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Was der Koalitionsvertragsentwurf für Gesundheit und Pflege vorsieht – eine Kolumne von Dr. Uwe Axel Richter

Im Entwurf des Koalitionsvertrags findet sich zum Thema „Gesundheit und Pflege“ am ehesten Konkretes rund um den „Ausbau von Strukturen in den Vor-Ort-Apotheken für Präventionsleistungen“

(c) Candyretriever/shutterstock.com

Nehmen Sie sich ein wenig Zeit, lehnen sich zurück und lassen Sie die wohlgesetzten einleitenden Worte des Koalitionsvertrags „Verantwortung für Deutschland“ von CDU/CSU und SPD für den Bereich Gesundheit und Pflege auf sich wirken: „Wir wollen eine gute, bedarfsgerechte und bezahlbare medizinische und pflegerische Versorgung für die Menschen im ganzen Land sichern. Dafür wagen wir tiefgreifende strukturelle Reformen, stabilisieren die Beiträge, sorgen für einen schnelleren Zugang zu Terminen und verbessern die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen.“

Nun ist die derzeitige Verwendung des Begriffs „Koalitionsvertrag“ nicht ganz treffend, da es sich um einen Entwurf handelt, der unter dem Vorbehalt der Zustimmung der SPD-Mitgliederbasis steht. Diese sollen in einer vom 15. bis 29. April stattfindenden Befragung darüber abstimmen, ob aus dem vorliegenden Papier ein Vertrag werden wird. Insofern sind neben Zustimmung oder Ablehnung auch Änderungen am jetzigen Papier möglich, was in Teilen erklärt, warum in diesem Papier so wenige Festlegungen enthalten sind.

Ein situationsflexibler Koalitionsvertrag

Gemäß der Präambel des Koalitionspapiers steht Deutschland vor historischen Herausforderungen. Das gilt leider auch für das Gesundheitswesen im Allgemeinen wie der finanziellen Situation der Gesetzlichen Krankenversicherung im Besonderen. Leere Kassen trotz massiv gestiegener Versicherungsbeiträge verlangen eigentlich danach, dass jeder Stein in der GKV umgedreht wird, um Einsparungen zu realisieren. Die 265 Zeilen des Kapitels 4.2. „Gesundheit und Pflege“ lesen sich jedoch ganz anders. Auf den knapp neun Seiten rund um das Gesundheitswesen finden sich viele, auch Funktionäre wärmende Worte. Ernstzunehmende, rasch umsetzbare Vorschläge zur Lösung der offensichtlichsten Probleme, unter denen die Versorgung in Deutschland stöhnt und ächzt, finden sich kaum. Geschweige denn Vorschläge zu kurz- und langfristigen Kosteneinsparungen.

Konkrete Maßnahmen – Fehlanzeige

Bleiben wir kurz bei den Finanzen, ob derer man sich nur verwundert die Augen reiben kann. Die Koalition in spe bekennt sich zwar dazu, die Finanzsituation der GKV stabilisieren zu wollen, allerdings erst ab 2027. Und will dafür erst noch eine Kommission gründen. Hinsichtlich möglicher Maßnahmen gibt man sich unkonkret, aber situationsflexibel. Dies bedeutet: Kein Bekenntnis für Steuerzuschüsse zur Kompensation der der GKV aufoktroyierten versicherungsfremden Leistungen. Im Sondierungspapier der AG Gesundheit und Pflege war diese noch in Höhe von rund 63 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre als notwendig erachtet worden. Stattdessen liebäugelt man mit Beitragserhöhungen und natürlich mit den Segnungen eines wie auch immer zu erwartenden Wirtschaftswachstums. Echte Kosteneinsparungen –Fehlanzeige.

