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PD Dr. Stefan Röhling zur aktuellen Stellungnahme der European Society of Ceramic Implantology und ihrem Oktober-Jahreskongress in Zürich

Klinische Situation drei Monate nach Implantation eines Straumann PURE Ceramic Implantats mit ZLA-Oberfläche. Reizlose periimplantäre Schleimhautverhältnisse.

(c) Priv.-Doz. Dr. Stefan Röhling, München

Auf Hochtouren läuft derzeit die Organisation des im Oktober 2022 stattfindenden zweiten Jahreskongresses der Europäischen Gesellschaft für Keramikimplantologie (ESCI, European Society of Ceramic Implantology). Schon der erste ESCI-Jahreskongress, zu dem mehr als 170 Teilnehmer aus 23 Ländern an den Zürichsee in die Schweiz gereist waren, zählte zu einer der weltweit größten und relevantesten Veranstaltungen zum Thema Keramikimplantologie, und an diesen Erfolg will die 2018 in der Schweiz gegründete Fachgesellschaft anknüpfen.

Privatdozent Dr. Stefan Röhling, Vizepräsident der Fachgesellschaft, erfahrener Implantologe und Pionier auf dem Gebiet moderner Keramikimplantate, führt im Gespräch mit Zahnärztin und Fachjournalistin Dr. Aneta Pecanov-Schröder aus, was die Teilnehmer inhaltlich erwartet, geht auf die aktuelle Stellungnahme der ESCI zu zweiteiligen Keramikimplantaten ein und gibt seine Einschätzung zur Zukunft die Keramikimplantologie aus Sicht renommierter Fachleute.


„Facts of Ceramic Implants – Part II“ lautet das Motto des diesjährigen ESCI-Jahreskongresses, der aufgrund der Pandemie verschoben werden musste. Gestatten Sie den Teilnehmern eine kleine „Preview“, Herr Dr. Röhling. Was erwartet die Kolleginnen und Kollegen vor Ort?

Dr. Stefan Röhling: Beim Jahreskongress der ESCI im Oktober wird es darum gehen, welche biologischen, materialspezifischen und klinischen Daten für die sichere und routinierte Anwendung von Keramikimplantaten wichtig sind. Dabei bekommen Neulinge im Bereich Keramikimplantologie, aber auch bereits erfahrene Anwender einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft in einer besonderen, persönlichen Atmosphäre.
Ich möchte hervorheben, dass der European Congress for Ceramic Implant Dentistry der weltweit führende Kongress für Keramikimplantologie ist. In einer besonderen, persönlichen Atmosphäre bietet der Kongress ein hochstehendes wissenschaftliches Programm mit besonderen „Specials“ wie Workshops oder „Meet and Greet the Implants“.


Das klingt nach praxisnahen Programmpunkten und danach, dass die Teilnehmer vor Ort implantieren?

Röhling: Wir möchten den Kongressteilnehmern die Möglichkeit geben, sich mit verschiedenen Systemen vertraut machen zu können. Dafür bieten sich zum Beispiel die kostenfreien Pre-Congress-Workshops an. In den Pausen kann jeder Teilnehmer beim „Meet and Greet the Implants“ Implantate selbst am Kunststoffkiefer inserieren. Insgesamt können sich die Teilnehmer durch praktische Workshops, „Meet and Greet“-Veranstaltungen und Vorträge detaillierte Informationen über einzelne Themenschwerpunkte aneignen. Denn ein praxisorientierter Umgang mit dem Thema ist für einen erfolgreichen Einstieg in die Keramikimplantologie ebenso entscheidend wie ein wissenschaftlicher und evidenzbasierter Umgang.

Junge Forscher haben die Gelegenheit, ihre Forschungsergebnisse und ihre klinischen Fälle während den „short lecture sessions“ auf dem ESCI-Kongress vorzustellen. Die beste Präsentation in ihrer Kategorie wird mit dem „ESCI Award“ ausgezeichnet, welcher mit je 500 Euro dotiert ist.
Das Kongress-Programm ist einzigartig in der Keramikimplantologie und umfasst 19 hochkarätige Referenten mit höchster Expertise aus der ganzen Welt. Ein Blick auf unsere Website veranschaulicht das herausragende Line-up und unterstreicht unser Bestreben, eine Drehscheibe für herausragende wissenschaftliche Forschung und für klinische und praktische Erfahrung in der dentalen Implantologie mit Keramikimplantaten zu sein.

