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Empfehlungen für die endodontische Versorgung von Patienten unter antiresorptiver und antiangiogenetischer Therapie


Dr. med. dent. Christian Diegritz

Seit der Erstbeschreibung einer medikamentenassoziierten Kiefernekrose im Jahr 2003 rückt diese schwerwiegende Komplikation zunehmend in den zahnärztlichen Fokus. Die Endodontie nimmt hierbei eine wichtige Rolle hinsichtlich der Sanierung von Patienten vor und deren Versorgung während einer antiresorptiven Therapie ein. Der Beitrag von Dr. Christian Diegritz aus der Quintessenz 6/2017 bietet ein Überblick über den Stand der medikamentenassoziierten Kiefernekrosen („medication related osteonecrosis of the jaw“, MRONJ) und gibt Handlungsempfehlungen für die endodontische Versorgung von Patienten unter antiresorptiver und antiangiogenetischer Therapie [Quintessenz 2017;68(6):631–641].

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Einleitung

Eine medikamentenassoziierte Kiefernekrose („medication-related osteonecrosis of the jaw“, MRONJ) ist eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation bei Patienten mit Osteoporose, multiplem Myelom oder ossär metastasierenden Tumoren. Die Erstbeschreibung erfolgte im Jahr 2003 durch Marx34. Zu Beginn waren überwiegend Patienten unter intravenöser Bisphosphonatgabe mit Pamidronat oder Zolendronat betroffen. Da jedoch bereits 2004 in seltenen Fällen Osteonekrosen nach oraler Bisphosphonateinnahme beobachtet wurden34,46, sprach man fortan vom Krankheitsbild der bisphosphonatassoziierten Kiefernekrose („bisphosphonate-related osteonecrosis of the jaw“, BRONJ)8.

Seit Kurzem werden in der Literatur zunehmend Kiefernekrosen nach Einnahme von sogenannten RANKL-Inhibitoren, Angiogenesehemmern und mTOR-Inhibitoren beschrieben, so dass man heute nicht mehr von einer reinen BRONJ, sondern von einer MRONJ sprechen muss. Gemäß der aktuellen Leitlinie der American Association of Oral and Maxillofacial Surgeons (AAOMS) wird eine MRONJ wie folgt definiert45:

  • aktuelle bzw. bereits erfolgte antiresorptive oder antiangiogenetische Therapie;
  • exponierter bzw. über eine intra- oder extraorale Fistel sondierbarer nekrotischer Kieferknochen über einen Zeitraum von mindestens acht Wochen;
  • keine durchgeführte Bestrahlung im Kopf- und Halsbereich oder offensichtliche Metastasierung45.

Nachfolgend werden die aktuell in Frage kommenden Medikamente hinsichtlich ihrer Indikation, ihrer Wirkungsweise und ihres Risikos für die Entstehung einer MRONJ beschrieben. Außerdem wird auf die Rolle der Endodontie bei der Prävention von MRONJ eingegangen.

Medikamentenübersicht

Antiresorptiva (Bisphosphonate und ­Denosumab)

Bisphosphonate werden seit mehr als 40 Jahren sowohl bei Knochenerkrankungen wie der Osteoporose und dem Morbus Paget als auch bei ossär metastasierenden Tumoren und dem multiplen Myelom (Plasmozytom) erfolgreich eingesetzt. Das Besondere hinsichtlich der Pharmakokinetik von Bisphosphonaten ist die extrem lange Halbwertszeit: Im Knochen gebundenes Bisphosphonat kann nach Jahren noch aktiv sein, wenn es durch Knochenumbauvorgänge wieder an die Oberfläche gelangt2.

Bisphosphonate verfügen über eine hohe Affinität zu Hydroxylapatit in Resorptionslakunen. Nach der Bindung an der Knochenoberfläche werden die Bisphosphonate von Osteoklasten aufgenommen und reduzieren unmittelbar deren zelluläre Aktivität und ihre Fähigkeit, sich an Knochen anzulagern43. Im selben Zug wird die Proliferation von Makrophagen zu Osteoklasten inhibiert und die Apoptoserate der Osteoklasten erhöht33. Diese Faktoren führen zu einer effektiven Hemmung des Knochenabbaus („antiresorptive Therapie“). Zusätzlich verfügen Bisphosphonate über eine antiangiogenetische sowie eine direkte apoptotische Wirkung auf Tumorzellen36,51 und verhindern zudem eine mögliche Tumoradhäsion an Knochengewebe42. Bisphosphonate sind somit in der Lage, skelettbezogene Komplikationen wie Schmerzen und pathologische Knochenfrakturen sowie tumorbedingte Hyperkalziämien um 30 bis 50 Prozent zu senken und sowohl die Lebensqualität als auch die Überlebensrate zu verbessern40,41.

