Ach ja, der Prof. Dr. Karl Lauterbach …. Mit diesem despektierlich klingenden, letztlich aber stoßseufzend gemeintem Satzfragment könnte man es angesichts seiner Ausführungen zur Eröffnung des 128. Deutschen Ärztetags vergangene Woche in Mainz auch bewenden lassen. Doch wie immer sollte man ihm gut zuhören.
Immerhin redete der Mediziner und Gesundheitsökonom den anwesenden Präsidenten und Delegierten der Bundesärztekammer im Auditorium wieder mal gewaltig nach dem Munde. Des Ministers Worte sollten Verständnis für die Sorgen und Nöte der Ärzteschaft im Spannungsfeld zwischen rückläufiger Wirtschaftlichkeit, der steigendend Zahl unbesetzter Kassensitze bei gleichzeitiger Notwendigkeit zur Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung signalisieren und den Delegierten des Ärztetages das ärztliche Herz wärmen. Konkrete Ansagen zu den sich immer weiter verzögernden Reformgroßbaustellen gab es nicht, außer das ministerielle Basta: „Die Reformen sind notwendig, sind aber noch nicht fertig“.
Doch letztlich ist Karl Lauterbachs signalisiertes Verstehen und das daraus resultierende verbale Entgegenkommen nichts anderes als seine übliche Taktik: „Hier werden Sie so schnell über den Tisch gezogen, dass Sie die Reibungshitze als Nestwärme empfinden“. Was mit Blick auf die ambulante Versorgung gleichermaßen für die Ärzte-, Zahnärzte- wie auch Apothekerschaft gilt.
Entbudgetierung – des Ministers Buzzword
An dieser Stelle nur einige wenige Sentenzen aus seiner in Mainz mal wieder auf Hochtouren laufenden Phrasenmaschine. Entbudgetierung ist so eines seiner gerne genutzten, weil von geneigter Seite noch lieber gehörten ‚Buzzwords‘. Aber abgesehen von den Kinderärzten ist die häufig geforderte und immer einmal mehr vom Minister versprochenen Entbudgetierung der Hausärzte weder umgesetzt noch ist das Gesamtfinanzierungspaket(!) bis dato bekannt. Angesichts der nach wie vor harten Ablehnung seitens der Krankenkassen zu des Ministers Entbudgetierungsankündigungen sind Jubelarien einzelner Arztgruppen so lange nicht angebracht, bis die finanziellen Fakten vollständig auf dem Tisch liegen.
„Freiheitlich, liberal, großzügig“ – und das SGB V?
Derweil versprach der amtierende Gesundheitsminister gleich noch mehr Freiheit für die Hausärzte. Freiheit? Dieses Wort hat er wirklich verwendet. Mit der von ihm geplanten Jahrespauschale will Lauterbach ein freiheitliches, gar liberales, auf jeden Fall aber großzügiges Vergütungssystem einführen. Für Jubel besteht auch an diesem Punkt keinerlei Anlass. Denn des Ministers Ausführungen stehen gegen das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und die von ihm und seinen Mitarbeitern im Ministerium in den Gesetzesentwürfen praktizierte Regelungswut.
Purer Populismus soll den Stillstand überdecken
Und dann ist da natürlich das leidige Thema der Investoren-MVZ. Klar, dass Lauterbach auf dem Ärztetag nicht sagte, „rutscht mir mit diesem Thema den Buckel runter“, und stattdessen erneut eine Verschärfung der Regeln versprach. Das klang dann so: „Wir wünschen keine Rosinenpickerei, wir wünschen keine Gewinnmacherei mit von Investoren betriebenen Versorgungszentren […] Es macht keinen Sinn, dass wir in den Krankenhäusern entökonomisieren und lassen solche Zustände, die sich derzeit in der Praxis entwickeln, erst kommen. Das werden wir verhindern. Da stehen wir an ihrer Seite“. Leider ist es mir nicht gelungen, den Aussagen des Ministers einen inhaltlichen Sinn zu entringen. Bis auf seine Feststellung, das „stehen“ letztlich nichts anderes als Stillstand bedeutet.
