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„Der schwierige Teil ist die prothetische Umsetzung“ – Dr. Wolfgang Bolz über das FDZ-Konzept, geeignete Implantatsysteme und die Ausbildung des Nachwuchses

Der enge Austausch mit dem Prothetiker und dem Zahntechniker ist für Dr. Wolfgang Bolz ein ganz entscheidender Faktor für den Erfolg implantatgetragener Prothetik.

(c) AllDent

Er zählt zu den Pionieren und passionierten Visionären in der Implantologie und Parodontologie: Dr. Wolfgang Bolz, renommierter Zahnarzt, Referent und Lehrer aus München, ehemaliger Gründer des Fachjournals „Parodontologie“, Autor und Co-Autor zahlreicher Publikationen und Organisator nationaler und internationaler Fachtreffen. Was ihn antreibt und warum ihn Konzepte der Sofortversorgung bereits früh überzeugt haben, verrät der Mitbegründer und ehemaliger Generalsekretär der European Association for Osseointegration (EAO) im Gespräch mit Zahnärztin und Fachjournalistin Dr. Aneta Pecanov-Schröder. Er gewährt Einblicke in seine Praxisroutine und erzählt, wie er seine Erfahrungen in der Parodontologie und Implantologie mit großer Leidenschaft an den Nachwuchs weitergibt.

Herr Dr. Bolz, Sie sind seit 1974 Zahnarzt und ausgewiesener Experte für Parodontologie und Implantologie. Schon vor Jahren legten Sie in Ihrer Praxis in München einen besonderen Fokus auf minimalinvasive und schonende Therapien – zu einem Zeitpunkt, als das Thema Minimalinvasivität in der Zahnmedizin, salopp gesagt, noch in den Kinderschuhen steckte. Sie haben sich unter anderem mit dem All-on-4-Konzept einen Namen gemacht. Seit wann behandeln Sie nach dieser Methode?

Dr. Wolfgang Bolz arbeitet jetzt als Leiter des Implantatzentrums der AllDent-Gruppe.
Dr. Wolfgang Bolz arbeitet jetzt als Leiter des Implantatzentrums der AllDent-Gruppe.
Foto: AllDent
Dr. Wolfgang Bolz: Schon vor mehr als 20 Jahren haben wir begonnen, uns von der traditionellen Methode der Implantologie – also implantieren, abwarten, prothetische Rehabilitation – zu lösen und wir haben Implantationsmethoden weiterentwickelt hin zu festsitzenden Versorgungen an einem Tag oder anders ausgedrückt zu „festen dritten Zähnen“, kurz FDZ.

Dabei ist die Begrifflichkeit wie All-on-4, All-on-6 oder ProArch nicht zentral, letztlich ist es eine Full-Arch-Versorgung. In der großen Mehrzahl der Fälle können wir im zahnlosen Kiefer mit vier Implantaten feste Zähne abstützen. Dieses von Paulo Maló 2003 beschriebene All-on-4 Konzept ist wissenschaftlich belegt. Dann gibt es auch Fälle, in denen aus anatomischen Gründen noch ein fünftes oder sechstes Implantat eingeplant wird.
 

Was überzeugt Sie an diesem Konzept?

Bolz: Es hat mich schon immer angetrieben, dass wir Menschen helfen können und Patientinnen und Patienten möglichst schnell dauerhaft versorgt werden. Das sind Menschen, die größere Schwierigkeiten mit ihren Zähnen haben. Deren Zähne locker geworden sind, die Schmerzen haben, die nicht mehr kauen können und zu Hause bleiben, weil sie sich schämen. Diese Menschen gibt es und es sind in Deutschland durchaus Millionen.

Sie zu behandeln und ihnen zu helfen, ist es, was mich jeden Tag antreibt. Sie sollen möglichst schmerzfrei zu ihrem Lachen und zum Kauen kommen können. Und sie sollen die unangenehme Situation, die man in einer Zahnarztpraxis empfinden kann, so schnell wie möglich hinter sich bringen. Seit vielen Jahren werden diese Patienten auch in Vollnarkose behandelt.

