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Zuckerreduktion mit positiven Wirkungen auf Mund- und Allgemeingesundheit – DGZMK veranstaltet virtuelle Pressekonferenz zum Thema Ernährung unter medizinischen und zahnmedizinischen Aspekten

(c) Screenshot: Quintessence News

„Mit diesem Thema sind Sie absolute Avantgarde“. Das konstatierte der Hamburger Diabetologe und „Ernährungsdoc“ Dr. Matthias Riedl zum Thema „Ernährungszahnmedizin“ auf der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) am 30. Juni 2022. Das gemeinsame Ziel: Den Zuckerkonsum bei den Patientinnen und Patienten reduzieren.

„Mit der Ernährungsberatung bewegen wir uns sozusagen in unserem Wohnzimmer“, machte DGZMK-Präsident Prof. Dr. Roland Frankenberger in seinem Eingangsstatement die Bedeutung des Themas für die Zahnärzte und das zahnmedizinische Fachpersonal deutlich. „Wir können die Folgen von Fehlernährung im Mund oft sehr früh erkennen“, erklärte er. Das Thema Ernährung sei ein wichtiger Baustein in der Weiterentwicklung der Zahnmedizin zur oralen Medizin. Die Zahnärzteschaft habe sich mit den „Mundgesundheitszielen für Deutschland bis zum Jahr 2030“ dazu entsprechend positioniert.

Trotzdem kommt es noch nicht so häufig vor, dass Medizin und Zahnmedizin am selben Strang ziehen. Aber beim Thema Ernährung liegen die Gemeinsamkeiten wissenschaftsbasiert auf der Hand. Denn ernährungsassoziierte Erkrankungen sind mittlerweile so verbreitet, dass sie die Hauptursache aller Todesfälle weltweit darstellen. Auch den Mundraum verschonen sie nicht. Und das ist keineswegs trivial, denn eine entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparats etwa hat erwiesenermaßen weitere direkte Auswirkungen auf die systemische Erkrankung Diabetes Mellitus. Inzwischen werden über ein Drittel aller Kosten im Gesundheitssystem durch nichtübertragbare Erkrankungen (englisch non-communicable diseases, NCDs) verursacht. Als einen Grund für diese Probleme haben Medizin und Zahnmedizin in der Ursachenforschung den wachsenden Zuckeranteil in unserer Nahrung ausgemacht.

Ernährung für Mundraum wie Gesamtorganismus gleichermaßen wichtig

„Ernährung spielt für den gesunden Mundraum eine ebenso entscheidende Rolle, wie sie es auch für den intakten Gesamtorganismus tut“, führte Frankenberger aus. „Zucker stellt dabei zweifelsfrei den klassischen ‚Common Risk Factor‘ dar, der Zahnmedizin und Medizin vereint wie kein zweiter Stoff. Das Paradebeispiel ist dabei der Einfluss von Zucker auf die Kariesentstehung.“

Frankenberger: „Ohne Zucker keine Karies – so einfach ist das!“ Auch mit Zucker wäre Karies kein Problem, wenn alle Menschen im Rahmen der häuslichen Mundhygiene ihre Zähne zu 100 Prozent sauberputzten. Ohne bakteriellen Biofilm könne keine Karies entstehen, weil immer Zucker und Bakterien vorhanden sein müssten. „Das Problem ist: 100 Prozent saubere Zähne sind eine Illusion, und daher ist ein vernünftiger Umgang mit zuckerhaltiger Ernährung aus kariologischer Sicht extrem wichtig“, machte der DGZMK-Präsident deutlich.

