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Mark S. Pace, Vorstandsvorsitzender des VDDI und CEO von Dentaurum, über die Auswirkungen der Bürokratie auf die deutsche Dentalindustrie und auf andere kleine und mittelständische Unternehmen

Die deutsche Dental-Industrie ist nicht zuletzt wegen der von ihr ausgerichteten IDS weltweit bedeutend. Die Freude über das Jubiläum 2023 wird von den Belastungen allerdings getrübt.

(c) MM/Quintessence News

Vor einigen Monaten berichtete die Tagesschau, dass jeder fünfte Mittelständler darüber nachdenkt, das eigene Geschäft aufzugeben (18. Juli 2023). Einer der Gründe sei eine überbordende Bürokratie. Aus Sicht der Wirtschaft ist das eine sehr verhängnisvolle Entwicklung, da die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) das Rückgrat der deutschen Industrie sind.

Ein „n-tv“-Beitrag (vom 5. Juli 2023) überraschte dagegen mit der Darstellung, die oft kritisierte bürokratische Belastung sei gar nicht so schlimm (gestützt auf Zahlen des Statistischen Bundesamts, mehr dazu weiter unten).

Bürokratie ist also ein heiß diskutiertes Thema. Grundsätzlich möchte ich betonen, dass ein gewisses Maß an Bürokratie absolut notwendig ist, um einen geregelten Ablauf von Prozessen sicherzustellen und um die Sicherheit und Gesundheit der Menschen zu gewährleisten. Die meisten Menschen und Organisationen sind aber der Meinung, dass es heute zu viel Bürokratie gibt. Tatsächlich wurden viele Bürokratieabbauversuche unternommen – sie sind bisher alle samt gescheitert.

Gesamtstatistik und Realität am Beispiel der Dentalindustrie

Mark Stephen Pace ist CEO von Dentaurum und Vorstandsvorsitzender des VDDI.
Mark Stephen Pace ist CEO von Dentaurum und Vorstandsvorsitzender des VDDI.
Foto: Dentaurum
Am Beispiel der Deutschen Dental-Industrie wird deutlich, dass die Gesamtstatistik zur Bürokratie nicht allen Unternehmensklassen gerecht werden kann. Ich bin seit 40 Jahren in der Zahnmedizinindustrie tätig, seit 1991 in führender Position. Als Vorstandsvorsitzender des Verbands der Deutschen Dental-Industrie (VDDI) und CEO eines sehr erfolgreichen mittelständischen Unternehmens, das seit 1886 dentale Medizintechnik herstellt und weltweit mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt, möchte ich Ihnen die Auswirkungen und Belastungen von überbordender Bürokratie schildern.

Der Verband der Deutschen Dental-Industrie besteht seit 1916 und ist der Herstellerverband einer Spezialitätenindustrie, die dentale Medizintechnik von Weltruf produziert. Die rund 200 Mitgliedsunternehmen des VDDI stellen mit rund 60.000 Produktgruppen alles her, was Zahntechniker, Zahnärzte und die zahnmedizinische Fachwelt benötigt, um die Mund- und Zahngesundheit von Patienten in aller Welt zu erhalten oder wiederherzustellen.

Das VDDI-Wirtschaftsunternehmen GFDI mbH führt alle zwei Jahre die Internationale Dental-Schau, die Weltleitmesse der Dentalbranche durch. Seit 100 Jahren der Treffpunkt und Marktplatz für dentale Medizintechnik mit zuletzt 117.000 Besuchern und 1.780 Ausstellern auf 180.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche.

Wirtschaftliche Lage für 2022 relativ positiv

Die wirtschaftliche Lage der Deutschen Dental-Industrie stellt sich für das Geschäftsjahr 2022 relativ positiv dar: 6,268 Milliarden Euro Umsatz, davon 2,27 Milliarden Euro im Inland, 3,99 Milliarden Euro im Export, ein leichter Rückgang. Es werden von den Unternehmen der deutschen Dentalindustrie 20.440 Mitarbeiter beschäftigt, davon 17.295 im Inland.
 

