Vielversprechende Fortschritte in der Entwicklung der digitalen Technologien und in deren Anwendung markieren Schritte auf dem Weg zu einer minimalinvasiveren Endodontie. Mit ihrer Hilfe können die Diagnostik verbessert, iatrogene Fehler vermieden und ein voraussagbares und reproduzierbares Behandlungsergebnis erzielt werden. Ziel des Beitrags von Dr. Jöran Felgner, Prof. Dr. Michael Hülsmann und Prof. Dr. David Sonntag für die Endodontie 1/21 war, die Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung digitaler Technologien in der Endodontie aufzuzeigen.
Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.
Einleitung
Fortschritte in der Entwicklung der digitalen Technologien und deren Anwendung haben einige Arbeitsabläufe in der Zahnmedizin verändert, besonders in der Implantologie, Prothetik, Kieferorthopädie und Chirurgie. Die digitale Volumentomografie, intraorale Scanner, Laborscanner, CAD/CAM-Systeme, 3-D-Drucker und digitale Planungssoftwares nehmen einen radikalen Einfluss auf den zahnmedizinischen Alltag. Viele analoge Prozesse können digitalisiert und optimiert werden. Als Resultat dieser Neuerungen entstand eine neue Disziplin: die digitale Zahnmedizin1.
Digitale Volumentomografie
Obwohl die digitale Volumentomografie erst 20 Jahre alt ist, hat sie die zahnmedizinische Praxis verändert. Die Gruppe um Hatcher2 veröffentlichte 2003 die erste Arbeit zum Thema „DVT und Implantologie“. In den darauffolgenden Jahren stieg die Anzahl der Veröffentlichungen schnell an und nahezu jeder zahnmedizinische Fachbereich wurde von dieser Technologie beeinflusst3. Die DVT ermöglicht die dreidimensionale Darstellung der Zähne und der umliegenden knöchernen Strukturen4. Auch in der Endodontie gewinnt der Einsatz der DVT zunehmend an Bedeutung5. Verglichen mit traditionellen zweidimensionalen Röntgenbildern kann jetzt die Anatomie der Zähne aus jeder Perspektive beurteilt werden, was die DVT in Diagnostik, Behandlungsplanung und Nachkontrolle endodontischer Eingriffe zu einem wertvollen Hilfsmittel macht6. Die zusätzlich über die klinische und radiografische Diagnostik hinaus generierten Informationen beeinflussen die Planung komplexer endodontischer Behandlungen, zum Beispiel bei Revisionsbehandlungen5. Besonders hervorzuheben ist der große Nutzen für die Diagnostik und Therapie externer zervikaler Resorptionen7. Ein präoperatives DVT ist für alle geführten („guided“) invasiven zahnmedizinischen Verfahren obligat.
Ein klinischer Nutzen einer DVT wurde für folgende Indikationen und Bereiche nachgewiesen:
- Detektion periapikaler Läsionen (exakter im Vergleich zu konventionellen Röntgenbildern8)
- 3-D-Darstellung der Wurzelkanalanatomie, zum Beispiel zusätzlicher Wurzelkanäle9
- Darstellung der Lagebeziehung zwischen benachbarten Strukturen10
- Detektion frakturierter Instrumente11
- Analyse intraoperativer Probleme (zum Beispiel Überpressen von Material in den Canalis mandibularis)12
Mehrere Studien wiesen nach, dass die Anfertigung eines DVT in vielen Fällen therapeutische Konsequenzen hat:
- Eine DVT hatte bei 43 Prozent der Zähne therapeutische Konsequenzen. Bei fast 40 Prozent der Zähne sah der vorläufige Therapieplan eine abwartende Haltung vor, nach der Auswertung der DVT-Aufnahmen nur noch bei 25 Prozent13.
- Eine DVT hatte bei ca. 65 Prozent der Zähne eine Änderung des therapeutischen Vorgehens zur Folge14.
- Die DVT hatte in 27 Prozent der Fälle Auswirkungen auf die Therapie. Bei komplexen endodontischen Fragestellungen wurde in 45−65 Prozent der Fälle eine andere Therapie gewählt.
