Insgesamt stellt die Behandlung von betagten oder sogar geriatrischen Patienten ein komplexes Feld dar, das derzeit in der Zahnmedizin noch wenig Beachtung findet. Der folgende Beitrag, zuerst erschienen in der Quintessenz Zahnmedizin 10/2019, soll deshalb zum einen das Bewusstsein für diese Patientengruppe schärfen. Zum anderen sollen einfache Präventionsansätze vorgestellt werden, welche die Mundgesundheit auch bei dieser vulnerablen Patientengruppe länger erhalten können.
Der Anteil der Senioren in der allgemeinen Bevölkerung nimmt zu. Mit dem Alter geht eine Vielzahl von Veränderungen sowohl im Bereich der allgemeinen Gesundheit als auch in der Mundhöhlen-region einher, welche direkt oder indirekt das Risiko für Erkrankungen an intraoralen Hart- und Weichgeweben erhöhen können. So treten beispielsweise gehäuft parodontale Erkrankungen auf, die zu einer Freilegung von Wurzeloberflächen führen. Diese unterliegen nun einem höheren Risiko, an Karies zu erkranken. Grunderkrankungen werden in der Regel entsprechend verschiedener Leitlinien mit unterschiedlichen verschreibungspflichtigen Medikamenten und Wirkstoffen behandelt, die diverse Nebenwirkungen entfalten können. Je höher die Zahl der verordneten Wirkstoffe ist, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit von Interaktionen. Eine für die Mundgesundheit entscheidende und sehr regelmäßig auftretende Nebenwirkung besteht in der Reduktion des Speichelflusses, die wiederum mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung von Karies und Schleimhauterkrankungen verbunden ist.
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Ab wann ist ein Mensch alt?
Die Medien berichten regelmäßig über eine Überalterung der Gesellschaft und eine Zunahme des Anteils der Senioren. Doch ab wann gilt ein Mensch überhaupt als alt? Hierzu existieren unterschiedliche Definitionen. Während die Weltgesundheitsorganisation WHO pauschal alle Personen über 65 Jahre als alt klassifiziert, sind andere Einteilungen durchaus differenzierter. In ihnen wird zwischen älteren („young-olds“, 65 bis 75 Jahre), alten („middle-olds“, 75 bis 85 Jahre), sehr alten („old-olds“, 85 bis 94 Jahre) und hochbetagten („oldest-olds“, ≥ 95 Jahre) Menschen unterschieden. Obwohl das rein numerische Alter nicht zwingend mit dem gesundheitlichen Zustand einer Person gleichgesetzt werden kann, ist doch die letztere Definition vielleicht hilfreicher, um differenzierte und patientengruppenorientierte Empfehlungen aussprechen zu können. Anhand dieser Klassifikationen lässt sich nun ausmachen, wie alt unsere Bevölkerung tatsächlich ist. Es steigt nicht nur die absolute Anzahl der Senioren, sondern auch die Verhältnisse verschieben sich dramatisch44. Während in den 1950er Jahren auf jede Person, die älter als 75 Jahre war, noch 35 Personen geringeren Alters kamen, sind es derzeit nur noch 8,4 und Hochrechnungen zufolge im Jahr 2050 nur noch 3,9 (Abb. 1).
Das Altern selbst bildet den größten Risikofaktor dafür, sich bestimmte Erkrankungen zuzuziehen, da die allgemeine Vulnerabilität steigt. Derzeit ist nicht abschließend geklärt, was Altern im Detail eigentlich bedeutet. Unterschiedliche Theorien stimmen jedoch darin überein, dass der Alterungsprozess auf verschiedenen Ebenen abläuft, nämlich von der molekularen über die Zell-, Organ- und Individuen- bis hin zur gesellschaftlichen Ebene. Es handelt sich also um einen mehrdimensionalen und multifaktoriellen Prozess, der unidirektional, irreversibel und progredient ist28. Verschiedene Reparaturmechanismen können im Körper ablaufen und damit den Alterungsphänotyp reduzieren, nicht aber den Alterungsprozess aufhalten. Ein genetisches „Programm“ oder Biomarker für das Altern ist bisher nicht gefunden bzw. evaluiert worden.
Allgemeine Veränderungen mit dem Alter
Das Altern bringt zahlreiche Veränderungen mit sich, die direkt und indirekt einen Einfluss auf die Mundgesundheit haben können (Tab. 1). Grundsätzlich führt das
Altern zu einer reduzierten Adaptationsfähigkeit der Organe, da Kapazitäten und Reserven sich zum Teil erschöpfen. Insgesamt erfolgen Dekompensationsmechanismen schneller und Rekompensationsmechanismen langsamer. Deshalb wird es immer schwerer, das Gleichgewicht in den unterschiedlichen Organsystemen aufrechtzuerhalten56. Die Anzahl von Allgemeinerkrankungen und damit in der Regel auch die Anzahl der eingenommenen verschreibungspflichtigen Medikamente nehmen zu. Allgemein gilt: Je höher die Anzahl der einzunehmenden Medikamente ist, desto häufiger treten auch Nebenwirkungen auf. Diese werden zumeist noch verstärkt durch eine Vielzahl von Medikamenten, die Patienten rezeptfrei in der Apotheke kaufen.