 

Die echten Relationen sehen

Setzen wir diese Zahlen einmal mit anderen Industriezweigen ins Verhältnis: Einer der kleinen Autohersteller in Deutschland ist mit 32.000 Mitarbeitern Porsche. Porsche erzielt jährlich einen Umsatz von etwa 38 bis 39 Milliarden Euro und einen Gewinn von mehr als 6,8 Milliarden Euro. Die VDDI-Mitglieder erzielen also zusammen einen Gesamtumsatz von etwas mehr als sechs Milliarden Euro – so viel, wie der Gewinn von Porsche in einem Jahr!

„Fahrfreude“ versus Mundgesundheit weltweit

Warum stelle ich diesen Vergleich an? Nun, während Porsche einigen hunderttausenden Menschen ein schönes Fahrerlebnis vermittelt, kommen die Produkte, Systemlösungen und Dienstleistungen der Deutschen Dental-Industrie den mehr als 83 Millionen Menschen in Deutschland zugute. Von den Abermillionen Patienten in aller Welt, deren Zahnärzteschaft und Zahntechnikerhandwerk mit Produkten aus Deutschland arbeiten, will ich hier gar nicht reden. Auch wenn wir zahlenmäßig eher eine Nischenindustrie mit vielen Spezialitäten und eben Nischenprodukten sind, ist doch unsere Reichweite und die Bedeutung für die Mund- und Zahngesundheit der Bevölkerung, und hier vor allem auch der arbeitenden Bevölkerung, nicht hoch genug anzusetzen.

© VDDI

 

Kleine Unternehmen, große Bedeutung

Die Leistungen der Deutschen Dental-Industrie und ihres Verbandes werden noch bedeutender, wenn wir einen Blick auf die Betriebsgröße der rund 200 VDDI-Mitglieder werfen: Die elf größten Hersteller in Deutschland beschäftigen zwischen 300 und 1.800 Mitarbeiter. Es gibt sehr viele Klein- und Kleinstunternehmen im Verband. Rund 150 der über 200 Mitgliedsbetriebe beschäftigen unter 100 Mitarbeiter.

Ich sehe für unsere Branche verschiedene Gefahren und Probleme. Neben stark steigenden Lohn- und Materialkosten sind Logistikprobleme und zunehmender Protektionismus in vielen Ländern wichtige Hürden. Zudem ist der Fachkräftemangel mittlerweile stark spürbar.

Größte Gefahr ist die schnell zunehmende Bürokratie

Aber eindeutig als größte Gefahr sehe ich die Bürokratie, die nach meiner Erfahrung gar nicht abnimmt, sondern immer schneller zunimmt.  Eine ständig zunehmende Flut an neuen Richtlinien, Gesetzen, Verordnungen, Vorgaben und grassierende Bürokratie behindert vor allem kleine und mittelständische Unternehmen aller Branchen, kostet Zeit, Geld, hemmt Innovationen und kostet letztendlich Arbeitsplätze.

Medizinprodukte wie Arzneimittel bewerten?

Mir drängt sich förmlich der Eindruck auf, dass das Medizinproduktegesetz dem Arzneimittelgesetz angeglichen werden soll, obwohl unsere Produkte weitestgehend so viel weniger risikoreich als Arzneimittel sind. Die Größenordnungen der zwei Branchen sind zudem völlig unterschiedlich und eine Gleichstellung der Anforderungen kann darum wirtschaftlich gar nicht gelingen.

Umsatzriesen der Pharma-Unternehmen

Machen wir einmal einen Vergleich: Das absolut umsatzstärkste Medikament der Welt ist laut aktueller Prognose für 2023 Keytruda (Pembrolizumab) von Merck & Co mit rund 14 Milliarden US-Dollar, gefolgt vom Corona-Impfstoff Comirnaty (Pfizer/Biontech) mit rund 19 Milliarden US-Doller und dem Rheuma-Medikament Humira des US Pharma-Unternehmens AbbVie: 13,5 Milliarden US-Dollar brachte das Medikament geschätzt 2023. Das Schweizer Pharma-Unternehmen Roche erzielte 2022 allein mit seinem Medikament Ocrevus (Multiple Sklerose) mit 6,036 Milliarden Schweizer Franken (rund 6,48 Millionen Euro) weltweit so viel Umsatz wie die gesamte deutsche Dental-Industrie.