- Bei mäßig schweren und leichten Fragestellungen hatte die DVT in 7−24 Prozent bzw. 8−20 Prozent der Fälle eine Modifikation des Therapievorschlags zur Folge15.
Aufgrund der limitierten Auflösung können jedoch Feinstrukturen wie Dentincracks oder Wurzellängsfrakturen erst ab einer bestimmten Größe dargestellt werden16,17. Bei Vorliegen metallischer Strukturen (Wurzelstifte, Wurzelfüllmaterial, metallische Restaurationen) kommt es trotz Entwicklung von Artefaktreduktionsalgorithmen zu Problemen in der Darstellung aufgrund von Überstrahlungseffekten18.
3-D-Druck
„Computer-aided design“ (CAD) und „Computer- aided manufacturing“ (CAM) wurden in den 1960er und 1970er Jahren entwickelt und zuerst von großen Unternehmen der Luftfahrt- und Automobilindustrie verwendet. Hierbei handelt es sich um eine subtraktive Fertigungstechnologie, bei der ein Objekt aus einem Materialblock gefräst wird19. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurden Entwicklung und Wachstum der additiven Fertigung durch Initiativen zur Kosteneinsparung in der Automobilindustrie begünstigt20. Diese Technologie wird auch als „Rapid Prototyping“ oder „Additive Manufacturing“ bezeichnet. In der Medizin ist der Begriff „3D printing“ beziehungsweise 3-D-Druck verbreiteter. Die Bandbreite der verwendbaren Werkstoffe ist höher und der Materialverschnitt geringer als bei subtraktiven Technologien19,21,22. Für zahnmedizinische Anwendungen sind folgende Techniken relevant: Stereolithografie (SLA), „Fused Deposition Modeling“ (FDM), „MultiJet Printing“ (MJP), „PolyJet Printing“ (PJP), „ColorJet Printing“ (CJP), „Digital Light Processing“ (DLP) und selektives Lasersintern (SLS) beziehungsweise selektives Laserschmelzen (SLM)21,22. Die Stereolithografie war die erste und meist genutzte Technik in der Zahnmedizin. Die Entwicklerfirma (3D Systems, Rock Hill, SC, USA) präsentierte zudem das mittlerweile etablierte „STereoLithography“(STL)-Format22. Bei diesem Verfahren wird das Werkstück schrittweise in ein Bad aus flüssigem Fotopolymer abgesenkt und mit einem Laser bestrahlt, um die gewünschte Form zu erstellen. Das DLP-Verfahren ist der Stereolithografie sehr ähnlich, beide Techniken unterscheiden sich lediglich durch die verwendete Lichtquelle23. Für zahnmedizinische Zwecke sind besonders diese beiden Techniken interessant, da die dafür erforderlichen Drucker kompakt und die Anschaffungskosten verhältnismäßig günstig sind.
Intraoralscanner
Intraoralscanner (IOS) sind seit mehr als 30 Jahren auf dem Markt, die Anzahl der kommerziell erhältlichen Systeme hat sich in den vergangenen 10 Jahren potenziert24. Die digitale Abformung mit einem Intraoralscanner beinhaltet die optische Messung der Oberflächenstrukturen von Zähnen und Gingiva direkt im Mund des Patienten. Zur Herstellung dieser 3-D-Modelle werden im Wesentlichen drei Techniken verwendet: aktive Triangulation, konfokale Mikroskopie und Stereovermessung. Hierbei entstehen STL-Dateien, die nachfolgend weiterverarbeitet werden können, zum Beispiel zur Herstellung von Zahnersatz, Schienen oder Modellen25. Vorteile der digitalen Abformung sind unter anderem der erhöhte Patientenkomfort, die erhöhte Zeiteffizienz, die Simplifizierung des klinischen Ablaufs sowie die bessere Kommunikation mit Patienten und Labor. Nachteilig sind die möglichen Probleme bei der Detektion subgingivaler Präparationsgrenzen, die hohe Lernkurve sowie die Anschaffungs- und Wartungskosten24. Die Verwendung eines Intraoralscanners ist fundamental bei der Etablierung eines digitalen Workflows in der zahnärztlichen Behandlung25. Für geführte endodontische Eingriffe und die Herstellung der dazugehörigen Schienen ist ein Intraoralscanner notwendig.