Ein weiterer Faktor, der auch aus zahnmedizinischer Sicht eine Rolle spielt, ist die Veränderung von Ernährungsgewohnheiten mit dem Alter52. Grundsätzlich nehmen Appetit und Durstempfinden ab. Letzteres kann bei älteren Patienten relativ schnell zu einer Exsikkose führen. Das wiederum kann die allgemeine Leistungsfähigkeit reduzieren und zahlreiche weitere Auswirkungen auf den Körper haben52. Auch die Nahrungsaufnahme verändert sich sowohl quantitativ wie qualitativ. Während ein Säugling noch rund 10.000 Geschmacksknospen hat, sinkt die Zahl beim alten Menschen auf rund 900. Damit verändert sich auch das Geschmacksempfinden. Da die Empfindung für die verschiedenen Geschmacksrichtungen reduziert ist, werden als Kompensation im Alter Speisen zumeist stärker gewürzt und gezuckert26.
Bedingt durch eine allgemeine Reduktion der Muskelkraft kann auch die Kaukraft reduziert sein. Zusätzlich ist unter Umständen die Kaufähigkeit vermindert, beispielsweise durch einen reduzierten Zahnbestand (Abb. 2a und b) oder eine mangelhafte prothetische Rehabilitation. Diese Faktoren gehen mit einer abnehmenden Vielfalt auf dem Speiseplan einher: Faserreiche und härtere Kost wird tendenziell eher gemieden, während weiche Speisen bevorzugt werden. Die Änderungen führen meist auch dazu, dass die Nahrung weniger ausgewogen wird und dadurch die Versorgung mit allen relevanten Mikro- und Makronährstoffen mitunter nicht mehr gewährleistet ist. Infolgedessen weisen zahlreiche Senioren einen Mangel an Proteinen, den Vitaminen D, B6, B12, C und Folsäure auf52.
Auch verschiedene Grunderkrankungen beeinflussen die Nahrungsaufnahme. Dazu zählen Schluck- und Kaustörungen sowie Erkrankungen aus dem demenziellen Formenkreis. Demenzen haben schon sehr frühzeitig Veränderungen in der Ernährung zur Folge, welche wahrscheinlich durch Degenerationen im Esszentrum des Gehirns ausgelöst werden. Auch diese Patienten bevorzugen in den frühen Phasen der Erkrankung oftmals süße Speisen35. Schluck- und Kaustörungen führen zwar an sich nicht zu einem anderen Geschmacksempfinden, allerdings werden zumeist aus Gründen einer besseren Schluckbarkeit breiförmige Speisen verzehrt, die häufig kohlenhydratreich sind. Insgesamt wird die Nahrung also bei vielen Patienten kariogener.
Physiologische Auswirkungen des Alterns auf die Mundhöhle
Physiologischen Alterungserscheinungen (vgl. Tab. 1) sollte erst einmal kein pathologischer Wert zugeschrieben werden. Sie können die Zahnhartsubstanzen, den weichgewebigen und den knöchernen Anteil des Zahnhalteapparats sowie die Schleimhäute gleichermaßen betreffen. Die Zähne sind im Prinzip nicht dazu konzipiert, sehr lange Lebensspannen im Mund zu überdauern, wenn Verschleißraten aus Vorzeiten angesetzt werden. Da sich aber die Ernährungsgewohnheiten und die Prozessierung von Lebensmitteln im Laufe der Zeit deutlich geändert haben, ist die Abrasivität der Nahrung heute zu vernachlässigen und stellt in der Regel kein Problem mehr dar. Dennoch sind die Zahnhartsubstanzen einer Vielzahl von chemischen und mechanischen Einwirkungen ausgesetzt12,40. Leichte Verschleißformen können als normal betrachtet werden, solange die Verschleißrate nicht dazu führt, dass der Zahn dermaßen geschädigt wird, dass Schmerzen, Funktionsminderung oder Zahnverlust drohen36 (Abb. 3a und b). Ebenso physiologisch ist die Bildung von Sekundärdentin, was in einer Verkleinerung des Pulpenvolumens resultiert. Zusammen mit Sklerosierungen werden die Zähne weniger kältesensibel, und damit nimmt die Aussagekraft von Kältetests ab.
Auch innerhalb der Pulpa kommt es zu altersbedingten Umbauprozessen, die mit einer reduzierten Regenerationsfähigkeit einhergehen. Der Knochen des Kiefers unterliegt den gleichen Alterungsprozessen wie das restliche Skelett, so dass die Knochendichte hier ebenfalls abnimmt. Physiologische Alterungsprozesse des Parodonts lassen sich nur schwer von pathologischen Prozessen abgrenzen, da eine Alterung zumeist mit einer eingeschränkten Mundhygienefähigkeit verbunden ist, was zu entzündlichen Veränderungen des Parodonts führen kann. Alter wird allerdings als einer der wichtigsten Risikofaktoren für das Entstehen einer Parodontitis angesehen. Eine atrophische Alterung der Mundschleimhaut ist nicht bewiesen48. Bei Patienten können sowohl eine Ausdünnung des Mukosaepithels als auch eine Verdickung der Mundschleimhaut durch Hyperkeratosen beobachtet werden. Grundsätzlich ist die Durchblutung jedoch entsprechend den Veränderungen im gesamten Körper reduziert, was eine dezente Reduktion der Heilungspotenz bewirkt.
Eindeutigen Alterungsprozessen unterliegen hingegen die Speicheldrüsen. Es können eine zunehmende Fibrosierung und eine Atrophie des Drüsengewebes auftreten. Sowohl die Speichelfließraten unter Ruhe als auch diejenigen unter Stimulation nehmen ab. Zusätzlich bewirkt das geringere Geschmacksempfinden im Alter eine insgesamt reduzierte Stimulation. Deutliche Änderungen vor allem der Fließrate des stimulierten Speichels sind allerdings erst etwa ab dem 80. Lebensjahr messbar55.
