Ein alter Vorschlag kommt neu auf den Tisch: Zahnmedizin raus aus der Gesetzlichen Krankenversicherung. In einem Update des Papiers der Stiftung Marktwirtschaft zur Generationengerechtigkeit, das Ende August veröffentlicht wurde, wird das neben einem festen Selbstbehalt für Patienten in der GKV von 1.800 Euro jährlich und weiteren Maßnahmen in der Pflegeversicherung etc. zur Entlastung der jüngeren Generation bei den Sozialabgaben vorgeschlagen.
Hauptautor des Papiers ist der Freiburger Wirtschaftswissenschaftler Prof. Bernd Raffelhüschen (Jahrgang 1957), der auch in der Politikberatung tätig ist. Er war unter anderem Mitglied der sogenannten Rürup-Kommission zur Reform der Rentenversicherung. Raffelhüschen ist auch Mitglied des Vorstands der Stiftung Marktwirtschaft und veröffentlicht dort seit 2006 regelmäßig die Generationenbilanz. Ziel ist es, eine für künftige Generationen nachhaltige Absicherung zu schaffen.
Verursachergerechte Aufteilung verpasst
Im Fazit des Papiers heißt es dazu: „Derzeit setzen die Generationenverträge das alte Motto der Solidargemeinschaft ‚Unus pro omnibus, omnes pro uno – Einer für alle, alle für einen‘ eher einseitig als ‚Omnes generationes pro senibus – Alle Generationen für die Alten‘ um.“ Ein „Weiter so“ würde zu Beitragssätzen von 26 Prozent im Jahr 2060 in der GKV führen. „Die Chance einer verursachergerechten Aufteilung der demografischen Belastung wurde in den vergangenen Jahrzehnten sehenden Auges vertan. Die Generationen, die zu wenige Kinder bekommen haben, um den Status quo der Sozialversicherungen aufrecht zu erhalten, hätten in der Vergangenheit Rücklagen bilden müssen, statt sich auf die für sie vorteilhafte Umlagefinanzierung zu verlassen. Nun gilt es, aus einer schlechten Situation das Beste zu machen und die Belastung gemeinsam zu tragen.“
Stärkung der Eigenverantwortung
In dem Papier heißt es unter den Vorschlägen zur Entlastung in der GKV: „Die Maßnahmen zur Stärkung der Eigenverantwortung, auch bekannt als Freiburger Agenda, sind ein Reformvorschlag für die GKV, der unter anderem von Fetzer und Raffelhüschen (2005) und zuletzt von Bahnsen und Raffelhüschen (2021) im Rahmen der Generationenbilanz untersucht wurde. Dieser Reformvorschlag besteht konkret aus drei Komponenten:
- der Ausgliederung aller zahnärztlichen und zahntechnischen Leistungen,
- einem absoluten Selbstbehalt für ambulante Leistungen und Arzneimittel und
- einer Reduzierung des Kostendrucks im stationären Sektor durch wettbewerbliche und ordnungspolitische Regeln.“
Diese Maßnahmen würden einen großen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit und damit in Richtung einer langfristigen Finanzierungssicherung bedeuten. Zudem ließe sich diese Reform einfach und relativ schnell umsetzen.“
Private Absicherung möglich, geringe „individuelle Mehrbelastung“
Begründet wird der Vorschlag, die Zahnmedizin aus der GKV herauszunehmen, mit dem Verweis auf Länder, in denen zahnärztliche Leistungen selbst versichert werden müssen, und mit der Möglichkeit, das über Zusatzversicherungen abzubilden: „Vorbilder für die erste Komponente des Reformvorschlags sind eine Reihe anderer Länder, wie zum Beispiel die Schweiz oder Norwegen. Die individuelle Mehrbelastung durch die Ausgliederung aller zahnärztlichen und zahntechnischen Leistungen in den eigenverantwortlichen bzw. privaten Bereich dürfte relativ gering sein. Bereits heute wird ein Teil der Kosten durch private Zuzahlungen getragen oder durch ergänzende private Zusatzversicherungen abgedeckt. Patienten und Leistungserbringer sind daher zumindest teilweise bereits an Marktprinzipien und direkte Abrechnung gewöhnt. Zudem ist die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen wenig altersspezifisch, sodass private Versicherungen bei der Prämienkalkulation auf die teurere Rücklagenbildung verzichten könnten“, heißt es im Papier. Eine Betrachtung der Zahnmedizin den Aspekten medizinische Notwendigkeit, Prävention, Nachhaltigkeit, Gesamtgesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher und epidemiologischer Erkenntnisse und internationaler Vorgaben wie der Mundgesundheitsstrategie der WHO findet im Papier nicht statt
Reduzieren der „Nachhaltigkeitslücke“
Im Vergleich zum festen Selbstbehalt sind die prognostizierten Einsparungen für die GKV durch ein Herausnehmen der Zahnmedizin – gemessen am Gesamtvolumen der GKV – allerdings eher übersichtlich. Raffelhüschen et al. argumentieren mit der von ihm benannten sogenannten Nachhaltigkeitslücke in der solidarischen GKV. „Die größte Reduktion in Höhe von 156 Prozentpunkten erfährt die Nachhaltigkeitslücke durch die Einführung eines absoluten Selbstbehalts in Höhe von 1.800 Euro. Die Kostenreduzierung im stationären Bereich hat eine Verringerung der Nachhaltigkeitslücke um 51,8 Prozentpunkte zur Folge. Die vollständige Herausnahme der Zahnbehandlung aus dem Leistungskatalog der GKV fällt mit einer Reduktion der Nachhaltigkeitslücke um 31,5 Prozentpunkte am geringsten aus.“
Sinkender prozentualer Anteil an den Gesamtausgaben
Tatsächlich haben die zahnärztlichen Leistungen inklusive der Festzuschüsse für Zahnersatz seit vielen Jahren einen immer geringeren prozentualen Anteil an den Ausgaben der GKV (auch wenn die Ausgaben de facto steigen, wenn auch in deutlich geringerem Umfang als in anderen Bereichen). Aktuell liegt der prozentuale Anteil der Zahnmedizin (5 Prozent) mit Zahnersatz (1 Prozent) bei 6 Prozent. Nach der vorläufigen Finanzrechnung der GKV für 2022 wurden von den Krankenkassen insgesamt 288,864 Milliarden Euro ausgegeben. Die Ausgaben für die Zahnärztliche Behandlung ohne Zahnersatz betrugen 12,923 Milliarden Euro (ein Plus von 462 Millionen Euro gegenüber 2021), die Ausgaben von Zahnersatz sanken um 17 Millionen Euro auf 3,883 Milliarden Euro.