Die freien Heilberufe haben am 19. Oktober 2023 gemeinsam auf die schwierige Situation für die Gesundheitsversorgung in Deutschland hingewiesen. Noch finden die Menschen in Deutschland in der Regel einen Arzt, eine Ärztin, eine Zahnarztpraxis oder eine Apotheke in erreichbarer Nähe – auch wenn sie insbesondere bei Fachärzten mitunter lange auf Termine warten müssen. Aber wenn die Politik nicht schnell handelt, wird sich die Situation rasch und gravierend verschlechtern, warnen Ärzte-, Zahnärzte- und Apothekerschaft.
Das hat es so noch nie gegeben: Die Vertreterinnen und Vertreter der freien Heilberufe warnen gemeinsam vor einer schon bald drohenden Verschlechterung der flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung mit Apotheken, Arzt- und Psychotherapiepraxen und Zahnarztpraxen. In der Bundespressekonferenz in Berlin riefen Gabriele Regina Overwiening (Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände), Dr. Andreas Gassen (Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV) und Martin Hendges (Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung KZBV) die Politik im Allgemeinen und Bundeskanzler Olaf Scholz im Besonderen am Donnerstag, 19. Oktober 2023, gemeinsam zum schnellen Handeln auf.
Strukturen vor Ort unwiederbringlich zerstört
Die Ursachen: „Ein überbordendes Maß an Bürokratie, eine seit Jahren unzureichende finanzielle Ausstattung zur Versorgung der Patientinnen und Patienten, eine Digitalisierung, bei der die Heilberufler in wichtigen Fragen außen vor gelassen werden, ein belastender Fachkräftemangel, wenig Verständnis für eine präventive Versorgung sowie die durch den Sparwahn der Krankenkassen ausgelöste Krise der Arzneimittel-Lieferengpässe drohen die von der Bevölkerung hoch geschätzte Versorgung mit der Apotheke und Praxis vor Ort unwiederbringlich zu zerstören“, so das gemeinsame Statement. Damit werde zugleich eine mittelständisch geprägte Struktur mutwillig gefährdet, die für rund eine Million wohnortnahe Arbeitsplätze stehe und einen sozialen Stabilitätsfaktor darstelle, so die Spitzen von ABDA, KBV und KZBV.
Minister ohne Verständnis für Probleme und Sorgen der Freiberufler
All das droht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit seiner Politik zu zerstören. Alle drei Berufsgruppen berichteten, dass der Minister in den bisherigen Gesprächen kein Verständnis für die Probleme und Sorgen der Freiberufler gezeigt habe.
Dazu erklärte ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening: „In der Lieferengpass-Krise beweisen die Apotheken erneut, wie wichtig sie für die Daseinsvorsorge sind. Im Auftrag der Politik übernehmen sie immer mehr Aufgaben in der wohnortnahen Versorgung – doch trotz steigender Kosten wurde unsere Vergütung seit elf Jahren nicht angepasst. Infolgedessen befindet sich die Apothekenzahl im Sinkflug. Die Bundesregierung muss das flächendeckende Apothekennetz schnellstmöglich stabilisieren!“
Der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen beschrieb die Situation so: „Wir wissen, dass viele der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen schon jetzt die Notwendigkeit sehen, ihr Leistungsangebot einzuschränken. Minister Lauterbach hat seinerzeit versprochen, unter ihm werde es keine Leistungskürzungen geben. Tatsächlich läuft seine ganze Politik aber genau darauf hinaus, wenn er die ambulanten Strukturen mit selbstständigen Freiberuflern als Rückgrat der Versorgung zerstört.“
In seinem Statement führte er die komplexe Situation mit der bereits geleisteten und noch angekündigten Unterstützung der Krankenhäuser, die derzeit allein im Fokus der Politik zu stehen scheinen, gegenüber den um ein Vielfaches größeren Versorgungsleistungen der niedergelassenen Praxen und der dafür ausbleibenden Unterstützung aus. „Krankenhäuser und deren Existenzsicherung sind in aller Munde, dabei wird völlig übersehen, welche Rolle die Praxen in der Versorgung spielen und wie desolat die Situation dort ist. Zum Vergleich: Die Praxen versorgen 578 Millionen Fälle im Jahr, in den Krankenhäusern sind es derzeit 16,8 Millionen pro Jahr“, so Gassen. „Klar ist: Leistungsfähige Krankenhäuser sind ein unverzichtbarer Teil der Gesundheitsversorgung und müssen auch ausreichend finanziert werden. Aber die Menschen gehen normalerweise nicht regelmäßig ins Krankenhaus, sehr wohl aber in die Apotheke, zum Haus- oder Facharzt oder in die zahnärztliche Praxis. Deshalb sitzen wir hier als Repräsentanten einer Versorgung, die Millionen Mal jeden Tag von den Menschen nachgefragt und als selbstverständlich angesehen wird. Deshalb ist der Erhalt dieser Strukturen mindestens genauso wichtig.“ Das vollständige Statement Gassens ist auf der KBV-Homepage eingestellt.)