Den Kongressteilnehmern wird daher thematisch ein großartiges Programm geboten. Inhaltich von großem Interesse sind sicherlich die klinischen Daten, insbesondere neue Studien zu zweiteiligen Keramikimplantaten.


Stichwort „zweiteilige Keramikimplantate“. Im Juni 2021 veröffentlichte die ESCI die Stellungnahme „Die klinische Anwendung von zweiteiligen Zirkonoxid-Implantaten“, mit der jetzt eine wissenschaftlich untermauerte, offizielle Empfehlung einer Fachgesellschaft zugunsten der Verwendung zweiteiliger Keramikimplantate vorliegt. Wie sieht die aktuelle Datenlage bei zweiteiligen Zirkonoxid-Implantaten aus?

Röhling: Es gibt genug Daten und aus unserer Sicht genug klinische Erfahrung, dass zweiteilige Konzepte mit Zirkonoxidimplantaten empfohlen werden können, auch wenn wissenschaftliche Daten zu Zirkonoxidimplantaten mit zweiteiligem Implantatdesign noch limitiert sind. Die deutliche Mehrheit der bisher veröffentlichten Daten nimmt Bezug auf einteilige Implantatsysteme aus der Hochleistungskeramik Zirkonoxid.

Eine von unserer Studiengruppe durchgeführte Meta-Analyse, in die klinische Studien integriert wurden, hat gezeigt, dass das Implantatdesign einteilig gegenüber zweiteilig keinen Einfluss auf die Überlebensraten hat. Auch wenn sich Meta-Analysen zur Schätzung der Gesamtüberlebensraten derzeit auf Ein- und Zwei-Jahres-Daten beschränken, berichteten einzelne Studien über längere klinische Nachbeobachtungszeiträume. Für kommerziell erhältliche Zirkonoxid- Implantate liegen inzwischen klinische Daten für Nachuntersuchugszeiträume von bis zu fünf Jahren funktioneller Belastung mit Überlebensraten von 95 Prozent vor.


Gibt es hinsichtlich der Osseointegration Unterschiede zwischen ein- und zweiteiligen Implantaten?

Röhling: Nein, sowohl einteilige als auch zweiteilige Zirkonoxidimplantate weisen den gleichen Grad an Osseointegration und biologischer Integrität auf. Die Oberflächen sind sehr gut untersucht und sind bei beiden gleich. Auch zweiteilige Keramikimplantat-Verbindungen von führenden Herstellern sind mittlerweile wissenschaftlich untersucht und für die klinische Anwendung als geeignet eingestuft, so dass sich schlussfolgern lässt, dass zweiteilige Behandlungskonzepte ebenso praxistauglich sind und der Expertenkonsens lautet, dass das zweiteilige Zirkonoxidimplantatkonzept nach korrekter Indikationsstellung und entsprechender Patientenaufklärung für die klinische Anwendung geeignet ist. Problematisch in diesem Zusammenhang ist allerdings, dass es von Seiten der Industrie unterschiedliche Produktionsstandards und Qualitätskontrollen gibt, was wiederum direkten Einfluss auf die Verlässlichkeit der Keramikimplantate und der prothetischen Verbindung hat.


Was empfehlen Sie Kolleginnen und Kollegen, damit sie das „richtige“ Keramikimplantat auswählen?

Röhling: Grundsätzlich halte ich es für sehr wichtig, dass Anwender bei den auf dem Markt verfügbaren Produkten unbedingt hinterfragen, ob konkrete auf das Produkt bezogene wissenschaftliche Daten verfügbar sind. Zum Beispiel können die Bruchfestigkeit und mechanische Stabilität von zweiteiligen Zirkonoxidimplantaten in Abhängigkeit von unterschiedlichen Herstellungsverfahren, Materialeigenschaften, Implantatgeometrien und prothetischen Verbindungskonzepten variieren.

Die Entscheidung über die Therapie-Option und das Medizinprodukt, das verwendet werden soll, obliegt ja dem Behandler, nachdem er seinen Patienten über die Optionen aufgeklärt hat und dieser sollte natürlich wissen, womit er arbeitet. Grundsätzlich müssen für den klinischen Erfolg die Richtlinien des jeweiligen Herstellers für die Anwendung des jeweiligen zweiteiligen Zirkonoxidimplantatsystems beachtet werden.


