0,00 €
Zum Warenkorb
  • Quintessence Publishing Deutschland
Filter
1111 Views

Biofilme agieren wie ein einziger Organismus – aktuelle Materialforschung versucht, schon die Anheftung von Bakterien zu verhindern

Biofilme sind enorm widerstandsfähige Ansammlungen von Keimen, die besonders in Krankenhäusern zum Problem werden können. Wie ein einziges großes Lebewesen breiten sie sich auf Wunden aus oder besiedeln Implantate und Medizinprodukte. Biomedizinische Materialien mit neuartigen Oberflächen sollen den Krankheitserregern Einhalt gebieten, so eine Meldung der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa, Schweiz) auf idw online.

Besonders leichtes Spiel haben die Krankenhauskeime, sobald ein Patient mit invasiven medizinischen Maßnahmen behandelt wird: Steckt man Schläuche in den Körper, etwa um ihn zu beatmen, ihm Flüssigkeit zuzuführen oder Urin abzuleiten, fassen die Infektionserreger schnell Fuß. Wie solche Infektionen verhindert werden könnten, ist noch ungeklärt. Ein Team aus Empa-Forschern und Medizinern vom Kantonsspital St. Gallen arbeitet zurzeit an einem Projekt, das das Risiko von Krankenhausinfektionen senken soll.

Biofilm in Harnleiterstents

Der Fokus liegt dabei auf der Analyse von Biofilmen, Ansammlungen von Keimen auf Oberflächen, die sich etwa in Harnkathetern ausbreiten. Will man Materialien konzipieren, die das Entstehen von Biofilmen unterbinden, muss erst geklärt werden, wie es überhaupt zum gefährlichen Keimwachstum kommt.

Die Empa-Forscherin Qun Ren untersuchte gemeinsam mit Krankenhausärzten aus St. Gallen die Rückstände aus Harnleiterschienen (Stents) von knapp 90 Patienten. Die Verwendung eines Stents im Harnleiter ist eine gängige Prozedur, etwa bei der Behandlung von Nierensteinen. „Wird ein derartiger Stent eingesetzt, treten jedoch häufig Beschwerden und Harnwegsinfekte auf“, sagt Ren. So auch bei den untersuchten Patienten: Nach einer vergleichsweise kurzen Verweildauer im Körper von rund drei Wochen hatten sich in den Schläuchen nicht nur Kalziumkristalle aus dem Urin abgelagert, sondern auch Bakterienansammlungen. „Auf der Materialoberfläche hatten sich Biofilme gebildet, aus denen sich Bakterien anzüchten ließen“, so die Forscherin.

Das Wesen im Schlauch

Und genau mit diesen Biofilmen halten die Wissenschaftler das vermutlich erfolgreichste Lebewesen der Welt in Händen: Ansammlungen von Bakterien, eingebettet in eine selbst produzierte schleimige Matrix, die sich wie ein einziger großer Organismus verhält. Und sie waren schon lange vor uns da. Biofilme finden sich bereits in den ältesten bekannten Fossilien unserer Erdgeschichte. Es wundert nicht, dass sie sich seither hartnäckig gehalten haben, denn sie verfügen über erstaunliche Überlebensstrategien. Dank der gelartigen Schicht aus Biopolymeren sind die zusammenlebenden Bakterien geschützt, beweglich und miteinander verbunden. Munter tauschen sie nützliche Erbgutstücke untereinander aus, kommunizieren über chemische Signale und melden an die Oberfläche, wenn die tieferen Schichten der „WG“ Hunger leiden. Antibiotika und Desinfektionsmittel durchdringen den Film kaum, und bei Bedarf senden sie einen Trupp von Pionieren an einen neuen Ort und gründen weitere Kolonien, einem metastasierenden Tumor gleich.

