Die Zahl der ambulanten Behandlungsfälle ist bei den Ärzten im 1. Halbjahr 2020 um bis zu 23 Prozent zurückgegangen. Erst ab Ende Mai war wieder Normalisierung der medizinischen Versorgung erkennbar. Das geht aus den Zahlen des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung hervor. Bei den Zahnärzten waren Rückgänge im Leistungsvolumen von bis zu 40 Prozent festzustellen. Das berichtet die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung.
Allein zwischen Mitte März und Mitte Mai seien im Vorjahresvergleich coronabedingte Rückgänge im Leistungsvolumen der Zahnarztpraxen von bis zu 40 Prozent und mehr festzustellen. Erst ab Mitte Mai waren erste Anzeichen für Normalisierungstendenzen zu beobachten, so die KZBV. Die Bundeszahnärztekammer hatte in ihren Analysen zudem darauf hingewiesen, dass der Privatanteil am Gesamtumsatzvolumen bei den Zahnärzten mit rund 48 Prozent deutlich höher ausfällt als bei den Ärzten und Fachärzten – dort beträgt er etwa 23 Prozent.
Drastische Rückgänge bei Privatliquidationen
Da sich Privatversicherte bei der Inanspruchnahme von zahnärztlichen Leistungen in der Pandemie-Zeit deutlich stärker zurückgehalten hätten als gesetzlich Versicherte, seien hier deutliche Umsatzeinbußen für die Zahnarztpraxen zu verzeichnen. Diese seien auch nicht durch „nachgeholte“ Behandlungen auszugleichen. „Ein Patient, der zum Beispiel seinen PZR-Termin im ersten Halbjahr abgesagt hat, wird im zweiten Halbjahr jetzt nicht zwei Termine machen“, erklärte der Vizepräsident der BZÄK, Prof. Christoph Benz, dazu in einem Hintergrundgespräch. Im April und Mai 2020 gab es bei der privaten Liquidation drastische Einbrüche von zum Teil mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vorjahresniveau. Im Gegensatz zur GKV entspricht hier ein Leistungsrückgang auch einem Honorarrückgang in gleicher Höhe.
Einbrüche im Versorgungsgeschehen erwartet
Hinzu kommt, dass die erneute Infektionswelle die Situation verschärfen wird. Hatten die Zahnarztpraxen im Sommer noch gehofft, allmählich wieder auf ein Ausgangsniveau vor der Pandemie zurückzufinden, so ist diese Entwicklungen durch die aktuelle Dynamik mit steigenden Infektionszahlen und einer Konzentration des Infektionsgeschehens in bestimmten Bereichen und Hotspots massiv bedroht, so die KZBV. Die Zahnärzteschaft stelle sich daher erneut auf „erhebliche Einbrüche im Versorgungsgeschehen“ – ausbleibende Patienten, abgesagte Termine – ein.
Wie der stellvertretende KZBV-Vorstandsvorsitzende Martin Hendges in seinem Bericht vor der Vertreterversammlung der KZBV Ende Oktober darstellte, sind die Inanspruchnahmen von Leistungen schon im August und September gegenüber dem Vergleichszeitraum 2019 wieder zurückgegangen. Einbrüche bei den Zahnarztbesuchen sehe man vor allem bei Kindern und Jugendlichen und hochbetagten Patienten – mit Folgen nicht nur für die Umsätze in den Praxen, sondern auch für die Mundgesundheit und den künftigen Behandlungsbedarf bei diesen Patientengruppen.
FAZ-Interview: Praxen von Insolvenz bedroht
Entsprechend berichtete auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 11. November 2020 (kostenpflichtiges Angebot). „Viele Praxen werden in die Insolvenz gehen“, so die Überschrift des Interviews mit dem KZBV-Vorstandsvorsitzenden Dr. Wolfgang Eßer. Die Zahnärzte fordern daher seit Monaten, auch für die Zahnärzteschaft einen echten Schutzschirm (für den Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung) wie bei den Ärzten gesetzlich zu regeln. Die bislang geltende Verordnung, die jetzt auch in das Gesetz überführt werden soll, sieht nur eine Liquiditätshilfe für die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen vor. Zu viel gezahlte Gelder sollen 2021 und 2022 verrechnet werden.
Eßer erklärt im Interview mit der FAZ zur aktuellen Lage: „Jetzt hat uns die zweite Welle der Pandemie mit voller Wucht erreicht, und die Infektionszahlen bewegen sich auf sehr hohem Niveau. Wir erleben erneut dramatische Rückgänge im Leistungsgeschehen. Wenn das zahnärztliche Versorgungssystem jetzt und über die Zeit der Krise hinweg erhalten werden soll, müs- sen auch für zahnärztliche Versorgungsstrukturen zusätzliche Sicherungsmaßnahmen seitens der Politik geschaffen werden. Die Pandemie ist ja am 31. Dezember nicht zu Ende. Rückzahlungsverpflichtungen aus der Liquiditätshilfe zusätzlich zu den weiteren Einbußen werden viele Praxen nicht schultern können und in die Insolvenz gehen müssen. Das wird dann zumindest regional zu Problemen in der Sicherstellung der Versorgung führen.“
Bundesgesundheitsminister: Keine Änderung bei der Liquiditätshilfe
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärte in einem Schreiben an die Zahnärzte von Ende Oktober 2020, dass sich an dieser Regelung vorerst nichts ändern werde. Er bekräftigt dies auch erneut in einem Videostatement, das anlässlich des Deutschen Zahnärztetags „Mein Kongress – online kompakt“ am 13. November 2020 veröffentlicht wird.