„Guided autotransplantation“
Die autogene Transplantation von Zähnen beschreibt die Repositionierung patienteneigener Zähne in eine andere Extraktionswunde oder in eine chirurgisch geschaffene Empfängerstelle. Dieses Verfahren wird genutzt, um fehlende Zähne zu ersetzen, die aufgrund von Nichtanlagen, ausgeprägter Karies, parodontalen Erkrankungen, Traumata oder endodontischen Misserfolgen verloren gegangen sind26–28. Durch die Verwendung des patienteneigenen Zahns bietet die Autotransplantation Vorteile wie eine größere Widerstandsfähigkeit gegenüber okklusaler Belastung, den Erhalt des parodontalen Ligaments und des umliegenden Knochens sowie eine natürlichere Ästhetik29,30.
Die wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Autotransplantation sind der Erhalt gesunder parodontaler Ligamentzellen (PDL-Zellen) und eine adäquate Gewebeadaptation. Diese Faktoren werden von chirurgischen Komponenten wie der extraalveolären Zeit, der Anzahl von Einpassungsversuchen, der Distanz zwischen neuer Alveole und Wurzel des Spenderzahns, den Fähigkeiten des Chirurgen sowie dem Ausmaß möglicher Traumata bei Extraktion des Spenderzahns bestimmt31–33. Um die Erfolgschancen der Autotransplantation zu verbessern und diese atraumatischer und präziser zu gestalten, entwickelte die Gruppe um Verweij et al. ein neues Vorgehen. Hierbei wurden die Autotransplantation virtuell geplant und 3-D-gedruckte Replika des Spenderzahns sowie eine 3-D-gedruckte Positionierungs- und Bohrschablone hergestellt34.
In späteren Studien wurde auf das Einbringen von Bohrhülsen und die damit verbundene Verwendung von Bohrschablonen verzichtet35. Zur präoperativen Datenerhebung sind eine DVT-Aufnahme und ein Intraoralscan unabdingbar. Nach anschließender virtueller Planung des Eingriffs wird ein Replikum des zu transplantierenden Zahns im 3-D-Verfahren gedruckt. Dieses Replikum dient der späteren exakten Präparation der Neoalveole (Abb. 1)36.
Dadurch können die Anzahl der Einpassungsversuche und die extraalveoläre Zeit verringert werden. Die Platzierung, Lokalisation und Angulation des Transplantats können im Vorfeld bestimmt werden, wodurch der Ablauf der Autotransplantation vereinfacht wird37.
Die mittlere Winkelabweichung der geführten Autotransplantation beträgt im Vergleich zur vorherigen, virtuellen Planung 3,1−5,6°. Der koronale Versatz beträgt durchschnittlich 1,3− 3,3 mm und der apikale Versatz 0,9−2,6 mm33,38.
In einer der ersten prospektiven Studien wurde gezeigt, dass die Behandlungsdauer geringer als 30 Minuten und die extraalveoläre Zeit kürzer als eine Minute waren39. In der nachfolgenden klinischen Multicenterstudie wurden 100 Zähne transplantiert und nachuntersucht. In 82 Prozent der Fälle betrug die extraalveoläre Zeit weniger als 1 Minute, in 14 Prozent 1−3 Minuten und nur in 4 Prozent der Fälle war sie länger als 3 Minuten. Durch das vorherige Einbringen der 3-D-Replika in die Neoalveole wurde die initiale Passung der Spenderzähne in allen Fällen als gut bewertet35. In einer prospektiven klinischen Studie wurde gezeigt, dass die Überlebensrate der geführten Autotransplantation bei 100 Zähnen 92 Prozent und die Erfolgsrate 86 Prozent betrugen. Im Vergleich dazu wurden die Gesamtüberlebensrate bei der konventionellen Autotransplantation mit 84 Prozent und die Erfolgsrate mit 78 Prozent beziffert40.