Pathologische Veränderungen in der Mundhöhle im Alter
Bei Senioren kommt es gehäuft zu verschiedenen pathologischen Veränderungen (vgl. Tab. 1). Diese können als primäre Erkrankung, aber auch infolge einer veränderten Ernährungsweise, einer reduzierten Trinkmenge, als Wechselwirkung zwischen allgemeiner und oraler Gesundheit sowie als Folge der Nebenwirkungen von Medikamenten oder anderen Therapieformen auftreten. Ganz besonders von intraoralen Veränderungen betroffen sind multimorbide und gebrechliche Patienten, so dass sich die Anforderungen an Mundhygiene und Präventionsstrategien bei diesen Personen in erheblichem Maße verändern.
Typische Erkrankungen an den Zähnen sind Karies und nicht kariesbedingte Zahnhartsubstanzdefekte, die während der gesamten Lebensspanne auftreten können. Entsprechend der letzten deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) ist jedoch die unbehandelte koronale Karies mit Werten von 0,5 bzw. 0,6 bei einem DMFT von 17,7 bei den jüngeren (65 bis 74 Jahre) bzw. von 21,6 bei den älteren (75 bis 100 Jahre) Senioren nicht das vorrangige Problem. Der Rückgang des DMFT lässt sich vorrangig auf den Erhalt der Zähne und nicht auf die Abnahme der unbehandelten Karies zurückführen19. Insgesamt kann der Versorgungsgrad der koronalen Karies als gut bezeichnet werden (Abb. 4). Wurzelkaries ist jedoch eine Kariesform, die bei den Senioren zunehmend auftritt. Aufgrund des besseren Zahnerhalts und der erfolgreichen Durchführung von Parodontaltherapien steigt die Anzahl freigelegter Wurzeloberflächen (Risikoflächen). So zeigen 28 Prozent (65 bis 74 Jahre) bzw. 26 Prozent (75 bis 100 Jahre) der Senioren an mindestens einem Zahn eine Wurzelkaries (Abb. 5). Der „Root Caries Index“ (RCI), also der prozentuale Anteil der kariösen oder aufgrund von Wurzelkaries gefüllten Flächen gemessen an den exponierten Wurzeloberflächen, beträgt bei den jüngeren Senioren 13,6 Prozent und in der älteren Gruppe 16,4 Prozent19 (vgl. Abb. 4).
Weitere Defekte können durch die nicht kariesbedingten Zahnhartsubstanzdestruktionen entstehen. Dazu zählen Attrition, Abrasion und Erosion sowie deren Mischformen. Speziell die erosions- und die erosions-/abrasionsbedingten Defekte haben über die letzten Jahre zugenommen. Während in einer untersuchten Gruppe von Erwachsenen 45 Prozent an irgendeinem Zahn Anzeichen von erosivem Verschleiß zeigten, waren es unter den Senioren im Alter von 65 bis 74 bzw. 75 bis 100 Jahren etwa 60 Prozent. Mittelgradige bis schwere Erosionen wurden in etwa 30 Prozent der Fälle bei den Erwachsenen und in 40 bzw. 50 Prozent der Fälle bei den Senioren gefunden19.
Neben Erkrankungen an der Zahnhartsubstanz treten auch parodontologische Erkrankungen regelhaft bei älteren Patienten auf (Abb. 6). Während in der Gruppe der in der DMS V untersuchten Erwachsenen ein Attachmentverlust von etwa 2,6 mm und eine Prävalenz der Sondierungstiefen ≥ 4 mm (≥ 6 mm) von 59 Prozent (11Prozent) ermittelt werden konnten, zeigte die Gruppe der jüngeren Senioren einen Attachmentverlust von 3,8 mm sowie eine Prävalenz von 76 Prozent (25 Prozent) und die Gruppe der älteren Senioren einen Attachmentverlust von 4,0 mm sowie eine Prävalenz von 86 Prozent (36 Prozent). Damit ergibt sich eine deutliche Abhängigkeit der Befunde vom Alter, was die Notwendigkeit von effektiven Präventionsstrategien für Senioren klar herausstellt19.
Schleimhautveränderungen inklusive Präkanzerosen und Tumoren sind insgesamt eher selten, treten aber ebenso mit dem Alter häufiger in Erscheinung (Tab. 2). Sie umfassen bei Senioren in der Regel hauptsächlich prothesenbedingte Veränderungen (etwa 4,5 Prozent in beiden Seniorenaltersgruppen) und sonstige Erscheinungsformen (6,1 bzw. 8,4 Prozent in der jüngeren bzw. älteren Gruppe); Präkanzerosen stehen mit 0,7 bzw. 0,8 Prozent für Leukoplakien und mit 0,0 bzw. 0,7 Prozent für Erythroplakien an dritter Stelle der Liste der intraoralen Schleimhautveränderungen. Maligne Tumoren werden in Flächenerhebungen selten diagnostiziert19. Die Daten des Robert Koch-Instituts zur altersunabhängigen Inzidenz und zur 5-Jahres-Prävalenz von Kopf-Hals-Tumoren sind in Abbildung 7 dargestellt. Hier zeigt sich eine Zunahme über die letzten zehn Erhebungsjahre33,34.
