„Die erheblichen Einnahmeverluste bei hohen weiterlaufenden Kosten können viele Praxen nicht weiter schultern.“ „Niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte bleiben trotz des Corona-Rettungsschirms im Regen stehen“, „beispiellose Diskriminierung einer Berufsgruppe“ – die auf eine Liquiditätshilfe für Zahnärzte reduzierte Schutzschirm-Verordnung wird in ersten Reaktionen heftig kritisiert.
Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) fordert die Bundesregierung auf, auch die Zahnarztpraxen in der Corona-Krise zu schützen und umgehend klare Regelungen beim Kurzarbeitergeld zu definieren. Viele Praxen könnten die Belastung aus erheblichen Einnahmeverlusten bei hohen weiterlaufenden Betriebsausgaben und immensen Investitionskosten nicht länger schultern. „Insbesondere für junge Praxen mit hohen Krediten wird diese Situation mittlerweile existenzbedrohend“, so die BZÄK.
„Hoffnungen zerschlagen“
BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel: „Bislang waren finanzielle Hilfen im Gesundheitsbereich nur für Vertragsärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen verankert, die Zahnmedizin wurde hier vergessen. Alle Hoffnungen ruhten auf der lange diskutierten SARS-CoV-2-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Zahnärzten und Heilmittelerbringern sichern wollte. Mit der nun von der Bundesregierung beschlossenen endgültigen Fassung werden aber auch diese Hoffnungen zerschlagen.“
„Statt echter Hilfen wird den Zahnärzten lediglich ein Kredit zugedacht – verbunden mit der fast schon zynischen Begründung, Zahnärzte könnten ihre Verluste doch im Laufe des Jahres durch Mehrarbeit wieder ausgleichen. Das ist eine Wette auf die Zukunft zu Lasten der Kollegenschaft, die auch in der Krise bereit ist, ihren Patienten zur Seite zu stehen“, so Engel.
Kritik an Arbeitsagenturen
Der BZÄK-Präsident kritisiert auch das Vorgehen der Agenturen für Arbeit beim Kurzarbeitergeld scharf: „Absurderweise verwehren die Agenturen für Arbeit nun zudem Anträge auf Kurzarbeitergeld für die zahnärztlichen Praxismitarbeiter mit der Begründung, Ärzte bekämen bei einem Honorarausfall von mehr als 10 Prozent ja Ausgleichzahlungen. Dies ist falsch, denn ein Anspruch für Vertragszahnärzte existierte und existiert nicht. Die Praxen benötigen eine zeitnahe und klare Regelung, denn sie spüren die hohe Umsatzminderung besonders, weil die Zahnmedizin ausstattungs- und personalintensiv ist“, so Engel.
Laufende Kosten wie Miete, Raten für Geräte, Hygienekosten, Materialien und Ausstattung belaufen sich oft auf Fixkosten von 10.000 bis 20.000 Euro pro Monat, je nach Lage und Größe. Die Neugründung einer Einzelpraxis kostet zudem durchschnittlich 598.000 Euro, die überwiegend kreditfinanziert ist. Zahnarztpraxen haben außerdem durchschnittlich vier bis fünf Mitarbeiter mit entsprechenden Lohnkosten. Der nun beschlossene weitere Kredit helfe nicht weiter.
„Irreparabler Schaden für die Versorgung“
„Der Rückgang des Arbeitsaufkommens in den Zahnarztpraxen liegt laut einer repräsentativen Befragung von 950 Zahnarztpraxen bei mehr als 50 Prozent, zwischen 48 und 86 Prozent der befragten Praxen mussten Kurzarbeit beantragen. Wird nicht endlich gegengesteuert, droht etlichen Praxen die Insolvenz beziehungsweise frühzeitige Aufgabe. Dann stehen neben den Arbeitsplätzen in den Praxen selbst auch etliche Arbeitsplätze im Zahntechnikerhandwerk, in Dentalhandel und Industrie auf dem Spiel. Es besteht die Gefahr, dass ein irreparabler Schaden für die Versorgung der Bevölkerung entsteht“, so Engel.
Labore mit in existenzgefährdender Spirale
Diese Gefahr sieht auch der Verband Deutscher Zahntechniker-Innungen. Dessen Präsident ZTM Dominik Kruchen erklärte, der Verband sehe die jetzt ausbleibende Unterstützung für die Zahnärzte mit großer Sorge: „Mit jeder Woche, in der die zahnärztlichen Praxisstrukturen durch ungenügende Stabilisierungsmaßnahmen in eine Schieflage geraten, nimmt die Bundesregierung in Kauf, dass es auch die zahntechnischen Meisterlabore in diese existenzgefährdende ruinöse Spirale mitreißt.“
Corona-Schutzschirm nur noch Makulatur
Auch der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) reagiert mit scharfer Kritik auf die Verordnung. „Aufgespannt und wieder zugeklappt: Niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte bleiben trotz des Corona-Rettungsschirms im Regen stehen“, heißt es in der Pressemeldung dazu. Mit der Verabschiedung der COVID-19-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung sei nun klar: Nachdem Zahnarztpraxen schon im Krankenhausentlastungsgesetz nicht als schutzwürdige Infrastruktur galten, ist jetzt auf Betreiben des SPD-geführten Bundesfinanzministeriums die Hilfe zu einem Darlehen geschrumpft.
„Diskriminierung“ und „Politikversagen“
Der Bundesvorsitzende des FVDZ, Harald Schrader, kritisiert „das Zurückrudern der Politik“ scharf. Hier offenbarten sich die „beispiellose Diskriminierung einer Berufsgruppe“ und „ein völliges Politikversagen“. Für ihn besteht damit kein Zweifel: „Parteipolitische Interessen werden augenscheinlich höher angesiedelt als tatsächliche Hilfeleistungen in der Krise.“ Das sei „ein Schlag ins Gesicht“ all jener, die seit vielen Jahren „mit hohem persönlichem Einsatz das ambulante Versorgungssystem aufrechterhalten.“ Mit dem „Krisen-Kredit“ vertage man lediglich die wirtschaftlich katastrophalen Auswirkungen für Niedergelassene auf die Folgejahre.
„Mediziner zweiter Klasse“
Die Karikatur des „porschefahrenden Zahnarztes“ scheine in Politikerköpfen unausrottbar, bedauert Schrader. Ohne ausreichende Liquidität könnten zahlreiche Niedergelassene während und nach der Krise in die Insolvenz geraten. „Damit droht der ambulanten Versorgung durch niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte ein schwerer Schlag“, so Schrader. Entsprechend düster fällt seine Prognose aus: „Wenn die Politik nicht aufhört, mit zweierlei Maß zu messen und uns wie Mediziner zweiter Klasse zu behandeln, wird die flächendeckende zahnärztliche Versorgung bald der Vergangenheit angehören.“
Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
Der FDP-Bundestagsabgeordnete und Zahnarzt Dr. Wieland Schinnenburg kritisierte in seinem Statement die Ungleichbehandlung der Zahnärzte gegenüber den Ärzten: „Ein solches Verhalten ist rational nicht erklärbar. Schließlich stehen Zahnärzte vor ähnlichen Problemen wie HNO-Ärzte. Letztere erhalten die Förderung des Paragrafen 87a SGB V. Eigentlich gilt im Rechtsstaat der Gleichbehandlungsgrundsatz, das heißt, gleiche Sachverhalte müssen auch gleichbehandelt werden.“
Quellen: BZÄK, FVDZ, VDZI, Schinnenburg