Der Trend der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass immer mehr Patienten auch bei Zahnlosigkeit einen möglichst festsitzenden Zahnersatz schätzen, und möglichst schon am Tag des chirurgischen Eingriffs. Wie sehr ist der Anteil dieser Sofortversorgungskonzepte in der jüngsten Zeit angestiegen?

Bolz: Zunächst möchte ich herausstellen: Wenn wir über die Methode der Sofortversorgung sprechen, also „feste dritte Zähne an einem Tag“, dann ist es wichtig zu wissen, dass wir über Patienten sprechen, bei denen die Entfernung vorhandener Zähne nicht zu umgehen ist. Im Vordergrund steht die Zahnerhaltung! Und wenn wir Zähne mit modernsten Methoden der Zahnerhaltung und der Parodontologie nicht erhalten können, dann kommt die FDZ-Methode in Frage.

In den vergangenen knapp drei Jahren, in denen ich bei AllDent aktiv bin, die einzelnen Zentren aufgebaut und die jungen Kolleginnen und Kollegen in diesen Sofortversorgungskonzepten geschult habe, haben wir bereits mehrere hundert Patientinnen und Patienten auf diese Weise erfolgreich therapiert und versorgt.

Implantate mit möglichst günstiger Makrostruktur wählen

Eignet sich die Behandlungsmethode für alle? Wann ist sie kontraindiziert?

Bolz: Jedenfalls ist die Methode „Feste dritte Zähne an einem Tag“ für alle Menschen geeignet, bei denen nichts gegen eine Operation spricht; auch bei Patienten mit Diabetes, Osteoporose oder bei Rauchern. Wir können hinsichtlich der Überlebensrate die gleichen vorhersagbar guten Ergebnisse wie mit konventionellem Vorgehen erreichen und die Erfolgsquote liegt bei 99 Prozent.

Erfahrungsgemäß trägt die Wahl des Implantatsystems maßgeblich zum Gelingen dieser Behandlungsmethode bei. Ich habe verschiedene Systeme renommierter Unternehmen kennengelernt; in einzelnen Fällen kam es zu unerwünschten Phänomenen, die wir uns nicht erklären konnten, zum Beispiel Knochenabbau. Ich war mit meinen Kollegen immer auf der Suche nach Implantaten mit möglichst günstiger Makrostruktur, um bei schwierigen Knochenverhältnissen genügend Primärstabilität, also eine hohe Stabilität für eine Sofortbelastung, zu erreichen.

Seit rund acht Jahren bin ich überzeugter Anwender der Implantate von Neodent für das Konzept der festen dritten Zähne. Das Unternehmen aus Brasilien hat eine enorme Expertise auf diesem Gebiet, und es sind seit mehr als 20 Jahren Patientinnen und Patienten nach diesem Konzept behandelt worden.

Was überzeugt Sie besonders an diesem Implantatsystem?

Bolz: Dieses teilweise konische Implantat verfügt über eine sehr günstige Schraubenwindung, die eine ausgezeichnete Primärstabilität ermöglicht, ohne dabei zu aggressiv zu sein. Ein weiterer starker Pluspunkt ist, dass wir mit einem System möglichst alle Indikationen abdecken können, unabhängig von der Knochenklasse.

Der Unternehmensgründer, ein sehr geschickter und mechanisch denkender Zahnarzt, hat nach meinem Dafürhalten ein hervorragendes Implantatsystem entwickelt, das kaum behandlersensitiv ist und sich so auch für implantologisch tätige Zahnärztinnen und Zahnärzte eignet, die am Anfang ihrer chirurgischen Laufbahn stehen.

Sie sprechen einen wichtigen Aspekt an: Die Erfahrung, mit der die Ärztin, der Arzt die Methode umsetzt. Welche Rolle spielen denn das chirurgische und prothetische Know-how für das Behandlungsergebnis?

Bolz: Eine sehr große Rolle – sowohl das chirurgische und ganz besonders das prothetische Geschick. Die Chirurgie ist in der Regel von jemandem, der chirurgisch einigermaßen begabt, aufmerksam und konzentriert ist, gut zu bewältigen.

Der schwierige Teil ist meiner Erfahrung nach aber die prothetische Umsetzung, und da gibt es Ausbildungsdefizite. Das betrifft zum Beispiel die Durchführung der Bissnahme oder die Erstellung des ersten Provisoriums. Hierfür benötigen wir erfahrene Prothetiker, die es korrekt machen. FDZ ist eine prothetisch dominierte Behandlung und ein Backward Planning gehört natürlich immer dazu. Das versuche ich zu vermitteln.