Umsätze am Beispiel Dentaurum

Dentaurum, das Dentalunternehmen, das ich leite, stellt wie die meisten andere Dentalunternehmen, eine große Menge von Spezialprodukten in vielen Varianten her, um die Behandlung von vielfältigen, patientenindividuellen Mundsituationen zu ermöglichen. Von unseren fast 8.500 Produkten machen gerade 90 Artikel jeweils mehr als 100.000 Euro Umsatz. Unser bestlaufendes Produkt, eine Remanium-Gusslegierung für Zahnersatz, macht gerade 1,17 Millionen Euro Umsatz.

So sieht die Verteilung des Absatzes dieser Remaniumlegierung in Packungen in einigen europäischen Land und in der Welt aus:

 

EU-Länder (Auszug)
Deutschland 2.056
Frankreich 1.233
Italien 561
Österreich 371
Griechenland 100
Finnland 62
Slowenien 30
Ungarn 10
Lettland 5
Litauen 5
Irland  3
EU-Summe 6.036
Rest der Welt Summe 3.525
Gesamtsumme Absatz 9.561


Verkaufte Einheiten einer Remanium-Gusslegierung in ausgewählten Ländern pro Land (Stück), 2023
Quelle: Dentaurum

Zertifizierte Medizinprodukte seit 1995

Alle unsere Medizinprodukte waren bisher – seit 1995 – ordnungsgemäß als Medizinprodukte bereits aufwändig zertifiziert, zugelassen und mit dem CE-Zeichen versehen. Durch die neue EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) gelten wieder neue Anforderungen für die technische Dokumentation der bereits (seit Jahrzehnten) im Markt befindlichen Produkte. Für jedes Produkt oder jede Produktgruppe verlangt die MDR von Herstellern eine neue aufwändige klinische Bewertung und ausführliche Dokumentation für sämtliche Produkte.

Die Pflicht zum Erstellen von Studien und der Nachweis klinischer Daten betrifft auch solche Produkte, die sich seit Jahrzehnten auf dem Markt, sprich in Zahnarztpraxen und Dentallaboren, befinden, und dabei immer unauffällig geblieben sind. Auch bisher haben Hersteller und Aufsichtsbehörden die Produkte sorgfältig verfolgt und eventuell auftretende Probleme immer nach den gesetzlichen Vorgaben bearbeitet. Es ist allgemein anerkannt, dass die eventuellen Risiken, die von den meisten zahntechnischen, orthodontischen und implantologischen Produkte ausgehen, extrem gering sind und in keinem Verhältnis zu Risiken von Arzneimitteln stehen.

Aufwand ist enorme Herausforderung für die KMU

Der zeitliche und personelle Aufwand für die Erstellung der vorgeschriebenen Dokumentation stellt gerade die KMU vor enorme Herausforderungen, der in einem schlechten Verhältnis zum Ertrag steht. Viele kleine und mittlere Unternehmen sehen sich gezwungen, Mitarbeiter aus anderen Bereichen für diese Aufgaben abzustellen. Dadurch sind Entwicklungs- und Marketingaktivitäten seit Jahren stark eingeschränkt worden.

Vorschriften gehen an der Lebenswirklichkeit vorbei

Die Vorschrift, dass Hersteller für jedes EU-Land ein eigenes Etikett und eine Gebrauchsanweisung in der jeweiligen Landessprache erstellen müssen, geht an der Lebenswirklichkeit und der Arbeitswelt der fachlich sehr gut ausgebildeten Anwender vorbei. Wir stellen Produkte ausschließlich für akademisches und gewerbliches Fachpersonal her. Die meisten Produkte sind bewährte Standardprodukte, die die Anwender in der Aus- oder Weiterbildung genau kennengelernt haben.

Bisher stellten Etiketten und Gebrauchsanweisungen in englischer Sprache überhaupt kein Problem dar. In unserer Dentalbranche gilt Englisch als anerkannte Fachsprache. Unsere Anwender lesen amerikanische Fachjournale und veröffentlichen zum Teil sogar selbst Fachartikel darin. Die dentale Community aller Länder reist zu Fachmessen, besucht Symposien und Ausstellungen in den USA oder in Ländern, in denen die Fachsprache Englisch ist.

