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Der aktuelle Wissensstand und die am häufigsten diskutierten ätiologischen Faktoren

Typisches Erscheinungsbild eines 14-Jährigen mit einer Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH). Die Ätiologie für die Strukturstörung ist trotz umfangreicher Bemühungen als nicht geklärt zu beurteilen.

Die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) – mittlerweile auch bekannt unter dem Synonym „Kreidezähne“ – ist heute neben der Karies die zweithäufigste Zahnerkrankung im Kindes- und Jugendalter. Problematisch ist, dass die Ätiologie der MIH noch immer ungeklärt ist, was sowohl für die Eltern der jungen Patienten und Patientinnen als auch für die Zahnärzteschaft als unbefriedigend zu beurteilen ist. Ziel dieses Beitrags von Prof. Dr. Jan Kühnisch und Theresa Armbruster für die Quintessenz Zahnmedizin 12/2022 mit dem Schwerpunkt Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) ist es, den aktuellen Wissensstand zur Ätiologie dieser entwicklungsbedingten Struktur­störung vorzustellen.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wird 2024 wie der Verlag selbst 75 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit elf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Als Hypomineralisationen werden Opazitäten des Zahnschmelzes bezeichnet, wenn diese während der Zahn- beziehungsweise Schmelzentwicklung entstehen. Als sensibler Zeitraum sind dabei die letzten Schwangerschaftsmonate und ersten Lebensjahre anzusehen, in welchen die Mehrzahl der bleibenden Zähne angelegt und ausgebildet werden. Zeigen Hypomineralisationen eine scharfe Abgrenzung zum gesunden Zahnschmelz („demarcted opacities“), dann werden diese dem Formenkreis der Molaren-Inzisiven-Hypo­mineralisation (MIH) zugerechnet (Abb. 1). Diese können eine unterschiedliche Kolorierung von weiß über gelb bis braun aufweisen. Ein zweites Leitsymptom sind prä- beziehungsweise posteruptive Schmelzeinbrüche. Zähne mit präeruptiven Defekten brechen typischerweise mit einem Zahnhartsubstanzdefekt in die Mundhöhle durch. Demgegenüber treten posteruptive Defekte erst im Laufe der kaufunktionellen Belastung auf. Die Kauflächen der ersten bleibenden Molaren gelten hier als prädisponierte Lokalisation. Neben diesen klinisch gut diagnostizierbaren Zustandsbildern sind Überempfindlichkeiten („Hypersensitivities“) auf thermische, chemische oder mechanische Stimuli Teil der klinischen MIH-Problematik und tragen zu kooperationsbedingten Einschränkungen und einer Zahnarztangst bei18.

Ätiologie der MIH

Bezüglich der MIH-Ätiologie besteht ein grundsätzlicher Konsens, dass eine systemisch bedingte, funktionelle Schädigung der Ameloblasten während der Schmelzentwicklung vorliegen muss, um eine MIH zu verursachen. Hierzu wurden vielfältigste Hypothesen aufgestellt und in unterschiedlichen Studien analysiert. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, hierzu den gegenwärtigen Wissensstand zusammenzufassen und häufig diskutierte ätiologische Faktoren darzustellen.

Im Vorfeld der Ausführungen erscheint es jedoch ratsam, einige methodische Überlegungen anzustellen. Unter Verweis auf den mehrjährigen Verzug zwischen dem Zeitpun­kt der etwaigen Initiation der Strukturstörung im Säuglings- beziehungsweise Kleinkindalter und dem Zeitpunkt der MIH-Erkennung jenseits des 6. bis 8. Lebensjahrs wird deutlich, dass es im Idealfall prospektiv angelegter, longitudinaler Beobachtungsstudien bedarf. Diese sollten spätestens mit der Geburt des Kinds beginnen, kontinuierlich relevante gesundheitliche Parameter erfassen und den Zahnstatus im Grundschulalter dokumentieren. Insgesamt gibt es weltweit nur wenige dieser prospektiv angelegten Geburtskohorten-Studien. Den genannten Kohorten ist gemeinsam, dass Kinder mit der Geburt in das Untersuchungsprogramm aufgenommen wurden und von diesem Zeitpunkt an kontinuierlich anthropometrische, medizinische, soziale, „Lifestyle-“ sowie zahnärztliche Informationen gesammelt wurden. Mit Blick auf den langen Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der potenziellen Schädigung in der frühkindlichen Entwicklungsphase und dem Zeitpunkt der Erstdiagnostik um das 6. Lebensjahr herum bleibt zu konstatieren, dass vertrauenswürdige, wissenschaftliche Daten am wahrscheinlichsten nur mit einem Geburtskohorten-Design gewonnen werden können. Unter Verweis auf den hohen personellen und damit finanziellen Aufwand gibt es weltweit nur wenige Geburtskohorten-Studien, welche das Problem der MIH berücksichtigten (Tab. 1).

