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Prof. Dr. Dietmar Oesterreich zum Impulspapier „Orale Medizin – Die Zukunft der Zahnmedizin“

(c) Golden Dayz/Shutterstock.com

Im April erschien unter anderem als Beilage zu den zm ein Papier „Orale Medizin – Die Zukunft der Zahnmedizin“. Die Initiatoren bezeichnen ihre Broschüre selbst als Impulspapier und rufen zur Diskussion im Berufsstand zur Zukunft der Zahnmedizin auf dem Weg hin zur Oralen Medizin auf. Der Bogen der dabei Beteiligten ist breit gespannt. Leider mangelt des dem Papier aber – wie aktuell bei vielen Themen des zukünftigen Versorgungsgeschehens – an der Beteiligung der nachwachsenden Zahnärztegeneration. Schließlich geht es zentral um ihre beruflichen Perspektiven.

Das letztmalig im Jahr 2010 berufssoziologisch untersuchte Rollenverständnis von Zahnärztinnen und Zahnärzten in Deutschland bedürfte nach mehr als zehn Jahren zudem einer neuen Erhebung, um die Wahrnehmungen und Bewertungen des zahnärztlichen Berufsstands, auch im Hinblick auf die Zielsetzung zur oralen Medizin, in Erfahrung zu bringen.

Bereits im Prolog werden im Hinblick auf die Ausrichtung zur oralen Medizin wichtige zukünftige Aufgabenstellungen für den Berufsstand, wie die Ansprüche an die Fort- und Weiterbildung und die ärztliche Orientierung angesprochen. Die Initiatoren und weitere Autoren beschreiben die wesentlichen Trends in Medizin und Gesellschaft, wie die Demographie und die zunehmenden Erkenntnisse über die bidirektionalen Beziehungen von Medizin und Zahnmedizin. Gleichzeitig werden die Erfolge der Prävention in der Zahnmedizin hervorgehoben, welche verglichen mit den anderen medizinischen Fachdisziplinen ein Alleinstellungsmerkmal darstellt.

Erfolge der Prävention auch einer Neubeschreibung zu verdanken

Für diese Erfolge war eine vergleichbare Initiative um die Zukunft der Zahnmedizin – die Neubeschreibung einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde im Jahr 2000 unter dem damaligen Präsidenten der DGZMK, Prof. Dr. Dr. Wilfried Wagner, – von maßgeblicher Bedeutung. Ziel war und ist es, bei jeder therapeutischen Intervention primär orale Strukturen zu erhalten. Mit den Studien zur Mundgesundheit der deutschen Bevölkerung sind die Ergebnisse beim Zahnerhalt und der mundgesundheits-bezogenen Lebensqualität gut dokumentiert und auch für den einzelnen Patienten mit seiner Zahnarztpraxis verbunden. Dabei stand bisher die Pathogenese im Vordergrund.

Blick auf die Salutogenese, aber ohne Handlungsanforderungen

In dem Impulspapier wird für die zukünftige Ausrichtung nun auch die Salutogenese genannt. Dieser zukunftsweisende Ansatz wird jedoch in den nachfolgenden Beiträgen weder für die daraus resultierenden Handlungsanforderungen an die berufstätigen Zahnärzte noch für die Ausbildungsausrichtung thematisiert. Dabei liegt bereits in der V. Deutschen Mundgesundheitsstudie aus dem Jahr 2016 mit der Erfassung des Kohärenzsinns (Sense of Coherence – SOC) eine wissenschaftliche Grundlage für die Salutogeneseorientierung und deren Verbesserungspotenziale für das Mundgesundheitsverhalten in der deutschen Bevölkerung vor. Nachfolgend wurden diese Erkenntnisse weder beim Institut Deutscher Zahnärzte (IDZ) noch in der deutschen zahnmedizinischen Forschungslandschaft aufgegriffen und diese Potenziale genutzt. Wichtig für die zukünftige Ausrichtung der Zahnmedizin ist und bleibt, auch aus Sicht der Erwartungshaltung der Patienten, die weitere Verbesserung der Prävention.

Wohin geht die Reise für die Zahnmedizin? Das diskutieren die Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft, Praxis, Professionsforschung und Standespolitik in ihren Beiträgen im Impulspapier „Orale Medizin – Die Zukunft der Zahnmedizin“. Sie laden damit die Zahnärztinnen und Zahnärzte und die Dentalwelt dazu ein, die Thesen zu diskutieren und eigene Impulse einzubringen.

