionen (zum Beispiel Kieferhöhle, Jochbein und Unterkieferbasis) ausbreitet
    – pathologische Frakturen 
    – extraorale Fisteln 
    – Mund-Antrum-Verbindungen.

Der heutige Standard besteht neben einer lokal antiseptischen und systemischen antibiotischen Therapie, insbesondere in den fortgeschrittenen MRONJ-Stadien, in der Dekortikationsoperation mit anschließender plastischer Deckung. Allerdings kann die operative Therapie mit einer relevanten Rate an postoperativen Wundheilungsstörungen und Versagen einhergehen. So kann bereits nach wenigen Tagen eine Wunddehiszenz mit erneut freiliegendem Knochen auftreten oder Wochen oder Monate nach der durchgeführten Therapie können Spätkomplikationen im Sinne eines Rezidivs vorkommen. In der Literatur werden Remissionsraten von bis zu 60  Prozent mit gehäuft verlängerten Hospitalisierungsphasen der Patienten und revidierenden chirurgischen Interventionen angegeben14

Für die betroffenen Patienten bedeutet das Therapieversagen einen erheblichen Rückschlag für die Therapie ihrer onkologischen Grunderkrankung. Stationäre Aufenthalte, Beschwerdepersistenz und das Wiederauftreten von Rezidiven stellen neben der funktionellen Einschränkung auch eine erhebliche zusätzliche psychische Belastung dar. Es muss festgehalten werden, dass das Ausmaß der chirurgischen Therapie für jeden individuellen Patientenfall einzeln definiert werden muss. Im Mittelpunkt steht dabei der Erhalt der Lebensqualität der Patienten. In Abwägung auch der hohen Komorbidität der Mehrzahl der Patienten muss häufig ein Mittelweg zwischen multiplen Dekortikationsoperationen (mit dem Nachteil einer möglichen Rezidiv­entwicklung) gegenüber einer Radikaloperation, zum Beispiel mit Kieferkontinuitätsdurchtrennung, und aufwendiger Rekonstruktion gefunden werden. In einem aktuellen Review wird konstatiert, dass zur Rekonstruktion fortgeschrittener Kiefernekrosen mittels Fibulatransplantat nur unzureichende Evidenz vorliegt, um den Eingriff in diesem Kontext valide bewerten zu können15.

Daher bleiben weiterhin die Prophylaxe, insbesondere die Sanierung sämtlicher dentogener Foci vor Therapieeinleitung, und die ausführliche Pa­tientenaufklärung des Zusammenhangs zwischen Mundgesundheit und antiresorptiver Therapie von immenser Bedeutung11. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Prävalenz der MRONJ im hohen Maße von Art und Dauer der antiresorptiven Therapie abhängig ist. Weiterführende prospektive randomisierte Studien erscheinen zwingend erforderlich, um die Evidenz zu Prävalenz und Ätiopathogenese, assoziierten Risikofaktoren und Therapie der MRONJ weiter stärken zu können. 

Die kaufunktionelle Rehabilitation von Patienten unter antiresorptiver Therapie mit implantatgetragenem Zahnersatz wird weiterhin teilweise kontrovers in der Literatur diskutiert. Auf der einen Seite könnte der Eingriff der Implantation als auslösender Faktor für die Entstehung einer MRONJ gesehen werden10. Von einigen Autoren wird postuliert, dass nicht nur die dentoalveoläre Intervention der Implantation, sondern das Implantat an sich, respektive mögliche periimplantäre Pathologien, als potenzielle Risikofaktoren für die MRONJ-Entstehung gesehen werden könnten, insbesondere dann, wenn das Implantat in einer posterioren Position des Zahnbogens implantiert wurde, die antiresorptive Therapie (auch bei niedriger Dosierung) über einen Zeitraum von über 3 Jahren erfolgt und der ­Patient eine Komedikation mit Glukokortikoiden erhält16,17. Andererseits kann durch implantatgetragenen Zahnersatz das Risiko einer MRONJ, verursacht durch eine potenzielle Druckstelle der schleimhautgetragenen Prothese, gemindert und die Lebensqualität analog zu Patienten ohne antiresorptive Therapie, insbesondere bei zahnlosem Kiefer, gesteigert werden18,19