„Guided endodontics“
Die Wurzelkanalbehandlung von Zähnen mit obliterierten Wurzelkanälen ist besonders herausfordernd41. Diese Obliterationen beziehungsweise Kalzifikationen beginnen koronal und erstrecken sich teilweise weit in die apikalen Wurzelkanalanteile42. Die korrekte Gestaltung der Zugangskavität ist daher bei der Behandlung dieser Zähne erschwert43 und durch den damit verbundenen erhöhten Substanzverlust kann das Frakturrisiko um bis zu 20 Prozent erhöht sein44. Zur erfolgreichen Lokalisation des Wurzelkanals wird die Zuhilfenahme eines Operationsmikroskops und einer präoperativen DVT empfohlen45. Bislang liegen zu Erfolgsaussicht und Risiken bei diesem Vorgehen nur Kasuistik und Fallserien vor.
Im Jahr 2016 stellte die Gruppe um Zehnder, Connert, Weiger, Krastl und Kühl eine neue Technik zur Behandlung von Zähnen mit obliterierten Wurzelkanälen vor. Hierbei werden präoperative DVT-Aufnahmen und intraorale Scans angefertigt und in einer Software virtuell überlagert. Mithilfe dieser Daten können der originäre Kanalverlauf dargestellt und der Zugang zum Kanalsystem geplant werden. Wie bei der geführten Implantologie werden hierfür spezielle Bohrer und Bohrhülsen verwendet und in eine 3-D-gedruckte Schiene eingearbeitet. Nach der Präparation der Zugangskavität wird die Schiene eingebracht. Durch Einsatz der dazugehörigen Bohrer und Bohrhülsen wird Zugang zum Kanalsystem erlangt. Diese beschriebene Technik wird als „Guided endodontics“ bezeichnet45.
Die durchschnittliche mittlere Behandlungszeit für dieses Verfahren inklusive Intraoralscan, virtueller Planung und Zugangspräparation liegt bei ca. 10 Minuten (613 Sekunden), wobei für die Zugangspräparation nur 30 Sekunden benötigt werden46. Beim Vergleich der präoperativen, virtuell geplanten Bohrung und dem postoperativen Zugang befinden sich die Abweichungen in einem Bereich von 0,1−0,5 mm. Bei der Durchführung der Behandlung nach dem Prinzip der „Guided endodontics“ konnten 91,7 Prozent der Fälle erfolgreich abgeschlossen werden, mit der konventionellen Behandlungstechnik nur 41,7 Prozent der Fälle. Der mittlere Substanzverlust betrug bei konventionellem Prozedere 49,9 mm3, bei der „Guided endodontics“-Technik 9,8 mm3. Auch die Behandlungsdauer konnte um 10,5 Minuten verringert werden47. Ältere Veröffentlichungen beschreiben die Behandlung von Ober- oder Unterkieferfrontzähnen. In neueren Fallberichten wird dieses Verfahren auch im Molarenbereich erfolgreich angewendet48.
„Guided endodontic microsurgery“
Die endodontische Mikrochirurgie wird durch den Einsatz des Operationsmikroskops, spezieller Mikroinstrumente, die retrograde Präparation und die Verwendung besonders biokompatibler Wurzelfüllmaterialien wie MTA oder Biokeramiken definiert. Die daraus resultierenden Vorteile sind das vereinfachte Auffinden der Wurzelspitze, kleinere knochenerhaltende Osteotomien sowie flachere Resektionswinkel. Dies begünstigt den Erhalt der Wurzel und des kortikalen Knochens49. Die Summe dieser Innovationen ermöglicht Erfolgsraten von bis zu 94 Prozent50. Die Herausforderung besteht darin, die Osteotomie so zu gestalten, dass der gewünschte Bereich der Wurzelspitze so akkurat und minimalinvasiv wie möglich entfernt werden kann51,52. Die geführte endodontische Mikrochirurgie wurde erstmals 2007 vorgestellt, jedoch war der Workflow ausschließlich CAD/CAM-basiert und fand keine weitreichende Verbreitung im klinischen Alltag53. Zehn Jahre später beschrieben Strbac et al.54 erstmalig die Technik der „Guided endodontic microsurgery“ unter Verwendung einer 3-D-gedruckten Schiene (Abb. 2)54. Hierfür wurden präoperativ DVT-Aufnahmen und intraorale Scans angefertigt. Mithilfe einer Planungssoftware konnte die Osteotomie in Größe und Position exakt geplant werden. Nach Lappenbildung wurde die zahngetragene Schiene in den Patientenmund eingesetzt und die Osteotomie durchgeführt54. Eine vollständig geführte Arbeitsweise wurde von Giacomino et al. vorgestellt. Sie implementieren in ihre Schiene eine Bohrhülse für die Verwendung passender Trepanbohrer. Dadurch kann auf die Bildung eines Mukoperiostlappens verzichtet werden und mit einer Bohrung durch die Bohrhülse sowohl die Osteotomie als auch die Entfernung der Wurzelspitze durchgeführt werden (Abb. 3)55. Diese Methode wird auch als „Targeted endodontic microsurgery“ (TEMS) bezeichnet56.