Halten wir deshalb fest: Im derzeitigen Referentenentwurf zum GVSG steht nichts zum Thema iMVZ. Und von Lauterbach war und ist diesbezüglich außer mehr oder minder salbungsvollen Worten nichts Konkretes zu vernehmen. Welche Regeln will er also verschärfen? Die Entökonomisierung der Krankenhäuser ist ja nicht deshalb notwendig, weil dort ständig Riesengewinne gemacht wurden. Sondern weil die Anfang der 2000er Jahre von Lauterbach durchgesetzte Fallpauschalensystematik erhebliche Fehlanreize gesetzt hat und selbst Rosinenpickerei die Häuser finanziell kaum überleben lässt.
Der Meister des Unkonkreten
Mit seinem Ankündigungsfeuerwerk rund um Spezialisieren, Entbürokratisieren, Digitalisieren, Entbudgetieren, Aufwerten (der Rolle der Hausärzte) und Steuern blieb Karl Lauterbach bemerkenswert unkonkret. Hinsichtlich der GOÄ war nicht mehr zu hören als „mitnehmen und prüfen“.
Die in seinem Reformkonzert dringend notwendige Anpassung der Notfallversorgung ließ er neben der Novellierung der Approbationsordnung gleich ganz außen vor. Hinsichtlich der in der 10. Stellungnahme der Krankenhauskommission vorgeschlagenen Abschaffung der sogenannten zweiten Facharztschiene äußerte er sich immerhin in einem Interview dergestalt, dass er angesichts der vielzahligen Reformversprechungen „derzeit keinen Vorschlag zur Abschaffung der doppelten Facharztstruktur“ machen wolle.
Der Minister macht es sich einfach – mal wieder
Immerhin führten Lauterbachs unkonkrete Ausführungen an der einen oder anderen Stelle zu Heiterkeitsbekundungen seitens der Delegierten. Auch so kann einem warm werden. Und ganz schnell wieder kalt, denn die drängenden und zeitkritischen Probleme in der ganz realen Versorgung, die unfertigen Reformgesetze und deren mangelhafte Verknüpfung mit den bereits überreichlich existenten Regelwerken verlangen mehr als die unkonkreten Aussagen des Ministers à la „Die Reformen sind notwendig, sind aber noch nicht fertig“.
Agenda zur Staatsmedizin
Kein Wunder, wenn manch sachkundige Beobachter wie auch Teilnehmer des Gesundheitssystems auf den Gedanken einer ideologisch motivierten „Hidden Agenda“ hin zur Staatsmedizin kommen. Das Fundament hat bereits über zwei Jahrzehnte auf dem Buckel. Gelegt haben es die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und ihr Berater und späterer Staatssekretär Karl Lauterbach mit der Forderung, ‚dass Schluss sein müsse mit der Ideologie der Freiberuflichkeit‘. Im Ergebnis sehen sich die Freiberufler (aber nicht nur die, es trifft selbst das Kassenlager) mit einem sich immer kleinteiliger auslebenden Führungsanspruch der Politik konfrontiert, der sich bis hinunter auf die Detailebene auswirkt.
Kann Standespolitik noch etwas bewegen?
Es stellt sich berechtigterweise die Frage, ob Standespolitik angesichts einer solchen Gemengelage in Kombination mit der zunehmenden Ignoranz der sich allmächtig gegenüber den Gegebenheiten hierzulande gerierenden politischen Entscheider überhaupt noch etwas bewegen kann. Meine Antwort lautet: Sie kann. Allerdings muss man sich der Voraussetzungen bewusst sein, um den Manöverraum realistisch einschätzen zu können, stecken doch die Körperschaften der freien Berufe als mittelbare Staatsverwaltung in einem gesetzlichen Korsett. Kammern und KV(Z)Ven sind entgegen landläufiger Meinung weder mit Gewerkschaften, den in Bezug auf Ziele frei agierenden Lobbyorganisationen der Wirtschaft noch mit den massiv auf den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess einwirkenden NGOs vergleichbar.