Fast alle Vorschläge fallen entweder in die Rubrik „altbekannte Phrasen“ wie der Wiedergänger namens Bürokratieabbau, klingen vordergründig sinnvoll wie die „Reduktion der Anzahl nicht bedarfsgerechter Arztkontakte“ oder sind nur mit erheblichen Vorarbeiten realisierbar. Oder sie fallen in die Rubrik Reparatur verkorkster Reformen. Dies betrifft insbesondere die Krankenhausreform.

Immerhin vermeiden es die Koalitionäre, dem sonst üblichen politischen Reflex der Einsparungen bei den Leistungserbringern zu erliegen. Stattdessen will man den Weg zu mehr Effizienz gehen, im Koalitionsvertrag umschrieben als „Reduktion der Anzahl nicht bedarfsgerechter Arztkontakte“. Das in Klammern nachgesetzte Wort „Jahrespauschalen“ ist ein deutlicher Hinweis darauf, wer sich hierbei abmühen darf: die grundversorgenden Niedergelassenen im sogenannten Primärarztmodell. Was nichts anders bedeutet, als dass die Leistungserbringer für die Erreichung der notwendigen Kosteneinsparungen verpflichtet werden sollen. Soweit die Theorie.

Primärarztmodell nicht per Akklamation zu haben 

Das ein seit Jahrzehnten etabliertes Versorgungsmodell/etablierte Verhaltensmuster nicht von jetzt auf gleich fundamental geändert werden können, liegt auf der Hand. Ob die bereits heute unter enormen Versorgungsdruck stehenden Niedergelassenen (Stichwort offene Kassenarztsitze) diese Aufgabe mal so eben nebenbei übernehmen können, gar ohne weiteren Verlust an Patientenbehandlungszeit, ist zu bezweifeln.

Obwohl das Primärarztmodell schon seit geraumer Zeit diskutiert wird, gibt es keine vorbereitenden Maßnahmen. Dennoch zeigen sich die Kassen vom Einsparpotenzial, Stichwort Vermeidung von Doppeluntersuchungen und Reduktion von Facharztkontakten, schon mal enthusiasmiert. Den damit auch wieder aufbrausenden innerärztlichen Zwist zwischen Hausärzteverband und dessen HzV-Modell und den Vorstellungen des KV-Lagers nimmt man wohl gern in Kauf.

Keine Termine mehr für Bagatellerkrankungen?

Ob man hier zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt und damit auch die immer wieder thematisierte Terminproblematik löst, darf bezweifelt werden. Solange keine Trendumkehr bei der faktischen Anzahl der Niederlassungen, insbesondere bei den Hausärzten erfolgt, trifft eine gleichbleibende bis steigende Terminabforderung seitens einer älter und kränker werdenden Patientenschaft auf eine sinkende Zahl an Praxen und Ärzten und damit einer geringer werdenden Anzahl an zur Verfügung stehenden Terminen. Was zur Folge haben wird, die Terminvergabe von der Schwere der Erkrankung abhängig machen zu müssen. Da werden sich in den Praxen noch Dramen abspielen. Und in der Konsequenz die Fluktuation des Praxispersonals in neue Höhen treiben. Insofern sollte man nicht davon ausgehen, dass das geplante Primärarztmodell die Wartezeiten für gesetzlich Versicherte verkürzen wird.

Der Weisheit letzter Schluss

Doch gemach, so schlimm wird es nicht kommen, schließlich glauben die Parteistrategen zu wissen, was sie da tun. Und so findet sich im Koalitionspapier unter der Zwischenüberschrift „Ambulante Versorgung“ folgende Einlassung: „Die ambulante Versorgung verbessern wir gezielt, in dem wir Wartezeiten verringern, das Personal in ärztlichen Praxen entlasten und den Zugang zu Fachärztinnen und Fachärzten bedarfsgerecht und strukturierter gestalten. Die telefonische Krankschreibung werden wir so verändern, dass Missbrauch zukünftig ausgeschlossen ist (zum Beispiel Ausschluss der Online-Krankschreibung durch private Online-Plattformen)“. Ja, nee, ist klar…

Ärzte und Apotheker zukünftig Seit an Seit in der Primärversorgung?