Hawkins et al. verglichen die klassische endodontische Mikrochirurgie mit der TEMS und zeigten, dass die Dauer des Eingriffs signifikant reduziert wurde und die Abschrägungswinkel häufiger den Wert von 0° erreicht hatten. Die Etablierung einer Resektion, die in Volumen und Länge angemessen war, wurde durch TEMS signifikant häufiger umgesetzt55. Fan et al. zeigten, dass die Genauigkeit der Wurzelspitzenresektion bei Verwendung vorher geplanter Schienen signifikant höher ist als bei der Freihandresektion57. Die Winkelabweichung der Trepanbohrung kann 3,9° betragen52. In einer Kadaverstudie wurde deutlich, dass die Abweichung des chirurgischen Zugangspunktes signifikant niedriger war als in der Freihandgruppe. Aus klinischer Sicht betrachtet war der Zugang in der Freihandgruppe in weniger als 50 Prozent der Fälle erfolgreich, wohingegen bei der geführten Gruppe alle Zugänge erfolgreich waren58.
„Guided treatment planning“
Um Behandlungen wie zum Beispiel „Guided endodontics“ durchzuführen, gibt es spezielle Programme, die die Erstellung der dafür benötigten Schienen ermöglichen. Neben diesen Planungssoftwares wurden aber auch Programme entwickelt, deren Fokus ausschließlich auf der präoperativen Planung liegt. Der bekannteste Vertreter ist die „3D Endo-Software“ (Dentsply Sirona, Deutschland). Das Programm erlaubt nach vorheriger Anfertigung einer DVT-Aufnahme die automatische Detektion und Messung diverser anatomischer Parameter, wie zum Beispiel der Arbeitslänge oder der Kanalkrümmungswinkel. Zudem kann der Verlauf des Wurzelkanals nachgezeichnet und durch die dreidimensionale Visualisierung besser verständlich gemacht werden59. Die Gruppe um Patel et al. wies nach, dass dieses Programm für die Beurteilung des Wurzelkanalsystems und der Arbeitslänge geeignet ist. Das Stresslevel war im Vergleich zur konventionellen Therapieplanung mit Röntgen- und DVT-Aufnahmen signifikant reduziert60. Die Arbeitslängenbestimmung ist reliabel und vergleichbar mit der Bestimmung mithilfe konventioneller DVT-Software59. Die „e-Vol Software“ (CDT Software, Brasilien) arbeitet mit diversen Filtern, um die Bildqualität der DVT-Aufnahmen zu verbessern und neue Darstellungsformen zu gewährleisten. Dadurch ist es möglich, die Form und Position des apikalen Foramens zu bestimmen und detaillierte Aufnahmen der Pulpakammer oder der Wurzelkanalfüllung zu erhalten. Dies kann für die Planung von nichtchirurgischen und chirurgischen endodontischen Eingriffen genutzt werden61.