Eingeschränkte politische Wirksamkeit
Vergleichbar wären hier die ärztlichen wie zahnärztlichen Berufsverbände, denen man, ohne übergriffig sein zu wollen, eine im Vergleich zu anderen Organisationen eher eingeschränkte politische Wirksamkeit attestieren kann. Die Lobbyorganisationen der Wirtschaft und NGOs arbeiten mit abgestimmten Aktionen und Wortwahl mittel- bis langfristig auf ein gemeinsames Ziel öffentlichkeitswirksam hin. Ärztliche und zahnärztliche Berufsverbände tun dies kurzfristig nur auf das Ihrige. Kein Wunder, dass die Wirkung auf Politik und Öffentlichkeit zumeist in krassem Gegensatz zu den Erwartungen steht.
Es hängt vom perspektivischen Gestaltungswillen ab
Ob Standes- und Berufspolitik außerhalb der gesetzlichen Limitierungen in dem vorgenannten Kontext etwas bewegen kann, hängt demnach entscheidend vom perspektivischen Gestaltungswillen der Beteiligten ab: Wo kommen wir her, wo stehen wir, wo wollen wir hin, mit wem wollen wir zum Erreichen unserer Ziele zusammenarbeiten? Klingt irgendwie nicht wie Politik. Und ist mit auf Zeit vergebenen Mandaten nur bedingt vereinbar.
Wenn alles beim Alten bleiben soll
Es kann daher wenig verwundern, wenn in den professionspolitischen Organisationen der Wunsch, dass doch bitte alles beim Alten bleiben solle, der größte gemeinsame Nenner ist. Damit bewegt sich jedoch der eigene Gestaltungsspielraum, allzumal in diesen Zeiten, gen Null. Vielmehr wird man von der Politik – ganz unabhängig von der Frage, ob eine Ampelkoalition am politischen Ruder steht – gestaltet werden. Oder frei nach Friedrich dem Großen: „Wer alles verteidigt, verteidigt nichts.“
Und es bewegt sich doch etwas
Das scheint sich auch die „große“ Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) gedacht zu haben. Denn angesichts des politischen Drucks – und mit Blick auf den konkurrierenden Hausärzteverband (HÄV) – beginnt sich auch die KBV mit der politisch geforderten besseren Patientensteuerung anzufreunden. Die KBV nennt das Ganze aber nicht „Hausarztzentrierte Versorgung“, sondern Primärarztsystem. Um für die nötige Akzeptanz zu sorgen, würde die KBV nun ein Bonussystem für die Patienten einführen: Jeder Patient, der sich im System von seinem(!) Hausarzt „steuern“ lässt, soll jährlich bis zu 100 Euro Beitragsrückerstattung erhalten. Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, begründete dies so: „Wir können uns in Zukunft nicht mehr leisten, dass jeder Patient macht, was ihm persönlich nötig oder wünschenswert erscheint“.
Gut kopiert ist besser als selbst schlecht gemacht
Jetzt wüsste ich nur noch gerne, wer „wir“ ist. Den Hausärzteverband kann er nicht gemeint haben, denn steuern und „Bonus“ für die in die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) eingeschriebenen Patienten gibt es dort schon lange. Da versucht wohl der Vorstandsvorsitzende der KBV, die Verhandlungsposition des Hausärzteverbands bei der Politik zu schwächen. Schließlich werden die Leistungen in der HzV seit deren Gründung außerhalb des KV-Systems, quasi extrabudgetär, verwaltet und vergütet. Vom Hausärzteverband …
Wie war das nochmal mit „getrennt marschieren, gemeinsam schlagen“? Angesichts der politischen Situation kann man nur auf eine steil ansteigende Lernkurve der Entscheider und Entscheiderinnen hoffen.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.