Für eine präventionsorientierte Patientenversorgung
Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der KZBV, zeigte die Folgen der Sparpolitik auf: „Die Kostendämpfungspolitik der Bundesregierung und insbesondere die im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verankerte strikte Budgetierung haben schon jetzt verheerende Folgen für die zahnärztliche Patientenversorgung – insbesondere für die neue, präventionsorientierte Parodontitistherapie. Parodontitis ist eine komplexe Entzündungserkrankung des Menschen und steht in direkter Wechselwirkung mit Diabetes mellitus und nimmt zudem Einfluss auf weitere schwere Allgemeinerkrankungen. Im Sinne einer präventionsorientierten Patientenversorgung ist es zwingend erforderlich, die Leistungen der Parodontitistherapie von der Budgetierung noch in diesem Jahr auszunehmen!“
In seinem Statement vor der Bundespressekonferenz erklärte Hendges: „Mein dringender Appell geht daher insbesondere an Bundesgesundheitsminister Lauterbach, aber auch an die Ampel-Koalition: Nehmen Sie die Leistungen der Parodontitistherapie noch in diesem Jahr aus der Budgetierung heraus. Für andere Präventionsleistungen ist dies im Gesetz bereits verankert. Alles andere hat fatale und vor allem dauerhafte Auswirkungen auf die Patientenversorgung.“ (Das ausführliche Statement von Martin Hendges mit dem Fokus auf die Parodontitistherapie und die Folgen für die Gesundheit der Patienten und die Kosten im Gesundheitswesen ist auf der Homepage der KZBV eingestellt.)
Niedrigschwelliger Zugang zur Gesundheitsversorgung
Mehr als 731.000 Ärztinnen und Ärzte, ihre Teams der Medizinischen Fachangestellten sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten ihre Teams lösen pro Jahr fast 580 Millionen medizinische Behandlungsfälle. Rund 73.000 behandelnd tätige Zahnärztinnen und Zahnärzte versorgen im Schnitt jeweils 1.200 Bundesbürger. Es gibt ca. 40.000 vertragszahnärztlich zugelassene Praxen in Deutschland. Hinzukommen rund 17.800 Apotheken, in denen die rund 160.000 Apothekenbeschäftigten pro Tag mehr als drei Millionen Menschen zu ihrer Arzneimitteltherapie beraten und auch nachts und an Wochenenden bereitstehen. Arztpraxen, Zahnarztpraxen und Apotheken sind nicht nur fester Bestandteil lokaler Infrastrukturen in Deutschland, sie sind auch eine unverzichtbare soziale Instanz für die Bevölkerung und die niedrigschwellige Pforte zur Gesundheitsversorgung in Deutschland.
Die Pressekonferenz fand auf Einladung der Bundespressekonferenz statt, sie ist eine unabhängige Vereinigung der Journalistinnen und Journalistinnen in Berlin und Bonn.
Aktualisiert am 19. Oktober 2023 um 16.25 Uhr um die Zitate und Links zu den Statements des KZBV-Vorstandsvorsitzenden Martin Hendges und des KBV-Vorstandsvorsitzenden Dr. Andreas Gassen. -Red.