Geschickt wie ein Gecko

Was in der Natur erfolgreich ist, kann für Patienten böse enden. Ziel ist es daher, neue Materialien beispielsweise für Katheter zu entwickeln, um das Risiko von Infektionen zu senken. „Ein Schlüsselereignis bei der Entstehung eines Biofilms ist der Moment, wenn sich frei bewegliche Bakterien auf der Oberfläche anheften“, erklärt Ren. Dabei setzen manche der Mikroorganismen auf denselben Trick wie Geckos, die kopfüber an einer Glasscheibe Halt finden: Sie nutzen Van-der-Waals-Kräfte, Wechselwirkungen zwischen ihren eigenen Molekülen und jenen der Oberfläche, die ihnen ein neues Zuhause bieten soll. Andere Exemplare beschichten die Schläuche mit einem passenden Überzug, was das Niederlassen auf der Oberfläche unterstützt. „Um die Bakterien zu bekämpfen, muss man daher bereits die Anheftung verhindern“, so Ren. Die Empa-Forscher haben daher ein mehrteiliges Labor-Modell entwickelt, die den Bedingungen im Spital so nah wie möglich kommen. Potenzielle Katheter-Kandidaten werden hierbei im Bioreaktor von Flüssigkeiten durchspült, wie es einer echten Harnleiterschiene im Körperinneren widerfährt. Untersuchungen aller vorhandenen Mikroorganismen mittels Konfokalmikroskopie, Bakterienkultur und Erbgutanalyse folgen. Gleichzeitig werden die mit Kalziumkristallen bewachsenen Materialienoberflächen mittels Röntgenanalyse charakterisiert.

Anhand der Proben aus dem Kantonsspital St. Gallen konnte als weitere Grundlage des Modells gezeigt werden, was im Körper mit Kathetern aus herkömmlichen Materialien passiert. Da es sich um Patienten handelte, die vor dem Einsetzen des Stents keine Anzeichen einer Infektion zeigten und den Schlauch lediglich kurz im Körper trugen, waren die gewachsenen Biofilme erwartungsgemäß mild ausgeprägt. Oft treten manche Erregerarten gemeinsam in einer bestimmten Gruppe auf. So wiesen manche Patienten vor allem schädliche Enterobakterien in ihren Proben auf, während andere über Erregerarten wie Milchsäurebakterien verfügten, denen man eine möglicherweise schützende Wirkung zuschreibt. Wie diese Erregergruppen der Patienten mit dem Risiko einer Spitalinfektion zusammenhängen, werden die Forscher nun untersuchen. Ebenfalls wird derzeit eine spezielle Ausstattung von Oberflächen für bestimmte Keimträger diskutiert. Weitere Informationen unter https://www.empa.ch/web/s604/biofilm.

Das Titelbild zeigt Ablagerungen auf Kathetern, bestehend aus Kalziumkristallen, Biofilmmaterial mit Bakterien, roten Blutkörperchen und Immunzellen (grüngelb). (kolorierte SEM-Aufnahme, 4.000-fache Vergrößerung). Bild: Empa
Reference: Empa Bunte Welt

AdBlocker active! Please take a moment ...

Our systems reports that you are using an active AdBlocker software, which blocks all page content to be loaded.

Fair is fair: Our industry partners provide a major input to the development of this news site with their advertisements. You will find a clear number of these ads at the homepage and on the single article pages.

Please put www.quintessence-publishing.com on your „adblocker whitelist“ or deactivate your ad blocker software. Thanks.

More news

  
2. Jul 2024

1.000 Tonnen Hilfsgüter für die Ukraine

DIANO sammelt Klinikbedarf fürs Kriegsgebiet – Beitrag zum Wiederaufbau der Gesundheitsversorgung in Planung
2. Jul 2024

Heller Hautkrebs und Sonnenschutz

Die DGP präsentierte zum „Tag des Sonnenschutzes“ am 21. Juni Zahlen, Daten und Fakten aus der Dermatopathologie
28. Jun 2024

Späte Diagnose liegt vor allem an fehlenden Daten

BVMed-Veranstaltung zur Frauengesundheit: Vernetzung stärken und Versorgungsforschung fördern
27. Jun 2024

Beitrag zur Feier für schwer kranke und beeinträchtigte Kinder

Henry Schein Dental hat zum Internationalen Kindertag das Fest „Festa e Fëmijëve“ im Kosovo unterstützt
26. Jun 2024

Stress lass nach! Wie ein Trauma entsteht und wieder geht

Neue Erkenntnisse zur Entstehung und Entwicklung stressbedingter Erkrankungen
26. Jun 2024

Bessere Möglichkeiten für lebenslanges Lernen schaffen

DIE zur „Bildung in Deutschland 2024“: Es besteht weiterhin bildungspolitischer Handlungsbedarf
25. Jun 2024

Kündigung ohne Abmahnung

RA Alexander Bredereck erklärt, warum es auch auf die Dauer der Beschäftigung und das Verhalten ankommt
21. Jun 2024

Kostenfallen im Sommerurlaub vermeiden

Tipps von Stiftung Warentest: Mit diesen Einstellungen, Datenpaketen und Sim-Karten die Handykosten senken