Mitte November 2022 endet die Amtszeit von Prof. Roland Frankenberger (Uni Marburg) als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). Was hat – neben der Coronapandemie, die den Wissenschaftlichen Kongress des Deutschen Zahnärztetags in Präsenz unmöglich machte – seine dreijährige Amtszeit geprägt? Im Interview mit DGZMK-Pressesprecher Markus Brakel blickt Frankenberger auf die Themen, die seine Amtszeit und ihn bewegt haben. Corona als Hemmschuh, erfreuliche Einigkeit mit der Standespolitik und ein neuer Mitgliederrekord – das sind nur einige Stichworte aus einer bewegten Zeit.
Besonderes Gewicht legte Frankenberger auf die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Zahnmedizin, die in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. mult. Dominik Groß in eine trilaterale Pressekonferenz und ein breites Medienecho mündete. Auch die durch einen notwendigen Verlagswechsel gesicherte Zukunft der Mitgliederzeitschrift DZZ zum Ende seiner Amtszeit war ihm sehr wichtig. Was ihm noch gefiel und in welche Richtung die Zahnmedizin in Zukunft nach seiner Auffassung steuert, das erklärt er im Interview.
Sechs Jahre Vorstandsarbeit und drei davon als Präsident der DGZMK: Unabhängig von der Corona-Pandemie die Frage, wie Ihre persönliche Bilanz ausfällt?
Prof. Dr. Roland Frankenberger: Ich bin nicht unzufrieden. Natürlich denkt man immer, dass da noch mehr möglich gewesen wäre, aber ich habe zumindest alles bewältigt, was ich mir 2019 vorgenommen habe. Man darf ja auch nicht vergessen, dass wir im Vorstand der DGZMK – im Vergleich zu Bundeszahnärztekammer, der BZÄK, und Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung, der KZBV, – Amateure im wahrsten Sinne des Wortes sind, Hobbysportler eben. In den drei Jahren habe ich viel Positives und wenig Negatives erlebt und ich erinnere mich an drei absolute Highlights, die ich nicht missen möchte.
Durch die Pandemie zwar nicht in Vergessenheit geraten, aber retrospektiv zumindest etwas verblasst ist die trilaterale Pressekonferenz von DGZMK, BZÄK und KZBV im November 2019 zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der deutschen Zahnmedizin. Das war für mich so etwas wie der vorgezogene Höhepunkt meiner Präsidentschaft, dass ich nach wenigen Tagen im Amt bereits mit so einer Mammutaufgabe konfrontiert war, flößte mir auch jede Menge Respekt ein. Ich werde die tatkräftige Unterstützung durch Prof. Dominik Groß in diesem Zusammenhang niemals vergessen, der mir bei vielen Formulierungen mit Rat und Tat zur Seite stand. Die mediale Aufmerksamkeit bis ins Ausland unterstrich die Bedeutung dieser längst überfälligen Untersuchung, wir haben es damals ja sogar in die „London Times“ geschafft.
Sehr aufregend war auch der kurzerhand mit heißer Nadel gestrickte „Deutsche Zahnärztetag Online kompakt“ im November 2020, den am Ende mehr als 5.000 Kollegen online anklickten. Wir hatten aus der Not eine Tugend gemacht – und das war am Ende erfolgreich. Ich weiß noch, wie erleichtert ich war, als das dann gut über die Bühne ging, auch technisch.
Ein weiterer Höhepunkt war für mich die trilaterale Podiumsdiskussion im Rahmen der KZBV-Vertreterversammlung Ende 2021, als KZBV, BZÄK und DGZMK erneut gemeinsam auf der Bühne standen und ihre Forderungen an die neue Bundesregierung formulierten. Solche trilateralen Auftritte hatte ich lange vermisst und war daher sehr glücklich, aktiv dabei sein zu dürfen. Ich halte das für extrem wichtig.
Die größten Herausforderungen im Jahr 2022 waren, eine neue Heimat für die Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift (DZZ) zu finden sowie aktiven Widerstand gegen das sogenannte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zu leisten. Die DZZ ist nun in den sicheren Hafen des Quintessenz-Verlags eingelaufen und gegen Lauterbachs Zahnärzte-Deckelungs-Gesetz haben wir genug valide Argumente vorgebracht. Ich habe ihm sogar in einem persönlichen Brief geschrieben, dass es nicht sein kann, dass die Zahnmedizin als stärkstes Präventionsfach in der gesamten Medizin jetzt für die Versäumnisse anderer herhalten soll.