Denosumab (Handelsnamen: Prolia und XGEVA) ist ein humaner monoklonaler Antikörper und ein RANKL-Inhibitor. Bei RANKL („receptor activator of NF-κB ligand“) handelt es sich um ein Protein, das über die Bindung an den RANK-Rezeptor von osteoklastären Vorläuferzellen sowohl die Differenzierung als auch die Aktivierung von Osteoklasten reguliert. Eine erhöhte RANKL-Expression führt zu einer direkten Zunahme der Knochenresorption. Denosumab hingegen inhibiert aufgrund seiner hohen Bindungsaffinität zu RANKL die Differenzierung und Aktivierung von Osteoklasten, wodurch es zu einer Reduktion des Knochenabbaus kommt. Da die Entstehung und die Ausbreitung von Metastasen im Knochen durch eine vermehrte Produktion von RANKL gesteuert werden9, ist Denosumab in der Lage, die Ausbreitung von Knochenmetastasen zu hemmen. Der Antikörper lagert sich im Gegensatz zu Bisphosphonaten nicht im Knochen ein und verfügt über eine kürzere Halbwertszeit (26 Tage). Denosumab wird intravenös bei Osteoporosepatienten (60 mg alle sechs Monate) und bei metastasierenden Knochentumoren (120 mg alle vier Wochen) verabreicht10,50.

Neoangiogenesehemmer (Bevacizumab, ­Sunitinib und Everolimus)

In der Entstehung und Ausbreitung maligner Tumoren spielt die Angiogenese hinsichtlich des Wachstums, der Infiltration und der Ausbildung von (Fern-)Metastasen eine entscheidende Rolle.

Bevacizumab (Handelsname: Avastin) ist ein humaner monoklonaler Antikörper, der seit 2004 in der Behandlung von fortgeschrittenen Mamma-, ­Ovarial-, Lungen-, Nieren- und Kolonkarzinomen eingesetzt wird. Die antiangiogenetische Wirkung beruht auf einer spezifischen Hemmung des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF).

Sunitinib (Handelsname: Sutent) und Sorafenib (Handelsname: Nexavar) gehören beide zur Klasse der Tyrosinkinase-Inhibitoren, die über eine antiangiogenetische (Hemmung der VEGF-Rezeptoren [„vascular endothelial growth factor“]) und eine immunmodulatorische (Hemmung des „macrophage colony-stimulating factor“ [M-CSF]) Wirkung verfügen28. Seit 2007 werden Tyrosinkinase-Inhibitoren bei der Behandlung von fortgeschrittenen Nierenzellkarzinomen und neuroendokrinen Tumoren eingesetzt.

Everolimus (Handelsname: Certican) ist ein oral verabreichter mTOR-Inhibitor („mamalian target of rapamycin“), der primär in der Transplantationsmedizin und seit Kurzem auch in der Onkologie bei fortgeschrittenen Nierenzellkarzinomen und neuroendokrinen Tumoren Verwendung findet. Die Wirkungsweise beruht auf einer verminderten Angiogenese, einer verzögerten Zellreifung und einer Inhibierung von Osteoklasten27.

Risikofaktoren einer MRONJ

Aufgrund der besonderen Pharmakokinetik der Medikamente sowie systemischer und lokaler Einflussfaktoren existiert für jeden Patienten unter antiresorptiver und antiangiogenetischer Therapie ein individuelles Risiko für die Entstehung einer MRONJ. Zur besseren Einschätzung vor zahnärztlichen Eingriffen werden die wichtigsten Einflussfaktoren nachfolgend näher beschrieben.

Medikamentenbedingte Risikofaktoren

Oral verabreichte Bisphosphonate besitzen aufgrund ihrer negativen Polarität und ihrer niedrigen Lipidaffinität eine geringe Bioverfügbarkeit. Nur etwa 1 Prozent der Dosis gelangt in die Blutbahn, und etwa 0,5 Prozent erreicht das Skelettsystem. Werden Bisphosphonate jedoch intravenös verabreicht, lagern sich mehr als 50 % der Dosis im Knochen an13. Darum ist es nicht verwunderlich, dass intravenös verabreichte Bisphosphonate in onkologischer Dosierung wie Zolendronat und Pamidronat eher mit MRONJ vergesellschaftet sind als oral verabreichte Bisphosphonate (Alen­dro­nat, Risendronat und Ibandronat)29. Zudem scheint Zolendronat aufgrund seiner potenteren antiresorptiven Wirkung gegenüber Pamidronat häufiger mit MRONJ assoziiert zu sein22,52.

