0,00 €
Zum Warenkorb
  • Quintessence Publishing Deutschland
Filter
6843 Aufrufe

OLG Karlsruhe stuft Extraktionszange als gefährliches Werkzeug ein – längere Verjährung, härtere Strafen

(c) Vitalii M/Shutterstock.com

Das Extrahieren erhaltungswürdiger Zähne, ohne den Patienten die Möglichkeiten der Zahnerhaltung darzustellen, kann als gefährliche Körperverletzung gewertet werden. Das hat das Oberlandesgericht Karlsruhe in diesem Jahr entschieden (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. März 2022, Az.: 1 Ws 47/22).

Einem Zahnarzt wurde von der Staatsanwaltschaft bereits 2017 vorgeworfen, in den Jahren 2010 bis 2014 in 33 Fällen bei seinen Patienten Zähne extrahiert zu haben, obwohl diese noch erhaltungswürdig waren. Er hatte behauptet, dass die Extraktionen zwingend sind. Die Patienten vertrauten seinem Urteil und willigten in die Zahnentfernung ein.

Staatsanwaltschaft sieht Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung

Die Staatsanwaltschaft erklärte dagegen, dass die Patienten nicht eingewilligt hätten, wären ihnen die Alternativen der Zahnerhaltung bekannt gewesen. Der Zahnarzt habe die Zähne auch extrahiert, um danach für ihn lukrativere Versorgungen mit Zahnersatz vornehmen zu können, so der Vorwurf. Sie sah daher den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung als erfüllt an. Entsprechend erhob die Staatsanwaltschaft Anklage vor dem Landgericht.

Das Landgericht hatte das Hauptverfahren nur eingeschränkt eröffnet und die Taten als vorsätzliche einfache Körperverletzung eingestuft, wogegen die Staatsanwaltschaft Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt hatte. Dieses würdigte die dem Zahnarzt vorgeworfenen Taten neu und gab der Staatsanwaltschaft recht.

Einwilligung unwirksam

Die durch Täuschung vom Zahnarzt erlangte Einwilligung der Patienten ist unwirksam. Unstreitig liegt damit eine vorsätzliche einfache Körperverletzung im Sinne des Paragrafen 223 Strafgesetzbuch (StGB)vor. Lange war es jedoch umstritten, ob eine unerlaubte Zahnextraktion durch einen Zahnarzt auch eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des Paragrafe 224 StGB darstellt.

Dieser scheinbar akademische Streit hat in der Praxis erhebliche Konsequenzen: Die einfache Körperverletzung ist mit einer Höchststrafe von fünf Jahren bedroht, die gefährliche Körperverletzung mit zehn Jahren. Das bedeutet zunächst, dass der Zahnarzt mit einer höheren Strafe zu rechnen hat. Es bedeutet aber auch, dass die Taten später verjähren.

Extraktionzange als „gefährliches Werkzeug“

Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) stufte die Extraktionszange in diesem Fall als gefährliches Werkzeug ein. Damit geht es um eine gefährliche Körperverletzung. Die Extraktionszange sei deshalb ein gefährliches Werkzeug, weil sie geeignet ist, dem Opfer erhebliche Verletzungen beizubringen, nämlich den unwiederbringlichen Verlust eines Teils des Gebisses und eine offene Wunde. Konsequenterweise hielt das OLG damit die schon mehrere Jahre zurück liegenden Taten noch nicht für verjährt.

Das Verfahren vor dem Landgericht Karlsruhe wird nun mit dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung geführt, der Zahnarzt muss also mit einer erheblichen Bestrafung rechnen, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe beweisen kann. (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. März 2022, Az.: 1 Ws 47/22).

Dr. Wieland Schinnenburg, Zahnarzt und Rechtsanwalt, Hamburg

Dr. med. dent. Wieland Schinnenburg
Dr. med. dent. Wieland Schinnenburg
Foto: Stephan Trapp
Dr. Wieland Schinnenburg studierte Zahnmedizin und Jura und war bis Ende 2017 als Zahnarzt in eigener Praxis in Schleswig-Holstein tätig. Parallel arbeitete er als Rechtsanwalt und Mediator in Hamburg und ist in diesem Bereich weiter aktiv. Schinnenburg ist FDP-Mitglied und war unter anderem Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft. Nach der Bundestagswahl 2017 war er für eine Legislaturperiode bis Oktober 2021  Mitglied des Deutschen Bundestags und in dieser Zeit Mitglied des Gesundheits- und des Rechtsausschusses und Drogenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

Quelle: RA Dr. Wieland Schinnenburg Praxisführung Dokumentation med.dent.magazin

Adblocker aktiv! Bitte nehmen Sie sich einen Moment ...

Unser System meldet, dass Sie eine aktive AdBlocker-Software verwenden, die verhindert dass alle Seiteninhalte geladen werden können.

Fair geht vor: Unsere Partner aus der Industrie tragen durch ihre Anzeigen einen maßgeblichen Teil zum Betreiben dieser Newsseite bei. Diese finden Sie in überschaubarer Anzahl auf der Startseite sowie den einzelnen Artikelseiten.

Bitte setzen Sie www.quintessence-publishing.com auf Ihre „AdBlocker Whitelist“ oder deaktivieren Ihre AdBlocker Software. Danke.

Weitere Nachrichten

  
2. Juli 2024

Totalprothetik mit Gewinn?

Neue Workshop-Serie mit Dr. Jürgen Wahlmann – Vom ungeliebten Verlustbringer zum profitablen Standbein
26. Juni 2024

Bessere Möglichkeiten für lebenslanges Lernen schaffen

DIE zur „Bildung in Deutschland 2024“: Es besteht weiterhin bildungspolitischer Handlungsbedarf
25. Juni 2024

Wie individuell ist die Individualprophylaxe heute noch?

DH Birgit Schlee warnt vor der Gefahr, dass sich die Prophylaxe wieder zur „Gießkannenprophylaxe“ entwickelt
25. Juni 2024

Kündigung ohne Abmahnung

RA Alexander Bredereck erklärt, warum es auch auf die Dauer der Beschäftigung und das Verhalten ankommt
25. Juni 2024

DDS.Berlin: Erste Digital Dentistry Show startet nächstes Wochenende

Neue Messe mit ausschließlich digitalen Technologien bietet mehr als 70 Ausstellende aus 12 Ländern
24. Juni 2024

Behandlungsgespräche – SDM-Maßnahmen helfen

ThemenCheck-Bericht zeigt: Entscheidungshilfen unterstützen die gemeinsame Entscheidungsfindung
20. Juni 2024

ZFA: Auf 100 offene Stellen kommen 44 als arbeitslos gemeldete Personen

vmf: Gespräch mit Bayerns Gesundheitsministerin zur Fachkräftesituation in bayerischen Arzt- und Zahnarztpraxen
19. Juni 2024

Prokrastinieren – warum wir Unangenehmes gerne aufschieben

Max-Planck-Institut: Verständnis des Aufschiebens kann helfen, Produktivität wiederzuerlangen