Sinnvoll erscheint daher a priori die Festlegung des individuellen Patientenrisikos zur Entwicklung einer MRONJ in Abwägung des Benefits einer nichtschleimhautgestützten, kaufunktionellen Rehabilitation und einhergehenden Steigerung der Lebensqualität. Hierbei können Punkte wie eine gute onkologische Prognose mit „Stable disease“ oder Remission bei antiresorptiver Therapie bei maligner Grunderkrankung, eine suffiziente Compliance und Mundhygiene sowie fehlende Infek­tionsherde die Entscheidung zur implantologischen Therapie stärken20

Aufgrund der genannten Aspekte soll im Folgenden ein kurzer Überblick über die aktuelle Evidenz bezüglich einer dentalen Implantation bei Patienten unter antiresorptiver Therapie gegeben werden. Einzelne Zusammenhänge zwischen Dosierung und Medikationsindikation und Entwicklung einer Kiefernekrose nach Implantation sollen ebenso wie das Implantatüberleben in diesem speziellen Patientenkollektiv im Kontext der aktuellen Literatur betrachtet werden. Hierfür wurde eine Literaturrecherche über PubMed mit den Suchbegriffen „BPONJ“, „MRONJ“ und „implant“ durchgeführt. Die gefundene thematisch passende Literatur wurde gescreent und in den folgenden Kapiteln im Sinne eines narrativen Reviews zusammengefasst.

Dentale Implantate als Risikofaktor zur Entwicklung einer MRONJ

In einem kürzlich erschienenen Review fassten Granate-Marques et al. vier ätiopathologische Theorien aus der aktuellen Literatur zusammen, um einen möglichen Zusammenhang zwischen dentaler Implantation und der Entwicklung einer MRONJ darzustellen. Bei dem beobachteten Phänomen bei bereits osseointegrierten Implantaten könnte der reduzierte Knochenumbau um das Implantat eine Rolle bei der Nekroseentstehung spielen. Bei Patienten mit oraler BP-Einnahme sehen die Autoren als mögliche Hypothese der Krankheitsentstehung eine postoperative Akkumulation der Antiresorptiva durch das operative Trauma der Implantatchirurgie. Der Nachweis von Actinomyces ist bei MRONJ ein häufiger Befund und könnte bei nekrotischen Knochenproben um ein vorhandenes Implantat auch auf einen Zusammenhang mit einer Periimplantatitis hinweisen. Letztlich könnten bei Patienten mit Antiresorptivagabe in onkologischer Indikation auch eine oftmals durch Komedikation mit Chemotherapeutika reduzierte Mundhygiene und nachfolgende pathologische Zustände wie eine Mukositis zur Entwicklung der MRONJ periimplantär beitragen21

In einer methodisch interessanten ­Studie konnten Giovannacci et al. zeigen, dass sowohl durch „Implantatchirurgie“ (innerhalb von 2–10 Monaten nach Implantatinsertion) als auch „Implantatpräsenz“ (innerhalb von 1–15 Jahren nach Implantatinsertion) getriggerte Kiefernekrosen unterschieden werden können und zur Entstehung des Krankheitsbildes beitragen16. Escobedo et al. konnten in einem Review eine signifikant höhere Osteonekroserate unter antiresorptiver Therapie bei bereits vorhandenen Implantaten gegenüber unter laufender Therapie neu gesetzten Implantaten nachweisen. Die Autoren schlussfolgern, dass insbesondere funktionell belastete Implantate als mögliche Risikofaktoren für eine MRONJ bewertet werden sollten22. Dies bestätigt nochmals die herausragende Rolle der Prophylaxe und einer ausführlichen Patientenaufklärung vor Beginn der Antiresorptivatherapie mit kritischer Wertung aller möglichen (dentogenen und implantolo­gischen) Foci. 

Tab. 1 Auswahl aktueller Studien zum MRONJ-Risiko bei dentaler Implantation bei Patienten mit antiresorptiver Therapie. Nur zwei Studien konnten eruiert werden, die den Einfluss von RANKL-Inhibitoren auf die MRONJ-Entstehung gesondert untersuchten.
Tab. 1 Auswahl aktueller Studien zum MRONJ-Risiko bei dentaler Implantation bei Patienten mit antiresorptiver Therapie. Nur zwei Studien konnten eruiert werden, die den Einfluss von RANKL-Inhibitoren auf die MRONJ-Entstehung gesondert untersuchten.