24 Sprachen und zwingend auf Papier

Nun, mit Umsetzung der MDR, ist es plötzlich anders. Abgesehen vom Aufwand und den Kosten ist es sehr wenig nachhaltig, Gebrauchsanweisungen in 24 EU-Sprachen den meist kleinen Produkten in Papierform beizulegen. QR-Codes oder Internetlinks sind nicht zulässig. Eine verbandsinterne Umfrage ergab, dass die Hersteller im Verband jährlich zwischen 2,5 und 40 Tonnen Papier für die Herstellung von Gebrauchsanweisungen aufbringen. Das ist weder aus Gründen der Nachhaltigkeit noch der Kosteneffizienz nachvollziehbar.

Es hakt beim Bürokratieabbau

Insgesamt hakt es beim Bürokratieabbau. Der BDI formuliert seine Erkenntnisse zum Thema „Abbau von bürokratischem Aufwand“ so: „Bis Ende 2022 sollten nach der ersten Fassung des Onlinezugangsgesetzes 575 Verwaltungsleistungen digitalisiert werden. Bisher sind erst 33 Leistungen flächendeckend digital verfügbar. Eine moderne, effiziente und agile Verwaltung ist jedoch ein wesentlicher Baustein für einen innovativen und zukunftsfähigen Standort“, dem ist nichts hinzuzufügen.

Bürokratiekosten fallen immer dann nicht so sehr ins Gewicht, wenn einzelne Produkte Milliardenumsätze bringen. Dann ist es verkraftbar komplexe Zulassungsvorschriften für einfache Produkte zu erfüllen, umfangreiche Literaturrecherche zu betreiben, Etiketten und Gebrauchsanweisungen in 24 EU-Sprachen oder mehr zu erstellen. Aber die Deutsche Dental-Industrie, die ich vertrete, ist dafür viel zu klein, die Kosten dafür enorm, der Personalaufwand zu hoch. Kleine und mittlere Unternehmen sind häufig überfordert und verlassen daher solche Märkte, die mehr Kosten verursachen, als Umsätze versprechen. Im schlechtesten Fall werden kleinere innovative Hersteller selbst von größeren Unternehmen geschluckt. Ist das vielleicht von der Politik beabsichtigt? Irgendwie ist diese meine Befürchtung.

Bürokratiewelle wird zum Tsunami

Man sollte meinen, dass die hiesige Politik unsere Leistungen ankerkennt und die Rahmenbedingungen für unsere Handlungsfähigkeit positiv gestaltet. Leider ist das Gegenteil der Fall. Wir sehen uns in Deutschland und Europa einer Welle von Bürokratie ausgesetzt, die sich langsam zu einem Tsunami entwickelt.

Zusätzlich zu den uns alle belastenden Erfüllungen der MDR gibt es neue Herausforderungen und Berichtspflichten für uns.

  • Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz Deutschland
  • EU-Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (schärfer als in Deutschland)
  • Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (es sind bis zu 2.000 Fragen zu beantworten, das betrifft auch Zulieferer!)
  • Entgelttransparenzrichtlinie zur Sicherstellung gleicher Bezahlung von Frauen und Männern
  • geplantes Verbot von per- und polyfluorierten Chemikalien (PFAS).

In der EU-Kommission scheint ein Wettbewerb zwischen den Generaldirektionen zu herrschen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass sich ihre Richtlinienentwürfe inhaltlich überschneiden?

Problem Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz

Beispiel Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz: Das Gesetz trifft nicht auf alle Unternehmen zu, ist aber trotzdem ein Beispiel dafür, wie die Politik die Probleme, die die Staaten und Regierungen nicht selbst lösen können, auf die Industrie abwälzen und uns damit vor unlösbare Aufgaben stellen. Die meisten der kleinen und mittleren Unternehmen sind formal nicht vom kürzlich in Kraft getretenen Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz betroffen, da die Verpflichtungen zur Einhaltung des Gesetzes Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern betreffen. Aber: Es kommt immer häufiger vor, dass große Unternehmen ihre kleineren Partner in die Pflicht nehmen. So müssen viele kleine und mittlere Unternehmen ihren Großkunden Daten und Informationen zur Verfügung stellen, damit diese ihren neuen Pflichten nachkommen können. Die dafür nötige Datenerhebung, -aufbereitung, und -kommunikation erzeugt also jetzt schon zusätzliche Bürokratielasten bei den KMU“, berichtete kürzlich Prof. Dr. Friederike Welter, Präsidentin des IfM Bonn und Professorin an der Universität Siegen.

Gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie treten wir für einen radikalen Bürokratieabbau ein, um Arbeitsplätze in Deutschland sowie unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Erst kürzlich hat der BDI ein Stimmungsbild in der Industrie erhoben: „Für die Situation am Industriestandort Deutschland gibt es keine Entwarnung. 16 Prozent der befragten Unternehmen sind bereits aktiv dabei, Teile der Produktion und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Weitere 30 Prozent denken konkret darüber nach. Die Industrie benötigt für mehr Investitionen einen spürbaren Bürokratieabbau sowie gezielte Steuersenkungen. Die Politik ist in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen am Standort zu verbessern.“

Nötige Fachkräfte fehlen

Eine Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) aus dem vergangenen Jahr unter dem Titel „Bürokratiekosten von Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau“  in drei Mitgliedsunternehmen des VDMA unterschiedlicher Größe (von 125 bis 3.500 Beschäftigten) ergab Folgendes:
Der Aufwand für staatlich verordnete Bürokratie schwankt – gemessen am jeweiligen Umsatz – zwischen 1 Prozent oder 40 Vollzeitäquivalenten im größten Unternehmen und gut 3 Prozent beziehungsweise zehn Vollzeitäquivalenten im kleinsten Unternehmen. Die tatsächliche Belastung ist de facto jedoch noch höher, weil die Studie bei der Erfassung der Berichtspflichten die rechtlichen Vorgaben auf Landes- und kommunaler Ebene sowie teilweise auf EU-Ebene nicht mitberücksichtigt hat. Die Unternehmen nannten 375 verschiedene Regelungen allein auf Bundesebene, eine etwa gleich hohe Anzahl auf EU-Ebene.

Gesetze der Bundesregierungen gescheitert

Die Bundesregierungen der vergangenen Jahre haben bereits mehrere Bürokratieentlastungsgesetze auf den Weg gebracht. Doch statt weniger Bürokratie erleben wir mehr Bürokratie durch immer neue Berichtspflichten deutschen oder europäischen Stellen gegenüber. Erschwerend kommt hinzu, dass wir die Berichtspflichten oftmals nicht digital erfüllen sollen, sondern wir aufwändigen Papierkram zu bearbeiten haben. Hier brauchen wir dringend Entlastungen von den Berichtspflichten, um unseren unternehmerischen Aufgaben und Pflichten nachgehen zu können!

Behindert Führung und Unternehmertum

Jeder CEO kennt die Maxime: „Am Unternehmen arbeiten – nicht im Unternehmen arbeiten!“ Der tägliche Kampf gegen überbordende Bürokratie hindert uns Unternehmer oftmals daran, die Führungsaufgaben vollständig auszuüben und unsere Fähigkeiten zur Gestaltung des Unternehmens ganz in den Vordergrund zu stellen.

Bürokratie bindet wichtige Ressourcen

Es ist bemerkenswert, dass sich die aktuelle Regierungskoalition und insbesondere das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für den Bürokratieabbau bei der ökologischen Transformation einsetzt. Was wir aber dringend brauchen, ist ein radikaler Bürokratieabbau in der gesamten Industrie und der Wirtschaft. Schließlich sind wir es, die das Geld für die vielen Regierungsvorhaben erwirtschaften müssen! Stattdessen binden immer neue bürokratische Anforderungen an uns viele Ressourcen in Unternehmen, die wir dringend an anderer Stelle, etwa für Innovationen und die Modernisierung unserer Betriebe benötigen.