Zuckerkonsum sorgt für dramatische Zahlen

Dr. Matthias Riedl
Dr. Matthias Riedl
Foto: Riedl
„Der stetig steigende Zuckeranteil in der Ernährung ist einer der wichtigsten Gründe für diese dramatischen Zahlen. Zucker wird heute als dosisabhängiges Gift betrachtet“, erklärte dort der Ernährungsmediziner und Diabetologe Dr. Matthias Riedl (Hamburg). „Die Vielzahl an gesundheitlichen Folgen eines hohen Zuckerkonsums erstreckt sich in ein erhöhtes Entzündungspotential von Zahn, Zahnfleisch, Gelenken, der Haut und anderer Organe. Desweiteren wird das Immunsystem geschwächt und die Infektanfälligkeit erhöht sich. Magen- und Darmbeschwerden werden gefördert. Die Darmflora leidet unter hohem Zuckerkonsum. Sogar Schlafprobleme können auftreten.“

Zu den bekanntesten gesundheitlichen Risiken gehöre Diabetes Mellitus Typ 2. Es werde vermutet, dass schon 2040 etwa 12,3 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt sein werden, wenn sich der Zuckerkonsum nicht verringere. Beschleunigte Arterienverkalkung mit hoher Infarktgefahr sei eine der wichtigsten Folgen des Diabetes mellitus. Riedl nannte dabei erschreckende Zahlen: „Rund 70 Prozent der 60.000 Amputationen in Deutschland werden bei Menschen mit Diabetes durchgeführt.“

Es gibt keinen „gesunden“ Zucker

Dabei könne man nicht zwischen „gesunden“ und „ungesunden“ Zuckerarten unterscheiden – auch Fruktose oder Honig seien Zucker und wirkten sich auf den Organismus aus. Riedl verwies auf eine steigende Zahl von nicht-alkoholischen Fettleber-Erkrankungen in den USA, die vor allem durch Fruktose begünstigt werden, sowie einen Anstieg von Darmkrebs bei jungen Männern unter 30, wie er zum Beispiel in Dänemark beobachtet wird. Ein Grund dafür sei der steigende Konsum von zuckerhaltigen Softdrinks oder Säften. Dabei komme es nicht zwingend auf das Körpergewicht an – auch schlanke Menschen mit einen hohen Zuckerkonsum seien gefährdet, bestätigte Riedl auf Nachfrage.

Zuckeraustauschstoffe keine gute Alternative

Alles, was auf „-ose“ ende, sei bei den Zutatenlisten von Lebensmitteln kritisch zu betrachten, den dahinter stecke Zucker. Zuckeraustauschstoffe seien keine gute Alternative, da sie die – aus der Menschheitsgeschichte vorbestimmte – Vorliebe für „süß“ beförderten und sich negativ auf die für die Gesundheit so wichtige Darmflora auswirke. Dies sei bisher noch zu wenig untersucht worden. Für die Darmgesundheit sei eine ballaststoffreiche Ernährung mit viel Gemüse und faserreichen Lebensmitteln wichtig. Eine geschwächte Darmflora führe zu einer schwächeren Infektabwehr.

Neue Obstsorten enthalten mehr Fruchtzucker

Auch hochgezüchtete Obstsorten, vor allem Bananen, enthielten heute viel mehr Fruchtzucker als früher. Das sei bei der Empfehlung für mehr Obst zu berücksichtigen. Beerenobst, aber auch ältere Apfelsorten, enthielten weniger Fruchtzucker und seien daher eher zu empfehlen.

Von Prof. Dr. Johan Wölber, Freiburg, und PD Dr. Christian Tennert, Bern, liegt nun auch ein aktuelles Buch zum Thema vor: „Ernährungszahnmedizin“ erschien im Juni 2022. Aus Sicht der Autoren sind die meisten oralen Erkrankungen Folge einer Fehlernährung und somit Warnsignal für spätere sogenannte nichtübertragbare Erkrankungen. Hier liegt das große präventive Potenzial der Ernährungsberatung in der Zahnarztpraxis: Zahnärztliche Teams können Patientinnen und Patienten zu besserer Mundgesundheit und damit gleichzeitig auch besserer Allgemeingesundheit verhelfen. Dieses Buch bringt das komplexe Wissen der beiden faszinierenden Disziplinen Zahnmedizin und Ernährungsmedizin zusammen und widmet sich intensiv den Aus- und Wechselwirkungen der Ernährung auf die Mundgesundheit.

Im Video stellt Wölber das Thema und das Buch selbst vor. Bestellung direkt im Quintessenz-Shop.

