Unter dem Hauptthema „Chirurgie und Technik – echter Fortschritt oder teure Spielerei?“ stellten Kongresspräsident Prof. Dr. Dr. Dr. Robert Sader (Frankfurt) und der wissenschaftliche Leiter des Praxisführungsseminars Dr. Dr. Martin Bonsmann (Düsseldorf) ein attraktives Kongressprogramm zusammen.
Der jährliche Fachkongress der europaweit größten Fachgesellschaft der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen (DGMKG) fand vom 26. bis 29. Juni 2019 in Frankfurt statt. Im neu erbauten Kap Europa, dem innovativ und nachhaltig konzipierten Kongresshaus der Messe Frankfurt, wurden bis zu 800 Teilnehmer und rund 70 ausstellende Fachfirmen erwartet.
In der Pressekonferenz wurde deutlich, dass die Fortschritte in der Chirurgie keine Spielerei sind – da hinter jeder Anwendung ein Mensch steckt. Die Referenten brachten jeweils einen Patienten mit, deren Geschichten sehr berührten.
Fortschritte bei Kopf-Hals-Tumoren
Prof. Dr. Dr. Shahram Ghanaati, MKG-Chirurg in der onkologischen Abteilung der MKG-Chirurgie Frankfurt (Main), beschrieb die Entwicklungen und Trends in seiner Fachrichtung als das Bemühen, die Selbstheilungskräfte des Körpers zu aktivieren und mit einzusetzen. Er zeigte eine hochanspruchsvolle Unterkieferrekonstruktion nach Tumorentfernung in einem dreizeitigen Operationskonzept. Dem heute 59-Jährigen Patienten wurde ein etwa 6 cm großes Plattenepithelkarzinom im linken Unterkiefer entnommen, dabei erfolgte eine Teilresektion des Unterkiefers, beidseitige Lymphknotenentfernung und in einer zweiten Operation neun Monate später der navigierte Wiederaufbau des fehlenden Gewebes durch eine präoperativ geplante, navigierte Fibularekonstruktion mit Einpassung in die Empfängerregion des linken Unterkiefers. Nach weiteren anderthalb Jahren erfolgte eine Implantation im Unter- und Oberkiefer sowie im Transplantat. Die Rekonstruktion mit körpereigenem Gewebe stellte wieder biologische Verhältnisse her (die eingebaute Platte arbeitet sich ,da sie eine unphysiologische Belastung ist, in vielen Fällen durch die Haut oder die Schleimhaut nach außen, daher ist sie nur eine vorübergehende Lösung). Dank 3-D-Darstellungen der Spendergewebe (hier Fibula) und präoperativen Simulations- und Planungsprogrammen können noch vor dem Eingriff passgenaue Implantate konstruiert werden, darüber hinaus wurde mit synthetischen Knochen- und Hautersatzmaterialien intraoperativ intelligentes Biomaterial hergestellt, dass ebenfalls mit eingearbeitet werden und bei kleineren Defekten sogar eine Knochenentnahme ersetzen kann.
Diese Maßnahmen erleichterten dem Patienten definitiv den Heilungsprozess, denn seine Einschränkungen sind immer noch enorm: So kann er seit drei Jahren nur Püriertes essen und hat mehr als 20 Stunden Operationszeit hinter sich. Aber: Er hat wieder ein Gesicht und die Chance, irgendwann vielleicht wieder kauen zu können. Und allein dazu ist vieles zu beachten: Die Fibula ist biologisch ganz anders als der Kieferknochen, auch wenn räumlich eine passende Konstruktion geschaffen werden konnte, bleibt die Frage, ob der Knochen auch mikrobiologisch langfristig soweit funktioniert, dass implantatgetragener Zahnersatz möglich ist.
Gerade Tumoren im Kopf-Halsbereich sind sichtbar – je nach Defektgröße droht vielen Patienten die soziale Isolierung. Neben den wachsenden Neuerkrankungsraten von Plattenepithelkarzinomen ist deren Rezidivrate sehr hoch – die Behandlung ist „eine Zitterpartie auch für den Behandler, der ihn meistens zeitlebens begleitet“, so Ghanaati.
Schlafmedizin und MKG-Chirurgie
„Schlechter Schlaf macht krank, und Schlafentzug ist Folter“ stellte Prof. Dr. Dr. Hans Pistner seinem Vortrag voraus. Welche Rolle die MKG-Chirurgie in der Behandlung des Schnarchens und der Schlafapnoe spielt, war sein Thema. Die dreidimensionale Untersuchung des oberen Atemwegs von der Nase zum Kehlkopf per DVT erlaubt mithilfe spezieller Software die entscheidende Engstelle zu identifizieren, dies patientenverständlich darzustellen und ihm daraufhin Therapieoptionen vorzuschlagen. Pistners Patient entschied sich für eine Umstellungsosteotomie unter Erhalt der Verzahnung (oft kann intraoperativ die Verzahnung sogar optimiert werden), die laut Pistner als kausale Therapie der obstruktiven Schnarch-Apnoe (OSA) gewertet werden kann. Auch wenn man es anfangs nicht dachte – der Zugewinn an Lebensqualität ist für den Patienten immens: „Ich wusste nicht, dass Atmen so leicht sein kann“ war sein Fazit. Kam er früher nicht mehr ohne Mittagsschlaf durch den Tag, steht er heute um 4 Uhr morgens auf und kann ab 18 Uhr immer noch einen schönen Abend mit der Familie verbringen. Er ist wesentlich aktiver und hat abgenommen, da er sich viel besser bewegen kann. Trotz der dreimonatigen Püree- und Suppenphase ist er sehr glücklich, diese Maßnahme durchgeführt zu haben. KN