Mittlerweile bin ich 50 Jahre im Beruf und ich gebe meine Erfahrungen, besonders in der Parodontologie und Implantologie, leidenschaftlich gerne weiter. Inzwischen ist es meine Schwerpunktaufgabe, junge Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen Zentren hauptsächlich mit dem Konzept der festen dritten Zähne vertraut zu machen und zu schulen.

Wie läuft die Schulung konkret ab?

In den Schulungen leitet er an und assistiert dann den jungen Kolleginnen und Kollegen.
In den Schulungen leitet er an und assistiert dann den jungen Kolleginnen und Kollegen.
Foto: AllDent
Bolz: Wir operieren zusammen. Ich bin – kurz gesagt – ein demonstrierender Supervisor. Erst operiere ich und kommentiere jeden Schritt, damit sie sich möglichst schnell einarbeiten können. Sobald die Kolleginnen und Kollegen mit der Operationstechnik vertraut sind und fit für die Methode sind, übernehmen sie und setzen die Implantation und die weitere Versorgung fort. Das ist ein One-to-one-teaching, von dem sie profitieren und ziemlich schnell in die eigene Selbständigkeit entlassen werden.

Darüber hinaus bin ich Referent innerhalb des hausinternen Fortbildungscurriculums zu Full-Arch-Versorgungen. In dem Curriculum ist auch eine praktische Woche eingebettet, in der die Teilnehmenden die Operationstechnik am Patienten erlernen können. Ich bin an der Konzeption der Curricula von Beginn an beteiligt gewesen und freue mich, dass namhafte Referentinnen und Referenten auch von extern zu uns kommen und hier Schulungen geben.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag von Ihnen aus?

Bolz: Die Praxisräume in München sind meine Base, wobei ich nur in komplexen Einzelfällen, wenn nach einer Lösung gesucht wird und ich gezielt gefragt werde, in der Praxisroutine involviert bin. In der Regel reise ich zwei- bis dreimal in der Woche von München aus zu anderen Alldent-Stationen, zum Beispiel nach Hamburg, um dort mit Kolleginnen oder Kollegen einen Patienten im Sinne der FDZ-Methode zu operieren, und zwar in 95 Prozent der Fälle in Vollnarkose. Die Operationsdauer liegt je nach Erfahrung des behandelnden Teams zwischen drei und fünf Stunden. Sehr oft operieren wir beide Kiefer in einer Operationssitzung.

Lernen Sie die Patienten vor der Operation kennen?

Bolz: In seltenen Fällen habe ich den Patienten persönlich gesprochen, in der Regel kenne ich sie nicht. Aber natürlich haben wir im Vorfeld bereits den Patientenfall via Facetime oder fernmündlich besprochen und ich konnte mir mit den vorhandenen Unterlagen, unter anderem dem DVT, photographische Dokumentationen intraoral, extraoral, Porträtbilder etc. einen Eindruck von der geplanten Implantation und prothetische Versorgung gewinnen. Die Lachaufnahmen unterstützen dabei festzulegen, wie die Lachlinie ist und wie viel Knochen reduziert werden muss, damit der Patient beim Lachen nicht den Zahnersatz zeigt.

Ich reise am Vorabend an und am nächsten Morgen um 7.30 Uhr beginnt die Operation am Patienten unter sterilen Kautelen. Die ersten Operationen führe ich in der Regel selbst durch und kommentiere jeden Schritt. Das wiederholen wir vielleicht zwei- oder dreimal – oder auch öfter, je nachdem, wie der Kenntnisstand ist. Wenn ich merke, die Kollegin oder der Kollege sind erfahren, gehe ich schnell dazu über, die Plätze zu tauschen. Dann übernehme ich die Absaugung oder helfe noch innerhalb der Operation oder ich ziehe mich noch weiter zurück und bin nur noch im Hintergrund für bestimmte Fragen da.

„Cutting the Bone“ statt „Bohren“

Gibt es Aspekte oder Abläufe, die Sie üblicherweise mit besonderem Augenmerk demonstrieren und kommentieren? 