Häufiges Phänomen Mundtrockenheit
Ein mit dem Alter sehr häufiges auftretendes Phänomen ist die Mundtrockenheit55. Ausgelöst wird sie einerseits durch Erkrankungen der Speicheldrüsen wie beispielsweise chronisch-entzündliche Bindegewebserkrankungen (z. B. Sklerodermie), Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (z. B. Fibromyalgie), genetisch bedingte Erkrankungen (z. B. Speicheldrüsenaplasie) oder Autoimmunerkrankungen wie das Sjögren-Syndrom. Andererseits kann die bereits diskutierte zu geringe Flüssigkeitsaufnahme, zum Teil auch als Kompensation einer beginnenden oder manifesten Inkontinenz, den Speichelfluss genauso vermindern wie verschiedene Therapieformen für Grunderkrankungen. Die wohl größte Auswirkung auf das Speicheldrüsengewebe hat hierbei die tumortherapeutische Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich. Durch die Anwendung ionisierender Strahlen kommt es zum Zelluntergang. Außerdem entwickelt sich ein interstitielles Ödem, das eine Kompression der Drüsenausführungsgänge mit Stauung des Drüsensekrets verursacht. Die irreversible Folge sind Zelluntergänge und ein fibrotischer Umbau vor allem der serösen Anteile8. Das führt zunächst zu einer erhöhten Viskosität des Speichels, und später wird durch die Schädigung der Speicheldrüsen der gesamte Speichelfluss reduziert. Diese Schädigung ist im Wesentlichen irreversibel, so dass die betroffenen Patienten dauerhaft mit der Mundtrockenheit leben müssen20. Ähnliche Symptome können auch bei ausgeprägten Formen des Sjögren- Syndroms beobachtet werden. Ferner leiden 20 bis 55 Prozent aller Dialysepatienten darunter6.
Nicht nur diese körperlich sehr invasiven Therapieformen beeinflussen den Speichelfluss. Auch die Gabe von bestimmten Medikamenten zur Behandlung typischer altersassoziierter Erkrankungen kann zu einer Reduktion des Speichelflusses führen. Dazu zählen vor allem Medikamente, die bei Hypertonie, Erkrankungen aus dem rheumatoiden Formenkreis, psychiatrischen und diversen weiteren Erkrankungen verschrieben werden49. Insbesondere wenn eine Multimorbidität vorliegt, also das gleichzeitige Auftreten von zwei oder mehr chronischen oder akuten Erkrankungen, wird oftmals eine Vielzahl von verschiedenen Medikamenten bzw. Wirkstoffen verabreicht. Werden fünf oder mehr unterschiedliche Wirkstoffe eingenommen, dann wird von Multimedikation oder Polypharmazie gesprochen29. Der Anteil der über 65-Jährigen in der allgemeinen Bevölkerung beträgt derzeit etwa 21 Prozent45, und bei 42 Prozent der gesetzlich versicherten Personen über 65 Jahre lag im Jahr 2012 eine Multimedikation vor23. Wenn noch ältere Patienten betrachtet werden, dann steigt der Anteil weiter an, und rund 58 Prozent der über 75-Jährigen nehmen sogar mehr als sechs verschiedene verschreibungspflichtige Wirkstoffe ein39.
Ein reduzierter Speichelfluss als Nebenwirkung kann durch die Gabe verschiedener Medikamente mit unterschiedlichen Wirkstoffen potenziert werden. Damit ist das Risiko bei Senioren über 65 Jahre unter Multimedikation besonders hoch. Die Prävalenz für eine Mundtrockenheit bei der Einnahme von fünf verschiedenen Wirkstoffen kann deshalb bei bis zu 50 Prozent liegen und durch jedes zusätzliche Medikament weiter erhöht werden25. Daher leidet ein nicht zu unterschätzender Anteil der Bevölkerung unter einem medikamenteninduzierten trockenen Mund. Werden die ooben genannten Werte angelegt, dann sind das in Deutschland – bei einem Bevölkerungsanteil der über 65-Jährigen von 21 Prozent, einer Multimedikation bei 42 Prozent in dieser Altersgruppe und einer Xerostomieprävalenz im Fall einer Multimedikation von 50 Prozent – rund 3 Millionen Menschen. Hinzu kommen Personen, die aus sonstigen Gründen an einem trockenen Mund leiden. Studien aus anderen Ländern haben eine Prävalenz von etwa 20 bis 30 Prozent in der Gruppe der Senioren über 65 Jahre und damit vergleichbare Werte ergeben2. Insgesamt ist der trockene Mund als Nebenwirkung von Medikamenten und Wirkstoffen allerdings nicht gut dokumentiert, weil viele Patienten ihrem Arzt nicht davon berichten. Daher kommt dem Zahnarzt hier eine besondere Bedeutung zu, denn er kann die Reduktion des Speichelflusses klinisch frühzeitig diagnostizieren.
Ein reduzierter Speichelfluss hat einen massiven Einfluss auf die Mundgesundheit. Er führt aufgrund der fehlenden oder zumindest verringerten protektiven und remineralisierenden Eigenschaften des Speichels zu einem generell erhöhten Kariesrisiko. Zudem kann sich die bakterielle Flora verändern. Infektionen der Schleimhäute treten ebenso gehäuft auf wie eine Fehl- oder Überbesiedlung der Mundhöhle mit Pilzen vorwiegend der Candida-Spezies. Neben den bakteriell assoziierten Erkrankungen können auch vermehrt Erosionen aufgrund des reduzierten Pellikels und der eingeschränkten Neutralisation entstehen (Abb. 8). Darüber hinaus kann es zu generellen Schwierigkeiten beim Kauen, Sprechen und Schlucken kommen, so dass unter Umständen eine Fehl- oder Mangelernährung droht. Weiterhin wird das Geschmacksempfinden reduziert, und Prothesen haften schlechter. Als Folge werden zumeist weiche, oft zuckerhaltige Speisen bevorzugt, was erneut das Kariesrisiko steigert. Xerostomie kann allerdings auch weitreichende Folgen für das alltägliche Leben haben, etwa wenn durch das Eintrocknen der Schleimhäute in der Nacht Schlafschwierigkeiten auftreten. Insgesamt kann die Lebensqualität stark eingeschränkt werden41.