Neben der Verabreichungsart kann die Dauer der Bisphosphonatgabe eine Rolle spielen: Das Risiko, an einer MRONJ zu erkranken, liegt bei einer einjährigen intravenösen Bisphosphonattherapie bei 1 Prozent und steigt nach drei Jahren auf bis zu 20 Prozent4, speziell bei einer lang anhaltenden Zolendronatgabe52.

Fallbeschreibungen über das Auftreten einer MRONJ nach oraler Verabreichung sind selten. Alendronat wird in der Literatur am häufigsten mit MRONJ in Verbindung gebracht. Der Grund mag wohl in der weiten Verbreitung des Medikaments liegen (vgl. Tab. 1). Jedoch scheint auch hier das Risiko durch eine jahrelange Akkumulation des Bisphosphonats zu steigen (ab 2,5 bis 5,5 Jahren). Des Weiteren unterdrückt Alendronat aufgrund seiner langen Halbwertszeit sogar noch fünf Jahre nach Beendigung der Therapie den Knochenumbau, so dass auch diese Patientengruppe einem gewissen Risiko einer MRONJ ausgesetzt ist.


Tab. 1 Antiresorptiva mit einem hohen Risiko (rot) für die Entstehung einer MRONJ sowie Angabe über die verordneten Tagesdosen in Mio. (DDD = „defined daily dose“) im Jahr 2015 (Quelle: Arzneiverordnungsreport 2016).

Das Risiko einer MRONJ nach Denosumabgabe fällt sowohl in der onkologischen Dosierung (120 mg intravenös alle vier Wochen) als auch in der Dosierung für Osteoporose (60 mg alle sechs Monate) entgegen der anfänglichen Hoffnung ähnlich hoch wie das einer entsprechenden Bisphosphonattherapie aus15,32,39 (Tab. 1). Jedoch sind die genauen pathologischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen denosumab- und bisphosphonatassoziierten Kiefernekrosen noch nicht abschließend geklärt.


Tab. 2 Angiogenesehemmer mit einem mäßigen (gelb) bis niedrigen (grün) Risiko für die Entstehung einer MRONJ sowie Angabe über die verordneten Tagesdosen in Mio. (DDD = „defined daily dose“) im Jahr 2015 (Quelle: Arzneiverordnungsreport 2016) .

Aufgrund der zurzeit unzureichenden Datenlage ist es schwierig, das Risiko einer MRONJ nach der Gabe von Bevacizumab oder Sunitinib einzuschätzen. Die Angaben zur Inzidenz schwanken in Abhängigkeit von der Grunderkrankung bei Bevacizumab zwischen 0,2 und 16 Prozent sowie bei Sunitinib zwischen 0 und 10 Prozent3,7,20. Zudem scheint das Risiko bei der Kombination eines Angiogenesehemmers mit einem Bisphosphonat sowohl hinsichtlich der Inzidenz als auch in Bezug auf die Schwere der MRONJ signifikant erhöht zu sein3,31 (Tab. 2).

Für Everolimus gibt es aktuell lediglich zwei Fallberichte18,27, so dass die Datenlage noch zu gering ist, um das Risiko adäquat bewerten zu können.

Systemische Risikofaktoren

Patienten mit einem multiplen Myelom oder einem Mammakarzinom sind häufiger von einer MRONJ betroffen als Prostata- oder Nierenkarzinompatienten. Die genauen Hintergründe hierfür konnten noch nicht hinreichend geklärt werden. Eine mögliche Erklärung liegt in der gegenüber anderen ossär metastasierenden Karzinomen längeren Verabreichungsdauer und höheren kumulativen Dosis der Bisphosphonate bei Mammakarzinomen sowie multiplen Myelomen22. Zusätzlich erhöhen Komorbiditäten wie Diabetes mellitus und verstärkter Tabakkonsum das Risiko, an einer MRONJ zu erkranken38.

