Biofilme sind enorm widerstandsfähige Ansammlungen von Keimen, die besonders in Krankenhäusern zum Problem werden können. Wie ein einziges großes Lebewesen breiten sie sich auf Wunden aus oder besiedeln Implantate und Medizinprodukte. Biomedizinische Materialien mit neuartigen Oberflächen sollen den Krankheitserregern Einhalt gebieten, so eine Meldung der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa, Schweiz) auf idw online.
Besonders leichtes Spiel haben die Krankenhauskeime, sobald ein Patient mit invasiven medizinischen Maßnahmen behandelt wird: Steckt man Schläuche in den Körper, etwa um ihn zu beatmen, ihm Flüssigkeit zuzuführen oder Urin abzuleiten, fassen die Infektionserreger schnell Fuß. Wie solche Infektionen verhindert werden könnten, ist noch ungeklärt. Ein Team aus Empa-Forschern und Medizinern vom Kantonsspital St. Gallen arbeitet zurzeit an einem Projekt, das das Risiko von Krankenhausinfektionen senken soll.
Biofilm in Harnleiterstents
Der Fokus liegt dabei auf der Analyse von Biofilmen, Ansammlungen von Keimen auf Oberflächen, die sich etwa in Harnkathetern ausbreiten. Will man Materialien konzipieren, die das Entstehen von Biofilmen unterbinden, muss erst geklärt werden, wie es überhaupt zum gefährlichen Keimwachstum kommt.
Die Empa-Forscherin Qun Ren untersuchte gemeinsam mit Krankenhausärzten aus St. Gallen die Rückstände aus Harnleiterschienen (Stents) von knapp 90 Patienten. Die Verwendung eines Stents im Harnleiter ist eine gängige Prozedur, etwa bei der Behandlung von Nierensteinen. „Wird ein derartiger Stent eingesetzt, treten jedoch häufig Beschwerden und Harnwegsinfekte auf“, sagt Ren. So auch bei den untersuchten Patienten: Nach einer vergleichsweise kurzen Verweildauer im Körper von rund drei Wochen hatten sich in den Schläuchen nicht nur Kalziumkristalle aus dem Urin abgelagert, sondern auch Bakterienansammlungen. „Auf der Materialoberfläche hatten sich Biofilme gebildet, aus denen sich Bakterien anzüchten ließen“, so die Forscherin.
Das Wesen im Schlauch
Und genau mit diesen Biofilmen halten die Wissenschaftler das vermutlich erfolgreichste Lebewesen der Welt in Händen: Ansammlungen von Bakterien, eingebettet in eine selbst produzierte schleimige Matrix, die sich wie ein einziger großer Organismus verhält. Und sie waren schon lange vor uns da. Biofilme finden sich bereits in den ältesten bekannten Fossilien unserer Erdgeschichte. Es wundert nicht, dass sie sich seither hartnäckig gehalten haben, denn sie verfügen über erstaunliche Überlebensstrategien. Dank der gelartigen Schicht aus Biopolymeren sind die zusammenlebenden Bakterien geschützt, beweglich und miteinander verbunden. Munter tauschen sie nützliche Erbgutstücke untereinander aus, kommunizieren über chemische Signale und melden an die Oberfläche, wenn die tieferen Schichten der „WG“ Hunger leiden. Antibiotika und Desinfektionsmittel durchdringen den Film kaum, und bei Bedarf senden sie einen Trupp von Pionieren an einen neuen Ort und gründen weitere Kolonien, einem metastasierenden Tumor gleich.
Geschickt wie ein Gecko
Was in der Natur erfolgreich ist, kann für Patienten böse enden. Ziel ist es daher, neue Materialien beispielsweise für Katheter zu entwickeln, um das Risiko von Infektionen zu senken. „Ein Schlüsselereignis bei der Entstehung eines Biofilms ist der Moment, wenn sich frei bewegliche Bakterien auf der Oberfläche anheften“, erklärt Ren. Dabei setzen manche der Mikroorganismen auf denselben Trick wie Geckos, die kopfüber an einer Glasscheibe Halt finden: Sie nutzen Van-der-Waals-Kräfte, Wechselwirkungen zwischen ihren eigenen Molekülen und jenen der Oberfläche, die ihnen ein neues Zuhause bieten soll. Andere Exemplare beschichten die Schläuche mit einem passenden Überzug, was das Niederlassen auf der Oberfläche unterstützt. „Um die Bakterien zu bekämpfen, muss man daher bereits die Anheftung verhindern“, so Ren. Die Empa-Forscher haben daher ein mehrteiliges Labor-Modell entwickelt, die den Bedingungen im Spital so nah wie möglich kommen. Potenzielle Katheter-Kandidaten werden hierbei im Bioreaktor von Flüssigkeiten durchspült, wie es einer echten Harnleiterschiene im Körperinneren widerfährt. Untersuchungen aller vorhandenen Mikroorganismen mittels Konfokalmikroskopie, Bakterienkultur und Erbgutanalyse folgen. Gleichzeitig werden die mit Kalziumkristallen bewachsenen Materialienoberflächen mittels Röntgenanalyse charakterisiert.
Anhand der Proben aus dem Kantonsspital St. Gallen konnte als weitere Grundlage des Modells gezeigt werden, was im Körper mit Kathetern aus herkömmlichen Materialien passiert. Da es sich um Patienten handelte, die vor dem Einsetzen des Stents keine Anzeichen einer Infektion zeigten und den Schlauch lediglich kurz im Körper trugen, waren die gewachsenen Biofilme erwartungsgemäß mild ausgeprägt. Oft treten manche Erregerarten gemeinsam in einer bestimmten Gruppe auf. So wiesen manche Patienten vor allem schädliche Enterobakterien in ihren Proben auf, während andere über Erregerarten wie Milchsäurebakterien verfügten, denen man eine möglicherweise schützende Wirkung zuschreibt. Wie diese Erregergruppen der Patienten mit dem Risiko einer Spitalinfektion zusammenhängen, werden die Forscher nun untersuchen. Ebenfalls wird derzeit eine spezielle Ausstattung von Oberflächen für bestimmte Keimträger diskutiert. Weitere Informationen unter https://www.empa.ch/web/s604/biofilm.