Mit Rebecca Otto aus Jena kandidiert erstmals eine junge Zahnärztin für den Geschäftsführenden Vorstand der Bundeszahnärztekammer. Im Interview mit Quintessence News sprechen Otto und Dr. Juliane von Hoyningen-Huene über diese Kandidatur, das Engagement von Zahnärztinnen in der Standespolitik und die Frage, ob es eigentlich noch reine „Frauenthemen“ gibt oder diese nicht längst Themen des gesamten Berufsstands sind.
Frau Otto, Sie haben Ihren Hut für die Wahl zum Geschäftsführenden Vorstand der Bundeszahnärztekammer in den Ring geworfen – und das nicht nur in den üblichen, eher geschlossenen Kreisen der Standespolitik, sondern öffentlich. Warum haben Sie sich entschieden, an die breite Öffentlichkeit zu gehen?
Rebecca Otto: Dieses Jahr wurde vieles auf den Kopf gestellt – auch die „üblichen geschlossenen Kreise“, die Sie ansprechen. Als Zahnärzte sind wir vor allem für die zahnmedizinische Versorgung der Bevölkerung zuständig. Aber wir müssen uns organisieren. Und dies geschah erstmals nicht in den üblichen Runden, in denen man ansonsten seinen Hut in den Ring wirft. Viele Veranstaltungen und Gelegenheiten zum persönlichen Gespräch waren nicht möglich.
Mir ist es unter diesen Bedingungen wichtig, dass alle Kolleginnen und Kollegen vor der Wahl die Möglichkeit haben, sich in Ruhe mit meiner Person auseinanderzusetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden, ob sie sich von mir vertreten fühlen. Denn dafür stehe ich: Man sollte sich nicht auf Aussagen anderer verlassen müssen. Hinzu kommt, dass ich als Vertreterin einer jungen Generation vielleicht auch einfach neue Kommunikationswege gehe.
Der Geschäftsführende Vorstand der BZÄK funktioniert auch angesichts der vielfältigen und arbeitsintensiven Aufgaben, die er heute wahrnehmen muss, eigentlich nur als Team. Zuletzt war zu hören, dass es bislang zwar diverse einzelne Bewerber, aber eben keine stabilen Teams gibt, die sich zur Wahl stellen wollen. Wie positionieren Sie sich?
Otto: Für die Aufgaben, die vor uns liegen, benötigen wir ein Team mit Erfahrung, aber eben auch mit neuen und modernen Ideen. Nur dadurch gewinnt man die Schlagkraft, die wir als BZÄK brauchen. Im Übrigen vertraue ich auf die Intelligenz und Intuition der Delegierten, die durch ihr Kreuzchen dafür verantwortlich sind, eine starke Dreier-Spitze zusammenzustellen, und ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit im Team!
Mir persönlich ist eine konstruktive Teamarbeit immens wichtig – ich integriere bei der Entwicklung von Positionen und Ideen gern das Wissen und die Meinung meiner Kolleginnen und Kollegen. Moderne Teamarbeit heißt, partizipativ zu arbeiten. Ich bin ansprechbar! Jederzeit!
Die Bundesversammlung der BZÄK ist in ihrer Zusammensetzung ein Spiegel der Kammerversammlungen der Zahnärztekammern und sie tagt nur einmal im Jahr. Das Entscheidungs- und Wahlverhalten der Delegierten ist oft schwer einzuschätzen bis unberechenbar. Mit welchen Argumenten und Ideen wollen Sie die Delegierten überzeugen?
Otto: Ich bin mir sicher, dass viele Delegierte meinem Ansatz des „frischen Winds“ folgen werden. Zu antiquiert wirken doch die Mechanismen der Vergangenheit. Wir laufen Gefahr, den Anschluss an das 21. Jahrhundert zu verlieren.
Ich bin mir sicher, dass es viele überzeugt, dass eine Vertreterin einer jüngeren Generation helfen kann, die BZÄK und damit die Interessen ihrer Mitglieder anschlussfähig für die entsprechenden Stellen der Politik und anderer gesellschaftlicher Akteure des 21. Jahrhunderts zu machen.
Lassen Sie mich hier ein Beispiel nennen: Während der vergangenen Monate haben wir eine doppelte Ungleichbehandlung erfahren. Wir waren nicht systemrelevant und ohne Betreuung unserer Kinder. Wir haben teilweise unter größten Mühen unsere Praxen offengehalten. Dies alles wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Wir haben gespürt, dass tradierte Klischees über die Zahnärzteschaft eine solche Tragkraft haben, dass sie politisch Verantwortliche dazu bewegen, auf deren Grundlage weitreichende und folgenschwere Entscheidungen treffen.
Ziel muss es sein, sich diesen Klischees selbstbewusst und nicht trotzig entgegenzustellen. Ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit ist ein weibliches Mitglied im BZÄK-Vorstand, welches den aktuellen Berufsstand repräsentiert – und auch aus eigener Erfahrung sprechen kann, was es bedeutet, eine Praxis während Pandemiezeiten offen zu halten und gleichzeitig Kinderbetreuung zu leisten, um bei diesem Beispiel zu bleiben. Dadurch wird sich die Außenwirkung der BZÄK verbessern und wir haben die Chance, dass neue Türen sich öffnen.
