Ende April des vorigen Jahres – mitten im Anstieg der ersten Coronawelle – sagte Gesundheitsminister Jens Spahn im Deutschen Bundestag einen denkwürdigen Satz: „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.“ Angesichts der krisenhaften Zuspitzung der durch Sars-CoV-2 aufgeworfenen Probleme, die auf limitierte politische Skills im Umgang mit Krisen in Koinzidenz mit einer eher dürftigen wissenschaftlichen Erkenntnislage trafen, eine naheliegende Schlussfolgerung.
Mittlerweile sind 14 Monate vergangen und die „Verzeihungsliste“ wird immer länger. Was im Hinblick auf die Lernkurve der gewählten Entscheider zunehmend Fragen aufwirft.
Spahns kostspielige Entscheidungen
Der Bundesrechnungshof jedenfalls wirft dem Gesundheitsminister gemäß eines bislang noch unveröffentlichten Berichts Verschwendung vor, insbesondere hinsichtlich des Aufbaus von Intensivkapazitäten (hier sollen bis dato 686 Millionen Euro zu Buche schlagen), der Ausgleichzahlungen an die Krankenhäuser für das Freihalten von Betten (angeblich 10,2 Milliarden Euro) und natürlich die Kosten für die Verteilung der Masken im Winter über die Apotheken (der Bundesrechnungshof schätzt die Kosten auf zwei Milliarden Euro). Und diese Liste ist angesichts der vielen Maßnahmen bei weitem nicht vollständig. Mal schauen, was die Kostenprüfer noch so alles zusammentragen werden.
Nun hat es der Bundesrechnungshof im Vergleich zum Minister in einem Punkt erheblich einfacher: Dieser muss keine Entscheidungen für die „Zukunft“ fällen, sondern beurteilt nach Erreichen eben jener die Entscheidungen der Vergangenheit.
Testkosten werden gedrückt
Jedenfalls hat der Gesundheitsminister die Notwendigkeit vermehrter Kontrolle erkannt. Beginnen will er bei den Testzentren, deren Vergütung für die Testkits wie auch die Testung ab Juli deutlich sinken soll – bei letzterer um knapp 47 Prozent. Und wer soll die Abrechnungen kontrollieren? Da muss man nicht drei Mal raten: Den Kassenärztlichen Vereinigungen wird diese „Ehre“ zuteilwerden.
Während für die niedergelassenen Ärzte die corona-bedingten Ausnahmen im EBM vorerst weiter gelten, stehen die Apotheker mal wieder im politischen Regen. Der passagere Mehrumsatz vor allem durch die FFP2-Maskenaktion im Winter, der den öffentlichen Apotheken im Jahr 2020 einen im Schnitt um 13 Prozent erhöhten Gewinn vor Steuern beschert hat, wird von den Apothekern teuer beglichen. Als vermeintliches Indiz für Gier oder Abzockermentalität versperrt der höhere Gewinn des Vorjahres nun der Bezahlung echter Kosten und notwendiger Honorare den Weg. So wird für das Handling der Coronaimpfstoffe, hier der besonders zu kühlende mRNA-Impfstoff, statt der vom Apothekerverband ABDA ermittelten 18,08 Euro nur 6,58 Euro pro Vial gemäß Impfverordnung erstattet.
Wie gewonnen, so zerronnen
Neben der deutlichen Honorarkürzung bei den FFP2-Masken kommt dann auch die Vergütung für die Impfzertifikate – der digitale Impfnachweis – ab dem 1. Juli unter die Räder: Laut Spahn werden für das Erstellen eines digitalen Corona-Impfnachweises nur noch sechs statt 18 Euro pro Zertifikat vergütet. Die höhere Vergütung zu Beginn sollte gemäß Spahn dazu dienen, Anlaufkosten etwa für Schulungen, IT-Ausstattung und Registrierungen zu finanzieren und an möglichst vielen Stellen ein Angebot für die Bürger und Bürgerinnen zu schaffen. Die Zahlen der ersten zwei Tage in den Apotheken zeigten, dass dies gelungen sei, so die Meldung von „apotheke adhoc“. Politisches Ziel erreicht, Honorar für die Helfer minus 63 Prozent! Ob die bis dato rund 10.000 Apotheken, die kurzfristig investiert hatten, dieses auch mit dem Wissen um die nur kurze Zeit später folgende Honorarkürzung getan hätten, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.
Verweis auf Unwägbarkeiten zieht nicht mehr
Man sollte sich die damalige Begründung von Jens Spahn, dass man, „in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie mit so vielen Unwägbarkeiten, die da sind, so tief gehende Entscheidungen (habe) treffen müssen“, allerdings noch einmal vor Augen führen. Denn der wissenstechnische status nascendi ist mittlerweile verlassen, und damit reduziert sich die Basis für glaubhafte Ausreden, sollte man meinen. Vor allem gegenüber den Heilberuflern, die bei der Bewältigung der Krise respektive ihrer Folgen ihre Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit ein ums andere Mal nachhaltig unter Beweis gestellt haben. Dazu zählen dann auch die Zahnärzte, die, obwohl von der Politik im letztjährigen Sommer noch als nicht systemrelevant gebrandmarkt, die Versorgung trotz all der Unwägbarkeiten geräuschlos aufrechterhalten haben.
Abschließend daher der Hinweis auf die Lernkurve, diesmal jedoch nicht der Politik: Schnell gemachtes Geld holt sich die Politik wieder, auch wenn sie dabei im übertragenen Sinne in die Hand derer beißt, die ihr zuvor die Kohlen bei der Bevölkerung, den Wählern, aus dem Feuer geholt haben. Die Freude bei den „Leistungserbringern“ über die angemessene Honorierung ist dann nur kurz, und aus dem scheinbaren Erfolg bei der Vergütung wird so ein Pyrrhussieg.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.