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Dr. Uwe Axel Richter zu Reformbedarf und zum Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen

Apothekerin in weißer Kleidung (links) hält Kartenlesegerät auf der Theke Fest. Ein Mann (rechts) steckt seine Versichertenkarte in das Kartenlesegerät.

Das E-Rezept bringt aufgrund sich häufender technischer Systemausfälle für die Apotheken aktuell noch eher Probleme als Erleichterung.

(c) Bild: ABDA

Hilfe! Wer belebt Nessie, das Ungeheuer von Loch Ness, oder andere, die sommerlichen Badeseen verunsichernde Wasserwesen wieder, die in früheren Zeiten zuverlässig über das mediale Sommerloch hinweghalfen? Stattdessen muss man als Zeitungsleser (okay, selber schuld) Überschriften und Artikel wie in der ersten Augustwoche á la „Kabinett beschließt 23 Gesetze – Mammut Agenda trotz Sommerpause“ goutieren.

Nichts läuft, außer parlamentarischen Fristen

Das Ganze garniert die Deutsche Presseagentur ernsthaft mit dem Zitat „eines“ Regierungssprechers, dass dies die Kabinettssitzung mit den meisten beschlossenen Gesetzen in dieser Wahlperiode gewesen sei. Genauso gut hätte man auch erwähnen können, dass es bereits die 13. Kabinettssitzung in noch nicht einmal 100 Tagen Regierungszeit gewesen war. Immerhin laufen auf diese Weise wenigstens die parlamentarischen Fristen für die Beratung der seitens des Kabinetts beschlossenen Gesetze, denn die Parlamentarier befinden sich in der Sommerpause.

Wenn die Parlamentarier am 8. September zurückkommen, erwarten diese weiter angewachsene Reformberge. Denn egal in welches Regierungsressort man schaut – „blühende“ Landschaften sucht man vergebens. Die realen Ausgaben auf Bundesebene (und nicht nur dort) steigen schneller als die Steuerschätzungen samt den Steuererhöhungsphantasien insbesondere der Sozialpolitiker, was zwingend angepasste Ausgaben bei gleichzeitiger Reallokation der vorhandenen Mittel erfordert – genauer: erfordern würde.

Linke Tasche, rechte Tasche

Wobei die Zeit des Konjunktivs für das deutsche Sozial- und insbesondere Gesundheitswesen mittlerweile abgelaufen ist. Dieses ist – so hart muss man es formulieren – angesichts der weiter allseitigen Ausgabensteigerungen in seinem jetzigen Leistungsumfang nicht mehr zu halten. Das nennt man dann wohl Kipppunkt. Der Ökonom und Berater der Bundesregierung Prof. Lars Feld brachte es so auf den Punkt: „Man müsste Reformen umsetzen, die die Beitragssätze dauerhaft bei 40 Prozent halten. Ansonsten drohen Haushaltszuschüsse oder Steuererhöhungen. Das ist linke Tasche, rechte Tasche. Es braucht Leistungsreduktionen in den Sozialversicherungen.“

Hmm, da ist wieder der den Blick verschleiernde Konjunktiv. Wobei das mit den „Haushaltszuschüssen oder Steuererhöhungen“ so nicht ganz stimmen kann. Richtig wäre „Haushaltszuschüsse und Steuererhöhungen“. Deshalb sei an dieser Stelle kurz auf den Ende Juli veröffentlichten Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2016 und Finanzplan des Bundes 2025 bis 2029 verwiesen, der bis 2029, also dem offiziellen Ende der jetzigen Legislatur, bereits zum Start ein Minus von schlappen 172 Milliarden ausweist. Das sind, knappe 100 Tage nach der Vereidigung der Regierung, bereits 30 Milliarden mehr als angenommen. Um die finanzielle Dimension etwas greifbarer zu machen: Wir reden von 30.000 Millionen Euro.

Die finanzielle Decke ist zu kurz

Wie ernst die von Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil, SPD, in diesem Zusammenhang geforderten „ausgabensenkenden Strukturreformen“ zu nehmen sind, mag jeder für sich beantworten. Schließlich würde es, so der Vizekanzler, „langfristig nicht funktionieren, dass wir immer wieder die Probleme mit Steuergeldern lösen.“ Für die GKV sind das keine guten Nachrichten, denn es wird nichts anderes bedeuten, als ein Fortschreiben der der GKV und damit den Versicherten zusätzlich aufgebürdeten versicherungsfremden Leistungen. Die seitens des Finanzministeriums zur Entlastung der GKV und der Pflegeversicherung vorgesehenen Darlehen erfüllen hingegen nur einen Zweck, nämlich den Reformdruck zu mindern und Zeit für die Regierung zu gewinnen. Klingbeil geht davon aus, so der Newsletter der PKV vom 31. Juli, „dass man es ohne deutliche Beitragssteigerungen hinbekommen werde“. Wie das möglich gemacht werden soll, sagte er wohlweislich nicht. Und auch nicht, was er mit dem Wörtchen „deutlich“ zum Ausdruck bringen wollte.

Dabei ist offensichtlich, dass das Prinzip umlagefinanzierter Sozialsysteme an seine Grenzen stößt, wenn steigende Kosten, auch Arbeitskosten, soziale Umverteilung (zum Beispiel Bürgergeld) auf mangelndes Wirtschaftswachstum in Kombination mit demografischem Wandel zusammentreffen.

