Ein wenig war dieses innovative ITI-Fortbildungsformat aus der Not geboren, denn der 2022er-Veranstaltungskalender der deutschen Sektion des globalen implantologischen Netzwerks wies doch ungewollte Lücken auf: Der ITI Kongress Deutschland und Österreich musste auf 2023 verschoben werden und so hätte nach dem erfolgreichen Fellowmeeting in Reinhartshausen im Februar tatsächlich keine weitere ITI-Großveranstaltung mehr stattgefunden. Dass das nicht passieren soll, war dem Leadershipteam der deutschen Sektion schnell klar und so wurde in Rekordzeit ein neues Fortbildungsformat auf den Weg gebracht: „Summer in the Citi“.
Im Vorfeld der eintägigen Fortbildungsveranstaltung fanden ein Study-Direktoren Meeting statt, hier wurden wichtige Updates für die „ITI-Keimzellen“ vermittelt. Auch die Study-Club-Direktoren bekamen einen exklusiven Social-Media-Workshop. Das Annual Section Meeting der deutschen ITI-Sektion bildete den Schlusspunkt des ersten „Summer in the Citi“-Tags.
Nahtloser Übergang beim Leadershipteam
Voll wurde es auf der Bühne am eigentlichen Fortbildungstag: Die deutschen Fellows hatten bereits im Februar 2022 das Leadershipteam gewählt, das 2023 die Sektion führen wird. In diesem Jahr werden amtierendes und kommendes Team gemeinsam arbeiten und einen nahtlosen Übergang garantieren. Als Nachfolgerin von Sektionschair Johannes Kleinheinz wird die bisherige Study-Club-Koordinatorin Anne Bauersachs künftig die deutsche Sektion als Chairwoman anführen. Ihr Nachfolger im bisherigen Amt wird Florian Will sein. Das Amt des Education Delegate bleibt fest in „Mainzer Hand“ – Eik Schiegnitz wird auf Bilal Al-Nawas folgen. Und für den Bereich Communications wird Stefan Röhling verantwortlich zeichnen, der auf den Autor dieser Zeilen folgt.
PRF, PRGF, PRP – Indikationen und Evidenzen
Prof. Dr. Dr. K. Sagheb aus Mainz eröffnete den Vortragsteil mit seinem Beitrag zu „PRF, PRGF, PRP – Indikationen und Evidenzlevel“. Sagheb ging in seinem Vortrag auf die vielfältigen Einsatzmöglichkeit dieser Eigenblutpräparate ein und belegte eindrucksvoll die Evidenz der damit verbundenen Verfahren. Hier stieß seine Ankündigung einer kurz vor der Veröffentlichung stehenden S3-Leitlinie auf großes Interesse des Auditoriums. „Im Vordergrund unserer Bemühungen stehen Fragen der Neovaskularisation“, so Sagheb und konnte somit Biologisierung von Produkten, Verbesserung der Wundheilung, Alveolenmanagement, Einsatz in der Sinus-Lift-OP und bei Augmentationen als Indikationen für diese Verfahren definieren.
Auch wenn mit der Biologisierung von Produkten die meisten Hoffnungen verbunden sind, verwies der Mainzer Kieferchirurg dennoch darauf, dass für diese Anwendung noch keine echte Evidenz vorliegt. Die Förderung einer schnelleren und komfortableren Wundheilung durch diese Präparate ist durch ausreichende Studien belegt. Die weitaus beste Evidenz liegt für das Alveolenmanagement vor. Hier liegt der hauptsächliche Vorteil nicht auf der knöchernen Ebene, so Sagheb, vielmehr könnten durch das erzielte Weichteilergebnis mit einer breiten Zone keratinisierter Gingiva bei den später erfolgenden Versorgungen einfacher langzeitstabile Ergebnisse erzielt werden. Für den Einsatz im Sinus liegen unterschiedliche bis widersprüchliche Aussagen in der Literatur vor. Daher sei hier, so Sagheb, auch an alternative Verfahren zur Vermeidung von Augmentationen zu denken, zum Beispiel an kürzere Implantate. Die „Mainzer Schmerzgrenze“ sei bei einer Restknochenhöhe von 2-4 Millimetern angesiedelt. Liegt eine solche Indikation vor, dann macht auch der Einsatz von Eigenblutprodukten sowohl beim internen, als auch beim externen Sinus-Lift-OP Sinn. „PRP ist in aller Munde, aber leider nicht in jeder Wunde!“, mit diesem launigen Zitat schloß der Mainzer Kieferchirurg seine Ausführungen.
