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In gut fünf Wochen ist Bundestagswahl, aber gerade über Gesundheitspolitik spricht niemand – Die Kolumne von Dr. Uwe Axel Richter

(c) Photo Veterok/Shutterstock.com

Nur noch gut fünf Wochen bis zur Bundestagswahl – eigentlich höchste Zeit für die Parteien, ihre politischen Vorstellungen geschärft unter das Volk zu bringen. Doch von inhaltlichen Auseinandersetzungen oder gar Programmatik weit und breit keine Spur. Und das, obwohl die möglichen Koalitionsoptionen beim Blick auf die gesundheitspolitischen Positionierungen der Parteien ausgesprochen spannend sind. Aber in der Öffentlichkeit wird das nur wenig thematisiert.

So förderte das sonntägliche Screening der großen, will heißen reichweitenstarken Medien kaum einen aktuellen und lesenswerten politischen Beitrag zutage, wohin die Parteien denn so wollen. Ob Umfragen es allein werden richten können? Immerhin – gestern durfte man sich dank der Meinungsforscher mal wieder die Augen reiben: „BILD“ meldete, dass Kanzlerkandidat Olaf Scholz, also „die“ SPD, im aktuellen Sonntagstrend mit 20 Prozent nun knapp vor „den“ Grünen liege, das beste Ergebnis seit Dezember 2017.

Damoklesschwert vierte Coronawelle

Ein Wunder? An den politischen Leistungen und Erfolgen des Finanzministers, dem die „Markenzeichen“ Besonnenheit und Seriosität „zugeschrieben“(!) werden, kann man es guten Gewissens nur schwerlich festmachen. Wohl eher an den Auswirkungen einer sehr angespannten politischen Weltlage in Kombination mit dem angsterzeugenden Dauerstress beim Blick auf das immer größer wirkende Damoklesschwert namens vierte Coronawelle. Herbeigeredet wird sie seit Monaten, und wer weiß, welche Überraschungen noch im Kielwasser mitschwimmen werden. Angesichts der Wankelmütigkeit des zuständigen Gesundheitsministers Jens Spahn und der „Kreativität“ der weiteren beteiligten Ministerien wird das Regelungschaos aller Erfahrung nach weiter zunehmen. Aus Fehlern lernen? Weltweit verfügbare Daten und Fakten zur Kenntnis nehmen? Doch nicht bei dieser Regierung …

Deshalb zurück zum Wahlkampf und seinen möglichen Folgen nach dem Wahltag am 26. September. Besonders spannend sind die Koalitionsoptionen, da kaum eine Partei noch als echte Volkspartei – also 30 Prozent plus Stimmenanteil, Wähler in allen Bevölkerungsschichten, ausgewogene Mitgliederstruktur und das strategische Ziel, möglichst allein zu regieren – durchgeht. Dadurch werden Koalitionsverhandlungen nicht gerade leichter, insbesondere, wenn man die Positionierungen hinsichtlich des Gesundheitswesens betrachtet. Vor allem in der zentralen Frage der Finanzierung sind die programmatischen Schnittmengen klein bis nicht vorhanden. SPD, Grüne und Linke sehen sich in der Bürgerversicherung vereint, FDP und CDU sind dagegen. Die AfD hält sich bedeckt, will aber die Zusammenlegung von Kranken- und Pflegeversicherung.

Mögliche mehrheitsfähige Koalitionen

Da nun aber keine der vorgenannten Parteien mit der AfD koalieren will, ergeben sich nach Stand der Umfragen vom 15. August (https://www.bundestagswahl-2021.de/koalitionen/#ampelkoalition) folgende mehrheitsfähige Koalitionen, aufgeführt nach absteigender Bundestagsmehrheit der kumulierten Umfragedaten: CDU-SPD-Grüne (Kenia-Koalition), CDU-Grüne-FDP (Jamaika-Koalition); CDU-SPD-FDP (Deutschland-Koalition) und SPD-Grüne-FDP, die sogenannte Ampelkoalition. Vordergründig hängt es derzeit also an der FPD und ihrem Machtwillen, ob die Bürgerversicherung eine Chance auf Realisierung hat. Vorausgesetzt, die CDU bleibt stärkste Kraft.

Nicht unterschätzen darf man jedoch den diesbezüglichen Gestaltungswillen der Grünen, die sich sehr deutlich pro Bürgerversicherung positioniert haben – und einflussstarke „Think Tanks“ wie die Bertelsmann-Stiftung an der Seite wissen. In Anbetracht der Wählerklientel der Grünen wird angesichts der Coronakrise das übliche Argument, dass auch Besserverdienende, Selbstständige und Beamte ihren Teil zur Solidargemeinschaft beizutragen haben, neues Gewicht bekommen.