Abschließend bleibt mir als Resümee noch hervorzuheben, dass unsere DGZMK heute über 25.000 Mitglieder zählt, das sind mehr als doppelt so viel wie vor 20 Jahren. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass sehr vielen Kolleginnen und Kollegen bewusst ist, welche Bedeutung die wissenschaftliche Zahnmedizin in Deutschland hat und dass sie das gerne unterstützen. Dafür bedanke ich mich herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen.
Sie haben das Programm für den diesjährigen Online-Kongress am 11. und 12. November 2022, „Kritisch hinterfragt: Ethik – Biologie – Sport“, maßgeblich entworfen und werden ihn auch leiten. Auf welche Vorträge und Referenten freuen Sie sich besonders?
Frankenberger: Es wäre jetzt nicht fair, hier Referenten auszuklammern, denn alle Vortragenden sind klasse. Es ist ja gerade der aktuelle Mix aus brandaktuellen Themen, der dieses Programm so spannend macht. Berufsethik ist immer ein heißes Thema, Zahnmedizin ist per se biologisch und Sportzahnmedizin ist nicht irgendeine Mode, sondern ein klassisches Vorbild gelebter Interdisziplinarität.
Wenn ich einen Vortrag herausheben müsste, dann wäre das die Präsentation von Prof. Stefan Ruhl. Ihm bin ich seit vielen Jahren sehr verbunden, weil es ihm bei Berufungsverfahren von Lehrstühlen sehr lange genauso ging wie mir – wir haben uns beide viel öfter beworben, als uns lieb war, und wir waren beide nach zahllosen Bewerbungsversuchen nahe am Aufgeben. Ich habe auf den praktisch letzten Drücker den Lehrstuhl in Marburg bekommen, worüber ich noch heute sehr glücklich bin. Stefan hat dann den Sprung über den großen Teich gewagt und ist schließlich an der University of Buffalo in Detroit gelandet. Was viele nicht wissen – und er selbst ist viel zu bescheiden, um das zu betonen: Er ist heute der Speichelforscher Nr. 1 in den USA, wenn nicht sogar weltweit – ein ausgewiesener Leuchtturm. Und dankenswerterweise hat er innerhalb einer Stunde zugesagt, sich online bei uns dazu zu schalten.
11./12. November 2022: Deutscher Zahnärztetag – Mein Kongress – 2022: Kritisch hinterfragt: Ethik - Biologie - Sport
Online-Kongress:
Freitag, 11. November 2022, 13 Uhr bis 19 Uhr,
Samstag, 12. November 2022, 9 Uhr bis 16.15 Uhr
Studententag: Samstag, 12. November 2022, 10 Uhr bis 13.15 Uhr
Zukunftskongress Beruf & Familie: Samstag, 12. November 2022, 14 bis 16.55 UhrDer gesamte Kongress, Studententag und Zukunftskongress finden online statt. Weitere Informationen und Anmeldung auf der Kongressseite.
Inwieweit kann die zahnmedizinische Wissenschaft den Praxen im Zusammenhang mit dem geplanten GKV-Finanzstärkungsgesetz, kurz GKV-FinStG helfen? Haben Sie den Eindruck, dass Politik darauf reagiert, und wie bewerten Sie das geplante Vorgehen unabhängig davon?
Frankenberger: Wie ich schon mehrfach betont habe, sind die deutschen Zahlen zum Beispiel in der präventiven Kariologie sensationell. 48 Prozent weniger Füllungen als vor 30 Jahren sind das beste politische Statement, das es gibt – das sollte an Litfaßsäulen hängen oder zumindest in jedem Wartezimmer. Da können wir als DGZMK argumentieren, dass es einfach ein Skandal ist, bei uns so einen anachronistischen Deckel draufzuschrauben, denn die Kostentreiber im Gesundheitswesen sitzen ganz woanders.
Aber dann kramt man wieder die alten Klischees heraus vom Porsche fahrenden Großverdiener, und wieder ist es populistisch kinderleicht, bei uns zu kürzen. Ich denke, die Proteste und Briefe wurden gehört, es wird wohl an mehreren Stellen etwas abgemildert werden, aber das Gesetz wird kommen.
Was halten Sie persönlich vom Wirken der beiden Gesundheitsminister während Ihrer Amtszeit?
Frankenberger: In Bezug auf die Zahnmedizin können wir den beiden nicht ernsthaft ein gutes Zeugnis ausstellen. Die Zahnmedizin ist im Vergleich zur Medizin in allen Belangen noch immer seit Jahrzehnten benachteiligt, das hat Spahn nicht interessiert und Lauterbach hat sich als der Zahnärztebremser entpuppt, den viele schon vorher in ihm vermutet haben.