Lokale Risikofaktoren

Zu den lokalen Risikofaktoren gehören überwiegend zahnärztliche invasive Maßnahmen. Vor allem nach Zahnextraktionen und chirurgischen Interventionen erhöht sich das Risiko um das Fünf- bis Siebenfache1,25. Neben parodontalen Erkrankungen können auch periapikale Entzündungen eine Rolle in der Entstehung von MRONJ spielen. Durch den entzündungsbedingt erniedrigten pH-Wert, kommt es zu einer Aktivierung von im Knochen gebundenem Bisphosphonat37. Zudem ist der Unterkiefer häufiger von einer MRONJ betroffen als der Oberkiefer47. Jedoch treten 20 bis 57 Prozent der MRONJ spontan und ohne die erwähnten Risikofaktoren auf. Die genauen Hintergründe sind Bestandteil aktueller Untersuchungen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die intravenöse Verabreichung, die Dauer der Behandlung und die kumulative Dosis einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung einer MRONJ haben können. Intravenös verabreichtes Zolendronat und Denosumab gelten als die Pharmaka mit dem höchsten Risiko für die Entstehung einer MRONJ. Hinsichtlich der Grund­erkrankung sind Patienten mit einem multiplen ­Myelom oder einem Mammakarzinom überdurchschnittlich häufig betroffen.

Für den praktizierenden Zahnarzt ist somit eine zielgerichtete Anamneseerhebung von entscheidender Bedeutung, um sowohl antiresorptive als auch antiangiogenetische Medikamente zu identifizieren und das Risiko für eine MRONJ adäquat einschätzen zu können. Häufig sind es nämlich gerade zahnärztlich-chirurgische Eingriffe an parodontal oder endodontisch erkrankten Zähnen sowie Prothesendruckstellen, die als Auslöser einer MRONJ identifiziert werden konnten.

Die Rolle der Endodontie in der ­Prävention von MRONJ

In den Qualitätsrichtlinien der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und der European Society of Endodontology (ESE) ist das Ziel einer jeden endodontischen Maßnahme klar definiert: Erhaltung des Zahnes als funktionsfähige Kaueinheit sowie Erhalt oder Wiederherstellung gesunder periapikaler Strukturen12,24. In Anbetracht des erhöhten Risikos bei zahnärztlich- chirurgischen Eingriffen wird deutlich, dass die nicht chirurgische Endodontie eine Schlüsselrolle in der Versorgung von Patienten unter antiresorptiver und antiangiogenetischer Therapie einnimmt.

Von großer Bedeutung bei der Prävention der MRONJ ist zudem die Fokussuche vor Beginn einer antiresorptiven Therapie. Hierbei empfiehlt es sich, ähnlich wie bei einer Fokussuche vor Chemotherapie oder Radiatio sowohl die Mundhygiene als auch den parodontalen Status des Patienten zu verbessern, nicht erhaltungswürdige Zähne zu extrahieren, aktive kariöse Läsionen zu versorgen und therapierbare periapikale Entzündungen vor Beginn der antiresorptiven Therapie zu behandeln6. Im Anschluss sollte der Patient in ein Recallprogramm aufgenommen werden, um rechtzeitig möglichen Entzündungsprozessen entgegenzuwirken.

Steht der Patient bereits unter antiresorptiver Therapie, ist es ratsam, apikale Parodontopathien möglichst nicht chirurgisch zu behandeln. Eine Wurzelkanalbehandlung bzw. Revision gilt daher als sinnvolle Alternative zu einer Extraktion, auch wenn der Zahnerhalt in mancher Hinsicht fraglich erscheinen mag11,44 (Abb. 1 und 2). Auf chirurgische endodontische Maßnahmen sollte man in der Regel verzichten.

Wenn dennoch chirurgische Maßnahmen erwogen werden, sollten entsprechend der aktuellen S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)19 folgende Behandlungsschritte eingehalten werden:

  • Glättung scharfer Knochenkanten,
  • plastische Deckung des Operationsgebietes und
  • perioperative antibiotische Abschirmung.

Eine Unterbrechung der antiresorptiven Therapie in Absprache mit den betreuenden Onkologen vor chirurgischen Eingriffen wird von verschiedenen Autoren empfohlen, jedoch existiert bis heute kein Konsens über die Dauer und Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme5,21,45. Des Weiteren wird eine mögliche Reduktion der periapikalen Entzündung durch eine prophylaktische Wurzelkanalbehandlung vor einer geplanten Extraktion diskutiert, aber diesbezüglich liegen bislang nur Daten aus Tierversuchen vor49.