Im Zug der Sofortimplantation
Quasi ein Heimspiel hatte der Frankfurter Referent PD Dr. Puria Parvini. Er widmete sich der Frage „Die Sofortimplantation und Sofortversorgung in der ästhetischen Zone, welche Bedingungen müssen für den Erfolg der Behandlung gegeben sein?“ Dazu erklärte Parvini in Frankfurt: „Noch vor zehn Jahren bin ich mit diesem Thema auf der ITI-Bühne zerfleischt worden –und auch heute bestehen noch Unsicherheiten!“ Seine Abteilung in der Frankfurter Universität verfügt über positive Erfahrung mit Sofortimplantaten und Sofortbelastungen, die weit über dieses erwähnte Jahrzehnt hinausreicht und mit fünf unterschiedlichen Implantatsystemen erzielt wurden. Um den drastischen Verlust von Alveolarfortsatzknochen nach Extraktion zu vermeiden, ist, so Parvini, eine Sofortimplantation im Frontzahnbereich unerlässlich, die stets ein GAP-Filling beinhalten soll.
Um ein Durchscheinen des Implantats zu verhindern sollte der zu füllende Spalt möglichst breit sein, gegebenenfalls auch durch ein durchmesserreduziertes Implantat. Sekundär, so Parvini, ist die Wahl des Füllungsmaterials, hier haben sich Knochenersatzmaterialien wie Eigenknochen bewährt. Die Sofortimplantation ist an diverse Bedingungen gebunden, eine davon ist eine obligate DVT-Diagnostik zur Entscheidungsfindung. Dem folgt die Ermittlung des Phänotyps, ein dicker gingivaler Phänotyp ist für ein erfolgreiches Implantat in der ästhetischen Zone unabdingbar. Vorhandene Rezessionen erfordern je nach Ausprägung eine simultan zur Sofortimplantation stattfindende Bindegewebstransplantat-Insertion.
Zu vermeiden sind traumatische Extraktionen und extendierte Lappenbildung. Die Implantatposition sollte möglichst palatinal erfolgen, da eine zu bukkale Insertion in jedem Falle eine Rezessionsbildung begünstigt. Je nach chirurgischer Erfahrung kann die Insertion freihändig oder navigiert erfolgen, um eine hohe Primärstabilität zu erreichen ist auf die Verwendung eines Implantats mit progressivem Gewinde zu achten. Werden all diese Bedingungen beachtet, so Parvini, stehe einem Erfolg des sofortbelasteten Sofortimplantats nichts im Wege! Das Fazit des Frankfurter Referenten: „Die Sofortimplantation ist wie ein Zug, sie ist nicht (mehr) aufzuhalten!“
Chipping kein Thema bei CAD/CAM
Einen unterhaltsamen zahnärztlich-zahntechnischen Kombinationsvortrag hielten Dr. Kay Vietor und Zahntechnikermeister Vincent Fehmer über „Die digitale Implantatrekonstruktion – ein Konzept für den Erfolg im Labor und Praxisalltag“.