Die überwiegende Mehrzahl der aktuell verfügbaren Ätiologiestudien kombiniert die klinische Untersuchung in einer mehr oder weniger repräsentativ gezogenen Stichprobe in einer mehr oder weniger homogenen Gruppe von Kindern beziehungsweise Jugendlichen (Querschnittsstudie) und nutzt einen mehr oder weniger validierten Fragebogen, um Informationen über potenziell relevante ätiologische Faktoren zu erhalten1,11,31. Deutlich seltener fanden dokumentierte medizinische Daten Berücksichtigung. Das grundsätzliche Problem dieses Studiendesigns ist, dass die klinische Untersuchung erst mit dem Vorhandensein von bleibenden Zähnen, also im frühen Schulalter stattfinden kann und die Befragung demzufolge Variablen dokumentieren muss, welche viele Jahre in der Vergangenheit liegen. Dies schränkt die Vertrauenswürdigkeit der Aussagen grundsätzlich ein und ist insbesondere bei der Dateninterpreta­tion zu berücksichtigen.

Darüber hinaus weisen die auf Querschnittsdaten basierenden Ätiologiestudien oftmals relevante methodische Unzulänglichkeiten auf. Dies betrifft unter anderem die Stichprobenziehung, das gewählte Probandenalter, die Metho­dik der klinischen Erfassung von MIH-Zähnen, die Identifikation beziehungsweise Definition von MIH-Betroffenen oder die Kalibrierung des Studienteams. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt ist die Qualität des Fragebogens. Hier ist neben eindeutigen Fragestellungen gleichfalls die systematische Berücksichtigung potenzieller Störfaktoren zu fordern, welche im Rahmen der spä­teren statistischen Analyse optimalerweise mithilfe von logistischen Regres­sionsmodellen gewichtet werden. Letzte­re statistische Metho­den finden jedoch häufig keine Anwendung11,31.

Alle zuvor genannten Aspekte begründen letztlich die Barrieren, welche einer einfachen Klärung der MIH-Ätiologie entgegenstehen. Daher sind die nachstehenden Ausführungen zu potenziell ursächlichen Faktoren auch nicht frei von Verzerrungen und bedürfen grundsätzlich immer der zurückhaltenden Interpretation. Dies trifft gleichermaßen auf die verfügbaren systematischen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zur MIH-Ätiologie zu, welche nichtsdestotrotz hervorragende Zusammenfassungen sind1,6,11,31. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, dass es sich bei der MIH mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein neuzeit­liches Problem handelt. Dies begründet sich darin, dass MIH-typische Strukturstörungen in archäologischen Schädelserien mit einer nur geringen Häufigkeit beob­achtet wurden, sofern die heutige Nomenklatur für die MIH-Erfassung Anwendung fand21. Nichtsdestotrotz wird wiederkehrend darauf verwiesen, dass Strukturstörungen der Zähne – identisch zum Erscheinungsbild der MIH – auch in der Vergangenheit schon immer beobachtet wurden13.

Umwelttoxine

Seit Beginn der MIH-Ursachensuche werden Umweltfaktoren als potenzielle Einflussvariable untersucht und diskutiert. Als umwelttoxikologischer Einfluss sind bereits in den 1990er-Jahren Dioxine oder Bisphenol-A (BPA) identifiziert worden2,3. Herauszustellen sind hier die in den 1990er-Jahren durchgeführten Studien der finnischen Arbeitsgruppe um Alaluusua2,3. Ihr Team konnte damals bei Kindern mit Hypomineralisationen der Zähne eine erhöhte Dioxinkonzentrationen als verursachend ausweisen2 und zusätzlich einen positiven Zusammenhang zwischen längerem Stillen und Schmelzdefekten erkennen3. Dieser Effekt war allerdings in anderen Untersuchungen nicht erkenn­bar19,40. Auch veröffentlichte die finnische Arbeitsgruppe später Studienergebnisse, welche signalisierten, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen einer mütterlichen Dioxinexposition und einer MIH gibt26.