Obwohl endodontische Maßnahmen während einer antiresorptiven Therapie allgemein als sicher gelten52 und kein negativer Einfluss von Bisphosphonaten auf den Erfolg einer Wurzelkanalbehandlung beobachtet werden konnte23, existieren vereinzelt Fallberichte über das Auftreten einer MRONJ nach endodontischen Eingriffen16,26,48. Zwei mögliche Risikofaktoren werden hierbei diskutiert:

  1. Traumatisierung der Gingiva bei der Applikation einer Kofferdamklammer: Sowohl Kyrgidis et al.30 als auch Gallego et al.17 weisen in ihren Fallberichten auf einen eventuellen Zusammenhang zwischen der Entstehung einer MRONJ und einer möglichen Verletzung des gingivalen Gewebes durch eine Kofferdamklammer hin. Obwohl keine direkte kausale Beziehung hergestellt werden konnte, ist letztlich nicht auszuschließen, dass eine Verletzung des Weichgewebes oberhalb eines avaskulären Knochens als Eintrittspforte für Mikroorganismen dient und eine MRONJ auslösen könnte.
  2. Extrusion von nekrotischem Gewebe in den Periapex: Da eine Extrusion von pulpalem Gewebe während einer Wurzelkanalbehandlung nicht verhindert werden kann14, besteht die Möglichkeit, dass überpresstes infiziertes Gewebe eine MRONJ triggert. Eine antibiotische Abschirmung wird daher diskutiert, jedoch gibt es auch hier bis heute keinen klaren Konsens.

Aus dieser Zusammenschau der möglichen Risikofaktoren ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen:

  • Ratsam ist eine präoperative Mundspülung mit Chlorhexidin für 1 Minute zur Keimreduktion.
  • Auf Anästhesielösungen mit einem hohen Vaso­konstriktorverhältnis sollte verzichtet werden. Hintergrund dieser Empfehlung ist die beeinträchtigte Vaskularisation durch Bisphosphonate und Angiogenesehemmer.
  • Eine intraligamentäre Anästhesie gilt es zu vermeiden, weil hier das Risiko einer Keimverschleppung und einer Traumatisierung des parodontalen Gewebes besteht.
  • Anzustreben ist eine atraumatische Positionierung der Kofferdamklammer (Abb. 3 und 4). Alternativ kann der Kofferdam auch mit Wedjets stabilisiert werden (Abb. 5).
  • Auf das Herstellen einer Kanalgängigkeit im Sinne des Patency-Konzeptes sollte aus Gründen der Keimverschleppung in das periapikale Gewebe ebenfalls verzichtet werden.
  • Es sollten Wurzelkanalfülltechniken zum Einsatz kommen, mit denen sich eine Überpressung von Wurzelkanalfüllmaterial minimieren bzw. vermeiden lässt.

Zusätzlich kann eine Antibiotikaprophylaxe bei Hochrisikopatienten (intravenöse antiresorptive Therapie, orale Bisphosphonatgabe von mehr als 3 Jahren, Vorliegen eines multiplen Myeloms oder eines Mammakarzinoms) bei einer Pulpanekrose zumindest erwogen werden35.

Im Folgenden werden diese Empfehlungen exemplarisch anhand eines Patientenfalls erläutert.

Falldarstellung

Ein 46-jähriger Patient stellte sich aufgrund der bestehenden Grunderkrankungen zur Weiterbehandlung des Zahnes 14 in der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodotonologie des Klinikums der Universität München vor. Im Rahmen der Anamnese wurden folgende Besonderheiten angegeben: ein multiples Myelom, eine im Jahr 2005 erfolgte Knochenmarks­transplantation sowie fünf pathologische Brust- und Lendenwirbelfrakturen. Der Patient erhielt neben einer Schmerzmedikation mit Tillidin und Voltaren seit 2005 4 mg Ibandronat intravenös (aktuell alle 3 Monate).


Abb. 6 Röntgendiagnostische Aufnahme Zahn 14

Der intraorale Befund ergab ein suffizient konservierend versorgtes Gebiss ohne klinische Anzeichen einer marginalen Parodontitis. An Zahn 14 war alio loco bereits eine Wurzelkanalbehandlung aufgrund pulpitischer Beschwerden begonnen worden, wobei eine medikamentöse Einlage appliziert und die Trepanationsöffnung mit Cavit verschlossen worden war. Der Perkussionsbefund und die apikale Druckdolenz waren positiv, die Sondierungstiefen lagen im physiologischen Bereich. In der röntgendiagnostischen Aufnahme konnten ein erweiterter Parodontalspalt (PAI 3) und Opazitäten im Verlauf der Wurzelkanäle im Sinne einer temporären medikamentösen Einlage befundet werden (Abb. 6). Zusätzlich wurden radiologische Hinweise für zwei bukkal und eine palatinal gelegene Wurzel festgestellt. Aus der Zusammenschau der Befunde ergab sich die Diagnose einer symptomatischen apikalen Parodontitis an einem dreiwurzeligen Oberkieferprämolaren.