Ein überraschendes Statement des Referentenduos: „Die analoge Zahntechnik ist ein bewährtes Verfahren!“ Doch die Einschränkung folgte auf den Fuß: „Sie kaufen sich mit der analogen Zahntechnik auch einige Probleme ein!“, so Zahntechnikermeister Fehmer. Allein durch die beim Herstellungsprozess unvermeidbaren Lufteinschlüsse ergibt sich das Problem des Chippings. Die Chipping-Problematik tritt vor allem nach sieben bis neun Jahren Tragezeit auf. Und exakt an dieser Stelle stiegen die beiden Referenten ein – durch die Etablierung monolithischer Blöcke, die zur Herstellung von Kronen und Brücken verwendet werden können, werden erhebliche Fehlerquellen im Herstellungsprozess vermieden. Ein wesentliches Thema früherer Prozesse war das Ringen um Passgenauigkeit, welche durch die Vario-Base-Option per se gelöst ist, so dass der Zahntechniker seinen Schwerpunkt auf die ästhetische Gestaltung legen kann. Fehmers Tipp: „Sagen Sie Ihrem Zahntechniker, dass er die schleimhautnahe Basis lediglich polieren, nicht aber bemalen soll!“
Limitierend wirkt sich lediglich die Verklebung aus, sollte diese anwendungsbedingt mal gelöst werden (Farbe hat nicht gepasst/ Kontaktpunkt fehlt), ist dies ein thermischer Prozess mit langer Hochfahrzeit und Haltezeit (30 Minuten), dann können sowohl die Klebebasis, als auch die Krone wiederverwendet werden. Anspruchsvoll ist auch die Wahl des Zirkonoxids. Klares Statement der Referenten: „Wir müssen definieren, welches Zirkonoxid zu welcher Indikation zum Einsatz kommen soll!“ Hier empfiehlt Fehmer die Erarbeitung von Indikationsklassen in Form individueller Absprachen zwischen Zahntechniker und Zahnarzt, die im kommenden Jahr stattfindende ITI-Konsensuskonferenz in Lissabon wird diesbezüglich Abhilfe schaffen.
Ausführungen zum Klebeprotokoll rundeten die Ausführungen Vietors und Fehmers ab, wobei die Entwicklung zylindrischer Klebebasen alleine schon für ein deutliches Absinken des Klebeverlustrate gesorgt hat. Zusätzlichen Halt sorgt sorgsames Sandstrahlen der Klebebasis mit 52-prozentigem Aluminiumoxid. Ein Universalzement für alle Klebeindikationen ist nicht verfügbar, hier ist ein individuelles Vorgehen gefordert.
Digitale Versorgung – stressfrei und vorhersagbar
In idealer Weise ergänzte der Beitrag von ZTM Fabian Zinser die Ausführungen des Referentenduos, denn Zinser stelle „Digitale Versorgungskonzepte – stressfrei und vorhersagbar“ vor. Der aus Norddeutschland stammende Zahntechnikermeister ist ein Vertreter der jungen Zahntechnikergeneration die für die digitale Modulation der Zahntechnik brennen. Direkt damit verbunden ist auch die Zielsetzung der „instant gratification“, die durch die aktuellen digitalen Optionen in Zahnmedizin und Zahntechnik immer stärkeren Bedürfnisse der Patienten nach verkürzter und wenig invasiver Behandlung.
Und so nahmen Ausführungen Zinsers zur digitalen Kommunikation zwischen Zahnarzt und Zahntechniker den größten Raum ein. „Und hier stellt sich die Plattform-Frage“, so der Bremerhavener Zahntechnikermeister, alternativ zu diesen stehen zwar „smile in a box“-Optionen zur Verfügung, wünschenswert sei hier die Etablierung eines einheitlichen Standards.
Vor allem „All-on-four“- beziehungsweise Pro-Arch-Konzepte liegen Zinser am Herzen, die er in ausgezeichnet dokumentierten Fallbeispielen vollumfänglich vom Scan bis zur Eingliederung der provisorischen Versorgung zeigte. Bei der Umsetzung in die definitive Versorgung ergeben sich dann nochmals Probleme, so Zinser, die in jedem Falle eine offene Abformung bedingen und auch eine analoge Abformung sinnvoll erscheinen lassen – vor allem, wenn eine Stegversorgung geplant ist. In jedem Fall empfiehlt er eine Verblockung der Abformpfosten – ob digital, oder analog abgeformt.
Zinsers Fazit: „Wir können mit unseren Pro-Arch-Versorgungskonzepten nicht alle Patienten glücklich machen, hier ist die Compliance entscheidend. Da, wo es passt, ist es für die Patienten ein Segen!“
Den Aufbau vor dem Abbau schützen
„Gamechanger allogene Schalentechnik – aus der Praxis für die Praxis“, ein anspruchsvolles Thema hatte sich Dr. Robert Würdinger ausgesucht. Seit Februar ist Würdinger frisch gebackener Fellow des ITI, er ist zudem seit einigen Jahren Mitglied des Young ITI Teams. Für Würdinger ist eine korrekte Indikationsstellung bei jeder Form von Knochenaufbau unentbehrlich. Die allogene Schalentechnik ist seines Erachtens eine in der Anwendung gut händelbare operative Technik mit guter Vorhersagbarkeit. Letztendlich, so Würdinger, handelt es sich um eine Kombinationstherapie aus Blocktransplantat und GBR-Technik, die sich durch recht geringe Resorptionsraten auszeichnet.
