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KZVen entscheiden über Schutzschirm – KZVWL: „Zahnärzte müssen als systemrelevant anerkannt werden“

Bis zum 2. Juni 2020 mussten die 17 Kassenzahnärztlichen Vereinigungen darüber entscheiden, ob sie die Liquiditätshilfen aus der Schutzschirm-Verordnung vom 5. Mai 2020 in Anspruch nehmen oder nicht. Viele haben dazu in den letzten Mai-Tagen noch Vertreterversammlungen abgehalten.

Die KZV Baden-Württemberg, die KZV Bayerns, die KZV Bremen, die KZV Hessen, die KZV Nordrhein, die KZV Saarland, die KZV Sachsen und die KZV Westfalen-Lippe haben sich für die Annahme entschieden – zum Teil mit deutlichen Worten in Richtung Politik. Die Niedersachsen votierten ebenso wie Thüringen für eine Ablehnung, die KZV Hamburg hatte schon vor dem Inkrafttreten der Verordnung signalisiert, dass sie diese nicht in Anspruch nehmen werde. Ebenfalls ganz oder teilweise abgelehnt haben die KZVen Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.


Dr. Holger Seib, Vorstandsvorsitzender der KZV Westfalen-Lippe (Foto: KZVWL)

Die Vertreterversammlung der KZVWL hat in einer außerordentlichen Sitzung trotz erheblicher Bedenken mit großer Mehrheit der „Schutzschirmverordnung“ des Bundesgesundheitsministeriums zugestimmt, zugleich aber auch eine Resolution an die Politik verabschiedet, in der sie die Anerkennung der Systemrelevanz der Zahnärzteschaft fordert. Dr. Holger Seib, Vorstandsvorsitzender der KZVWL, prangerte die Ungleichbehandlung der Zahnärzte gegenüber den Krankenhäusern und Ärzten an: „Die Zahnärzteschaft musste schließlich trotz des sehr starken Patientenrückganges ihre Praxen bei hohen laufenden Kosten geöffnet lassen, um die zahnärztliche Versorgung sicherzustellen. Die Bundesregierung verkennt völlig die Bedeutung und Systemrelevanz der Zahnärzteschaft.“ Allein in Westfalen-Lippe gebe es im Jahr mehr als 13 Millionen Behandlungsfälle nur bei Kassenpatienten.

Hohe Wertschätzung in der Bevölkerung

Zahnärzte genießen eine hohe Wertschätzung bei ihren Patienten. Die Politik übernimmt diese Wertschätzung in „guten Zeiten“ – in „schlechten Zeiten“ wie in dieser Krise jetzt kann sie sich jedoch nicht mehr daran erinnern. Das Landesgesundheitsministerium in Düsseldorf sehe das anders, erklärt Seib. Hier sei man sich aufgrund der größeren Nähe der Bedeutung der Zahnärzte für die zukünftige Sicherung der Versorgung mehr bewusst, die Entscheidungen werden jedoch von der Bundesregierung getroffen.

Umsetzungsvereinbarung mindert Belastung

In Westfalen-Lippe ist es in einer Umsetzungsvereinbarung mit den Krankenkassen gelungen, wesentliche erforderliche Klarstellungen vorzunehmen, die die Zahnärzteschaft sonst zusätzlich belastet hätten. Das war die Grundlage für die Entscheidung der Vertreterversammlung, der Annahme des „Schutzschirmes“ zuzustimmen, heißt es aus Münster. Der Vorstand der KZVWL wertet „die Aushandlung dieser Umsetzungsvereinbarung als ein positives Signal für das Funktionieren einer Selbstverwaltung in Zeiten, in denen die Bundesregierung in großen Teilen bei unseren Belangen als Zahnärzteschaft versagt.“

Bayern: Liquidität für Zahnarztpraxen

Auch die Vertreterversammlung (VV) der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZVB) hat für die Annahme des Schutzschirms votiert. Zugleich hat sie sich dafür ausgesprochen, bei nachgewiesener Covid-19-bedingter Notlage von einzelnen Praxen, diese mit Krediten zu unterstützen. Die VV beschloss dabei, dass solche Liquiditätshilfen nur auf Antrag der Praxis und nach strenger Prüfung durch einen Ausschuss der VV bewilligt werden können, weil sie in voller Höhe zurückgezahlt werden müssen.

Junge Praxen und strukturschwache Regionen


Christian Berger, Vorstandsvorsitzender der KZVB (Foto: BLZK)

„Wir haben in Bayern Praxen, die in den ersten beiden Quartalen bis zu 80 Prozent weniger Fälle abgerechnet haben – bei nahezu gleichbleibenden Kosten“, begründete Christian Berger, Vorsitzender des Vorstands der KZVB, den Entschluss der VV. Gerade junge Zahnärzte, die noch keine Rücklagen aufbauen konnten und Kredite zurückzahlen müssen, und Zahnärzte in strukturschwachen Regionen Bayerns treffe der Covid-19-bedingte Rückgang der Patientenzahlen hart. „Ein Praxissterben wollen wir verhindern“, so Berger.