Jüngere, tierexperimentelle Untersuchungen dokumen­tierten strukturelle Veränderungen in der Zahnhartsubstanz nach einer Bisphenol-A-(BPA)-Exposition an Ratten20. Die viel zitierte Tierversuchsstudie konnte zeigen, dass bei trächtigen Ratten, die definierte BPA-Mengen mit der Nahrun­g aufnahmen, MIH-ähnliche Hypomineralisationen auftraten20. Darüb­er hinaus untersuchte eine französische Forschungsgruppe den Einfluss endokriner Disruptoren auf die Ameloblastenproliferation sowie endokrine Signalwege17. Unabhängig von der nachgewiesenen Anfälligkeit der Amelo­blasten gegenüber Umwelttoxinen erscheinen hierzu weitere Untersuchungen erforderlich. Insbesondere wären mögliche BPA-Quellen, Expositionswege und po­tenziell schädliche Aufnahmemengen abzuschätzen.

Frühkindliche Erkrankungen

In der Diskussion zu MIH-Ursachen spielen Erkrankungen im Kindesalter eine wichtige Rolle. Deren Einfluss in den ersten Lebensjahren wurde vielfach untersucht. Dennoch liefern die verfügbaren Studien keine eindeutigen Er­gebnisse1,9,11,31. Aus dem Kreis der frühkindlichen Erkrankungen wurden erhöhte MIH-Häufigkeiten beispielsweise für Atemwegserkrankungen, Mittelohrentzündungen und Fieber dokumentiert9,11,31. Den Übersichtsarbeiten zufolge gibt es jedoch eine Vielzahl weiterer Erkrankungen, welche für eine MIH verantwortlich sein könnten. Hierzu zählen zum Beispiel Windpocken, Masern und Röteln, gastrointestinale Erkran­kungen, Allergien, Herz- und Nierenerkrankungen, Lymphome, Zöliakie, Mukoviszidose, HIV, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten und verschiedene Syndrome.

Atemwegserkrankungen

Pneumonien beziehungsweise Bronchitiden und Asthma stehen im Verdacht an der MIH-Entstehung beteiligt zu sein. Die schwedische Arbeitsgruppe um Jälevik dokumentierte erstmals 2001 einen Zusammenhang zwischen Pneu­monien und MIH. Die Querschnittsuntersuchung unter Einschluss von 516 Probanden, der Verwendung des mo­difizierten DDE-Index' und eines Fragebogens ergab ein 2,5-fach höheres MIH-Risiko für 8-Jährige, bei denen eine Pneumonie auftrat19. Einen gleichen Zusammenhang do­kumentierten Ghanim et al. sowie Sönmez et al. in ihren Studien mit 823 beziehungsweise 4.049 Kindern14,32. Im Rahmen der GINIplus-Kohorte (n = 692) zeigten sich Atemwegserkrankungen gleichfalls als signifikanter Einflussfaktor für das MIH-Auftreten23. Ein Zusammenhang wurde für Indi­viduen dokumentiert, welche in den ersten vier Lebens­jahren an einer Lungenentzündung, Asthma bronchiale oder Bronchitis erkrankten. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Studienergebnissen konnte in anderen Studien kein Zusammenhang zwischen Pneumonien und MIH festgestellt werden4,28,30,33.