Digitale Übungsmodelle
Für die prä- und postgraduale Aus- und Fortbildung besteht der Bedarf an realistischem, umfangreichem und repetitivem Hands-On-Training unter klinischen Bedingungen62. Für diesen Zweck werden zumeist extrahierte humane Zähne oder Kunststofftrainingsblöcke verwendetet. Für das Etablieren vergleichbarer Prüfungsbedingungen sind extrahierte Zähne aufgrund ihrer ausgeprägten anatomischen Variationen ungeeignet. Zudem ist ungeklärt, ob bei ihrer Lagerung und Verwendung Kreuzkontaminationen sicher ausgeschlossen werden können63,64. Als Alternative wurden künstlich hergestellte Zähne aus Kunststoff beworben65 − realistische und standardisierte, meistens transparente oder röntgenopake Replika. Kommerziell verfügbare Modelle sind zum Beispiel das Endo-Trainingsmodell von Castillo (VDW, Deutschland), in das sich Zähne einspannen lassen (Abb. 4 bis 6), oder „Real-T Endo“ (Acadental, Lenexa, KS, USA), „Smile Factory“ (Mogi das Cruzes, Brasilien) und „True Tooth“ (DELendo, Santa Barbara, CA, USA). Nachteilig sind die hohen Produktionskosten, die geringe Zahnauswahl und die langen Lieferzeiten66. Um die Herstellungskosten zu minimieren und die Auswahl- und Einsatzmöglichkeiten zu vergrößern, stellten Reymus et al. 3-D-gedruckte Zähne her und entwickelten spezielle Zahntraumata-Modelle66,67. Extrahierte humane Zähne wurden dreidimensional mit dem DVT gescannt und die erzeugten DICOM-Datensätze in Invesalius (Centre for Information Technology Renato Archer, Amarais, Brasilien) importiert und in STL-Daten umgewandelt. Die Weiterverarbeitung und Modifikation der digitalisierten Zähne erfolgte mit Meshmixer (Autodesk, San Rafael, CA, USA).
Durch Nutzung des 3-D-Drucks können Zähne beliebig oft und kostengünstig reproduziert werden. Unter dem Namen Replidens (Smartodont, Schweiz) oder Endo3P (Acadental, Overland Park, USA) können 3-D-gedruckte Zähne kommerziell erworben werden. Die Übungsmodelle von Reymus et al. und Hanafi et al. sind bisher ausschließlich in den Universitäten zugänglich62,68.
Ein speziell entwickeltes 3-D-gefertigtes Trauma-Modell wurde während eines Hands-On-Trainingskurses als hoch realistisch und nützlich bewertet67. Höhne und Schmitter gelang es, 3-D-gedruckte Zähne herzustellen, die sowohl Schmelz und Dentin als auch Pulpagewebe imitieren. Dadurch können vitalerhaltende Maßnahmen wie die direkte Überkappung oder die Pulpotomie trainiert werden69. Hanafi et al. stellten ein komplett modulares 3-D-gedrucktes Übungsmodell her, das an die Bedürfnisse der Studierenden und die zu vermittelnden Lehrinhalte angepasst werden kann. Da es in einen üblichen Phantomkopf eingepasst und die elektronische Längenmessung durchgeführt werden kann, erlaubt es eine realistische und praxisnahe Simulation der Wurzelkanalbehandlung68.
„Computer-aided dynamic navigation“
Geführte endodontische Eingriffe können entweder statisch oder dynamisch durchgeführt werden70. Für statisch geführte Eingriffe werden 3-D-gedruckte Schienen verwendet, die zuvor mit einer speziellen Software anhand von DVT- und Intraoralaufnahmen geplant wurden71. Diese Schienen können zahn-, schleimhaut- oder knochengestützt sein72.