Generell beneide ich die beiden aber auch nicht um ihren Job, denn wir müssen in der Medizin – ich sage nur Pflegenotstand – gewaltige Probleme lösen. Ich kann jedem nur die Lektüre des Buches „So krank ist das Krankenhaus“ unseres ehemaligen Ärztlichen Direktors Prof. Jochen A. Werner empfehlen.
Letztes Statement zur Politik: Ich habe im Rahmen eines Interviews vor dem letzten Amtsjahr gesagt, dass ich hoffe, die Ampel-Koalition werde in ihrer Arbeit nicht zu sehr ideologisch überblendet agieren – leider ist genau das Gegenteil eingetroffen.
Positionspapier „Perspektive Zahnmedizin 2030“
Mit ihrem Positionspapier „Perspektive Zahnmedizin 2030“ hat die DGZMK einen wichtigen Pflock gesetzt. Wie aber hat sich diese Perspektive in den vergangenen beiden Jahren verändert?
Frankenberger: Die Zahnmedizin hat in den vergangenen beiden Jahren definitiv mehr richtig als falsch gemacht, und wenn wir als DGZMK daran einen Anteil hatten, umso besser. Ich glaube, dass wir die Pandemie nicht zuletzt durch unsere „Living Guideline“ zu aerosolübertragbaren Erregern erfolgreich begleitet haben, ich kann Prof. Bilal Al-Nawas und seinem Team für die turboschnelle Koordination gar nicht genug danken.
Wir haben ja unter anderem auch die Lage an den Universitäten beschrieben und kritisiert, daher war es uns wichtig, gerade auf dem Sektor der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung wieder genug Geld in die Hand zu nehmen, was mit der Schwerpunktförderung und 300.000 Euro auch erfolgreich umgesetzt wurde.
Ein Wort auch zur Lage an den Hochschulen: Wenn Sie Noten für die Situation an den Standorten mit Zahnheilkunde vergeben sollten – natürlich speziell auch für Ihre Universität in Marburg: Wie fielen die aus? Und was hat Corona hier angerichtet?
Frankenberger: Je länger ich an der Universität arbeite – das sind jetzt ja auch schon 56 Semester –, desto klarer wird mir, wie krass die Unterschiede zwischen den Bundesländern in puncto Alimentierung der Zahnkliniken sind. Damit hier kein Missverständnis entsteht: Ich kann von meinem Gehalt die Miete bezahlen und mein Auto tanken, mein W3-Gehalt kann jeder in den Besoldungstabellen des Landes Hessen nachlesen, das ist kein Geheimnis und ich beschwere mich nicht. Aber die an die Zahnkliniken verteilten Budgets variieren dermaßen, dass einem Hören und Sehen vergeht.
Hinzukommt an den meisten Standorten die sogenannte Leistungsorientierte Mittelvergabe, welche die Zahnmedizin systematisch benachteiligt und nichts anderes macht, als uns für Lehre und Forschung eigentlich zustehende Gelder in die Medizin umzuleiten. Auf diesem Wege habe ich in den vergangenen fünf Jahren 22 Prozent meiner Mitarbeiter verloren, und da im wissenschaftlichen Bereich durch das Kapazitätsrecht nicht gekürzt werden darf – wir würden sonst weniger Studierende bekommen –, habe ich ein Drittel meiner ZFA-Stellen abgeben müssen, so dass sich meine wissenschaftlichen Mitarbeiter regelmäßig gegenseitig assistieren müssen.
Was sich viele nicht vorstellen können: Raten Sie mal, wie viel Prozent der Flächen, die mir nach Hochschul-(HIS)-Norm eigentlich zustehen würden, meine Mitarbeiter und ich in unserer Zahnklinik für Forschung und Lehre tatsächlich zur Verfügung haben? Die Antwort lautet 15. Nein, das ist kein Tippfehler, eins-fünf. Und dann schauen Sie mal, was wir trotzdem in Forschung und Lehre leisten.
Ich könnte bezüglich der Schulnoten jetzt plakativ schlechte Zensuren verteilen, aber das wäre unfair, denn die gesamte Universitätsmedizin ist unterfinanziert. Das Umlenken von Geldern in die Medizin ist kein böser Wille, das ist pure Verzweiflung der Fakultäten. Ich rufe daher den Politikern zu: „Wer gute Ausbildung unseres Nachwuchses und ordentliche Forschung haben will, der muss auch Geld dafür in die Hand nehmen. Wer dies nicht tut, riskiert sehenden Auges langfristig eine schlechtere Versorgung unserer Patienten. Und sagen Sie dann bitte nicht, Sie hätten das nicht gewusst.“
Zahnmedizin zwischen Aufbruch und Prüfungsstress
Genau das ist der Grund, warum im Augenblick an vielen Zahnkliniken eine spürbare Aufbruchstimmung herrscht, weil durch die neue Approbationsordnung seit langer Zeit wieder mehr Gelder für den größeren Personal- und Ausbildungsaufwand bereitgestellt werden. In meiner Eigenschaft als Präsidiumsmitglied des Medizinischen Fakultätentags werde ich als Vertreter der Zahnmedizin sehr genau hinschauen, dass die versprochenen Gelder auch wirklich ankommen.