Unabhängig von der Indikation für die antiresorptive Therapie wird in der aktuellen Literaturdiskussion der Konsens gesehen, dass präimplantalogische augmentative Verfahren in diesem Kollektiv unbedingt vermieden werden sollten20. Die Verwendung von kurzen Implantaten, um Sinuslift oder vertikale Knochenaugmentationen vermeiden zu können, werden in ersten Studien bei Patienten mit antiresorptiver Therapie als Möglichkeit beschrieben, diese Einschränkung zu umgehen (Limitation: kurzes Follow-up, keine Angabe über Dosierung/Einnahmeverhalten, Antiresorptiva-Medikation)23. Derzeit fehlen überdies Empfehlungen zur Therapie bei Patienten unter antiresorptiver Behandlung mit periimplantären Entzündungsvorgängen24

Im Folgenden soll ein Überblick über die aktuelle Evidenz bezüglich der Frage, ob dentale Implantate als Risikofaktor zur Entwicklung einer MRONJ beitragen könnten, anhand der unterschiedlichen Indikationen der jeweiligen Antiresorptiva gegeben werden. Tabelle 1 fasst einen Auszug aus der aktuellen Studienlage zusammen.

Therapie bei Patienten mit hoch dosierten Antiresorptiva und onkologischer Grunderkrankung

Die überwiegende Mehrzahl der aktuell vorliegenden Studien untersucht Patienten mit oraler Antiresorptivatherapie hauptsächlich bei Osteoporoseindikation. Es konnten bisher keine verlässlichen Daten zur implantologischen Rehabilitation bei Patienten mit Hochdosis-Antiresorptiva-Therapie eruiert werden20. Lange Zeit galt die hoch dosierte Antiresorptivatherapie bei Patienten mit onkologischer Grunderkrankung daher als absolute Kontraindikation zur dentalimplantatologischen Versorgung dieser Patienten und dieses Credo wird von vielen Autoren weiterhin als gültiger Konsens angesehen. Die Implantattherapie wird daher aktuell auch in den Beschlüssen der Konsensuskonferenzen großer Fachgesellschaften in dieser Indikation nicht empfohlen21,25. Aus der Literatur konnte eine einzige prospektive Studie zu diesem Thema eruiert werden: Bei 27 Patienten mit Hochdosis-Antiresorptiva-Therapie wurden insgesamt 49 Implantate inseriert, ohne dass sich eine MRONJ entwickelte. Als mögliche Studienlimitation zu beachten ist jedoch eine kurze Nachbeobachtungszeit von 3–6 Monaten pro Patient und das heterogene Kollektiv auch in Bezug auf die unterschiedlich eingesetzten Antiresorptivaklassen26. Dennoch zeigt die Studie erstmalig eindrucksvoll, dass die implantologische Therapie unter strengen Sicherheitskautelen auch bei Patienten mit hoch dosierten Antiresorptiva ohne die (zumindest frühe) Entwicklung einer MRONJ funktionieren könnte. Zukünftige prospektive randomisierte klinische Studien sind unabdingbar, um dieses Spannungsfeld in der aktuellen Literatur weiter aufzuarbeiten. Ob sich darin die derzeitige Empfehlung zur Kontraindikation der dentalen Implantation bei Patienten mit Hochdosis-Antiresorptiva-Therapie aufweichen lässt, bleibt bis dato offen. Es ist bei fehlender anderslautender Evidenz weiterhin festzuhalten, dass augmentative Verfahren unbedingt vermieden werden sollten. 

Therapie bei Patienten mit niedrig dosierten Antiresorptiva und Osteoporose

Verschiedene klinische Studien, Reviews und Metaanalysen wurden zu dieser Thematik durchgeführt. In einem Review schlussfolgern die Autoren, dass Patienten mit einer BP-Anamnese auch in niedriger Dosierung bei Osteoporose ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung einer MRONJ aufweisen. Interessanterweise galt dies nicht für Patienten mit RANKL-Antikörper-Therapie. Die Autoren verweisen jedoch hier auf die allenfalls moderate Evidenz, die den genannten Schlussfolgerungen zugrunde liegt27. Die Ergebnisse konnten in einem ebenfalls kürzlich erschienenen Review von Sher et al. bestätigt werden. Auch diese Autoren betonen, dass Daten zu onkologischen Patienten mit hoch dosierter Antiresorptivatherapie fehlen würden28. In einer retrospektiven Analyse bestätigten Pichardo et al. ein erhöhtes Risiko für MRONJ-Entwicklung nach dentaler Implantation; die Autoren betonen die immense Wichtigkeit jener Maßnahmen, die einer Periimplantitis vorbeugen können. Leider wird aus der Studie nicht ersichtlich, welche Charakteristika das untersuchte Kollektiv im Hinblick auf Dosierung und Einnahmeverhalten der Antiresorptiva aufwies10.