Oh heiliger Sankt Florian …

Nun sind „ausgabensenkende Strukturreformen“ bei konstant steigenden Kosten, stagnierendem Wachstum und einer sich dramatisch reduzierenden Schuldenfähigkeit des Staates eine conditio sine qua non. Wenn die Erkenntnis der erste Schritt zur Besserung ist, wer geht als zweites konkret den nächsten Schritt? Vorschläge für das Gesundheitssystem gibt es durchaus. Allerdings funktionieren diese, wie soll es auch anders sein, entweder nach dem altbekannten Sankt-Florian-Prinzip „Heiliger Sankt Florian / Verschon‘ mein Haus / Zünd‘ andre an!“ oder der permanent strapazierten Effizienzsteigerung mittels Digitalisierung, die auch noch nicht die gewünschten Effekte zeigt.

Krankenkassen könnten bei sich sparen

Als Sankt Florian fordert der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen dann gerne eine ehrliche Debatte darüber, was unser Gesundheitssystem leisten soll. „[...] Dazu gehöre auch eine Bestandsaufnahme, wofür die GKV derzeit Geld ausgebe [...] Einsparpotenziale gebe es in gewissen Umfängen bei den gesetzlichen Krankenkassen selbst, etwa durch Effizienzsteigerungen“, sagte Gassen und verwies auf eine aktuelle Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte zur Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung. Weiteres Einsparpotenzial hätten deren Experten durch den Ausbau der Digitalisierung, eine stärkere Ambulantisierung sowie bei den Medikamentenkosten aufgezeigt.

Digital vor ambulant vor stationär

Immerhin nennt Gassen die Digitalisierung erst an zweiter Stelle. Bei Politik und Industrie steht diese jedoch ganz vorne, wenn es um die tatsächliche oder vermutete Realisierung von Einsparpotentialen im Gesundheitswesen geht. So verwundert der decouvrierende Vorschlag von Walter Hess, CEO des aus den Niederlanden in Deutschland operierenden Arzneimittelversenders DocMorris wenig: „Was es braucht, ist ein neuer Versorgungsansatz: Digital vor ambulant vor stationär. Dazu braucht es die Telepharmazie und Telemedizin als integralen Bestandteil. Über die bevorzugte Versorgungsform bestimmt der Patient – nicht die Interessenvertretung.“ Wen wundert es dann noch, dass Arzneimittelversender und Telemedizinanbieter mittlerweile im gleichen Boot rudern und die vertikale Integration üben?

Erst die Analyse, dann der Invest, danach die Effizienz

Dabei übersieht man gerne, dass vor der Effizienzsteigerung mittels bits and bytes erst die Analyse und danach der Invest in die notwendige Digitalisierung erfolgt. Niemand investiert in Maßnahmen, schon gar nicht in die kosten-, pflege- und fortbildungsintensiven digitalen Projekte, wenn diese keinen Vorteil bringen. Wie kommt es dann, dass die absolute Majorität der Arzt- und Zahnarztpraxen, von den Apotheken ganz zu schweigen, ihre Dienstleistung digital organisieren, aber die Telematikinfrastruktur – die zum digitalen Rückgrat des Gesundheitswesens auserkorene aber nie so geplante digitale Struktur – trotz der bereits Mitte 2018 erfolgten gesetzlichen Vorgabe mehrheitlich immer noch kritisch sehen?
Die Antworten darauf sind so simpel wie wahr: Weil erst mit den Lauterbachschen Digitalgesetzen es für alle offensichtlich geworden ist, dass es nicht um digitale Lösungen im Sinne der Versorgungsverbesserung geht, sondern um die damit zu generierenden (Patienten-) Daten.

Zweitens, weil die zunehmende Digitalisierung der Arzt- und Zahnarztpraxen mit externen Tools wie zum Beispiel digitalen Terminkalendern die Kontrolle und Steuerung der Leistungserbringer ermöglicht. Nicht umsonst fordern Politiker wie auch Krankenkassen mit der mantraartig wiederholten Behauptung der Benachteiligung von GKV-Patienten bei der Terminvergabe eine entsprechende Zugriffsmöglichkeit für die Kassen.
Drittens, weil das von den Leistungserbringern erlebte System aus TI und eGK samt aufgepfropfter Anwendungen wie e-PA als dysfunktional und E-Rezept als hoch fehleranfällig erlebt wird. Man braucht sich nur die Probleme anzuschauen, die das E-Rezept aufgrund sich häufender technischer Systemausfälle für die Apotheken mit sich bringt. Da geht es beispielsweise nicht nur um nicht getätigte Umsätze, vulgo Umsatzverluste, sondern um echte Kosten, wenn abgegebene Medikamente aufgrund von Datenverlusten nicht mehr bei der jeweiligen Kasse abgerechnet werden können. Die Haftungsfrage für die finanziellen Schäden ist, wen wundert es, nicht geklärt.

Die Krokodilstränen der Politik

Apropos Lauterbach. Dieser hatte hinsichtlich der Möglichkeiten zur Nutzung der Patientendaten aus seinen Digitalgesetzen bereits mit großen Techkonzernen, vornehmlich aus den USA, über mögliche Datennutzungen gesprochen. Seine Nähe wie auch die der anderen Parteien zu – sagen wir – großen wirtschaftlichen Strukturen, findet sich im Übrigen auch im E-Rezept wieder. Das die Zahl der Präsenzapotheken weiter schrumpft, scheint mithin einkalkuliert. Die mögliche Kosteneinsparung auch?

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf

Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.
Reference: Politik Nachrichten

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