Irreführende Statistiken und Berichte

Erstaunlicherweise wird aber trotzdem kolportiert, dass die Bürokratiekosten oder der Bürokratieaufwand sogar fallen, zum Beispiel im Bericht „Welche Klagen sind berechtigt? Woran der Standort Deutschland wirklich leidet“ von Max Borowski, NTV, 05.07.2023. In diesem Bericht wird behauptet: „Die Kosten für diese Prozesse erfasst das Statistische Bundesamt seit einigen Jahren in seinem Bürokratiekostenindex. Und der bestätigt die Wahrnehmung der Wirtschaftsvertreter ganz und gar nicht. Den Statistikern zufolge ist die Belastung durch den "Papierkram" in den vergangenen zehn Jahren sogar leicht gesunken. Damit ist zwar das Argument von der Bürokratie als Grund für eine Verschlechterung der Standortbedingungen widerlegt.“

Ferner wird die Gewinnsituation dargelegt: „Zunächst der Status quo: Ein Blick auf Unternehmensgewinne in Deutschland zeigt: Den Firmen geht es, soweit die Daten das erfassen, sehr gut. Im vergangenen Jahr konnten sie wieder einmal Rekordprofite erwirtschaften. Laut Erhebung der Bundesbank verzeichneten deutsche Konzerne operative Gewinne von insgesamt 2,4 Billionen Euro. Das entspricht immerhin etwa einer Verdoppelung innerhalb von 15 Jahren. Die Statistik berücksichtigt zwar nur börsennotierte, also größere Konzerne. Daten zur Körperschaftssteuer, die alle Kapitalgesellschaften erfassen, zeigen allerdings eine ähnliche Entwicklung.“

Verzerrtes Bild der tatsächlichen Lage der Wirtschaft

Den Menschen in Deutschland wird über die Politik und über Medien suggeriert, dass es der gesamten Wirtschaft sehr gut geht, obwohl das nur für die Gesamtsumme der Wirtschaft gilt. Bei den KMU ist es sehr differenziert, teilweise sogar sehr schlecht. Die Mitarbeiter werden daher häufiger unzufrieden, verlangen utopische Lohnerhöhungen und Inflationsausgleichsprämien. Sie sind oft der Meinung, dass der Arbeitgeber sie zu kurzhält, um sich selbst zu bereichern und wandern immer öfter ab, am liebsten in die Großindustrie.

Größenverhältnisse in Statistik nicht berücksichtigt

Was in statistischen Betrachtungen leider nicht berücksichtigt wird, sind die Größenverhältnisse. Wie ich eingangs erwähnt habe, macht Porsche so viel Gewinn wie die gesamte deutsche Dentalindustrie Umsatz im Jahr erwirtschaftet. Wenn man die gesamte Automobilindustrie zusammenrechnet, ist der Umsatz der deutschen Dentalindustrie irgendwo im Bereich der dritten Stelle nach dem Komma.

Und wenn einzelne Medikamente allein so viel Umsatz wie die gesamte Dentalindustrie im Jahr erwirtschaften, wird es fast jedem klar, dass die Dentalindustrie – aber auch alle klein- und mittelständischen Unternehmen aller Branchen zusammen – komplett durchs Raster dieser Statistiken fallen. Die Aussagen der Statistiken sind daher nicht (immer) zutreffend für die kleineren Firmen.

Schwere Bürde für kleine und mittelständische Unternehmen

Zurück zu den aktuellen Belastungen. Die genannten Zusatzaufgaben stellen eine sehr schwere Bürde für kleine- und mittelständische Unternehmen aller Branchen seit Jahren in Deutschland dar. Die uns auferlegten Pflichten belasten die KMU überproportional. Besonders für unsere Dentalbranche, aber auch für die Medizintechnikbranche insgesamt, bedeutet die extreme Verschärfung der Medizinprodukteverordnung (MDR) – neben viel Arbeit, Aufwand und Kosten – auch stark gestiegene Personalkosten für schwer zu findende Fachleute.

„Big Business“ Zertifizierungsgeschäft

In den Bereichen Regulatory Affairs, Qualitätsmanagement und Zulassungsfragen stehen kaum Mitarbeiter zur Verfügung. Finanzstarke Zulassungs-, Auditorengesellschaften und Notified Bodies fegen mit horrend hohen Gehaltsangeboten den Arbeitsmarkt leer. Inzwischen ist das Zertifizierungsgeschäft zum „Big Business“ geworden. Ein Business, das selbst keine Werte herstellt, sondern nur Kosten unnötig aufbläht, weil hier in höchstem Maße Paragrafenreiterei betrieben wird.