Geist der Freiberuflichkeit erhalten

Während über Ärzte und Krankenhäuser ein staatlicher Rettungsschirm aufgespannt wurde, müssen Zahnärzte die Krise aus eigener Kraft bewältigen. „Die meisten Zahnärzte fühlen sich als Freiberufler, die sich auch in der Krise vor allem auf ihr Können und ihre Arbeitskraft verlassen“, so Berger. Diesen Geist der Freiberuflichkeit wolle man erhalten – „auch und gerade, weil die Politik uns im Regen stehen lässt“. Berger bezog sich damit auf die Enttäuschung innerhalb der Zahnärzteschaft, dass die Politik sie nicht wie andere Bereiche des Gesundheitswesens unter einen Rettungsschirm gestellt hatte.

Patienten aufklären und zum Praxisbesuch motivieren

Besser als Darlehen in Form von Abschlagszahlungen wäre es aus Sicht des KZVB-Vorstands, wenn in den Praxen so schnell wie möglich wieder normale Patientenzahlen erreicht würden. Er appelliert daher an die Patienten, wieder in die Zahnarztpraxen zu kommen. Karies kennt kein Corona“, so Berger. „In unseren Praxen besteht schon immer ein sehr hoher Hygienestandard. Infektionsschutz ist in den Praxen täglich gelebte Vorsorge.“

Niedersachsen nutzt bessere eigene Regelungen

Die 50 Delegierten der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KZVN) haben sich in einer außerordentlichen Vertreterversammlung einstimmig gegen die Inanspruchnahme der „COVID-19- Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung“ entschieden. In einer Pressemeldung von Zahnärzte für Niedersachsen (ZfN) heißt es, die Delegierten hätten sich angesichts der aktuellen Vertragssituation mit den Krankenkassen und der noch zu vereinbarenden Regelungen zur Vergütungsanpassung für 2020 entschieden, die Inanspruchnahme einer „Liquiditätshilfe“ für die niedersächsische Zahnärzteschaft abzulehnen.

Mehr eigene finanzielle Mittel

„Schließlich steht man in Niedersachsen ohne die Inanspruchnahme dieser ‚Liquiditätshilfe‘ mit all ihren finanziellen und bürokratischen Konsequenzen sowie weiterer Abhängigkeiten besser da, als bei ihrer Annahme“, so Zahnärztin Silke Lange, stellvertretende ZfN-Vorsitzende. Die KZVN verfüge in dieser Krisensituation aufgrund der Vertragssituation in Niedersachsen „ohne ‚Liquiditätshilfe‘ über mehr finanzielle Mittel für die Leistungsvergütung der niedersächsischen Zahnärzteschaft als mit ihr!“


Henner Bunke, D.M.D./Univ. of Florida (Foto: ZfN)

„Was sich hinter dem ebenso wohlklingenden wie langen Namen verbirgt, ist allerdings nichts anderes als ein bloßes Darlehen an die KZVen mit der Verpflichtung zur vollständigen Rückzahlung an die Krankenkassen in den beiden Folgejahren“, bedauert der Vorsitzende der ZfN, Henner Bunke, D.M.D./Univ. of Florida, diese Scheinlösung. „Systemrelevantes Verhalten von uns Zahnärzten durch Verpflichtung zur Behandlung einzufordern, aber die Systemrelevanz zu verweigern, wenn es um den finanziellen Ausgleich unserer massiven Honorarverluste durch ausgebliebene Patientenbehandlungen bei weiterlaufenden Betriebskosten geht, ist alles andere als wertschätzend“, kritisiert der in Wietze bei Celle praktizierende Zahnarzt Bunke in Richtung Bundesregierung nach Berlin.

In Sachsen-Anhalt sind Zahlungen gesichert

Auch die KZV Sachsen-Anhalt hat die Widerspruchsregelunge gewählt. Hier heißt es „Aufgrund der Ausgestaltung der landesspezifischen Vergütungsvereinbarungen in Sachsen-Anhalt sind die Zahlungen, die die Krankenkassen in diesem Jahr an die KZV Sachsen-Anhalt leisten müssen trotz des rückläufigen Arbeitsaufkommens in vielen Praxen gesichert. Eine gesonderte Liquiditätsabsicherung, wie sie die SARS-CoV-2-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung für den vertragszahnärztlichen Bereich vorsieht, entfaltet daher keine zusätzliche Schutzwirkung.