Computergestützte dynamische Navigationssysteme wurden zuerst in der Implantologie beschrieben. Sie sollten die Genauigkeit der Positionierung des Implantats vereinfachen und verbessern. In diversen Studien wurde dies bestätigt73. Die derzeitigen am Markt etablierten Systeme sind Robodent (Robodent, Deutschland), Navident (ClaroNav, Kanada), X-Guide (Nobel Biocare, Schweiz) und Image-Guided Implantology (DenX Europe, Deutschland)74. In der Endodontie wurde der Einsatz von dynamisch geführten Systemen erstmalig durch Chong et al.70 beschrieben, die das tragbare Navident-System zur Zugangspräparation nutzten. Über einen Monitor können dabei intraoperative Parameter wie die Tiefe, der Winkel und der Zugangspunkt der Trepanation in Echtzeit mit der präoperativen Planung abgeglichen und gegebenenfalls korrigiert werden. Ziele dieses Vorgehens sind die Schonung von Zahnhartsubstanz und die Verringerung iatrogener Fehler wie Perforationen70. Essenziell für diese Methode sind, wie bei statischen Methoden, ein präoperatives DVT und ein Intraoralscan mit anschließender virtueller Planung des Eingriffs. Als Besonderheit ist zu erwähnen, dass vom Patienten für das präoperative DVT eine Schiene mit radiografischen Markern getragen werden muss, damit nachfolgend valide Referenzpunkte gewährleistet werden können. Gambarini et al. führten mit dem Navident-System auch dynamisch navigierte, mikrochirurgische endodontische Eingriffe durch75. Vergleicht man statische und dynamische Methoden, erwiesen sich beide als akkurater und sicherer als die konventionelle Freihandmethode. Betrachtet man die Gruppen der geführten Eingriffe untereinander, lässt sich kein signifikanter Unterschied feststellen74.
Weitere Anwendungsbereiche
Die Entfernung von Wurzelstiften wird oft im Zusammenhang mit prothetischen oder endodontischen Behandlungen notwendig. Im Zuge der Wurzelstiftentfernung kann es zu einem substanziellen Verlust der umgebenden Zahnhartsubstanz kommen. Die dadurch bedingte Schwächung des Zahns kann zur Fraktur oder Perforation der Wurzel führen76. Die erfolgreiche und schonende Entfernung von Wurzelstiften wird signifikant von der Erfahrung des Behandlers beeinflusst77. Um diesen Einfluss zu minimieren, entwickelten Schwindling et al. einen geführten Ansatz zur Stiftentfernung78.
Nach präoperativer DVT-Aufnahme und einer analogen Abformung werden die Stiftentfernung und die Erschließung des Wurzelkanals virtuell geplant und eine 3-D-gedruckte Schiene mit korrespondierenden Bohrhülsen hergestellt. Mit diesem Verfahren kann die Stiftentfernung substanzschonend und sicher durchgeführt werden79. Ein weiteres Anwendungsgebiet für digitale Technologien in der Endodontie ist die Auswertung präoperativer Röntgenbilder. Die Anfertigung präoperativer DVT-Aufnahmen kann die Diagnostik, Therapieplanung und Prognose verbessern80,81.
Die Auswertung dreidimensionaler Röntgenbilder kann zeitintensiver und komplizierter sein als die Auswertung von Einzelzahn- oder Panoramaschichtaufnahmen. Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) und Neuronaler Netzwerke (CNN) kann dieser Prozess vereinfacht werden82. Um diese Vorteile auch für die Diagnostik periapikaler Läsionen in DVT-Aufnahmen zu nutzen, untersuchten Orhan et al. 109 Patienten und wiesen nach, dass mithilfe der KI 142 der 153 apikalen Läsionen korrekt detektiert wurden. Die Reliabilität dieser Methodik betrug 92,8 Prozent81.
Zusammenfassung
Die digitale Endodontie stellt eine vielversprechende Entwicklung und einen weiteren Schritt in Richtung eines minimalinvasiveren Therapiekonzeptes dar. Im klinischen Alltag können sowohl iatrogene Fehler reduziert als auch vorhersagbare und reproduzierbare Ergebnisse erzielt werden. In der studentischen und postgradualen Ausbildung kann sie zur Etablierung vergleichbarer und realistischer Übungsbedingungen beitragen. Besonders für die geführte Autotransplantation liegt bereits eine Vielzahl an klinischen Studien mit adäquater Fallzahl vor35−37,39. Die Ergebnisse und Aussagen sind dementsprechend valide. Für weitere denkbare klinische Anwendungen fehlen bislang noch Daten zur Sicherheit und Erfolgsaussicht.
Ein Beitrag von Dr. Jöran Felgner, Leipzig, Prof. Dr. Michael Hülsmann, Zürich, Prof. Dr. David Sonntag, Frankfurt
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