Gegenüberstellung der gesundheitspolitischen Programme

Für einen schnellen Überblick über die weiteren Positionen und Vorstellungen der einzelnen Parteien für das zukünftige Gesundheitswesen ist die „Gegenüberstellung der gesundheitspolitischen Programmpunkte der im Bundestag vertretenen Parteien zur Bundestagswahl 2021“ der KZV Baden-Württemberg sehr hilfreich. Auch die zahnärztlichen Perspektiven von KZBV („Unsere zentralen Positionen an die Politik“) und BZÄK (Gesundheitspolitische Positionen zur Bundestagswahl) sind lesenswert und mit geringem Zeitaufwand zu lesen. In der nächsten Kolumne werde ich auf weitere Aspekte eingehen.

Spahn muss seine Fehler nicht selbst ausbaden

Da Politik vor allem people business ist, gilt es als eher unwahrscheinlich, dass Jens Spahn nochmals Gesundheitsminister werden wird. Was angesichts der von ihm und seinem Ministerium eingebrachten Gesetzesflut eigentlich schade ist. Es wäre interessant zu sehen, wie er in der nächsten Legislatur mit den offensichtlichen Regelungswidersprüchen in den diversen Gesetzen umgeht, vor allem, wenn die tiefen Taschen des Staates nicht mehr für das Überschminken der teuren Fehler ausreichen könnten. Aber welcher Politiker löffelt schon die eingebrockte Suppe auch aus?

Gemischte politische Bilanz

Und so halten sich in seiner Schaffensbilanz Soll und Haben je nach Blickwinkel die Waage: Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wie kein anderer vorangetrieben, dabei „eherne“ Grundsätze wie dezentrale Datenhaltung gekippt, die meisten Gesetze von allen Ministerien eingebracht, dabei die Kosten vor allem zu Lasten der Krankenkassen massiv erhöht, und in der nun bereits fast 20 Monate andauernden Corona-Pandemie ein sehr durchwachsenes Bild abgeliefert. Der Glaube, dass der Staat alles könne, im Zweifel besser, hat in diesen Monaten massive Dämpfer erhalten. Egal ob Masken, Impfstoffbeschaffung, Impfzentren, digitaler Impfpass, Testungen, Kontaktverfolgung – erst mit Ärzten, Apothekern, Softwarefirmen etc. wurden schnell und zielgerichtet Lösungen möglich.

Liste potenzieller Kandidaten für das BMG ist klein

Apropos people business: Wer könnte auf Spahn folgen? Die Spekulationsliste ist eher übersichtlich, die Zahl potenzieller Kandidaten für die Leitung des Gesundheitsministeriums je nach Partei klein. Derzeit werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – bei der CDU Anette Widmann-Mauz, die bereits Staatssekretärin im BMG war, oder Gottfried Ludewig, Abteilungsleiter im BMG und einer der wesentlichen Treiber der Digitalisierung unter Spahn, gehandelt. Aber auch der Laschet-Vertrauten Serap Güler, ihres Zeichens Integrationsministerin in NRW, werden Chancen nachgesagt.

Bei der SPD heißt die Kandidatenliste Karl Lauterbach. In politischen Kreisen fällt der Professor aufgrund seiner häufig irrlichternden medialen Dauerpräsenz jedoch in die Rubrik Problembär. Angesichts der zu lösenden Aufgaben keine guten Voraussetzungen für Erfolg, den ihm seine Partei mit einem unsicheren Listenplatz sowieso schon schwer gemacht hat.

Bei den Grünen stünde mit Kordula Schulz-Asche eine kompetente und fachlich versierte Gesundheitspolitikerin zur Verfügung. Aber auch der Arzt Janosch Dahmen, Mitglied im Gesundheitsausschuss, wäre ein potenzieller Kandidat. Manche sehen gar Katrin Göring-Eckardt mit Chancen.

Auch die FDP zeigt sich kandidatenseitig für das BMG gut aufgestellt. Neben Christine Aschenberg-Dugnus, Fraktionssprecherin Gesundheit, sagt man Linda Teutenberg, der ehemaligen Generalsekretärin, und dem Mediziner Andrew Ullmann Chancen nach.

Im Vergleich zu Jens Spahn wären die Vorschusslorbeeren für alle genannten „Kandidaten“ deutlich kleiner. Was ja auch positiv sein kann. „Schaun mer mal“, würde der Kaiser sagen.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.
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