Dr. Sandra Tanyeri, Doktorandin der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Ulm (UKU) hat für ihre Dissertation „Country and Gender differences in the motivation of dental students – an international comparison” den Hirschfeld-Tiburtius-Preis 2020 erhalten.
Alle zwei Jahre zeichnet der Verband der ZahnÄrztinnen (VdZÄ-Dentista) mit dem Preis Arbeiten aus, die sich mit der Geschlechter-Verteilung in der Zahnmedizin und den damit einhergehenden Veränderungen befassen. In ihrer Dissertation geht Dr. Tanyeri der Fragestellung nach, ob es vor dem Hintergrund des steigenden Frauenanteils in der Zahnmedizin länderübergreifende Unterschiede bei der Motivation der Studierenden gibt.
Weit über 50 Prozent der aktiven Zahnärzte sind weiblich, Tendenz steigend. Dieser Trend ist international zu beobachten. Durch den hohen Anteil von Frauen in der Zahnmedizin ändert sich die Haltung zur Berufswahl und auch die Art der Ausübung. „In Deutschland spezialisieren sich Zahnärztinnen eher auf Kinderzahnheilkunde, Endodontie, also Behandlungen im Zahninneren oder die Parodontologie, die sich mit dem Zahnhalteapparat befasst. Die chirurgische Zahnmedizin ist eher unterpräsentiert“, erklärt Professorin Dr. med. dent. Margrit-Ann Geibel, Oberärztin der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am UKU, die Tanyeris Dissertation betreut hat. „Dieses Ungleichgewicht kann Folgen für die Patientenversorgung nach sich ziehen, vor allem was die chirurgische Grundversorgung anbelangt.“
Dr. Sandra Tanyeri ging in ihrer Dissertation der Frage nach, was Frauen und Männer motiviert, ein zahnmedizinisches Studium zu beginnen. Gibt die Motivation Hinweise darauf, für welche zahnmedizinische Richtung sich die Studierenden entscheiden und welche Art der Berufsausübung sie später präferieren? Gibt es dabei internationale Unterschiede? „Ich habe bewusst Studierende in Ländern ausgewählt, die sich wirtschaftlich und kulturell unterscheiden, so fiel die Wahl auf Deutschland, die Türkei und Finnland“, erklärt Tanyeri. Insgesamt wurden 469 Studierende im Alter zwischen 21 und 25 Jahren befragt, 294 der Personen waren weiblich.
50 Prozent der Studierenden treten nicht in Fußstapfen der Eltern
So unterschiedlich die untersuchten Länder auch sind, die Ergebnisse sind überraschend einheitlich. „Sozioökonomische Faktoren, eine ausgeglichene Work-Life-Balance, die klassische Rollenverteilung der Geschlechter und uneigennützige Handlungsmotive scheinen länderübergreifend eine essentielle Rolle bei der Motivation für den Berufswunsch zu spielen“, fasst Tanyeri die Ergebnisse zusammen. „Besonders überrascht hat mich, dass über 50 Prozent der Studierenden aus Eigenmotivation ihr Studium antreten und nicht in die Fußstapfen der Eltern treten.“ Die Ergebnisse ihrer Dissertation sind so umfangreich und vielschichtig, dass die Arbeit als Pilotstudie zu sehen ist und weiterer Forschung bedarf.
Unterversorgung im Bereich Chirurgie
Seit mehr als zehn Jahren forscht Margrit-Ann Geibel an den Auswirkungen des Geschlechtermissverhältnisses. Aus der wissenschaftlichen Arbeit konnte sie sehr früh eine Unterversorgung für Patientinnen und Patienten im chirurgischen Bereich in Deutschland identifizieren. Die Gründe für den steigenden Frauenanteil sind vielfältig. „Zum einen legen die jungen Frauen oftmals bessere Abitur-Noten vor, erhalten demnach auch eher die begehrten Studienplätze. Zudem möchten offenbar immer weniger Frauen das Risiko einer Einzelpraxis tragen. Andere trauten sich keine Nachtdienste zu. Generell scheint die junge Generation das Angestelltenverhältnis in einem medizinischen Versorgungszentrum oder einer größeren Praxis zu bevorzugen“, so Geibel.
Frauen früh an die Chirurgie heranführen
Neue Anreize in der Aus- und Weiterbildung könnten dem personellen Defizit im Bereich Chirurgie Abhilfe schaffen und die zahnchirurgische Versorgung langfristig verbessern. Daher entwickelte Prof. Geibel unter anderem eigene chirurgische Weiterbildungen, die sich gezielt an Zahnärztinnen richten. „Es gibt kein geschlechterspezifisches Talent für die Chirurgie. Aber es ist wichtig, Zahnärztinnen sehr früh an den chirurgischen Bereich heranzuführen, Strukturen zu schaffen, die es ermöglichen, dass sie sich ausprobieren können und Selbstvertrauen für diese Disziplin entwickeln. Weibliche Vorbilder spielen hier ebenfalls eine wichtige Rolle. In Ulm gibt es davon glücklicherweise sehr viele“, so Prof. Geibel.
Der aus der Dissertation von Dr. Tanyeri publizierte englischsprachige Artikel wurde im „European Journal of Dental Education“ in der Onlineausgabe im August 2018 veröffentlicht, in der Papierausgabe im November 2018. Zudem wurde der Artikel im Lehrbuch „Gender Dentistry“ (Orale Medizin, Band 1, Lehmanns Media, Berlin, 2021) von Geibel publiziert.
Über VdZÄ-Dentista und den Hirschfeld-Tiburtius-Preis
Der Verband der Zahnärztinnen VdZÄ-Dentista setzt sich in Wissenschaft und Praxis für die weibliche Expertise in der Zahnmedizin und für ein respektvolles Miteinander auf Augenhöhe von Kolleginnen und Kollegen ein. 2007 von Zahnärztinnen gegründet, ist Dentista heute bundesweit vernetzt mit Verbänden, Aktionsgemeinschaften, Vereinen und Fachgesellschaften.
2018 wurde der ehemalige Wissenschaftspreis des Dentista e.V. offiziell in „Hirschfeld-Tiburtius-Preis“ umbenannt. Dieser ist der ersten approbierten und promovierten Zahnärztin in Deutschland gewidmet: Henriette Hirschfeld-Tiburtius. Der Hirschfeld-Tiburtius-Preis wird alle zwei Jahre verliehen. Mit dem Preis will der VdZÄ-Dentista Arbeiten auszeichnen, die sich fundiert mit dem Geschlechter-Shift im Berufsstand und den daraus resultierenden Veränderungen befasst. Dazu zählen beispielsweise Zertifikatsarbeiten, Masterthesen, Dissertationen oder Veröffentlichungen in einem Fachjournal, die spezielle Fragestellungen aufgreifen, die sich aus dem steigenden Anteil der Frauen im Berufsstand ergeben und neue Erkenntnisse mit Relevanz für die demografische Entwicklung im Berufsstand liefern.