Bolz: Zum Beispiel kann es darum gehen, dass sie lernen, an bestimmten Stellen nicht zu bohren, sondern den Knochen zu schneiden. Der Ausdruck „Cutting the bone“ trifft es viel eher als das deutsche Wort „Bohren“. Dann geht man auch gedanklich ganz anders vor.

Ich zeige den einen oder anderen Trick und gebe gerne den Tipp, zu lernen mit der linken Hand zu arbeiten. Die Kollegen müssen darauf gefasst sein, dass sie das Skalpell entsprechend halten sollen und ich versuche, ziemlich aktiv einzugreifen, um sie anzuleiten.
Ich zeige, wie wir bestimmte Nahttechniken verwenden, die dazu führen, den Mukoperiostlappen wieder richtig zu reponieren.

Unerfahrene benötigen mehr Rat und dann geht es auch darum zu klären, wie viel Knochen reduziert werden muss und ob wir die richtige Schablone vor Ort haben und das Labor alle erforderlichen Informationen hat, um die Implantate korrekt zu implantieren.

Grundsätzlich versuche ich, allen Kollegen sehr früh die Instrumente in die Hand zu geben und zu sagen: Jetzt mach Du weiter. Dabei halte ich auch mal die Hand und korrigiere den Winkel beim Bohren und zeige, mit welcher Geschwindigkeit sie vorgehen sollten.
Je nachdem auf welcher Ausbildungsstufe die Kollegen sind, werden im Vorfeld bereits Zähne extrahiert, und es werden der Knochen und der Unterkiefernerv dargestellt. Manchmal ist bereits ein Sinuslift erfolgt
 

Wie oft kommen augmentative Maßnahmen bei Full-Arch-Versorgung vor?

Bolz: Sie sind immer dann nötig, wenn Defekte vorhanden sind, was in 60 bis 70 Prozent der Fälle vorkommt. Wenn man die Sinus im Oberkiefer eröffnet zum Beispiel. In seltenen Fällen versorgen wir nicht „full arch“, sondern partiell. Da sind augmentative Maßnahmen sehr häufig nötig. Es werden mit den Zähnen große Zysten entfernt oder wir haben zum Beispiel einen verlagerten Eckzahn mit herausnehmen müssen. Diese Defekte werden augmentiert. PRGF – Plasma Rich in Growth Factors – wird praktisch in allen Fällen mit verwendet.

Das sollte aber nicht verwechselt werden mit Augmentationen zur Rekonstruktion eines Implantatlagers! Das machen wir nicht. Es wird also nicht in Bereichen augmentiert, in denen ein Implantat eingesetzt werden soll. Denn die Behandlung hängt davon ab, dass man in eigenem Knochen implantiert.

Weichgewebe-Augmentationen kommen bei Full-Arch-Versorgung in der Regel nicht vor – die machen wir eventuell später im Sinne eines freien Schleimhauttransplantats.

„Es ist eine prothetische Behandlung“

In einem kürzlich geführten Interview mit einem erfahrenen Zahntechniker betonte dieser, wie wichtig es ihm ist, bei Full-Arch-Versorgungen auch bei der Implantatoperation dabei zu sein, um seine Beobachtungen in die Arbeit mit einfließen lassen zu können und diese weiter zu perfektionieren.

Bolz: Das kann ich nur unterstützen. Sie sollten möglichst auch an der Operation teilnehmen. So erfahren sie, welche Herausforderungen es bei der chirurgischen und der prothetischen Versorgung zu meistern gilt, und das stärkt auch den Teamgeist. Ohne Teamgeist lässt sich solch eine Technik nicht durchführen. Unsere Zahntechniker sind sehr frühzeitig involviert in das Thema und ich leite alle dazu an und pushe alle Kolleginnen und Kollegen, dass sie mit ihnen auf Augenhöhe arbeiten und sie in die Behandlung mit einbeziehen.

Für die Operation erhalten wir eine Multifunktionsschablone, die die notwendig gewordene Knochenreduktion anzeigt, besser gesagt die prothetische Endlinie. Das ist die Referenzlinie, um zu sehen, um wieviel wir den Knochen reduzieren müssen. Außerdem zeigt die Schablone die Position der Implantate an und wo die labiale Grenzlinie ist. 