Grunderkrankungen und Mundgesundheit
Grunderkrankungen und Mundgesundheit können sich auch wechselseitig beeinflussen. Es werden zahlreiche Wechselwirkungen diskutiert, wobei diese nicht für alle Erkrankungen gesichert sind. Vor allem bei parodontologischen Erkrankungen gibt es viele Wechselwirkungen. Parodontalpathogene können ihre Wirkung auch fernab der Mundhöhle entfalten. Dabei werden potenziell Immunzellen stimuliert, die Bildung von proinflammatorischen Stimulatoren (beispielsweise Interleukine) wird anregt, immunentzündliche Abläufe im Körper werden modifiziert, oder das Gewebe wird direkt beeinflusst.
Besonders deutlich und recht gut untersucht sind die Wechselwirkungen zwischen Diabetes mellitus und Parodontitis. So ist ein Diabetes mellitus bei einer vorliegenden Entzündung des Parodonts schlechter einzustellen als bei gesunden Verhältnissen. Gleichzeitig zeigen Diabetes-mellitus-Patienten in direkter Assoziation mit dem HbA1c-Niveau höhere Werte für Sondierungstiefen, einen größeren Attachmentverlust, eine schnellere Progression von Knochenverlusten und ein höheres Risiko für Zahnverluste. Ebenso können parodontalpathogene Keime die Entwicklung von aterosklerotischen Veränderungen beeinflussen. Umgekehrt kann eine Reduktion dieser Keime in der Mundhöhle als Folge einer suffizienten Parodontaltherapie die endotheliale Funktionalität in den Gefäßen wieder verbessern. Rheumatische Erkrankungen können ebenfalls negativ durch eine Parodontitis beeinflusst werden. Ob eine Parodontitistherapie den Ausgang einer rheumatischen Erkrankung nachhaltig verbessert, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt10. Nicht zuletzt kann auch ein Reflux, der mit dem Alter in zunehmendem Maße auftritt, die Zahngesundheit aufgrund eines höheren Risikos für schwere Erosionen nachhaltig verschlechtern21.
Verschiedene weitere typische geriatrische Erkrankungen können ebenfalls einen Einfluss auf die orale Gesundheit haben, wobei dies zumeist auf krankheitsbedingte Einschränkungen der Mundhygienefähigkeit zurückzuführen ist. Dazu zählen u. a. eine Visusverschlechterung, Schlaganfälle mit Lähmungs- und motorischen Ausfallerscheinungen, das Parkinson-Syndrom, rheumatoide Erkrankungen und andere Krankheiten, welche die manuellen Fähigkeiten einschränken, sowie die Demenz und weitere gesundheitliche Beschwerden mit kognitiver Beeinträchtigung. Visuelle, manuelle und geistige Einschränkungen führen in vielen Fällen zu einer reduzierten Plaqueentfernung, wodurch das Kariesrisiko, aber auch das Risiko für entzündliche Veränderungen am Zahnhalteapparat erhöht werden. Oft sind die betroffenen Personen auf fremde Hilfe angewiesen.
Präventionsansätze für betagte Menschen
Im Rahmen der Konzeptionierung und Implementierung von Präventionsmaßnahmen sollten einige Punkte berücksichtigt werden. Zunächst stellen die genannten alters- und krankheitsbedingten Veränderungen neue Anforderungen an Mundhygienemaßnahmen. Darüber hinaus besteht je nachdem, wie es um die Konstitution älterer Menschen bestellt ist, ein unterschiedlicher Präventionsbedarf. Dabei können die Senioren in Abhängigkeit von medizinischen und sozialen Gegebenheiten als „robust“ bzw. „gesund“, „gebrechlich“ oder „abhängig“ klassifiziert werden11. Nicht zuletzt ist der heute längere Erhalt der eigenen Zähne per se ein weiterer Faktor, der bei der Konzeptionierung eine Rolle spielt19 (Abb. 9, vgl. Abb. 4). Die erhaltenen Zähne unterliegen aufgrund der genannten Einflussfaktoren bei Senioren einem erhöhten Risiko, sowohl parodontal als auch im Bereich der Hartgewebe zu erkranken, und bedürfen daher einer besonderen Aufmerksamkeit. Vor allem in der Fremdpflege spielt das eine sehr große Rolle. Während in Pflegeeinrichtungen früher die Totalprothese bei vielen Patienten die Regel war, sind mittlerweile überwiegend Teil- oder Vollbezahnungen, nicht selten auch mit Implantatversorgungen, in der Mundhöhle zu finden.