Der Knochenblock wird retromolar – falls mit autologem Material gewünscht – gewonnen, entnommen und ausgedünnt, das hierbei gewonnene Material wird zum Auffüllen des Defekts verwendet. Sollten eventuelle Folgeschäden und Entnahmemorbiditätsphänomene von vorneherein vermieden werden, ist die allogene Schalentechnik mit anschließendem Relining eine echte Alternative. „Vereinfacht gesagt – wir schützen unseren Aufbau vor weiterem Abbau!“. Einen wesentlichen Vorteil sieht der Oralchirurg vor allem in der unbegrenzten Verfügbarkeit des Materials. Erfolgsgaranten der allogenen Schalentechnik sind
- Konturierung und Glättung,
- Spanauswahl zur Containerfüllung,
- Weichgewebemanagement,
- Plattenkontrolle bei Reentry,
- (optionales) Relining.
Dr. Frederic Kauffmann, bereits als ITI Scholar sehr aktiv, steuerte mit „Weichgewebsmodifikation: BGT, Ersatzmaterial oder ganz ohne? Gibt es den richtigen Weg?“ einen bemerkenswerten Beitrag zum wissenschaftlichen Programm bei. Kauffmann outete sich zu Beginn seiner Ausführungen als Fan „fertiger und standardisierter“ Materialien, die per se sämtliche exogenen Störfaktoren autologen Materials eliminieren bei gleichzeitig deutlich verminderter Patientenmorbidität. Der erste Teil seines Vortrags betraf das freie Schleimhauttransplantat, hier wies der Düsseldorfer Parodontologie darauf hin, dass es weniger die Ausdehnung sondern die Entnahmetiefe ist, die Beschwerden beim Patienten bedingt.
Ferner muss vor dem chirurgischen Eingriff geklärt werden, ob es sich um ein ästhetisches oder funktionelles Problem handelt. Wann immer Ersatzmaterial indiziert ist, präferiert Kauffmann dessen Anwendung, auch wenn dann eine deutlich erhöhe Techniksensitivität inkludiert ist. Besondere Erwähnung fanden die Mucoderm Matrix und das Schmelzmatrixprotein Emdogain. Einschränkend formulierte Kauffmann die Forderung Schmelzmatrixproteine nur in Kombination mit einem weiteren Verfahren erfolgen solle. Kauffmanns Tipps: BGT/FST und Ersatzmaterialien stets in Kombination mit einem Wundheilungsbeschleuniger verwenden. Subepitheliale Bindegewebstransplantate zeigen ein besseres outcome und eine bessere Vorhersagbarkeit.
Mit einem weiteren Mainzer Vortrag endete der Fortbildungstag. OÄ Dr. Monika Bjeloplavlovic befasste sich mit „Implantatprothetik Fails – Sofort und auch sicher?“ „Ich möchte mich mit Ihnen ausschließlich über Probleme mit Sofortversorgungen unterhalten!“, so Bjelopavlovic. Ihre Fehlervermeidungskette, auf drei Punkte reduziert:
- Stringente Anwendung des ITI Assessment Tools
- „All in“-Zusammenarbeit: Kombination des Tiefenwissens der Chirurgie, Prothetik und Zahntechnik
- Ausnutzung von Tools – Gingivaformer, individuelle abutments etc.
Insgesamt war „Summer in the Citi by ITI“ eine überaus geglückte Premiere. Dass diese bemerkenswerte Fortbildungsveranstaltung in Rekordzeit auf die Beine gestellt worden ist, war ihr zu keinem Zeitpunkt anzumerken! Sieben ausgezeichnete Referentinnen und Referenten, alle auf ihrem Gebiet ausgewiesene ExpertInnen, boten ein innovatives, anspruchsvolles und auch unterhaltsames wissenschaftliches Programm – Frankfurt war eine Reise wert!
Dr. Georg Bach, Communications Officer der deutschen ITI Sektion, Freiburg