„Viele werden erwarten, dass das neue Buch eine Fortsetzung des pinken Buchs ist, vielleicht eine Erweiterung, vielleicht eine Neuauflage – das ist überhaupt nicht der Fall“, erklärt Dr. Otto Zuhr über das neue gemeinsame Werk mit Prof. Marc Hürzeler. „Es geht um ein ganz eigenständiges Buch, das sich auch inhaltlich deutlich unterscheidet.“ Man habe sich, so Prof. Hürzeler, immer wieder im alltäglichen Handeln hinterfragt: Ist es wirklich der richtige Weg, den wir gehen? „Evidenzbasiert, was uns immer gelehrt wurde. Und ich habe festgestellt, das allein kann‘s nicht sein“, so Hürzeler. Wer wie die Autoren im Grenzbereich der Zahnerhaltungsmöglichkeiten unterwegs ist, muss beide Welten – Zahnerhaltung und Implantattherapie – zum Wohle der Betroffenen zu einem sinnvollen Ganzen zusammenführen.
Im Grenzbereich der Zahnerhaltung
So haben beide Zahnmediziner ihren Ansatz, den sie tagtäglich gehen, erweitert und irgendwann entstand daraus die Idee, diesen Wandel der Community mitzuteilen. „Das Herz, die Seele dieses Buchs ist die Patientin oder der Patient“, so ihre Ausrichtung. Und zwar der Patient in seiner jeweiligen Lebensphase, mit seinen individuellen günstigen und ungünstigen Voraussetzungen. Die Kunst ist nun, gerade bei komplexen Fällen, im Spannungsfeld zwischen Zahnerhaltung und Implantattherapie zu einer Entscheidung und einem Weg zu kommen, in dem sich alle Voraussetzungen und Maßnahmen zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen.
Einen Einblick in ihre Philosophie der Entscheidungsfindung geben ausgesuchte Patientenfälle, die wir in lockerer Folge vorstellen. Im dritten Fall geht es um eine Adhäsivbrücke zum Ersatz eines seitlichen Schneidezahns im Oberkiefer. Die 25-jährige Patientin selbst sagt: „Mein linker seitlicher Schneidezahn ging bei einem Fahrradunfall vor zwei Jahren verloren. Die anschließend angefertigte Klebebrücke gefällt mir überhaupt nicht. Ich fühle mich unsicher und traue mich kaum mehr zu lachen“, was auch ihre berufliche Tätigkeit als Schauspielerin beeinträchtigt.
Diagnostisch ergibt sich ein horizontaler Gewebedefekt in Regio 22 mit aus ästhetischer Sicht unzureichendem prothetischen Lückenschluss durch eine zweiflügelige metallkeramische Adhäsivbrücke. Prognostisch günstig ist die erwartbar hohe Compliance der allgemein gesunden Patientin und der geringfügig ausgeprägte, vorwiegend horizontale Kieferkammdefekt. Ungünstig sind die hohe Lachlinie und die hohe ästhetische Relevanz der betroffenen Region.
Therapeutische Entscheidungsfindung:
Auch wegen des Alters der Patientin ist aus medizinischer Sicht weder ein Implantatersatz noch die Durchführung einer kieferorthopädischen Behandlung oder auch Zahntransplantation zur Beseitigung der Zahnlücke sinnvoll. Aufgrund der zum Ersatz eines oberen seitlichen Schneidezahns gut wissenschaftlich dokumentierten Behandlungserfolge und da zu ihrer Anfertigung im Vergleich zu konventionellen Brücken nur sehr wenig gesunde Zahnhartsubstanz geopfert werden muss, fällt die Entscheidung für die erneute Anfertigung einer Adhäsivbrücke. Zur Erzielung eines aus ästhetischer Sicht erfolgreichen Behandlungsresultats ist die Rekonstruktion des horizontalen Kieferkammdefektes mit einem Bindegewebstransplantat vom harten Gaumen erforderlich.
Schrittweises Vorgehen:
- Inserieren eines Gaumenimplantates sechs Wochen vor dem Eingriff, digitale Abformung zur Anfertigung eines Langzeitprovisoriums aus Kunststoff (Gestaltung Brückengliedbasis entsprechend „Modified Ovate Pontic“) und Titan-Brückengliedverbinder (CAD/CAM)
- intrasulkuläre Inzisionen bukkal entlang der Nachbarzähne, sich überschneidende Inzisionen zur Bildung eines palatinalen Peninsulalappens (dieser verbessert die Mobilität des bukkalen Tunnellappens)
- Bildung zweier bukkal gestielter und unabhängig beweglicher Weichgewebstransplantate
- modifizierte „Pouch“-Technik zur gleichzeitigen Durchführung einer chirurgischen Alveolarkammrekonstruktion und prothetischen Gewebeausformung (Vermeidung von Oberflächeninzisionen mit ggf. nachfolgenden Narbenbildungen)
- Augmentation der mesial/distal der Zahnlücke gelegenen Papillen via „Saloon Door“-Technik
- Präparation bukkaler Mukosa-Mukoperiost-Mukosalappen (Kombinationslappen aus vollem Lappen und Spaltlappen)
- Entnahme des Bindegewebstransplantats im Bereich des Tuber maxillae und Entepithelisierung außerhalb des Mundes
- Einziehen des Bindegewebstransplantats in den bukkalen Tunnel mit Positionierungsnähten
- Eingliedern des auf dem Gaumenimplantat befestigten Langzeitprovisoriums
- stabile Fixation von Lappen und Transplantat durch doppelt gekreuzte vertikale Umschlingungsnähte, sanfte mehrminütige Kompression der Wunde
Mehrere Weichgewebstechniken
Sehr ausgefeilt war hier das Weichgewebsmanagement, denn es kamen mehrere Techniken zum Einsatz:
- die Anwendung der modifizierten „Pouch“-Technik zur gleichzeitigen Durchführung von chirurgischer Alveolarkammrekonstruktion und prothetischer Gewebeausformung,
- die Bildung eines palatinalen Peninsulalappens zur Verbesserung der Mobilität des bukkalen Tunnellappens und
- die Anwendung der „Saloon Door“-Technik zur Augmentation mesial und distal von Zahnlücken gelegener Papillen.
Der definitive Zahnersatz wurde etwa fünf Monate nach dem chirurgischen Eingriff angefertigt.
Das neue „Zuhr/Hürzeler“ zeigt, wie sich unter Beachtung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der individuellen Risikoprofile und Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten gesunde und stabile gingivale und periimplantäre Weichgewebe erzielen lassen. Es enthält dafür alle biologischen und technischen Grundlagen sowie sämtliche chirurgischen Techniken – herausragend aufbereitet, brillant illustriert und ergänzt durch umfangreiches Videomaterial.
Noch bis 31. Dezember 2024 können Sie das neue „Zuhr/Hürzeler“ zum Einführungspreis bestellen.
Wer von den beiden Autoren selbst erfahren möchte, warum sie dieses Buch geschrieben haben, bekommt ihre Erklärung hier im Video.
Weitere Fallbeispiele aus „Entscheidungsfindung im Spannungsfeld von Parodontologie und Implantattherapie“ (Zuhr/Hürzeler):
Teil 2: Kieferorthopädischer Lückenschluss bei Nichtanlage der seitlichen Schneidezähne im Oberkiefer