0,00 €
Zum Warenkorb
  • Quintessence Publishing Deutschland
Filter
10349 Views

Eine genetische Grundlage für extraorale Halitosis

In einem speziellen Fall von extraoraler Halitosis dauerte es rund 20 Jahre, bis die Ursache endgültig geklärt war. Die Aufklärung dauerte so lange, da sie mit der Entdeckung einer neuen Krankheit und eines neuen menschlichen Proteins verbunden war. Jörn Oliver Sass, Professor für Bioanalytik und Biochemie an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, forschte mit 20 Kollegen aus 15 wissenschaftlichen Einrichtungen an dem Fall. Damals kam eine türkische Familie zu Prof. Karl Otfried Schwab, dem ärztlichen Leiter der Stoffwechselambulanz der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Freiburg (ZKJ) mit dem Problem, dass zwei ihrer Kinder einen unangenehmen kohlartigen Körpergeruch verbunden mit Halitosis aufwiesen.

Schwefelhaltige Stoffwechselprodukte in Atem, Urin und Blut

In dieser Familie wurden zunächst bekannte Stoffwechseldefekte ausgeschlossen, die für diesen Körpergeruch hätten verantwortlich sein können. Dr. Willy Lehnert, Leiter des ZKJ-Stoffwechsellabors, entdeckte die organische Säure Dimethylsulfon im Urin der Kinder. Ab 2003 übersandten Sass als Nachfolger von Lehnert und Karl Otfried Schwab Ausatemluft, Urin- und Blutproben ins Labor in Nijmegen. Die niederländischen Kollegen machten Methanthiol und Dimethylsulfid für den fauligen Kohlgeruch verantwortlich. Offensichtlich können diese Stoffwechselprodukte bei betroffenen Patienten nicht normal abgebaut werden und stauen sich im Körper an. Gelangen die Schwefelkomponenten in Lunge oder Niere, werden sie über die Atemluft oder den Harn ausgeschieden. Die Ursache dieses Abbaudefekts war damals unbekannt, so dass die Aufklärung dieses Krankheitsbildes nicht voranschritt.

Suche nach dem Unbekannten

Über den ZKJ-Neuropädiater Prof. Heymut Omran (heute Uni Münster) wurden in der türkischen Familie Linkage-Untersuchungen veranlasst, um den chromosomalen Abschnitt einzugrenzen, auf dem die vermutlich homozygoten Mutationen zu erwarten waren. Zunächst ließen sich dort keine bekannten menschlichen Proteine identifizieren, die eine Hemmung des Abbaus von Methanthiol hätten erklären können, allerdings war zu jener Zeit die molekulare Grundlage dieses Kohlgeruchs noch nicht einmal in Bakterien identifiziert. Wieder stockte die Aufklärung der Krankheit für Jahre.

Hilfe durch Erkenntnisse aus der Mikrobiologie

Prof. Dr. Huub Op den Camp aus Nijmegen, Mikrobiologe und Spezialist für Schwefelkonversion in Bakterien, hatte kurz zuvor ein Protein in dem Bakterium Hyphomicrobium beschrieben, das Methanthiol metabolisieren kann, eine Methanthiol-Oxidase. Die Forscher untersuchten nun, ob die Genabschnitte, die für das Protein in Bakterien kodieren, auch beim Menschen vorhanden waren. Das bakterielle Gen korrespondierte am engsten mit SELENBP1, einem menschlichen Selen-bindenden Protein. Die Funktion dieses Proteins beim Menschen war noch unbekannt, in der Literatur wurde eine Rolle bei der Tumorsuppression beschrieben. Die Hypothese war naheliegend, dass ein Fehlen dieses Proteins den fauligen Körpergeruch bei betroffenen Patienten erklären könnte.

Diagnose nach 20 Jahren

In zwei Familien aus den Niederlanden und Portugal wurde bei einigen Mitgliedern ein vergleichbarer Geruch identifiziert, es konnten homozygote oder compound-heterozygote Mutationen in den Genabschnitten festgestellt werden, die für SELENBP1 kodieren und zu verminderter Methanthiol-Oxidase-Aktivität führen. Darüber hinaus ließen sich signifikant verminderte Mengen dieses Proteins in Hautzellen betroffener Patienten und in Mäusen nachweisen, bei denen man das Selenbp1-Gen ausgeschaltet hatte.

Diese Ergebnisse führten zu der Erkenntnis, dass SELENBP1 eine Methanthiol-Oxidase ist und Mutationen dieses Gens das Krankheitsbild der extraoralen Halitosis (Atemgeruch, der nicht im Mund entsteht) verursachen kann. Diese Mutation ist wahrscheinlich häufiger anzutreffen, die Heterozygotenfrequenz beträgt 1:90.000. Allerdings scheint die Symptomatik der Krankheit sehr variabel, viele Betroffene werden ihren Geruch möglicherweise nicht bemerken. Prinzipiell ist die Krankheit nicht heilbar, unter Umständen durch diätetische Maßnahmen beeinflussbar.