Ich kann gar nicht genug darauf hinweisen: Es ist eine prothetische Behandlung. Und jemand, der diese Methode durchführt und von Prothetik keine Ahnung hat, tut sich richtig schwer!

Sind Sie im prothetischen Ablauf ebenfalls involviert?

Bolz: Wenn unsere Patienten wach geworden sind, bin ich meistens nicht mehr involviert. Da übernehmen dann die prothetisch tätigen Kolleginnen und Kollegen. Rund drei Stunden nach der Operation werden dann zum Beispiel die Totalprothesen, die die Zahntechniker anhand eines Modells, das wir analog durch Abformung gewonnen haben, umgebaut haben, eingesetzt respektive eingeschraubt. Die Prothetiker sollten natürlich darin geschult sein, die Sofortprovisorien im Mund anzupassen. Gleichwohl sollten die chirurgisch tätigen Kolleginnen und Kollegen zumindest am Anfang mit dabei sein. Wenn das Team eingespielt ist, dann kann zum Beispiel der Prothetiker das Einschrauben übernehmen.

In der Regel wird noch geröntgt und darüber hinaus ein Foto zur Dokumentation erstellt. Dann dürfen die Patienten nach Hause und kommen nach acht bis zehn Tagen wieder. Direkt am Tag nach der Operation rufen wir an. Sie sind bereits vorab informiert, dass die Schwellung am dritten Tag besonders stark ist und dass die Blutergüsse zehn bis 15 Tage andauern.

Wenn sie also wieder bei uns sind, dann wird der Zahnersatz abgenommen, die Nähte werden entfernt und es werden eventuell notwendige Korrekturen am Provisorium oder eine Bisskorrektur vorgenommen.

Den ersten Zahnersatz, der als feste Zwischenlösung funktioniert, trägt der Patient bis zu drei Monate. Anschließend fertigen wir ein individuell gefrästes Metallgerüst in diesen Zahnersatz ein – und der Patient ist fertig versorgt.

„Man muss die Abläufe analog beherrschen“

Sie haben vorhin von Abformungen und einer analogen Arbeitsweise gesprochen. Sind die Arbeitsabläufe analog oder digital?

Bolz: Viele Kolleginnen und Kollegen wollen mittlerweile vollnavigiert arbeiten. Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass man die Abläufe analog beherrschen muss - und dann kann man sich den einen oder anderen Fall heraussuchen und diesen vollnavigiert durchführen.

Digitalisierung in der Zahnheilkunde scheint bereits in den Praxen angekommen zu sein?

Bolz: Durchaus, und ich pushe jeden einzelnen in Richtung digitale Zahnheilkunde. Sie müssen sich in der digitalen Welt auskennen, fast schon ein „Freak“ sein – dann können Sie entscheiden, welcher Fall digital lösbar ist und welcher nicht. Ich bin aber entschieden der Meinung, dass alle Kolleginnen und Kollegen, die digital arbeiten, in der Lage sein müssen, ihre Patienten analog zu behandeln!

Bei uns läuft die Vorbereitung der Patienten klassisch ab und es wird die Gebisssituation erfasst, das kann analog oder digital gelöst werden. Ziel ist es jedenfalls, möglichst ausgezeichnete Modelle des Patienten zu erstellen und diese dann schädelbezüglich einzuartikulieren. Für FDZ-Behandlung, und das ist Totalprothetik, verwenden wir den Planefinder von Udo Plaster. Einen klassischen Gesichtsbogen haben wir nicht mehr in Verwendung.

Mit diesem Planefinder-System lassen sich individuell verschiedene Parameter wie die Lage des Oberkiefers und die Neigung der Okklusionsebene erfassen und in den analogen und digitalen Artikulator überführen. Durch den lagerichtig bestimmten Oberkiefer sind die Kieferrelation und die Bestimmung der Zentrik optimiert. Wie schon erwähnt, ist die zentrische Bissnahme für viele Kolleginnen und Kollegen nicht so einfach durchzuführen bei Patienten, die ein zerstörtes Restgebiss haben. Fehlerhaftes Einartikulieren der Modelle ist eine der Top-Fehlerquellen!