Gebisse vor der Jungsteinzeit weisen kaum Karies auf

Aber nicht nur für die Gesamtgesundheit und Karies ist Zucker ein Problem, er begünstigt auch Entzündungen. Prof. Dr. Johan Peter Wölber (Uni Freiburg) blickte zunächst in die Geschichte des Zuckerkonsums. Die Warnung vor dem hohen Konsum der problematischen Substanz hat heute schon deshalb ihre Relevanz, weil der Zuckerkonsum von unter einem Kilogramm pro Kopf pro Jahr vor dem Jahr 1800 im Rahmen der Industrialisierung auf mehr als 30 Kilogramm pro Kopf pro Jahr regelrecht explodiert ist. Mit verheerenden Folgen. „Während archäologische Funde von Gebissen vor dem Neolithikum und Gebisse von wildlebenden Tieren kaum Karies aufweisen, zeigen moderne Bevölkerungen in Industrienationen erheblich erhöhte Prävalenzen an Karies.“ Die Plaque-Pathogenität habe mit der Verarbeitung der Lebensmittel zugenommen, gerade die heute vielfach konsumierten hoch verarbeiteten Lebensmittel seien schwierig.

Zuckerkonsum trägt zu Gingivitis bei

„Neuere Studien und Reviews Untersuchungen zeigen, dass der Zuckerkonsum auch zur Entstehung einer Gingivitis beiträgt und mit mehr Parodontitis assoziiert ist“, erläuterte Wölber. Neuere Interventionsstudien, die eine Zuckervermeidung der Probandinnen und Probanden beinhalteten, konnten sogar trotz gleichbleibender oder vermehrter Plaquebildung eine zum Teil deutliche Reduktion (bis zu 49 Prozent) der Gingivitis zeigen.

Zucker fördere nicht nur die Bildung von Plaque an Zähnen und Implantaten, er werde dort zu proentzündlichen Stoffen verstoffwechselt. Auf systemischer Ebene könne er über Blutzuckerspitzen, Insulin, Endothelentzündungen und assoziierte Erkrankungen wie Übergewichts die Gingivitis fördern. Daher sei es wichtig, bei Patienten mit Gingivitis und Parodontitis auch die Ernährung zu beachten und sie zu beraten, hin zu einer Verhaltensänderung mit einem reduzierten Zuckerkonsum. Zu hoher Zuckerkonsum und damit erhöhte Plaquebildung sei dabei nicht nur für natürliche Zähne, sondern auch für Implantate ein Problem.

Ernährungsberatung nicht honoriert

Allerdings werde diese Ernährungsberatung derzeit in den Vergütungssystemen als zahnärztliche Leistung nicht ausreichend abgebildet. Wölber empfahl aus seiner Praxis, das Thema bei den Patienten immer wieder in der Form kurzer Interventionen anzubringen. „Motivational Interviewing“ habe sich hier als Technik bewährt, bekräftigte auch Riedl. Unterstützen könne auch ein App wie die von ihm entwickelte  myFoodDoctor-App, mit der die Patienten ihr Ernährungsverhalten tracken können und die bei der Ernährungsumstellung unterstützt.

Gesundheitspolitik in Sachen Zuckervermeidung gefordert

Das gemeinsame Ziel laute daher: Den Zuckerkonsum deutlich drosseln. Die Quintessenz der Wissenschaftler: Die Gesundheitspolitik ist in Sachen Zuckervermeidung dringend gefordert, etwa im Sinne der Verhältnisprävention. Konkret wurden Werbeverbote, Zuckersteuer, verminderte Präsentation und bessere Kennzeichnung in Supermärkten genannt. Angesichts der großen wissenschaftlichen Evidenz zu den krankmachenden Folgen hohen Zuckerkonsums sei der Gesetzgeber hier in seiner Fürsorgepflicht gefordert.

Dr. Marion Marschall, Berlin

(mit Material der DGZMK)


 

 

Reference: Interdisziplinär Parodontologie Prävention und Prophylaxe Patientenkommunikation Team Politik

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