Zahlen aus der Ärzteschaft
Für die Ärzteschaft hat das ZI in seinem Trendreport die Situation untersucht. Auch hier gibt es die Sorge, dass sich die zweite Welle der Pandemie erneut negativ auf die Praxen auswirken wird.
Mit dem Beginn der COVID-19-Pandemie im März 2020 haben die Patientinnen und Patienten in Deutschland deutlich weniger vertragsärztliche und vertragspsychotherapeutische Leitungen in Anspruch genommen als im Vorjahr. Erst gegen Ende Mai normalisiert sich die Inanspruchnahme allmählich wieder. So liegen die Gesamtfallzahlen im Zeitraum vom 1. bis 28. April und vom 29. April bis 26. Mai 2020 um 23 beziehungsweise 15 Prozent unter denen des Vorjahreszeitraums.
Kinder- und fachärztliche Versorgung besonders betroffen
Die stärksten Rückgänge sind dabei im Rahmen der kinder- und fachärztlichen Versorgung mit persönlichem Arzt-Patienten-Kontakt zu verzeichnen. Hier ist der Einbruch mit 34 beziehungsweise 26 Prozent im Zeitraum vom 1. bis 28. April 2020 im Vergleich zum Vorjahr besonders deutlich. Vom 27. Mai bis 30. Juni 2020 liegt die Gesamtfallzahl mit 3 Prozent dann wieder leicht über der Fallzahl des Vorjahreszeitraums. Je nach Fachgruppe sind dabei unterschiedlich stark ausgeprägte Nachholeffekte bei Behandlungsfällen mit persönlichem Arzt-Patienten-Kontakt zu erkennen – jeweils +10 Prozent bei Haus- und Fachärzten, 16 Prozent bei den Kinderärzten und 23 Prozent bei den Psychotherapeuten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Telemedizin bei den Ärzten im Aufschwung
„Die Pandemie hat einen deutlichen Effekt auf die vertragsärztliche Versorgung: Einerseits werden telemedizinische Behandlungsmöglichkeiten immer stärker genutzt, um persönliche Kontakte zu minimieren. Andererseits muss weiter beobachtet werden, wie sich die bei steigenden Infektzahlen deutlich rückläufigen Behandlungsfallzahlen für Patientinnen und Patienten mit chronischen Krankheiten, wie etwa in der onkologischen Versorgung oder bei den Disease-Management-Programmen (DMP), mittelfristig auswirken werden. Insgesamt zeichnet sich im 1. Halbjahr ab Ende Mai eine langsame Normalisierung des Versorgungsgeschehens ab. Der stärkste Wiederanstieg bei den Fallzahlen ist dabei im Bereich der Psychotherapie sowie bei einzelnen Facharztgruppen wie etwa bei Nervenärzten und Schmerztherapeuten zu erkennen. Der Trendreport lässt zudem erkennen, dass von weiteren ausgeprägten Effekten der zweiten Pandemiewelle auf die vertragsärztliche und psychotherapeutische Versorgung ausgegangen werden muss“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.
Hoher Anteil telefonischer Beratungen
Während die Zahl der Behandlungsfälle mit persönlichem Arzt-Patienten-Kontakt bis Ende Mai gegenüber dem Vorjahr gesunken ist, sind die Fälle mit telefonischer Beratung oder per Videosprechstunde mit Beginn der Kontaktbeschränkungen ab März 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum deutlich gestiegen. So wurden im Zeitraum vom 4. März bis 30. Juni 2020 insgesamt rund 3,1 Millionen ausschließlich telefonische Beratungen abgerechnet. Das sind gut 1,6 Millionen mehr als im Vorjahreszeitraum. Hinzu kamen weitere rund 500.000 Stunden für telefonische Beratung, die über die im 2. Quartal 2020 in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) eingeführten Zuschläge vergütet wurden.
Auch die Videosprechstunde wird von April bis Juni immer stärker in Anspruch genommen. So wurden vom 4. März bis 30. Juni insgesamt 1,24 Millionen Videosprechstunden durchgeführt, im Vorjahreszeitraum lag diese Zahl bei wenigen tausend. Die Häufigkeit der telefonischen Beratung und der Videosprechstunde folgte dem Pandemieverlauf und nahm im 2. Quartal wieder ab, obgleich das Niveau über dem des Vorjahreszeitraums liegt.