Ohne unmittelbare politische Weichenstellungen seien dramatische Versorgungslücken zu erwarten. In der Bundespressekonferenz stellten die Spitzen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände am Donnerstag, 11. April 2024, erneut ihre Kritikpunkte an der Gesundheitspolitik dar. Alle vier eine die Sorge darum, ob die Menschen in Deutschland auch in Zukunft noch flächendeckend und wohnortnah Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und Apotheken finden werden, hieß es in Berlin.
Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der KZBV, kritisierte wie der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen, der DKG-Vorsitzende Dr. Gerald Gaß und Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA, die immense Bürokratielast. Diese habe unter der Ampel-Regierung nochmals zugelegt. Sie forderten die Politik auf, die Versorgung spürbar zu entbürokratisieren. So sind beispielsweise zahlreiche Dokumentationsvorschriften überflüssig. Letztlich führe die überbordende Bürokratie dazu, dass immer weniger Zeit für die Patientenversorgung bleibt.
Versorgungsfeindliche Gesundheitspolitik
Die zahnärztliche Versorgung, „wie wir sie alle kennen“, ist in Gefahr, so Hendges. Dies sei die unvermeidliche Folge einer versorgungsfeindlichen Gesundheitspolitik. „Dazu gehört auch eine nicht am Praxisalltag ausgerichtete Digitalisierungsstrategie und eine überbordende Bürokratie, die uns Leistungserbringer von der Patientenversorgung abhalten“, erklärte Hendges in der Bundespressekonferenz.
Durch diese niederlassungsfeindlichen Rahmenbedingungen drohten vorzeitige Praxisschließungen. Zudem halten sie zunehmend die junge Zahnärzteschaft davon ab, sich niederzulassen. „Vor allem in ländlichen und strukturschwachen Regionen kommt es bereits heute zu Versorgungsengpässen“, berichtete der KZBV-Vorstandsvorsitzende.
Budgetierung bei Zahnärzten aufheben
Er hob in seinem Statement auf die inzwischen wohl unumkehrbaren Folgen der Budgetierung für den Kampf gegen die Volkskrankheit Parodontitis ab. Die Zahlen der Neubehandlungen seien drastisch eingebrochen, berichtete er. Durch unbehandelte Parodontitis entstünden zudem hohe Folgekosten für das Gesundheitssystem, die einer Stabilisierung der GKV-Ausgaben entgegenwirken. „Wir fordern daher die Politik auf, die 2022 eingeführte Budgetierung sofort für alle Zeit zu beenden!“
Immer noch keine Regelungen für iMVZ
Hendges mahnte zudem an, dass noch immer keine gesetzliche Regulierung für Medizinische Versorgungszentren, die von versorgungsfremden Investoren (sogenannte iMVZ) betrieben werden, geschaffen wurde. Der Anteil von iMVZ an allen zahnärztlichen MVZ liege mittlerweile bei rund 30 Prozent, berichtete er. Das seien 468 iMVZ – Tendenz weiter steigend. Mit ihrem Fokus auf schnelle Rendite stellten iMVZ eine erhebliche Gefahr für die Patientenversorgung dar. Um die fortschreitende Vergewerblichung des Gesundheitswesens endlich wirksam zu stoppen, müsse ein räumlicher und auch fachlicher Bezug eines Trägerkrankenhauses zur Voraussetzung der Gründungsbefugnis eines Krankenhauses von iMVZ gemacht werden, so Hendges.
Freiberuflichkeit und Trägervielfalt stark gefährdet
Die Freiberuflichkeit als Kernelement der ärztlichen, zahnärztlichen und apothekerlichen Versorgung und die Trägervielfalt in der Krankenhauslandschaft sind aus Sicht der KBV, KZBV, DKG und ABDA mittlerweile stark gefährdet. Anstatt die bestehenden Strukturen zu stärken und zu stabilisieren, wolle der Minister in überflüssige neue Strukturen investieren wie beispielsweise Gesundheitskioske. Notwendige Mittel für die Versorgung fehlen damit.