Im Rahmen einer außerordentlichen Sitzung am 27. Mai 2020 stimmten die 29 Mitglieder der Vertreterversammlung der KZV Sachsen-Anhalt daher einstimmig dafür, dass die KZV Sachsen-Anhalt der COVID-19-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen widersprechen soll.“

Schleswig-Holstein erklärt, auf Empfehlung des Hauptausschusses habe der Vorstand der KZV S-H sich für die Ablehnung der Liquiditätshilfe und damit gegen die Inanspruchnahme des in  § 1 Abs. 1 und 2 der COVID-19-VSt-SchutzV geregelten Sicherungs-/Ausgleichsmechanismus entschieden. „Der Wahl des sogenannten Opt-out liegt zugrunde, dass das Vertragsmodell in Schleswig-Holstein die Vereinbarung einer Budgetüberstellung vorsieht. Damit verfügt die KZV S-H für 2020 bereits über hinreichend abgesicherte Vergütungsstrukturen.“

Die KZV Berlin hat bis auf den Verband der Ersatzkrankenkassen ebenfalls bei allen Krankenkassen der Schutzverordnung widersprochen, wie es auf Nachfrage bei der KZV heißt.

KZBV hatte sich für Opt-out-Möglichkeit eingesetzt


Dr. Wolfgang Eßer, KZBV-Vorstandsvorsitzender, auf der VV am 14. November 2019 in Berlin (Foto: KZBV/Spillner)

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Wolfgang Eßer, bezog nach Vorlage aller KVZ-Voten am 4. Juni 2020 noch einmal Stellung zur COVID-19-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung. „Nachdem die Vertragszahnärzte im COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz nicht berücksichtigt worden waren und der vom Bundesgesundheitsministerium unterstützte Schutzschirm durch ein Veto des SPD-geführten Bundesfinanzministeriums verhindert wurde, wurde den Zahnärzten mit der COVID-19-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung lediglich eine Liquiditätshilfe in Form eines voll zurückzahlbaren Kredites angeboten. Über die Annahme oder Ablehnung dieser Liquiditätshilfe hatten die KZVen bis zum 2. Juni 2020 zu entscheiden. Im Vorfeld konnte die KZBV Klarheit darüber herstellen, dass Zahnärzte grundsätzlich Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben und die Schutzverordnung, anders als von diversen Krankenkassen behauptet, eben nicht als Budgetobergrenze zu verstehen ist“, so Eßer.

„Übersteller“ und „Einzelabrechner“

Die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung der Liquiditätshilfe sei in mehreren KZVen im Rahmen von außerordentlichen Vertreterversammlungen getroffen worden. „Grundlage war in allen KZVen die sorgfältige Prüfung der Wirkung dieser Liquiditätshilfe in Verbindung mit den in den KZVen individuell vereinbarten Vergütungsverträgen.“ Insbesondere sogenannte „Überstellungsverträge“ gewährleisteten für das Jahr 2020 die Auszahlung der für 2020 verhandelten Gesamtvergütungen zu 100 Prozent, losgelöst von der tatsächlichen Leistungsmenge, während die Liquiditätshilfe lediglich 90 Prozent der im Jahr 2019 gezahlten Gesamtvergütung garantiert.

Im Unterschied zu den „Übersteller-KZVen“ könne es in „Einzelleistungsvergütungs-KZVen“ auf Basis der im BMV-Z vertraglich geregelten Modalitäten der Abschlagszahlungen von Krankenkassen an die jeweilige KZV möglicherweise zu Liquiditätsengpässen vor allem im 3. Quartal bei der Auszahlung der Abschläge seitens der KZV an die Zahnärzte kommen, erläuterte Eßer die Hintergründe. In einigen KZVen bestehen mit unterschiedlichen Krankenkassen sowohl Übersteller- wie auch Einzelleistungsverträge. (Mehr zu den Hintergründen im Beitrag Wie es mit dem Schutzschirm jetzt weitergeht.)

„Vor diesem Hintergrund sind die Entscheidungen in den 17 KZVen erwartungsgemäß unterschiedlich ausgefallen, weswegen sich der Vorstand auch von Anfang an vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Vertragssituation für eine Opt-out-Regelung eingesetzt hatte“, so Eßer.

Aktualisiert am 4. Juni 2020 um 10.15 Uhr um die finalen Enscheidungen und das Statement des KZBV-Vorstandsvorsitzenden Dr. Wolfgang Eßer. Aktualisiert am 8. Juni 2020 um 14 Uhr um das Statement aus Schleswig-Holstein. -Red.

Titelbild: Robert Kneschke/Shutterstock.com
Reference: Quintessence News Politik Nachrichten

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