Bitte können Sie ausführen, in welchen klinischen Situationen Sie zweiteiligen Zirkonoxidimplantaten gegenüber einteiligen den Vorzug geben würden?

Röhling: Zweiteilige Zirkonoxidimplantate bieten Vorteile, zum Beispiel, wenn gleichzeitig eine Knochenaugmentation geplant ist und das Implantat nicht mit einer hohen Primärstabilität inseriert werden kann. Das kann im Frontzahnbereich sein, wenn eine laterale Knochenaugmentation erfolgen soll. Das gilt aber ebenso für den Seitenzahnbereich, wenn gleichzeitig ein Sinuslift durchgeführt wird, wo wir Höhe aufbauen und wir eine unerwartete Überbelastung verhindern wollen. Dann sind zweiteilige Implantate einfacher in der Anwendung, weil das Abutment nicht in die Mundhöhle hineinragt und daher eine ungewollte frühzeitige Belastung verhindert werden kann.

Außerdem stellen zweiteilige Implantate bei zahnlosen Patienten eine verlässliche Option dar. Darüber hinaus punkten sie mit einer höheren prothetischen Flexibilität, weil die Aufbauten individueller gestaltet werden können. Das kann ein Vorteil sein, wenn etwa die prothetische Achse korrigiert werden muss. Hinzu kommt, dass bei Anwendung von zweiteiligen Systemen eine Zementierung, die für Fehlerquellen-anfällig gesehen wird, entfällt, da sie eine reversibel verschraubte Befestigung erlauben, während bei einteiligen Implantaten die Suprakonstruktion nur zementiert gestaltet werden kann.


Nicht immer werden Erkenntnisse der Kliniker und Wissenschaftler auch von Versicherungen mitgetragen. Wie sieht es beim Thema Keramikimplantaten aus, werden die Kosten von den privaten Versicherungen übernommen?

Röhling: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Behandlung mit einteiligen Keramikimplantaten zugestimmt wurde und die Kosten übernommen worden sind, es aber bei zweiteiligen Keramikimplantaten immer wieder zu ablehnenden Bescheiden gekommen ist mit der Begründung, es seien zu wenig Daten vorhanden.
Mit der Stellungnahme wollen wir Anwendern zusätzlich Sicherheit geben und ihnen mit der Stellungnahme eine klare Argumentationshilfe an die Hand geben, die sie verwenden können, zum Beispiel wenn es um die Kostenerstattung der Versicherung geht. Denn die Stellungnahme gibt objektiv und unabhängig die Datenlage zu ein- und zweiteiligen Keramikimplantaten wieder. Wir wollen unsere Kolleginnen und Kollegen in die Lage versetzen, ihr Konzept argumentativ auf wissenschaftlich gesicherte Basis zu stellen und auch vor der Versicherung plausibel begründen zu können.

Ich möchte betonen, dass die Entscheidung über die Therapieoption und das Medizinprodukt, das verwendet werden soll, dem Behandler obliegt, nachdem er seinen Patienten über die Optionen aufgeklärt hat. Und es gibt Indikationen, in denen die Verwendung eines zweiteiligen Zirkonoxidimplantatkonzepts ein zuverlässigeres klinisches Ergebnis im Vergleich zu einem einteiligen Design bietet.


Wie belastbar ist die aktuelle Stellungnahme im versicherungsrechtlichen Sinn?

Röhling: Rechtlich bindend sind ja weder Leitlinien einer Fachgesellschaft noch Stellungnahmen – im Unterschied zu so genannten Richtlinien, die auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen. Gleichwohl sind Stellungnahmen anerkannter wissenschaftlicher Gesellschaften ein Mosaikstein und ein sehr wichtiges Tool auf dem Weg zur vertragsrechtlichen Anerkennung eines medizinischen Konzepts. Mit der aktuellen Stellungnahme hat unsere international aufgestellte unabhängige Fachgesellschaft aktuelle evidenzbasierte Daten zusammengetragen und auf dieser Basis den Standpunkt der Experten zum Thema zweiteiliger Behandlungskonzepte mit Zirkonoxidimplantaten nachvollziehbar und plausibel ausgeführt.