Demgegenüber stehen Ergebnisse anderer Untersuchungen: In einer großen retrospektiven Studie von 468 Implantaten in 115 Patienten konnten Grant et al. schlussfolgern, dass bei niedrig dosierter Antiresorptivatherapie kein erhöhtes Risiko zur Entstehung einer MRONJ nach Implantation gefunden werden konnte29. Allerdings müssen die methodischen Mängel der Studie bedacht werden, die auf eine sekundäre Selektion hindeuten könnten (lediglich 5,5 % der ursprünglichen Patienten wurden nachuntersucht, Rekrutierungszeitraum vor 2003, dennoch keine Patienten mit i. v. Bisphosphonaten, extrem geringer Anteil von Diabetikern). Walter et al. und Granate-Marques et al. konnten diese Ergebnisse in ihren Reviews bestätigen und betonen nochmals die herausragende Bedeutung einer individuellen Risikoabschätzung und zwingende Aufklärungspflicht den Patienten gegenüber20,21. Insbesondere eine Implantation im Molarenbereich bei Pa­tienten unter mehr als dreijähriger Therapie und eine Komedikation mit Glukokortikoiden können das Risiko auch in dieser Niedrigprävalenzgruppe steigern21. Papadakis et al. untersuchten im Hinblick auf eine mögliche MRONJ-Manifestation ebenfalls die Erfolgsrate und Sicherheit dentaler Implantate in Patienten mit antiresorptiver Therapie. Aufgrund der heterogenen Studienlage und einer als insuffizient quantifizierten Evidenz leiten die Autoren keine konkreten Schlussfolgerungen aus ihrer Analyse ab. Weiterhin wird die intra­venöse Antiresorptivagabe als Kontraindikation gesehen und die Bedeutung der Aufklärung, akribischen Planung und einer langen Follow-up-Phase betont30

Zusammengefasst zeigt sich ein recht uneinheitliches Bild in der aktuellen Literatur. In der Mehrheit der Studien scheint das MRONJ-Risiko durch eine dentale Implantation bei niedrig dosierter Antiresorptivatherapie nicht erhöht zu sein; zwei aktuelle Reviews finden jedoch kon­träre Ergebnisse. Es bleibt auch bei niedrig dosierter Antiresorptivaeinnahme bei der Empfehlung, augmentative Verfahren unbedingt zu vermeiden. Interessanterweise scheint die Therapie mit RANKL-Inhibitoren in niedriger Dosierung kein erhöhtes Risiko für die MRONJ-Entstehung nach Implantation darzustellen. Insgesamt können die konträren Ergebnisse durch die in allen Studien als moderat bis schwach beschriebenen Evidenzlevel der zugrundeliegenden Analysen erklärt werden, die Interpretationsspielraum bei der Formulierung konkreter Empfehlungen lassen könnten. Fast alle Autoren betonen vor diesem Hintergrund die hohe Bedeutung der individuellen Risikoabwägung, suffizienten präoperativen Planung und dezidierten Patientenaufklärung.

Implantatverlust bei Patienten unter antiresorptiver Therapie

Nachdem die Sicherheit von dentalen Implantaten bei Patienten mit antiresorptiver Therapie erörtert wurde, sollen hier die Erfolgsraten einer Implantation und die Prävalenz eines möglichen Implantatverlusts diskutiert werden. Wie ein denkbarer Mechanismus des Einflusses von Antiresorptiva auf dentale Implantate erklärbar wäre, zeigen zahlreiche In-vitro-Studien, die den durchaus ambivalenten Einfluss der Medikamente auf den Knochenstoffwechsel im Rahmen der Implantation untersuchen32,33. Lilakhunakon et al. beispielsweise beschreiben den Zusammenhang so: In physiologischen Zuständen interagieren osteogene Zellpopulationen am Knochen/Implantatübergang und modulieren Zellverbundenheit, -rekrutierung, -migration und -viabilität. Bei Anwesenheit von lokalen oder systemisch wirksamen Antiresorptiva jedoch kommt es zur Aufnahme der Medikamente durch besagte Zellen, was in einer reduzierten Zell-Knochen-Implantat-Interaktion mündet32. Zur Kompensation dieser Mechanismen werden beispielsweise Anpassungen der Implantatoberflächen diskutiert. Eine Möglichkeit wird in der aktuellen Forschung beispielsweise im Beschichten der Implantatoberfläche mit Wachstumsfakturen gesehen, welche Endothelzellen und die Gefäßentstehung beeinflussen34. All diese Studien sind als reine In-vitro-Studien in ihrer Übertragbarkeit in den klinischen Alltag eingeschränkt; weiterführende tierexperimentelle und klinische Studien werden dies evaluieren müssen. 