Wir dokumentieren die bei uns und auf den Social-Media-Kanälen des Quintessenz Verlags eingegangenen und für die Veröffentlichung freigegebenen Statements und Beiträge. Diskutieren Sie mit! Welcher Aspekt des Impulspapiers ist für Sie mit Blick auf die Zukunft der Zahnmedizin besonders stark? Welcher Aspekt fehlt Ihnen? Schreiben Sie uns an news@quintessenz.de unter dem Betreff „Impulspapier“. Die Statements  finden Sie in unserem Diskussionsblog.

Problemlagen aus der neuen Approbationsordnung

Der Beitrag aus Sicht der Universität zeigt deutlich, welche Schwierigkeiten und Problemlagen mit der Umsetzung der neuen Approbationsordnung für Zahnärzte verbunden sind. Die ursprüngliche Zielsetzung der Novellierung, mehr medizinisches Orientierung in die zahnmedizinische Ausbildung einzubringen, wird unverändert verfolgt. Wie im Prolog bereits angedeutet und dem Umfang des notwendigen Zuwachses an medizinischer Kompetenzen entsprechend, stellt sich dem Leser langfristig die Frage, wie der Paragraf 1 der Approbationsordnung allein mit einem fünfjährigen Studium erfüllt werden kann. Die bereits in der Vergangenheit diskutierten Themen einer „Pflichtfort- oder -weiterbildung“ nach abgeschlossenem Studium drängen sich auf.

Neue Herausforderungen für die Fort- und Weiterbildung

Die beschriebenen demographischen Veränderungen der Bevölkerung, verbunden mit einer zeitaufwendigen und komplexeren Diagnostik und Therapie stellen zum Beispiel den Verlust oraler Strukturen sehr viel in einen stärkeren medizinischen Zusammenhang und fordern ein umfangreiches medizinisches Wissen. Dabei werden aus Sicht der Wissenschaft zahlreiche weitere Potenziale und Möglichkeiten der Diagnostik medizinischer Erkrankungen in der Zahnmedizin aufgezeigt, die nur mit einer deutlich gewachsenen Wissensbasis bewerkstelligt werden können. Dabei muss auch mit den medizinischen Fachkollegen auf Augenhöhe kommuniziert werden. Gleichzeitig gilt es aber auch zukünftig, die üblichen Behandlungsanlässe in der Zahnmedizin zu erfüllen. Dies nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Erwartungshaltung des Patienten an die zahnmedizinische Versorgung.

Sich dem Für und Wider stellen

In der Medizin gibt es eine strukturierte fachärztliche Weiterbildung über vier Jahre nach dem Studium. Für die orale Medizin reichen fünf Jahre Ausbildung und die natürliche Pflicht zur ständigen Fortbildung? Leider wurde sich diesem Konfliktfeld nicht gestellt.  Ich hätte mir gewünscht, dass dies mit allem seinem Für und Wider thematisiert wird.

Was erwarten die Patienten?

Auch die Patientenerwartungen an eine zukünftige zahnmedizinische Versorgung werden im Impulspapier nicht thematisiert. Es gilt also bei allem berechtigten medizinischem Blick auch die bestehenden Patientenwünsche und -erwartungen an die zahnmedizinische Versorgung unter der Zielstellung zu berücksichtigen.
Die Wissenschaft verweist in ihrem Beitrag auf ein wichtiges Problem der Zusammenarbeit von Medizin und Zahnmedizin im Praxisalltag. Unbedingte Voraussetzung für eine effektive Interaktion ist die grundsätzliche Möglichkeit zur Überweisung von Patientinnen und Patienten zwischen Oralmedizinern und Allgemeinmedizin.

Thema „Orale Medizin“ auch politisch umsetzen

Im gesundheitspolitischen Statement wird diese „Sonderrolle“ der Zahnmedizin und der damit fehlenden Interaktionsmöglichkeiten mit der Medizin nicht thematisiert. Bei den beschriebenen Potentialen der Zahnmedizin ist es zwangsläufig notwendig, über Erweiterungen der vorhandenen Leistungsbeschreibungen insbesondere in der Diagnostik nachzudenken. Auch im Hinblick auf die fachliche Ausbildung birgt die sogenannte vertragszahnärztliche Vorbereitungsassistentenzeit zahlreiche Potenziale, strukturiert die zahnmedizinische und medizinische Kompetenz zu erweitern. Leider fand hierzu keine Reflektion statt.