Die kontinuierliche häusliche Reinigung der Zähne und die regelmäßige zahnärztliche Kontrolle sollten immer in den Vordergrund der Prävention gestellt werden. Letzteres ist insbesondere deshalb angezeigt, weil man so Veränderungen zeitig bemerken und geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Grundsätzlich empfiehlt es sich, auch beim älter werdenden Patienten schon früh auf eine gute Mundhygiene zu achten, und zwar bevor Handicaps oder Grunderkrankungen auftreten. Hierbei ist die suffiziente Entfernung des Biofilms sowohl auf den frei zugänglichen Flächen als auch im Interdentalraum entscheidend. Um das Risiko abschätzen zu können, sollten Zahnärzte immer die Anamnese sowie den Medikamentenplan im Blick haben und Patienten auf potenzielle Auswirkungen von Erkrankungen und Medikamenten aufmerksam machen. Anhand der identifizierten Risikofaktoren können dann gemeinsam mit den Patienten geeignete Strategien zur Aufrechterhaltung der Mundgesundheit entwickelt werden. Klassische Werkzeuge zur Identifizierung des Kariesrisikos wie beispielsweise das „Cariogram“7 sind für Senioren zumeist jedoch nicht validiert und deshalb nur eingeschränkt anwendbar3.
Mundhygiene wird oftmals schon von Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht in ausreichendem Maß betrieben37,54, so dass vor allem im Bereich der Oralflächen der Unterkiefermolaren, aber auch auf den Bukkalflächen der Oberkiefermolaren regelhaft Biofilm verbleibt. Es gibt keinen plausiblen Grund, warum sich das mit dem Alter ändern sollte. Die meisten Patienten, die jetzt im Seniorenalter sind, haben zudem in ihrer Kindheit und Jugend weder eine gruppen- noch eine individualprophylaktische Aufklärung erhalten. Daher gibt es bei ihnen nach wie vor einen ganz erheblichen Aufklärungsbedarf. Genauso wie bei jüngeren Patienten sollte besonderer Wert auf eine Systematik gelegt werden, damit man alle Flächen auch gleichmäßig erreicht. Hierbei empfiehlt es sich, auf Plaquefreiheit bei gleichzeitiger Schonung der Hart- und Weichgewebe zu achten. Derzeit gibt es jedoch keinen Hinweis darauf, dass eine spezifische Technik einer anderen überlegen ist53. Liegt eine manuelle Einschränkung vor, dann können elektrische Zahnbürsten hilfreich sein, da sie die Eigenbewegung des Patienten unterstützen, vorausgesetzt sie werden systematisch und mit einer für das jeweilige Modell passenden Technik verwendet. Günstig ist bei elektrischen Zahnbürsten zudem der dickere Griff, der sich oft besser fassen lässt. Alternativ kann eine Griffverstärkung für manuelle Zahnbürsten zum Einsatz kommen.
Die wohl größere Herausforderung für ältere Patienten besteht jedoch in der Interdentalraumhygiene. Sowohl Zahnseide als auch Interdentalraumbürsten sind klein und filigran (Abb. 10a und b). Die Handhabung gestaltet sich daher bei manuellen Einschränkungen schwierig. Voreingespannte Zahnseide stellt nur bedingt eine Alternative dar, denn ihre Reinigungsleistung ist derjenigen von Zahnseide als Faden aus Gründen der Geometrie unterlegen. Griffverlängerungen zu Interdentalraumbürsten können helfen, aber deren Handhabung muss intensiv trainiert werden. Auch wenn die Evidenz für Mikrotropfengeräte derzeit gering ist und nur wenige industrieunabhängige Studien existieren46, könnten diese Geräte mit ihren dicken Griffen und der leichten Platzierbarkeit im Bereich des Interdentalraums für Personen mit manueller Einschränkung durchaus eine gute Option darstellen. Das Gleiche gilt für die Fremdpflege, wo elektrische Zahnbürsten und eine elektrische Unterstützung im Interdentalraum die Arbeit der Pflegenden erleichtern und die Mundgesundheit der Pflegebedürftigen verbessern könnte.
Was geht noch – einfache Tests zur Beurteilung
Die suffiziente Mundhygiene stellte in allen Präventionskonzepten einen integralen Bestandteil dar. Jedoch ist es nicht immer leicht einzuschätzen, ob Patienten mit zunehmendem Alter noch in der Lage sind, Mundhygienemaßnahmen durchzuführen. Es gibt verschiedene auf ältere und betagte Patienten zugeschnittene sogenannte Assessments, die für die Einschätzung von Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens gut geeignet sind. Allerdings lässt sich aus routinemäßig absolvierten geriatrischen Assessments nur wenig für die Mundhygienefähigkeit ableiten. Anders sieht es nach einer ersten Studie mit spezifischeren Verfahren wie dem Geldzähltest nach Nikolaus und dem Nackengrifftest aus. Der Geldzähltest (Tab. 3) überprüft motorische, visuelle und kognitive Fähigkeiten, während mit dem Nackengrifftest die Mobilität im Schulterbereich eingeschätzt werden kann (Tab. 3). Bei Personen, die in den einfach durchzuführenden Tests schlecht abschnitten, lag die Qualität der Zahn- bzw. Prothesenreinigung unter dem Durchschnitt. Damit können vor allem in der Pflege sehr leicht Personen identifiziert werden, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Zähne selbstständig effektiv zu pflegen38.