„Wir Zahnärzte werden immer um die richtige Bissnahme kämpfen“

Wo liegen die häufigsten Stolperfallen?

Bolz: Bis zum Ende unseres Berufs werden wir Zahnärzte immer um die richtige Bissnahme kämpfen und damit einhergehend um die Okklusion, die für den Patienten ideal ist. Eins der Hauptprobleme ist die Funktion.

In der digitalen Welt gibt es heute hervorragende Geräte, die es ermöglichen, die Kaufunktion in den Zahnersatz zu integrieren. Bei uns geht es darum, eine saubere zentrische Bissnahme zu erstellen und die Patienten soweit zu beurteilen, dass die Funktion stimmt. Dazu muss in der Phase des Probetragens geklärt werden, ob die Patienten mit dem Zahnersatz zurechtkommen, ob die Bisshöhe stimmt und sie sprechen können und ob die Ästhetik stimmt. Funktion, Phonetik, Ästhetik - das sind alles Aspekte, die eine große Rolle bei FDZ spielen – aber es sind die Themen, die in der gesamten Prothetik eine große Rolle spielen, besonders in der Totalprothetik. Jeder, der Totalprothesen oder abnehmbaren Teleskopzahnersatz plant, der kämpft mit diesen Themen.

Da wir Zahnersatz haben, der auf vier, manchmal fünf Implantaten abgestützt ist, ist die Bruchgefahr des Zahnersatzes eine weitere Komplikation. Bei Schwachstellen in der Prothetik kann der Zahnersatz brechen! Das sind die häufigsten Komplikationen. Es kommt vor, dass der Zahnersatz remontiert oder umgestellt werden muss.

Untersuchungen, die wir vor einigen Jahren durchgeführt haben, haben bestätigt, dass der Prozentsatz an Komplikationen innerhalb der Prothetik viel höher liegt als bei chirurgischen Komplikationen. Wenn ein Fehler in der Funktion ist, dann beklagen die Patienten, sich auf die Zunge zu beißen oder es chippt etwas ab oder die Schrauben lockern sich. Die Belastung des Zahnersatzes ist sehr viel fehleranfälliger als die Implantate selbst. Je mehr Übersicht und Vorkenntnisse die Kolleginnen und Kollegen im Bereich Funktion mitbringen, desto weniger Komplikationen entstehen.

Welche Schulungen legen Sie jungen Kolleginnen und Kollegen besonders ans Herz?

Bolz: Ich empfehle allen Kolleginnen und Kollegen weder Oralchirurgie noch Kieferchirurgie, sondern Parodontologie zu erlernen und zu machen. Mit den parodontologischen Operationstechniken im Weich- und Hartgewebe ist man in der Regel am allerbesten ausgebildet. Ergänzend kommen spezifische implantologisch notwendige Eingriffe am Knochen dazu, die sie erlernen sollten. Das ist meine klare Empfehlung, denn ich bin überzeugt davon, dass das der richtige Ausbildungsweg ist.

Dazu sollten sich die Kolleginnen und Kollegen unbedingt Kenntnisse auf dem Gebiet der Prothetik aneignen, am besten auf dem Gebiet der Totalprothetik. Da gibt es, wie ich schon angesprochen habe, einen großen Mangel in der Ausbildung und auch in der Fortbildung. Totalprothetik wird nach meinem Dafürhalten nicht mehr adäquat unterrichtet. Der Einzige, der meines Erachtens Totalprothetik auf hohem Niveau unterrichten konnte, ist Prof. Dr. Alexander Gutowski. Wir brauchen mehr solcher Lehrer.

Foto: Alldent
Dr. Wolfgang Bolz

  • Leitung Implantatzentrum der AllDent-Gruppe
  • Spezialist für Parodontologie & Implantologie
  • Studium Ludwig-Maximilians-Universität München
  • Behandlungsschwerpunkte Ästhetische Zahnmedizin, Implantologie, Parodontologie
  • Besondere Auszeichnung Top Mediziner 2021 im Focus Magazin
  • Mitbegründer der European Association for Osseointegration (EAO), Generalsekretär und Schatzmeister der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGP) von 1989 bis 1998
  • Mitgliedschaft European Dental Association
Quelle: Straumann Implantologie Prothetik Zahnmedizin Studium & Praxisstart Menschen

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