Sowohl Gesundheitspolitik und Berufspolitik müssen sich bei der Zielstellung zur oralen Medizin der Diskussion stellen, ob die aufgezeigten Grenzen des Zahnheilkundegesetzes neu gezogen werden müssen. Denn bei allen aufgezeigten Potenzialen der Zahnmedizin für die Medizin, hat der Zahnarzt deutliche gesetzliche Grenzen zu beachten.

Hausarzt und Hauszahnarzt

Aus Sicht der Berufspolitik wird zur Lösung einer flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung der Hauszahnarzt präferiert. Aus Sicht des oralen Medizinanspruchs ist eine Gleichstellung mit dem Hausarzt im Sinne der medizinischen Primärversorgung durchaus sinnvoll. Leider geht die Berufspolitik und auch die Professionsforschung auf den deutlichen Trend in der beruflichen Sozialisation der nachwachsenden Zahnärztegeneration nicht ein: Es ist die deutliche Zunahme angestellter Zahnärztinnen und Zahnärzte.

Zu enger Blick auf die Niederlassung

Gerade die beruflichen Sozialisationsentwicklung innerhalb des Berufsstands und die damit einhergehenden Konzentrationsprozesse im städtischen Raum und Ausdünnungseffekte im ländlichen Raum stellen für das Versorgungsgeschehen heute und in Zukunft eine der größten Herausforderungen dar. Dabei wird ausschließlich aus der sogenannten Niederlassungsperspektive argumentiert, ohne Strukturen zu thematisieren, die den Weg zur oralen Medizin zukünftig maßgeblich bestimmen. Bieten nicht auch fachgruppenübergreifende Versorgungsstrukturen gute (vielleicht sogar bessere) Interaktionsmöglichkeiten von Medizin und Zahnmedizin?

Tradierte Vorstellungen hinterfragen, um Wege aufzuzeigen

So geben die Initiatoren des Papiers abschließend Empfehlungen, die in ihren allgemeinen Formulierungen durchaus sinnvoll sind. Um jedoch konkreter zu werden und einen echten Impuls für die Zukunft unseres Fachgebietes zu setzen, bedarf es einer Diskussion weniger aus dem „hier und jetzt“. Vielmehr sollten tradierte Vorstellungen hinterfragt, Tabus nicht ausgeklammert und unter Darstellung der Vor- und Nachteile Positionen erarbeitet werden.

Die Zielsetzung mit dem Begriff der oralen Medizin ist klar umrissen und gut begründet. Der Weg dorthin auch unter dem Aufzeigen von insbesondere soziologischem Forschungsbedarf ist aber auch nach diesem Papier unklar.

Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Reuterstadt Stavenhagen

Prof. Dr. Dietmar Oesterreich
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich
Foto: BZÄK/Lopata
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich (Jahrgang 1956) studierte Zahnmedizin in Rostock und war von 1981 bis 1990 in der Poliklinik für Stomatologie des Kreiskrankenhauses Malchin tätig. Nach der Wiedervereinigung ließ er sich am 1. Februar 1991 in eigener Praxis in Stavenhagen nieder, in der er bis heute als Zahnarzt tätig ist. Schon seit dem 29. April 1990 bis zum Oktober 2021 war er Präsident der neu gegründeten Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, seit November 2000 bis Juni 2021 auch Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer.

Oesterreich befasste und befasst sich intensiv mit soziologischen und gesundheitspolitischen Fragestellungen und Themen der Prävention und Gesundheitskommunikation, unter anderem im Vorstand der Initiative proDente, aber auch wissenschaftlich. Im September 2011 wurde er zum Honorarprofessor an der Universität Greifswald ernannt. Kontakt zum Autor per E-Mail an dr.dietmar.oesterreich@t-online.de.

Weitere Diskussionsbeiträge sind im Beitrag Die Diskussion: Impulspapier „Orale Medizin“ auf Quintessence News zusammengefasst/verlinkt.

Quelle: Quintessence News med.dent.magazin Interdisziplinär Zahnmedizin Politik

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