Der bei Senioren recht häufig auftretenden Wurzelkaries kann mit diversen Maßnahmen, die sich sowohl in der Praxis als auch im häuslichen Umfeld durchführen lassen, wirksam begegnet werden. Freiliegende Wurzeloberflächen weisen im Vergleich zum Schmelz ein erhöhtes Kariesrisiko auf. Auch wenn der kritische pH-Wert wohl nicht ganz so hoch liegt, wie zeitweilig angenommen wurde, zeigt das Wurzeldentin bedingt durch Histologie und Struktur grundsätzlich eine größere Anfälligkeit für kariöse Demineralisationen als der Schmelz16. Eine unzureichende Mundhygiene stellt den zentralen Faktor dar, der mit Wurzelkaries bei älteren Menschen assoziiert ist9. Kommen weitere Faktoren wie ein reduzierter Speichelfluss oder ein vermehrter Kohlenhydratkonsum hinzu, steigt das Risiko weiter an.
Eine optimale Mundhygiene in Kombination mit der Applikation von Fluoriden ist daher sehr sinnvoll. Es sollte den Patienten nahegebracht werden, dass die Verlagerung des Gingivalsaums nach apikal verschiedene Schwierigkeiten mit sich bringt. So ist dieser grundsätzlich schwieriger zu erreichen, vor allem wenn zu große Bürstenköpfe zum Einsatz kommen. Man sollte daher Bürsten mit kleinen Köpfen empfehlen, die von Rot nach Weiß über die freiliegenden Wurzeloberflächen geführt werden. Hierbei darf der Druck nicht zu hoch ausfallen, denn Dentin ist anfälliger für mechanisch bedingte Zahnhartsubstanzverluste1. Alternativ lassen sich elektrische Zahnbürsten empfehlen, aber auch bei ihnen muss darauf geachtet werden, dass sie die zervikalen Areale suffizient erreichen.
Bezüglich der Interdentalraumhygiene ist anzumerken, dass die zu reinigende Fläche zunimmt und deshalb die Zeit, die für deren Reinigung aufgewendet werden muss, ansteigt. Patienten sollten auf die besonderen Schwierigkeiten einer restaurativen Therapie und den drohenden Zahnverlust bei approximalen kariösen Läsionen hingewiesen werden, was die Notwendigkeit einer suffizienten Approximalraumhygiene unterstreicht. Ob nun Zahnseide oder Interdentalraumbürsten zum Einsatz kommen, spielt bei suffizienter Anwendung eine nicht ganz so entscheidende Rolle32,42. Die meisten Patienten empfinden Interdentalraumbürsten jedoch als angenehmer18, und diese führen oft schneller zum Erfolg. Die beliebten metallfreien Bürsten sind bei sehr weiten Zahnzwischenräumen häufig zu klein, so dass der Einsatz individuell angepasster, drahtkernbasierter Bürsten hier sinnvoller ist (vgl. Abb. 10a und b).
Unter den Fluoridpräparaten haben sich konzentrierte Fluoridzahnpasten als besonders wirksam erwiesen. Die regelmäßige Anwendung einer Zahnpaste mit 5.000 ppm Fluorid über 6 Monate kann etwa doppelt so viele aktive in inaktive Läsionen überführen wie eine herkömmliche Zahnpaste mit 1.100 ppm Fluorid4. Ebenso reduziert der tägliche Einsatz einer Mundspüllösung mit etwa 500 ppm Fluorid effektiv die Entstehung neuer Läsionen17. Fluoridverbindungen mit polyvalenten Metallionen wie Zinn oder Silber scheinen gleichfalls eine gute Option zu sein. So zeigten Übersichtsarbeiten, dass ein Silberdiaminfluoridlack in der Lage ist, Wurzelkaries ebenso gut zu reduzieren wie ein Natriumfluorid- oder ein Chlorhexidinlack27. Einzelnen Studien zufolge sind zinnhaltige Produkte konventionellen Fluoriden überlegen5 und vor allem im Fall einer schlechten Mundhygiene von Vorteil. Zusätzlich können Chlorhexidinlacke Effekte zeigen, wobei die Evidenz dazu allerdings insgesamt eher schwach ist15. Genau wie Zinn in Kombination mit Fluorid scheinen sie ihre Wirkung eher bei schlechter Mundhygiene zu entfalten43.
Xerostomie über Fragebögen erfassen
Wie beschrieben stellt das Erscheinungsbild des trockenen Mundes bei älteren Patienten ein regelmäßig auftretendes Problem dar. Mit einfachen Fragebögen ist eine Xerostomie sehr schnell erfassbar (Tab. 4), so dass gezielte Maßnahmen ergriffen und Aufklärungen durchgeführt werden können. Ein die Ursachen behebender Ansatz sollte natürlich im Vordergrund stehen, lässt sich aber im Fall von Autoimmunerkrankungen wie dem Sjögren-Syndrom oder bei Patienten nach einer Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich nicht realisieren. Auch eine Umstellung von Medikamenten ist nicht trivial. Oft resultiert eine Polypharmazie aus der leitlinienkonformen Behandlung von verschiedenen Erkrankungen, die natürlich dazu beitragen, das Leben der betroffenen Patienten zu verlängern. Dennoch sollte bei Vorliegen einer polypharmazieinduzierten Xerostomie versucht werden, nicht benötigte Medikamente abzusetzen oder zumindest zu reduzieren14. Das gilt vor allem für vom Patienten eigenmächtig eingenommene, frei verkäufliche Präparate. Wie bereits beschrieben steigt bei einem trockenen Mund das Risiko für Karies, Schleimhautbeschwerden und Infektionen in der Mundhöhle. Daher ist es ratsam, bei diesen Patienten die Recallintervalle zu verkürzen und Präventionsmaßnahmen zu intensivieren.