Mehrere Autorengruppen führten zudem separate Studie­n durch, um den Zusammenhang zwischen Asthma im Kindesalter und dem Auftreten einer MIH zu beleuchten4,12,19,35,37. Bereits 1995 konnte in einer holländischen Studie37 eine Assoziation zwischen dem Auftreten von Asthma beziehungsweise Bronchitiden (bis zum Alter von 3 Jahren) und Hypomineralisationen der Zähne festgestellt werden. Diese ersten Ergebnisse konnten im Laufe der Jahre durch weitere Studien bekräftigt werden. In der bereits zuvor erwähnten Kohortenstudie von Jälevik aus dem Jahr 2001 schien Asthma im 1. Lebensjahr einen Einfluss auf die Entste­hung von MIH zu haben, was aufgrund der geringen Anzahl von Kindern mit Asthma jedoch vorsichtig interpretiert werden sollte19. Auch in einer brasilianischen Studie35 konnte Asthma mit MIH assoziiert werden. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Ergebnissen gibt es jedoch weitere Studien, welche keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Asthma und MIH finden konnten7,12,24,32,40. Eine aktue­lle Auswer­tung von Flexeder et al. erfasste bei Betrachtung verschiedener MIH-Ausprägungen bei 730 Kindern zwar keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Asthma und MIH, stellte jedoch fest, dass die Medikation einen si­gnifikanten Einfluss zu haben schien12. Hier hatten Kinder beziehungsweise Jugendliche, welche keine Antiasthmatika nutzen, eine höhere MIH-Wahrscheinlichkeit. Allerdings war diese Gruppe sehr klein und sie erklärt nicht das Auftreten von MIH bei der Mehrzahl der Fälle. Hinsichtlich der hetero­genen Studienlage bleibt der Einfluss von Atemwegs­erkrankungen auf die Entstehung von MIH weiter zu untersuchen und zu diskutieren.

Infektionen

Neben den Atemwegserkrankungen gibt es Hinweise darauf, dass Infektionen in der frühkindlichen Lebensphase einen Einfluss auf die MIH-Entstehung haben könnten. Vordergründig sollen an dieser Stelle Mittelohrentzündungen und Fieber erörtert werden, da es sich dabei um vergleichsweise häufige Erkrankungen handelt. Ghanim et al. re­gistrierten, dass die Kombination von Fieber, Atemwegs­erkrankungen und Mittelohrentzündungen das Risiko für MIH signifikant erhöhte14. Für Mittelohrentzündungen legten Woullet et al. aus Finnland 2016 Kohortendaten vor, welche für solche Kinder ein erhöhtes MIH-Risiko signalisierten, die im Kleinkindalter an einer Mittelohrentzündung litten41. Giuca et al. untersuchten zwei Jahre später gleichfalls den Einfluss von Hals-Nasen-Ohren (HNO)-Erkran­kungen und fanden nach uni- und multivariater Analyse signifika­nte Zusammenhänge zum Auftreten von MIH15. Demgegenüber konnten andere Arbeitsgruppen beziehungsweise Studien wiederum keine Signifikanzen zwischen HNO-Erkrankungen im Kleinkindalter und dem Auftreten einer MIH beobachten4,28,34.

Darüber hinaus waren anderweitige Infektionen oder häufiges beziehungsweise schweres Fieber Gegenstand von Analysen. Hier gibt es etliche Hinweise darauf, dass Fieber in der frühkindlichen Lebensphase ursächlich für Hypomineralisa­tionen sein könnte4,7,8,10,14,27,33. Allerdings ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass die einzelnen Studien Fieber sehr unter­schiedlich definierten und demzufolge die Ergebnisse dadurch verzerrt sein könnten. Die Fragen bezüglich des Fiebers bezogen sich auf Fieberattacken in den ersten 4 Lebensjahren4, unerklärbares Fieber ≥ 38,5° C in den ersten 4 Lebensjahren14, hohen Fiebers in den ersten 3 Lebensjahren mit Temperaturen ≥ 39° C33, wiederholte Episoden von hohem Fieber (> 5) aufgrund einer Erkältung/eines Schnupfens27 oder auf die allgemein gehaltene Formulierung von (hohem) Fieber7,8. Zusätzlich zu den klinischen Erkenntnissen konnte im Tierversuch gezeigt werden, dass die Gabe von pyrogenen Substanzen bei Ratten Einfluss auf deren Schmelzentwicklung hatte und es dadurch zu einer Umstrukturierung von Schmelzprismen sowie zu kristallfreien Schmelzbereichen kam36. Werden die Ergebnisse zusam­mengefasst, so lässt sich allenfalls ein moderater Zusam­menhang zwischen dem Auftreten von Fieber und MIH erkennen30,33,40. Darüber hinaus tritt Fieber als Symptom vieler anderer (Infektions-)Krankheiten auf. Es kann daher nicht eindeutig festgestellt werden, ob das Fieber oder die auslösende Krankheit im Zusammenhang mit der Entstehung von MIH steht.