In Anbetracht der Allgemeinanamnese und des erhöhten Risikos einer MRONJ wurde 1 Stunde vor Beginn der Behandlung eine Antibiotikaprophylaxe mit 2 g Amoxicillin durchgeführt. Im Anschluss erfolgten eine Infiltrationsanästhesie mit 1 ml Ultracain-DS 1:200.000 (Fa. Sanofi Aventis, Frankfurt/M.) sowie die vorsichtige Applikation von Kofferdam ohne Traumatisierung der Papille. Nach Anlegen der primären Zugangskavität wurden unter Zuhilfenahme eines OP-Mikroskops bukkal zwei Kanalorifizien und palatinal ein Kanalorifizium dargestellt (Abb. 7). Daran schloss sich eine endometrische Längenmessung (RootZX, Fa. J. Morita Europe, Dietzenbach) ohne Überinstrumentierung an, welche anhand einer Röntgenkontrastaufnahme überprüft wurde (Abb. 8). Anschließend erfolgte die chemomechanische Aufbereitung der bukkalen Kanäle bis zu einer ISO-Größe 30/05 und palatinal bis ISO 40/04 (MTwo, Fa. VDW, München) unter ständiger Längenkontrolle (Arbeitslänge 0,5 mm vor endometrisch bestimmter Länge) sowie einer Spülung mit 10 ml 2,5-prozentigem NaOCl pro Wurzelkanal. Zum Abschluss wurde das Kanalsystem mit einem Calciumhydroxidpräparat (Ultracal XS, Fa. Ultradent, South Jordan, USA) versehen und der Kanaleingang temporär mit Cavit sowie Ketac Molar (beide Fa. 3M Espe, Seefeld) verschlossen.

Anlässlich des zweiten Termins erfolgte eine erneute präoperative Antibiotikaprophylaxe mit 2 g Amoxicillin. Klinisch war der Perkussionstest negativ und der Schleimhautbefund unauffällig. Auf eine Lokalanästhesie wurde in der Obturationssitzung verzichtet. Nach Anlegen von Kofferdam unter Schonung der Gingiva erfolgten die Entfernung des provisorischen Verschlusses und eine ultraschallgestützte Spülung mit NaOCl. Zum Abschluss wurde das Wurzelkanalsystem für 1 Minute mit 17-prozentigem EDTA gespült. Die Obturation erfolgte mit Guttapercha (Dentsply ­Maillefer, Ballaigues, Schweiz) sowie dem Sealer AH Plus (Dentsply Sirona, Konstanz) in warm vertikaler Kondensation (Abb. 9 und 10), und die Zugangskavität wurde mit Komposit in der Total-Etch-Technik versorgt (Syntac Classic, Tetric Ceram, Fa. Ivoclar ­Vivadent, Schaan, Liechtenstein).

Anlässlich der Zwei-Jahres-Nachuntersuchung stellte sich der Patient ohne subjektive Beschwerden vor. Klinisch und radiologisch ergaben sich keine Anzeichen einer Kiefernekrose sowie periapikal unauffällige Verhältnisse (Abb. 11).

Fazit

In Anbetracht des möglicherweise schwerwiegenden Krankheitsverlaufs einer medikamentenassoziierten Kiefernekrose spielen präventive Maßnahmen im Sinne einer zahnärztlichen Sanierung vor geplanter antiresorptiver Therapie eine entscheidende Rolle. Bei Patienten unter sowie nach lang anhaltender antiresorptiver Therapie sind nicht chirurgische endodontische Maßnahmen einer Zahnextraktion vorzuziehen. Dabei gilt es, das Risiko einer MRONJ bei einer Wurzelkanalbehandlung durch Beachtung der empfohlenen Maßnahmen weitestgehend zu reduzieren, auch wenn die Evidenz der Empfehlungen zurzeit noch gering erscheint.

Ein Beitrag von Dr. med. dent. Christian Diegritz, Dr. med. dent. Christina Fotiadou und Marcel Reymus, alle München

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