Lauterbachs Politikstil in der Kritik
Auf scharfe Ablehnung bei den Organisationen trifft auch die Art und Weise, wie Karl Lauterbach Politik betreibt und diese kommuniziert. Alle vier Säulen kritisieren neben inhaltlichen Schwachpunkten bei den Gesetzentwürfen den mangelnden Respekt, den der Minister der Selbstverwaltung und damit letztlich auch den Patientinnen und Patienten, für die sie sich Tag für Tag einsetzt, entgegenbringt. Immer wieder bezeichne er Organisationen mit gesetzlich festgelegten Aufgaben als „Lobbygruppen“ und verweigere Gespräche mit ihnen, so die vier Spitzenvertreter.
Die Gesundheitsinstitutionen kritisieren zudem, dass der Minister bislang vor allem durch größtenteils vage, öffentliche Ankündigungen aufgefallen ist. Konkrete politische Umsetzungen folgten dann entweder gar nicht, halbherzig oder extrem verspätet. Mit Nachdruck kündigte Lauterbach zu Beginn seiner Amtszeit beispielsweise an, dass es mit ihm keine Leistungskürzungen geben werde. De facto führten seine politischen Entscheidungen aber dazu, dass die Patientinnen und Patienten immer weniger Leistungen an weniger Standorten erhalten werden beziehungsweise bereits erhalten.
KBV, KZBV, DKG und ABDA forderten Minister Lauterbach und die Ampel-Koalition dazu auf, die Versorgung der Patienten wieder in den Fokus zu nehmen. Dazu sind nachhaltige Reformen von Nöten, die die bestehenden Versorgungsstrukturen stärken. Die Organisationen verweisen dazu auf die konstruktiven Gestaltungsvorschläge, die dem Minister schon seit Monaten bekannt sind.
Stimmung auf dem Tiefpunkt
„Die Stimmung der Leistungserbringer ist auf einem absoluten Tiefpunkt; sie stoßen an ihre Grenzen und können die Versorgung, wie die Patienten sie bisher gewohnt waren, nicht mehr länger leisten“, heißt es in der zum Auftritt in der Bundespressekonferenz veröffentlichten Pressemitteilung.
Endlich in den Dialog treten
„Bevor die kommenden Gesetzentwürfe ins parlamentarische Verfahren gehen, muss Minister Lauterbach daher endlich in den Dialog mit denjenigen treten, die die Versorgung täglich gestalten! Die Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch und die Reformbereitschaft ist gegeben“, heißt es weiter. Bleibe jetzt jedoch der erforderliche Kurswechsel aus, werden die vier Organisationen in den kommenden Wochen die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen und vor allem die breite Öffentlichkeit auf unterschiedlichen Kanälen verstärkt über die verheerenden Folgen dieser Politik für die Versorgung von rund 84 Millionen Patienten in Deutschland aufklären, so die Ankündigung.