Zusätzlich zu den zuvor genannten Infektionen gibt es etliche weitere bakteriell oder viral verursachte Infektionskrankheiten, die typischerweise im Kindesalter auftreten und bei der Suche nach potenziellen Faktoren bei der MIH-Entstehung diskutiert wurden. Beispielsweise sind Ergeb­nisse publiziert worden, welche nahelegen, dass eine Primärinfektion mit Varizella-Zoster-Viren (Windpocken) die Entstehung einer MIH begünstigt32,40. Allerdings ist die Datenlage keinesfalls eindeutig und mehrere Autorengruppen konnten den Einfluss von Windpocken nicht bestätigen4,7,19,32. Die Studienlage für Masern und Röteln ist gleichfalls heterogen7,16,30,32,40. Auch scheinen weitere Daten zu infek­tiösen Kinderkrankheiten wie zum Beispiel Mumps, Pertussis, Scharlach, Ringelröteln oder Dreitagefieber keine Hinweise auf einen Einfluss an der MIH-Entwicklung zu geben.

Zusammenfassend ist zu schlussfolgern, dass Infek­tionen als Kausalfaktor für die MIH-Entstehung diskutiert werden müssen. Jedoch deuten die heute verfügbaren Daten eher auf eine negative Assoziation hin. Allerdings legen die kontroversen Studienergebnisse gleichfalls nahe, dass weitere Untersuchungen erforderlich sind und möglichst detailreich Erkrankungen in zukünftigen Studien registriert werden sollten. Die Mehrzahl der zuvor genannten Erkrankungen beziehungsweise Infektionen können medikamentös therapiert werden. Daher ist neben der Erkrankung selbst auch ihre Therapie als potenziell MIH-verursachend zu betrachten. Im Fall von Infektionen sind daher auch Wechsel­wirkungen zwischen einer Antibiotikaeinnahme und dem MIH-Auftreten zu erörtern.

Antibiotika

Antibakterielle Substanzen kommen seit gut 50 Jahren auch in der Pädiatrie frequent zum Einsatz und sind daher als potenziell MIH-verursachend zu betrachten, da diese sich bei einer systemischen Einnahme im gesamten Körper verteilen. Zudem haben Studien eine positive Assoziation sowohl im Tierversuch als auch in kindlichen Kohorten­studien25,41 dokumentiert11,31. Dabei greifen Antibiotika offen­sichtlich in den Ameloblasten-Stoffwechsel dahin­gehend ein, dass ein beschleunigtes Prismenwachstum vonstattengeht, ohne dass parallel dazu Kristallisations­keime ausgebildet werden. Im Ergebnis findet eine qua­­li­tativ minderwertige Schmelzbildung statt25. Zudem scheinen neben der Antibiotikagruppe auch der Zeitpunkt und die Häufigkeit der Einnahme relevant zu sein. Eine höhere Anzahl von Antibiotika-Zyklen in den ersten 319 beziehungsweise 425 Lebensjahren erhöht die Wahrscheinlichkeit für das Auf­tre­ten einer MIH. Nach Ghanim et al. ist das MIH-Risiko durch eine Antibiotikaeinnahme im ersten Lebensjahr sogar um mehr als das Dreifache erhöht14.

Zu diskutieren ist weiterhin der Einfluss der Antibiotikagruppe. Die Ergebnisse der bereits erwähnten finnischen Arbeitsgruppe aus einer Kohortenstudie mit 141 Pro­banden sind hier zu zitieren25. Unter Einschluss einer zahnärztlichen Untersuchung, eines Elternfragebogens und der Einsicht in medizinischen Unterlagen konnten Laisi et al. die Anti­biotikaeinnahme von Kindern bis zum 4. Lebensjahr rekon­struieren und in Zusammenhang mit dem Auftreten einer MIH bringen. Auffälligkeiten zeigten sich hier in der Korrelation zwischen der Amoxicillin-, Penicillin V- und Erythromycin-Einnahme und dem MIH-Schweregrad. Zudem konnte in dem Studienprojekt eine positive As­so­ziation zwischen der Amoxicillin-Einnahme und dem MIH-Auftreten festgestellt werden. Demgegenüber wurde für Cephalosporine, Sulfonamide und Trimethoprim kein Zusammenhang dokumentiert25. Die Fortsetzungsstudie mit einer verbreiterten Datenbasis41 zeigte ähnliche Re­sultate. Demnach haben Kinder, die im 1. Lebensjahr Penicilline oder Makrolide oder in den ersten 3 Jahren Amoxicillin einnehmen mussten, ein erhöhtes MIH-Risiko. Den Einfluss von Amoxicillin belegt auch eine britische Fall-Kontroll-Studie, die allerdings nur bei Kindern, die ausschließ­lich Amoxicillin in den ersten 3 Lebensjahren einnah­men, eine signifikante positive Assoziation dokumentierte40. Den genannten Resultaten müssen aber auch andere Daten entgegengehalten werden. So konnten weder Tapias-Ledesma et al.34 noch Arrow5 in den unter­suchten Kohorten einen signifikanten Zu­sammenhang zwischen der Antibiotikaeinnahme und einer MIH auffinden. Auch zeigte die systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von Fatturi et al.11 eine neutrale Assozia­tion zwischen einer Antibiotikaeinnahme und dem MIH-Auftreten. Damit wird gleichfalls für den Aspekt der antibakteriellen Therapie augenfällig, dass die Datenlage uneindeutig ist und weitere Untersuchungen erforderlich sind.