Wir wollen diesen Kenntnisstand an Kliniker vermitteln und sie sowohl bei der Entscheidungsfindung für eine angemessene Therapieoption unterstützen als auch in der Argumentation vor den privaten Versicherungen. Aus unserer Sicht haben die Versicherungen zumindest in Deutschland in Zukunft keine Chance mehr, sich aus der Verantwortung zu ziehen, wenn es darum geht, die Kosten für zweiteilige Keramik-Implantate zu übernehmen!

Natürlich sind weiterhin viele klinische Studien erforderlich, die zweiteilige Behandlungskonzepte untersuchen und zeigen, dass sie klinisch verlässlich angewandt werden können. Unsere Aufgabe als Mediziner und mit der ESCI als evidenzbasierte Interessensvertretung ist es, auch weiterhin Behandlungsergebnisse in einen wissenschaftlich gesicherten Kenntnisstand zu überführen, damit auch eine vertragsrechtliche Anerkennung stattfinden kann.

Denn eines ist gewiss: Von Patientenseite wird die Nachfrage nach Keramikimplantaten weiterhin steigen. In einer in München und Basel durchgeführten demografischen Untersuchung konnten wir zeigen, dass sich knapp 40 Prozent der befragten Patienten für ein Keramikimplantat und nur knapp 10 Prozent für ein Titanimplantat entscheiden würden. Wir sehen der Zukunft von Keramikimplantaten sehr, sehr positiv entgegen, weil es sehr durchdachte und sehr gute Produkte sind.


Die ESCI hat sich zum Ziel gesetzt, eine starke Lobby in der Keramikimplantologie zu bilden. Welche Projekte stehen als nächstes an, um das Ziel zu erreichen?

Röhling: Wir arbeiten gerade intensiv an Trainingszentren mit Kursmöglichkeiten und Hospitationsmöglichkeit für unsere Mitglieder. Ausgewählt und zertifiziert wurden die Trainingszentren durch den wissenschaftlichen Beirat der ESCI, und sie ermöglichen es Anwendern, sich mit dem Material Zirkonoxid vertraut zu machen und den Umgang mit Keramikimplantaten auf wissenschaftlicher und klinischer Basis grundlegend und umfassend zu erlernen. Das von uns erarbeitete einheitliche Fortbildungskonzept ist ein großer Benefit: Ziel ist es, bei individueller Umsetzung einen einheitlichen Wissenstand der Teilnehmer nach Absolvieren der Kurse in den verschiedenen Zentren zu gewährleisten. Die Präsenzveranstaltungen werden durch Internet-basierende Fortbildungen im Sinne von „Blended Learning“ ergänzt.

Foto: privat
Privatdozent Dr. habil. Dr. med. dent. Stefan Röhling zählt zu den Pionieren auf dem Gebiet moderner Keramikimplantate. Er ist Vizepräsident der 2018 in der Schweiz gegründeten „European Society of Ceramic Implantology“ (ESCI). Zusammen mit PD Dr. Michael Gahlert ist Röhling in der Praxis „Oralchirurgie T1“ in München niedergelassen und arbeitet gemeinsam mit seinem Kollegen an der Entwicklung von Keramikimplantaten. Seit 2006 führt er Studien in diesem Bereich durch und veröffentlicht die Ergebnisse in internationalen Fachmedien.

Nach seinem Studienabschluss im Bereich Zahnmedizin in München im Jahr 2009 folgte eine mehrjährige Assistenzarzttätigkeit am Universitätspital Basel und in den Jahren 2013/2014 ein Forschungsaufenthalt am Department of Periodontics, The University of Texas Health Science Center at San Antonio, Texas, USA. Anschließend praktizierte PD Dr. Röhling am Medizinischen Versorgungszentrum Lörrach und seit 2014 an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Hightech-Forschungszentrum, Universitätsspital Basel, Kantonsspital Aarau, Schweiz. Der Facharzt für Oralchirurgie ist seit 2016 Oberarzt an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Kantonsspital Aarau, Universitätsspital Basel, Schweiz. Im Jahr 2019 folgte die Habilitation an der Universität Basel.

PD Dr. Stefan Röhling ist zusammen mit Co-Autoren Preisträger des André-Schröder-Preis 2020, einer der renommiertesten Forschungspreise im Bereich der zahnärztlichen Implantologie (Studie „Ligature-Induced Peri-implant Bone Loss Around Loaded Zirconia and Titanium Implants“).

 

Quelle: Quintessence News Implantologie Fortbildung aktuell

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