Somit gelang es nach 20 Jahren und einigen Umwegen, den kausalen Hintergrund des Krankheitsbilds der türkischen Familie aufzudecken. Die Ergebnisse wurden online im Dezember 2017 in „Nature Genetics“ veröffentlicht, Volltext des Papers unter http://rdcu.be/CoxF.

Bild: Shutterstock, Kleber Cordeiro

 

 

Reference: Hochschule Bonn-Rhein-Sieg/Quintessenz News Interdisziplinär Team

AdBlocker active! Please take a moment ...

Our systems reports that you are using an active AdBlocker software, which blocks all page content to be loaded.

Fair is fair: Our industry partners provide a major input to the development of this news site with their advertisements. You will find a clear number of these ads at the homepage and on the single article pages.

Please put www.quintessence-publishing.com on your „adblocker whitelist“ or deactivate your ad blocker software. Thanks.

More news

  
Auf einem hellgrünen Untergrund liegen oberhalb zwei gelbe Handeln, ein Schale mit geschnittenen Tomaten, Gurken und Salatblättern, ein Apfel und eine dunkelgrüne Trinkflasche mit zwei Scheiben Zitrone. In der unteren Hälfte liegen zwei weiße Sportschuhe, ein Zentimetermaß, ein Müsliriegel und eine Sporthose.
8. Aug 2025

Nur ein Drittel ernährt sich gesund – Sitzzeiten sind gestiegen

DKV-Report 2025: Nur 2 Prozent der deutschen Bevölkerung leben rundum gesund
Prof. Dr. Dr. Stefan Listl hält lächelnd seine gerahmte Urkunde in die Kamera. Er steht draußen, hinter ihm ist eine Gebäudewand und hohes Gras zu sehen, rechts neben ihm ein unscharfer Strauch oder Baum.
6. Aug 2025

IADR ehrt Prof. Dr. Dr. Stefan Listl

Internationaler Forschungspreis der Zahnmedizin geht ans Heidelberg Institute of Global Health
Säugling, dem ein Speichelfaden aus dem Mund läuft
4. Aug 2025

Spucke: Saft mit Superkraft

Tag der Zahngesundheit (TdZ) widmet sich der Bedeutung von Speichel
Die Grafik zeigt von links die digitale Rekonstruktion eines echten Zahns, den Zahn im Querschnitt und Wurzelkanäle mit Pulpa.
4. Aug 2025

Ein 3D-gedruckter Zahn, der alles kann

UK Würzburg setzt neue Maßstäbe in der zahnärztlichen Lehre – praxisnah, wissenschaftlich fundiert und zukunftsorientiert
Klinisches Bild zeigt die Anwendung eines Pulverstrahlgeräts zur Reinigung von Unterkieferzähnen mit einem blauen Zahnfleischschutz auf der rechten Bildhälfte.
4. Aug 2025

Zähne retten und erhalten

Quintessenz Zahnmedizin 7-8/2025 bietet Beiträge aus Zahnerhaltung, KFO – und ein „bewegtes Repetitorium“
Von links stehen Laudator Prof. Dr. Christian Hirsch, Dr. Anna Maria Schmidt, PD Dr. Nelly Schulz-Weidner für die Preisträgerin und Prof. Dr. Katrin Bekes im ehemaligen Plenarsaal des Bundestag in Bonn, wo die DGKiZ getagt hat..
31. Jul 2025

Neue Möglichkeiten mit Intraoralscannern in der Kinderzahnheilkunde

Dr. Eva May Schraml von der MKG-Chirurgie Gießen erhält Elmex-DGKiZ-Präventionspreis 2025
Prof. Dr. Bernd Haller steht an einem Rednerpult mit Mikrofon auf einer Bühne und spricht.
31. Jul 2025

Patientenzentrierte Zahnmedizin in digitalen Zeiten

60. Bodenseetagung der BZK Tübingen Mitte September in Lindau
Werbung für ein Tattoo-Studio an einem Verkaufsstand mit Wellblechdach in einer belebten Straße. Es ist Abend und an dem Verkaufsstand sind Schmuck und Textilien zu sehen, es leuchten mehrere Glühbirnen an dem Verkaufsstand, da die Umgebung dunkel ist.
31. Jul 2025

„Wir müssen endlich offen und sachlich über Virushepatitis sprechen“

Deutsche Leberstiftung: „Lass uns Klartext reden“ – weltweit etwa 3.500 Todesfällen pro Tag