Als erste Maßnahme sollte das regelmäßige Kauen von zuckerfreiem, eventuell xylithaltigem Kaugummi zur Erhöhung der Fließrate empfohlen werden. Dadurch lässt sich, sofern zumindest noch ein Restspeichelfluss besteht, wenigstens in der Zeit des Kauens die protektive Wirkung des Speichels wieder stärken. Wenn allerdings kaum noch ein Restspeichelfluss vorhanden ist, können viele Patienten diese Empfehlung nicht mehr umsetzen, weil Kaugummis ohne Speichel in der Mundhöhle oftmals zerfallen und nicht kaubar sind. Bei der Verwendung von Speichelersatzmitteln muss genau auf deren Zusammensetzung geachtet werden. Es sind verschiedene fluoridfreie Präparate auf dem Markt, die einen sauren pH-Wert haben. Dieser wird in der Regel gewählt, um die Speichelproduktion anzuregen. Jedoch haben die Mittel ein demineralisierendes Potenzial, was die Zahnhartsubstanz nachhaltig schädigen kann. Ist den Produkten Fluorid zugesetzt, dann kommt dem pH-Wert in gewissen Grenzen eine nachrangige Bedeutung zu13. Befeuchtungsmittel enthalten zumeist entweder Polymere, Öle oder eine Aloe-Vera-Basis, allerdings unterscheiden sich die verschiedenen Präparate in ihrer Effektivität nur wenig. Ein gemeinsames Merkmal besteht darin, dass ihre Wirkungsdauer sehr begrenzt ist und sie daher relativ häufig angewendet werden müssen22.
Die wichtigsten Maßnahmen zum langfristigen Erhalt der Mundgesundheit bei einem reduzierten Speichelfluss sind eine sehr gute Mundhygiene inklusive Interdentalraumhygiene und die kontinuierliche Zufuhr von Fluoriden. Hinsichtlich der Mundhygienemaßnahmen gelten hier ebenfalls die gängigen Empfehlungen. Plaquerevelatoren, die in Form von Mundspüllösungen und Tabletten auch für den häuslichen Gebrauch erhältlich sind, können helfen, die eigene Mundhygiene zu überprüfen, und sollten empfohlen werden. Im Kontext der Fluoride scheinen vor allem hoch konzentrierte Präparate besonders wirksam zu sein. Diese lassen sich in Form von Zahnpasten mit erhöhter Fluoridmenge (bis zu 5.000 ppm), konzentrierten Fluoridgelen oder Mundspüllösungen im Rahmen der häuslichen Mundhygiene zuführen. In der Praxis sollten regelmäßig konzentrierte Präparate wie Lacke oder Fluide aufgetragen werden.
Nicht alle Fluoridprodukte im Alter geeignet
Das wohl größte Problem in der Umsetzung dieser Empfehlungen ist aber die schlechtere Verträglichkeit der Präparate bei einem reduzierten Speichelfluss. Zahlreiche Patienten berichten über Schleimhautbrennen oder andere Schleimhautsensationen. Daher sind viele intensiv aromatisierte Produkte wenig verträglich. Auch Fluoridpräparate mit einem niedrigen pH-Wert, die wegen der ausgeprägteren Bildung von Calciumfluoridablagerungen auf der Zahnoberfläche in der Regel eine größere Effektivität als neutrale Produkte aufweisen31, zeigen oft eine schlechtere Verträglichkeit. Deshalb ist es ratsam, Formulierungen mit milder Aromatisierung und ggf. neutrale Produkte zu empfehlen. Bei jedem Termin sollten die Schleimhäute besonders gründlich inspiziert werden, da Patienten mit einem reduzierten Speichelfluss regelhaft an Infektionen vor allem mit Hefepilzen leiden. Neben den lokalen Beeinträchtigungen, die mit einer Candidabesiedlung einhergehen, können sich die Pilze auch in den Rachen- sowie den Gastrointestinalraum ausbreiten und so systemische Komplikationen verursachen. Zudem kann durch eine manifeste Candidabesiedlung der Mundhöhle das Kariesrisiko steigen30.
Ein besonderes Problem bei der Identifizierung der Risikopatienten besteht darin, dass die allgemeine Lebenszufriedenheit und das Empfinden von Lebensqualität mit zunehmendem Alter nicht sinken, sondern zum Teil sogar ansteigen und viele Patienten Zustände akzeptieren, die sie in jüngeren Jahren nicht hingenommen hätten47. So wird beispielsweise der trockene Mund als wenig schlimm empfunden bzw. als eine normale Alterserscheinung akzeptiert. Daher sollte neben der klinischen Inspektion immer auch das subjektive Empfinden des Patienten erfragt werden.
Fazit
Das Alter bringt viele Veränderungen mit sich, welche die allgemeine körperliche Fitness und die Ernährung, aber auch die Mundgesundheit betreffen. Verschiedene Erkrankungen interagieren mit der Mundgesundheit, und außerdem nehmen Medikamente, die zur Behandlung von Grunderkrankungen verordnet werden, Einfluss auf die orale Gesundheit. Daher sind vor allem betagte, multimorbide Patienten unter Polypharmazie aufgrund von verschiedenen Faktoren wie einem reduzierten Speichelfluss, manuellen Einschränkungen und zum Teil auch kognitiven Beeinträchtigungen Hochrisikopatienten, die in der zahnärztlichen Praxis frühzeitig identifiziert und intensiv betreut werden müssen.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Nadine Schlüter und Dr. Benedikt Luka, beide Freiburg. i. Br.
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