Vitamin D

In den vergangenen Jahren initiierten Arbeitsgruppen Unter­suchungen zum Einfluss des Vitamin-D-Stoffwechsels auf die Ausbildung von Hypomineralisationen. Während die Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen dem Serum-Vitamin-D-Spiegel und dem klinischen Auftreten einer MIH als heterogen einzustufen sind22,38, zeigte eine jüngst publizierte, randomisierte Interventionsstudie, dass die vor­geburtliche, hochdosierte Vitamin-D-Gabe mit einer signi­fikant niedrigeren Häufigkeitsrate von MIH im Alter von 6 Jahren einherging29. Dies deutet auf einen möglichen präventiven Effekt der Vitamin-D-Gabe in dieser Entwicklungsphase hin.

Geburt

Mit Blick auf eine Vielzahl von Einflüssen, denen ein Kind bei der Geburt ausgesetzt ist, und dem Mineralisations­beginn der bleibenden Zähne um den Zeitpunkt der Geburt wird offensichtlich, dass perinatale Faktoren möglicher­weise zur Entstehung einer MIH beitragen können. Er­eignisse um den Zeitpunkt der Geburt herum wurden in etlichen Studien untersucht1,11,31. Allerdings lassen sich diese peri­natalen Faktoren nicht immer klar voneinander trennen; sie stehen vielmehr häufig als mögliche Störfaktoren miteinander in Verbindung9. So hat beispielsweise ein Frühgeborenes natür­licherweise ein geringeres Geburtsgewicht und potenziell unausgereifte Organe. Dies verkompliziert die Betrachtung geburtlicher Variablen. Die in den vorhandenen Studien geprüften perinatalen Variablen, zum Beispiel Frühgeburt, Geburtsgewicht, -modus oder -komplikationen, variie­ren, werden teils nicht erläutert, unterliegen keiner einheitlichen Definition oder erscheinen nicht standar­disiert. Dies begründet möglicherweise auch die Hetero­genität zwischen den Aussagen verschiedener Studien­projekte. Grundsätzlich deuten die verfügbaren Ergebnisse aus Ätiologiestudien unter Einbeziehung geburtlicher Variab­len darauf hin, dass deren Einfluss auf die MIH-Entstehung begrenzt ist. Allerdings ist auch an dieser Stelle auf die Notwendigkeit eines weiterführenden Forschungsbedarfs zu verweisen.

Schlussfolgerung – Multifaktorielles Geschehen

Unter Verweis auf die Datenlage bleibt zusammenfassend zu konstatieren, dass in den vergangenen Jahren etliche potenziell MIH-verursachende Faktoren eingegrenzt werden konnten. Es bleibt aber auch auszuführen, dass eine stichhaltige und allgemeingültige Ätiologiekette noch nicht nachgewiesen werden konnte. Daher wird nach heutigem Forschungsstand von einem multifaktoriellen Geschehen ausgegangen39. Zudem ist mit Blick auf die ungeklärte
MIH-Ätiologie zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine wirksame Präventionsstrategie nicht verfügbar. Dies ist als unbe­friedigend zu beurteilen und unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Anstrengungen, um die Ursache(n) der MIH möglichst zeitnah zu identifizieren.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Jan Kühnisch und Theresa Armbruster, München

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

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Zeitschrift

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Reference: Zahnmedizin

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