Dennoch gibt es zum Thema Gesundheit und Pflege wenige, dafür aber erstaunlich konkrete Vorschläge. Fast alle finden sich im Unterkapitel Apotheken. Über die Gründe sollte man durchaus spekulieren, denn schließlich verursachen die vorgeschlagenen Maßnahmen steigende Kosten für die Kassen (Geld, dass diese nicht haben) und mit Sicherheit erhebliche Auseinandersetzungen mit den Ärzten, verspricht man den Apothekern doch den  „Ausbau von Strukturen in den Vor-Ort-Apotheken für Präventionsleistungen“.

Selbst der allwissenden und allmächtigen Politik scheint zu dämmern, dass der Erhalt von Versorgungsstrukturen wie der „Vor-Ort-Apotheken“ allemal billiger und schneller wirksam ist, als neue Strukturen aufzubauen. Denn gemäß dem einleitenden Satz zum Unterkapitel Apotheken im Koalitionsvertrag sind, man höre und staune, „die Vor-Ort-Apotheken häufig die erste Anlaufstelle in der Gesundheitsversorgung“. Und damit ergibt der Satz „Den Apothekerberuf entwickeln wir zu einem Heilberuf weiter“ auch Sinn.

Apothekerberuf zu Heilberuf weiterentwickeln

Eine erstaunliche Festlegung, die mit den Aktivitäten und Festlegungen der verfassten Spitze der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände wenig, dafür viel mit den Aktivitäten des hessischen Apothekerverbands und dessen Petition zum Erhalt der wohnortnahen Versorgung zu tun hat. Stichworte „Stärkung der Apotheken als niedrigschwellige Gesundheitsdienstleister“ und „Ausbau pharmazeutischer Dienstleistungen zur Entlastung von Arztpraxen und Notfallambulanzen“.

Bei Apotheken wird es konkret

Angesichts der Verweigerung des immer noch amtierenden Gesundheitsministers Karl Lauterbach, mit den Apothekern wenigstens in einen wertschätzenden Dialog zu treten, sind die konkreten Festlegungen im Koalitionsvertrag zumindest ungewöhnlich. Daher eine kurze Aufzählung der weiteren, die Apotheken betreffenden Punkte: Bekräftigung des Fremdbesitzverbots, Erleichterungen bei der Abgabe und den Austausch vor Arzneimitteln, Abschaffung von Nullretaxationen aus formalen Gründen, Aufhebung des Skonti-Verbotes, Erhöhung des Apothekenfixums auf 9,50 Euro, welches in Abhängigkeit vom Versorgungsgrad bei ländlichen Apotheken bis zu 11 Euro betragen kann, vergleichbare Vorgaben und Nachweispflichten für die Versandapotheken (Kühlketten). Zugegeben sind das schwierig einzuordnende Veränderungen. Wer jedoch zu den Auswirkungen samt Hintergründen mehr wissen möchte, kann gerne mit mir Kontakt aufnehmen. Kontaktadresse findet sich am Ende dieser Kolumne.

Bye bye Wirtschaftsministerium

Mit diesen prägnanten Vorstellungen steht die Apothekerschaft – zumindest im Koalitionsvertrag – recht einzig dar. Dies umso mehr, als man im gleichen Zuge die sachlich widersinnige Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums für die Vergütung der Apotheken beenden will. Zukünftig soll die „Vergütung zwischen den Apothekerinnen und den Apothekern und dem GKV-Spitzenverband ausgehandelt“ werden.

Teile und herrsche

Im Sinne der Umpositionierung der Apotheken von Arzneimittelabgabestellen zu Vor-Ort-Strukturen für Präventionsleistungen wird der GKV-Spitzenverband sicher die bessere Adresse sein. Verhandlungstechnisch wird es für die Kassenärztliche Bundesvereinigung nicht einfacher werden.Tu felix medicus dentarius!

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf

Reference: Politik Praxis Nachrichten

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