„Wir wollen fähige Frauen mit Expertise und keine Platzhalterinnen“
Sie sprechen sich gegen eine Quote für Frauen in der Standespolitik aus. Warum?
Otto: Die Abwesenheit von Diversität in Entscheidungspositionen ist ein Wettbewerbsnachteil. Dies ist uns allen bewusst, auch wenn diese Erkenntnis bislang bei der BZÄK nicht dazu geführt hat, dass die Leitungsebene jünger und weiblicher geworden ist. Nur lässt sich das meiner Meinung nach nicht über eine bloße Quote regeln – schließlich gibt es junge Frauen, die motiviert sind, sich einzubringen, die standespolitisch arbeiten wollen. Wir alle haben doch jenseits des Alters und des Geschlechts ähnliche Interessen: Ich bin klar für den klaren Erhalt einer starken Selbstverwaltung und möchte die Regulation durch die Politik für uns Kollegen so gering wie möglich halten. Wir sind doch die besten Experten dafür, wie Gesundheitsvorsorge funktioniert!
Die Zahnärzteschaft hat durch den Zusammenhalt während der Coronakrise es ohne Rettungsschirm geschafft, und ich glaube daran, dass wir es als Kollegenschaft auch ohne Quote schaffen. Weil es die Frauen gibt, die bereit sind, sich standespolitisch zu engagieren, ich bin hier sicher ein Beispiel. Wir wollen fähige Frauen mit Expertise und keine Platzhalterinnen.
Mit dieser Unberechenbarkeit der BV haben gerade politisch engagierte Frauen und die gesamte junge Zahnärztegeneration 2018 ihre Erfahrungen machen müssen – die vom BZÄK-Vorstand eingebrachten Anträge zur Förderung von Frauen und jungen Kolleginnen und Kollegen in der Standespolitik wurden abgeschmettert, heraus kam ein allgemeiner Appell, sich mehr zu engagieren. Das scheint für viele berufspolitisch interessierte und engagierte Zahnärztinnen ein wichtiges Signal gewesen zu sein, jetzt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen – seitdem kandidieren in immer mehr Kammern reine Frauenlisten, Sie selbst kandidieren mit einer Frauenliste in Berlin. Wie sind die Erfahrungen, wie Ihre Erwartungen?
Dr. Juliane von Hoyningen-Huene: Ob jetzt mehr Zahnärztinnen die Dinge selbst in die Hand nehmen, bezweifle ich eher, nur sind sicher die schon Aktiven mutiger geworden. Mich hat diese Bundesversammlung vor zwei Jahren erst zornig gemacht, dann kampfeslustig, vielleicht geht es da anderen ähnlich. Dies war ein Signal, dass man nicht warten kann, bis sich von allein etwas ändert.
Ich persönlich bin in „klassischen“ Verbandsstrukturen nach vielen Jahren an meine Grenzen geraten. Früher habe ich geglaubt, dass wenn ich mit 29 in den Vorstand einer Zahnärztekammer gewählt werden kann, jede andere das auch schafft. Jetzt, nach fast zehn Jahren, bin ich da etwas ernüchtert: Oft steht nur „Frauenförderung“ drauf, sie wird aber nicht wirklich gelebt. Sitzungstermine an Montagabenden, wenn man morgens um acht in der Praxis sein muss, vorher noch ein Kleinkind im Kindergarten abgegeben haben muss etc. – das schafft man eine Weile, aber das System ist auch sehr fragil, da muss nur mal der Babysitter abspringen oder das Kind krank werden.
„Politik muss jungen Kolleginnen Spaß machen, sonst bleiben sie nicht dabei“
Politik muss jungen Kolleginnen Spaß machen, sonst bleiben sie nicht dabei. Also muss man alternative Sitzungskonzepte finden. Wir in Berlin sind nun als eine Gruppe von ganz unterschiedlichen Kolleginnen zusammen auf einer Liste, weil wir alle etwas verändern möchten. Das ist unser Antrieb.
Ich erwarte, dass wir mit unseren Listen nicht nur selbst erfolgreich sind, in dem wir Frauen fördern, sondern dass wir auch andere Verbände indirekt auffordern, sich mehr für die Zahnärztinnen in der Standespolitik zu engagieren. Damit erreichen wir also indirekt auch etwas.
Sie sind seit einem Jahr Präsidentin des Weltzahnärztinnenverbands WDW und stehen im engen Austausch mit Kolleginnen in aller Welt. Welche Erfahrungen mit der Beteiligung von Frauen in der Berufspolitik machen Sie dort? Wie steht Deutschland im Vergleich da?
von Hoyningen-Huene: Generell ist es in Ländern leichter, in denen der Frauenanteil in der Zahnärzteschaft sehr viel höher ist. In Estland beispielsweise ist das gar kein Thema, dort sind völlig selbstverständlich die entscheidenden Positionen mit Zahnärztinnen besetzt. In Ländern, die mit Deutschland vergleichbar sind, ist es ähnlich wie hier.