Krankenhausreform vor dem Scheitern
Für die Krankenhäuser erklärte Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG: „Die große Krankenhausstrukturreform wurde von Seiten des Ministeriums so schlecht gemanagt, dass man praktisch von einem Scheitern sprechen muss. Stand heute liegt noch nicht einmal ein abgestimmter Referentenentwurf für ein mittlerweile nur noch nicht zustimmungspflichtiges Gesetz vor. Der bekannt gewordene „Nichtentwurf“ beschreibt über 15 Seiten den Aufwuchs an Bürokratie, ohne dass die zentralen Ziele des Gesetzes auch nur ansatzweise erreicht werden. Eine Vorhaltefinanzierung, die nachweislich ihre Wirkung verfehlt, eine Krankenhausplanung nach Leistungsgruppen, die sich weit vom NRW-Modell entfernt hat und mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt und ein Transformationsfonds, den im Wesentlichen die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen finanzieren. Insgesamt eine desaströse Bilanz nach zweieinhalb Jahren Regierungszeit.“
Minister präferiert standardisierte und zentrierte Versorgung
Der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, erklärte: „Viel zu kompliziert, nicht zu Ende gedacht und mit kaum absehbaren gewaltigen Folgen. So lassen sich aktuell fast alle Gesetzentwürfe aus dem Hause Lauterbach beschreiben. Mal abgesehen davon kommt noch die Unsicherheit hinzu, in welchem offiziellen oder inoffiziellen Stadium sich bekannt gewordene Referentenentwürfe denn befinden. Gemeinsam ist den Entwürfen, dass sie eine standardisierte und zentrierte Versorgung favorisieren – und zwar mit Standards, deren Sinnhaftigkeit sich aus Versorgungssicht nicht erschließt.“
Gassen: „Die ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen werden von selbstständigen Freiberuflern geführt, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten an ihrem Standort und mit ihrem Personal individuell passend das Bestmögliche machen. Das passt in keine bundesweite Schablone – das wird entweder nicht verstanden oder nicht gewollt. Stattdessen werden völlig praxisferne Vorgaben formuliert, die bis ins Detail ins Praxismanagement gehen und den Praxen immer mehr Leistungen abverlangen. Dabei wäre es einfach, durch wenige schnell umsetzbare Regelungen wie eine pragmatische Entbudgetierung der Hausärzte oder eine Abschaffung der TI-Sanktionen erste richtige Impulse zu setzen.“
Lauterbach kündigt nur Scheinreformen für die Apotheken an
Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, beschrieb die Situation bei den Apotheken: „Die Apothekenzahl befindet sich seit Jahren im Sinkflug. Dadurch müssen immer mehr Patientinnen und Patienten weitere Wege zu ihrer Apotheke zurücklegen. Allein im vergangenen Jahr sind rund 500 Apotheken weggefallen – das entspricht der Apothekenzahl in Thüringen! Auch in diesem Jahr führen die politisch verursachten Probleme zu massiven Belastungen. Die Apothekenteams lösen die unzähligen Lieferengpässe, sie helfen den Menschen beim holprigen Start des E-Rezepts. Das alles übernehmen die Apotheken trotz zehrenden Fachkräftemangels. Das Apothekenhonorar wurde seit elf Jahren nicht angepasst, zuletzt hat es die Ampel-Koalition sogar gekürzt.
Overwiening: „Herr Lauterbach weiß von diesen bedrohlichen Entwicklungen. Doch statt die wohnortnahe Versorgung zu stabilisieren, kündigt er Scheinreformen an. Seine aktuellen Ideen bedeuten für die Bevölkerung weitgehende Leistungskürzungen. So würden durch eine Honorar-Umgestaltung noch mehr Menschen ihre Apotheke verlieren. Und in den geplanten Scheinapotheken würde die Expertise der Apothekerinnen und Apotheker fehlen. Damit könnten mehrere benötigte Leistungen nicht mehr angeboten werden. Sich ernsthaft für eine solide Versorgung einzusetzen, sieht anders aus.“
Lauterbach lobt parallel seine Krankenhausreform
Fast parallel zum Auftritt der Gesundheitsorganisationen vor der Bundespressekonferenz verkündete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor einer neuen Runde mit Beratungsgesprächen und dem Gespräch mit Ländern zur Krankenhausreform am 11. April, dass man jetzt auf die Zielgerade einbiege und lobte sich selbst für die „gute Reform“. „Wir sind auf der Zielgeraden. Wir haben eineinhalb Jahre intensiv an dieser riesigen Reform gearbeitet. Und sie ist gut geworden. Wir ziehen das jetzt durch. Der Bund wird nicht wackeln. Dass es diese Reform braucht, darüber waren wir uns heute alle einig. Wir haben das Krankenhaussystem bislang im Blindflug geflogen und keine Daten über die Verteilung der Leistungen gehabt. Das ändert sich nun. Wir werden einen drastischen Umbau sehen.“