Produkte aus dem Sortiment gestrichen

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Was sind die Folgen? Meine Firma sah sich beispielsweise gezwungen, in den vergangenen zweieinhalb Jahren bereits mehr als 750 Einzelprodukte aus unserem Sortiment zu streichen. Häufig können unsere Vorlieferanten der Rohmaterialien die erforderliche und auch für sie aufwändige Dokumentation nicht liefern. Oft lohnt sich der Aufwand für sie wegen der geringen Mengen aus den wenigen Spezialfällen nicht. Das Ergebnis davon ist, dass Anwendern und Patienten Speziallösungen nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Produkte, die für die bisher existierende Therapievielfalt bedeutsam waren, stehen Zahnärzten und Zahntechnikern damit nicht mehr zur Verfügung.

Bestimmte Märkte werden aufgegeben

Auf Grund des Aufwands werden Unternehmen sich überlegen müssen, den Verkauf von bestimmten Produkten insgesamt oder in bestimmten Märkten aufzugeben. Was nutzen mir die fünf Packungen in Lettland oder Litauen, oder 100 Packungen in Griechenland, wenn wir dagegen nicht die Preise erzielen, mit denen wir einen hohen Bürokratieaufwand gegenfinanzieren müssen? Dann bleibt eventuell nur der Verzicht. Bereits jetzt ziehen sich Unternehmen wegen des starken Missverhältnisses von Aufwand zum Ertrag aus Märkten zurück. Übrig bleiben nur noch größere, potente Firmen oder Tochterunternehmen ausländischer Konzerne, die am Ende den notwendigen, hohen Preis bestimmen können.

Für kleine Firmen wird die Luft dünn

Aber für viele kleine Firmen kann die Luft zu dünn werden und sie werden entweder von größeren, internationalen Unternehmen geschluckt oder sie geben einfach auf. Früher gab es viele kleine Arzneimittelhersteller. Heute sind diese Firmen fast alle verschwunden und nahezu die gesamte Arzneimittelherstellung ist in den Händen von wenigen riesigen Konzernen, die die Bürokratiekosten stemmen können.

Politik muss die KMU unterstützen

Das wollen und sollten wir vermeiden. Dafür muss die Politik die KMU unterstützen. Das bedeutet, die individuellen Bedürfnisse der mittelständischen Industriesparten genauer zu betrachten und – anstatt mit der Gießkanne zu arbeiten und sich von Gesamtzahlen blenden zu lassen – den Rahmenbedingungen von KMU angemessene Richtlinien und Gesetze zu erlassen.

Mark Stephen Pace, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Deutschen Dental-Industrie, Geschäftsführender Gesellschafter Dentaurum GmbH & Co. KG, Ispringen

Dentaurum GmbH & Co. KG

Dentaurum, das älteste Dentalunternehmen der Welt, wurde 1886 gegründet. Seit 138 Jahren entwickelt, produziert und vertreibt das inhabergeführte Familienunternehmen ein umfassendes Produktspektrum für Zahnärzte und Zahntechniker. Dentaurum gehört zu dem 5-Prozent-Segment der größten Hersteller von zahnmedizinischen Produkten in Deutschland, hat seinen Hauptsitz in Ispringen in Baden-Württemberg und fertigt seine Produkte hauptsächlich in Deutschland und Frankreich. Dentaurum folgt dabei strengen Qualitätsmaßstäben für ausgezeichnete Verarbeitungseigenschaften und hohe Bioverträglichkeit. Derzeit führt das weltweit agierende Dentalunternehmen mehr als 8.500 Artikel im Programm.

Zahlreiche Dentaurum-Produkte für die Kieferorthopädie, Implantologie, Zahntechnik und Keramik nehmen eine führende Position in den Märkten ein. Dentaurum ist mit Vertriebsniederlassungen in Benelux, Frankreich, Italien, Spanien, Schweiz, USA, Kanada sowie in Australien präsent und mit erstklassigen Produkten in mehr als 130 Ländern vertreten. Das Unternehmen beschäftigt aktuell mehr als 500 Mitarbeiter weltweit.

Reference: Wirtschaft IDS Nachrichten Praxis Zahntechnik

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