Es fehlen aber sicher überall noch mehr Vorbilder und auch Förderer und Förderinnen. Frauen haben oft nicht so viel Zeit, sich zu vernetzen, und damit weniger die Möglichkeit, in Kontakt mit anderen aktiven Zahnärztinnen zu kommen. Bei Women Dentists Worldwide haben wir daher im vergangenen Jahr verstärkt an der Vernetzung gearbeitet, haben unsere Social Media Auftritte ausgebaut und dort schon viele Kolleginnen aus unterschiedlichen Bereichen als Vorbilder veröffentlicht.
Dafür wird auch unsere geplanter Online-Kongress vom 27. bis 29. November 2020 genutzt. Diesen organisieren wir gemeinsam mit den Initiativen Women in Dentistry aus Kanada und den Leading Ladies in Dentistry. Wir widmen uns am ersten Adventssonntag ausschließlich dem Thema Leadership und haben Referentinnen aus allen Kontinenten gebeten, zu referieren. Ich selbst kann dann bei meinem Vortrag hoffentlich schon ein paar Ergebnisse unserer jetzt startenden Studie zur Lage von Zahnärztinnen weltweit etwas sagen.
Wenn Frauen für berufspolitische Ämter kandidieren, werden sie gerne auf „Frauenthemen“ reduziert und damit auch indirekt diskreditiert. Ärgert Sie das?
Otto: Wenn Sie unter Frauenthemen verstehen, dass sich die BZÄK damit beschäftigen muss, wie man den Zahnarztberuf mit dem Thema Kinderkriegen und Familienplanung unter einen Hut bringen muss, oder wenn Sie es als Frauenthema definieren, wenn es darum geht, wie man als junge Zahnärztin die finanziellen und persönlichen Aspekte beim Kauf einer Praxis mit seinen Ressourcen und Vorstellungen unter einen Hut bringt, dann widme ich mich sehr gern Frauenthemen.
Ich denke, dass solche Fragen und Themen den Kern dessen berühren, was allen – jungen Zahnärztinnen und Zahnärzten gleichermaßen – am Herzen liegt. Es wird Zeit, dass solche Themen durch jemanden im Vorstand vertreten werden, der sich unmittelbar damit identifizieren kann, und nicht länger von der Expertise derer, die ähnliche Entscheidung nie in ihrem Leben treffen mussten. Was natürlich nicht heißt, dass ich ausschließlich für diese Themen stehe.
von Hoyningen-Huene: Meiner Meinung macht die jüngere Generation Standespolitik nur gerne, wenn man einen tieferen Sinn daran sieht und dabei noch Spaß hat. Ich mag das Wort Work-Life-Balance nicht so gerne, denn wenn ich gerne arbeite, ist Standespolitik auch nicht nur Arbeit, sondern ein Lebenssinn. Nicht nur Zahnärztinnen möchten eine gute Zeit mit den Familien haben und dies mit Gremienarbeit verbinden. Das wird immer gerne als Frauenthema gesehen, ist es aber nicht. Mich ärgert eigentlich nur, wenn immer gesagt wird, es gebe keine Frauen, die sich engagieren möchten, aber an den Rahmenbedingungen wird nicht gefeilt
„Es gibt nicht länger die typischen Frauenthemen“
Gibt es überhaupt noch so etwas wie Frauenthemen? Oder sind die früher so bezeichneten Themen angesichts des steigenden Frauenanteils im Berufsstand nicht längst existenzielle Bereiche der Berufsausübung – ebenso wie zum Beispiel eine Weiterbildungsordnung oder die GOZ?
Otto: Ja, es gibt nicht länger die typischen Frauenthemen, die sich von den Männerthemen – was immer das sein soll – unterscheiden. Wir sitzen alle im selben Boot. Deshalb bin ich gegen Quoten. Und deshalb möchte ich mich vor allem als Vertreterin der Interessen der Jüngeren verstanden wissen. Denn die Zukunft liegt in den Händen der Jüngeren. Natürlich nicht, ohne die Weisheit und Kompetenz der Älteren zu schätzen und einzubringen und so das Bewährte in die Zukunft zu übertragen.
von Hoyningen-Huene: Das sehe ich ähnlich, wobei wir beim Verband natürlich auch immer mit dem Thema des Beschäftigungsverbotes konfrontiert werden. Dies wird oft als unfair gegenüber niedergelassenen Zahnärztinnen gesehen, und wir versuchen die aktuelle Rechtslage klar zu machen und aktiv in Gremien die Zukunft dahingehend zu gestalten.
Aber natürlich betrifft dieser Themenbereich Praxisinhaberinnen wie Praxisinhaber ebenfalls und in gleichem Maße. Das Thema Anstellung ist beispielsweise auch kein klassisches Zahnärztinnenthema, auch wenn dies oft so wahrgenommen wird.
Mehr zur Kandidatur von Rebecca Otto und zur Bundesversammlung der BZÄK hier: BZÄK-Vorstand: „Jünger, weiblicher, regional ausgewogen“