Auch darüber hinaus bleibt für die anstehende nächste Novelle der Approbationsordnung viel zu tun. Der erste Studienabschnitt muss dringend reformiert und an den „Masterplan Medizinstudium“ angepasst werden, und vor allem der grassierende Prüfungswahnsinn muss dringend korrigiert werden. Wenn wir wie momentan vorgesehen durch Z1–Z3 mehr als doppelt so viele Prüfungen leisten müssen, besteht die Gefahr, dass die Semesterferien nur noch von Examina dominiert werden und der positive Aspekt der neuen AOZ, mehr Zeit für Forschung zu haben, eliminiert wird.
Zum Thema Corona an den Universitäten habe ich gemischte Gefühle. Auf der einen Seite ist die überfällige Digitalisierung der Lehre innerhalb weniger Wochen erfolgreich etabliert worden und die Studierenden waren wirklich nie so dankbar wie im Sommer 2020, weil sie spürten, welche Verrenkungen wir veranstalten, um sie trotz Pandemie noch einigermaßen ordentlich auszubilden. Auch die Zusammenarbeit mit Fakultät und Klinikum war wirklich großartig, da fanden nachts noch Videokonferenzen statt und alle zogen an einem Strang.
Auf der anderen Seite ist es aber vollkommen logisch, dass die in dieser Zeit ausgebildeten Studierenden nicht den praktischen Übungsgrad am Patienten haben wie davor. Das Ergebnis durfte ich kürzlich im Staatsexamen „bewundern“, das war schon deutlich holpriger als präpandemischer Standard. Aber das wird sicher auch wieder anders, und von daher bleiben wir mal optimistisch.
Denn: Auch wenn meine Einschätzung der Lage an den Universitäten an der ein oder anderen Stelle kritisch ist, möchte ich nicht vergessen, zu betonen, dass ich meinen Traumberuf gefunden habe und jeden Tag mit Begeisterung in die Klinik gehe. Das heißt aber nicht, dass man Missstände oder negative Trends verschweigen muss.
Freuen auf den großen Gemeinschaftskongress 2025
Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger im Amt, Prof. Jörg Wiltfang aus Kiel?
Frankenberger: Jörg Wiltfang ist ein extrem erfahrener Kollege mit jahrzehntelanger Expertise in der Vorstandsarbeit, er braucht von mir nicht viele Ratschläge. Da wir uns in den drei Jahren stets perfekt abgestimmt haben, weiß ich, dass er die Idee von der Oralen Medizin nicht zuletzt durch seine hervorragende Forschungsreputation noch mehr nach vorne bringen wird, als ich das tun konnte.
Ich wünsche ihm zunächst einen erfolgreichen wissenschaftlichen Kongress der DGZMK in Präsenz im Juni 2023 in Hamburg als Gemeinschaftskongress mit der DGMKG, und dass der durch massiv geschrumpfte Sponsorenzusagen finanziell angeschlagene Deutsche Zahnärztetag wieder zu dem wird, was er einmal war: der ideale Generalistenkongress der deutschen Zahnmedizin.
Nicht zu vergessen ist, dass Prof. Wiltfang ja 2025 mit dem nächsten großen DGZMK-Gemeinschaftskongress aller 43 Fachgesellschaften und Gruppierungen den perfekten Abschiedskongress feiern wird. Es ist kein Geheimnis, dass ich jahrelang aktiv gegen viele Widerstände für diesen Kongress gekämpft habe und mich sehr freue, wenn es dann so weit ist.
Nicht vergessen möchte ich, mich persönlich bei allen Präsidiumsmitgliedern der DGZMK, bei Herrn Hagedorn, bei Ihnen, Herr Brakel, und allen Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle herzlich zu bedanken, die Unterstützung war ganz toll.
Schließen darf ich dieses Interview mit dem ersten Postulat meiner Amtszeit: Es gibt nur eine Zahnmedizin – wenn wir mit einer Stimme sprechen, werden wir erfolgreich in die Zukunft gehen.
Das vollständige Interview mit Prof. Roland Frankenberger erscheint auch im Oktober in der Ausgabe 5/2022 der DZZ.