Bezogen auf die reine Überlebensrate, zeigen sich in dem bereits erwähnten Review von Sher et al. keine signifikanten Unterschiede zwischen Patienten unter antiresorptiver Therapie und Patienten ohne diese Medikation mit Erfolgsraten von 92,2 %–100 % in der Fall- und 95,5 %–100 % in der Kontrollgruppe. Daraus folgern die Autoren eine Gesamtverlustrate von 2,8 %. Abschließend wird auf die fehlenden Daten zum Langzeitüberleben von dentalen Implantaten bei Patienten mit Hochdosis-Antiresorptiva-Therapie in onkologischer Indikation hingewiesen28.  

Auch in der Studie von Grant et al. konnte kein erhöhtes Risiko zum frühzeitigen Implantatverlust gefunden werden29. In einem kürzlich erschienenen Review schlussfolgern die Autoren, dass Patienten mit einer BP-Anamnese für Osteoporose kein erhöhtes Risiko für einen möglichen Implantatverlust aufweisen, die Datenlage für die BP-Indikation bei onkologischen Erkrankungen jedoch insuffizient sei27

Mehrere Studien konnten diese Ergebnisse bestätigen und fanden ebenfalls kein erhöhtes Risiko für einen möglichen Implantatverlust bei Patienten mit niedrig dosierter Antiresorptivatherapie35–37. Nach Ata-Ali et al. beträgt die „Number need to harm“ über 500 Implantate, die bei Patienten mit niedrig dosierter Antiresorptiva­therapie gesetzt werden müssten, damit diese einen singulären Implantatverlust erlitten37

Nur ein Review konnte extrahiert werden, das den Implantatverlust bei Patienten mit intravenöser und demnach Hochdosistherapie mit Antiresorptiva analysiert. Javed et al. fassen zusammen, dass das Risiko eines solchen Verlusts in beiden Risikokonstellationen präsent, aber vernachlässigbar erscheint. Die Autoren beschreiben demnach sowohl bei der niedrig als auch hoch dosierten Antiresorptivatherapie eine suffiziente Osseointegration und mechanische Stabilität38. Das bereits diskutierte Review von Papadakis et al. untersuchte zwar ebenfalls beide Kollektive, aufgrund des niedrigen Evidenzniveaus sahen sich die Autoren jedoch nicht in der Lage, eine entsprechende Aussage zu treffen30 (Tab. 2). 

Tab. 2 Auswahl aktueller Studien zum Risiko eines Implantatverlusts bei dentaler Implantation bei Patienten mit antiresorptiver Therapie.
Tab. 2 Auswahl aktueller Studien zum Risiko eines Implantatverlusts bei dentaler Implantation bei Patienten mit antiresorptiver Therapie.

Zusammenfassend zeigt sich ein klares Bild in der aktuellen Literaturdiskussion: Die niedrig dosierte Antiresorptivatherapie scheint nicht zu einem erhöhten Risiko eines Implantatverlusts beizutragen. Derzeit kann keine suffiziente Aussage getroffen werden, ob dies auch auf eine Hochdosistherapie oder Therapie mit den neueren antiangiogenen Substanzen übertragbar ist. Wichtig erscheint, diese Daten im Kontext des oben genannten Risikos für die MRONJ-Entstehung in einer individuellen, patientenzentrierten Therapieentscheidung zu diskutieren. Als unabdingbare Voraussetzung für eine etwaige Implantattherapie ist die Notwendigkeit einer guten Mundhygiene und supportiven zahnärztlichen Therapie bei allen Patienten unter antiresorptiver Therapie zu sehen.

Ein Beitrag von Dr. Sebastian Blatt und Univ.-Prof. Dr. Peer W. Kämmerer, beide Mainz

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Reference: Implantologie

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