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Lauterbach treibt seine Reformagenda ohne Blick für Realität und Belastungen voran – die Kolumne von Dr. Uwe Axel Richter

(c) Kunertus/Shutterstock.com

Der Schreck war kurz, das Kopfschütteln anhaltend: „Ich mache die Arbeit gern. Und Ideen für Verbesserungen im Gesundheitssystem hätte ich auch noch für eine weitere Legislatur“. Das sagte Prof. Dr. Karl Lauterbach vergangene Woche in einem bundesweit weithin beachteten Interview in der Zeitschrift „Stern“ auf die Frage, ob er nach der Bundestagswahl gern noch Minister wäre.

Nach den Wahlergebnissen in Sachsen und Thüringen vom 1. September 2024 ist eine Prognose, wie wohl eine neue Bundesregierung nach der Bundestagswahl im September 2025 aussehen könnte, zwar mehr als unsicher – und damit eine zweite Amtszeit des Ministers ebenfalls. Aber man fragt sich doch: Was meint Karl Lauterbach bloß mit Verbesserungen? Doch nicht etwa seine permanenten Reformen und „Revolutionen“, die aufgrund seiner ordnungspolitischen Unbedarftheit oder seinem geringen Standing in der Regierung das Finanzgefüge der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht nur extrem belasten (werden), sondern auch das Potenzial haben, den mühsam zusammengezimmerten Finanzkompromiss der Ampelkoalition zu sprengen. Denn die Wirtschaftsleistung wächst, seriös betrachtet, nicht. Und daran hängt – wenn es nicht mehr Schulden im Bundeshaushalt geben darf – alles.

Schnell ertappt man sich beim Stoßgebet, dass dieser „Karl-Kelch“ doch bitte, bitte am bundesdeutschen Gesundheitswesen spätestens Ende 2025 vorbeigehen möge. Sofern die Ampelkoalition diese Legislatur tatsächlich noch zu Ende bringt.

Zur Jahreshälfte 2024 bereits 2.000 Millionen Euro Miese

Die Liste seiner noch nicht in Kraft getretenen Gesetze ist lang – und bereits jetzt ist klar, dass die Einnahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung Stand heute bei weitem nicht ausreichen werden, um diese nur ansatzweise zu finanzieren. Das Defizit der Kassen beträgt zur Jahreshälfte 2024 bereits zwei Milliarden Euro. Klingt seit den Zeiten von Corona und den tiefen Taschen von Jens Spahn nach wenig, sind aber trotzdem 2.000 Millionen Euro. So nimmt es nicht wunder, dass die GKV einen zusätzlichen Finanzbedarf für 2025 ankündigt, der sich in plus 0,6 Beitragspunkten in der GKV und 0,25 Prozentpunkten in der Pflegeversicherung manifestieren wird. Und zwar für jeden Beitragszahlenden! (Nota bene: Wir haben ein weitgehend solidarisch und paritätisch finanziertes Sozialsystem, jeder Prozentpunkt mehr trifft Arbeitnehmer – diese über Zusatzbeiträge noch stärker – und Arbeitgeber und geht auch zulasten der Wirtschaft.) Zählt man die Betragssätze für alle gesetzlichen Sozialversicherungen zusammen, wird dann die 20-Prozent-Marke für Krankenversicherung und Pflege überschritten. Und dass in Zeiten allseitiger massiver Kostensteigerungen, an denen der „Staat“ ebenfalls nicht unerheblich beteiligt ist.

Für die Beitragszahlenden wird es noch teurer

Aber es kommt noch dicker. In diese Beitragssatzerhöhung sind die Folgen von Lauterbachs noch nicht beschlossenen Gesetzesvorhaben – wie das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (GVSG), das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), das Gesetz zur Reform der Notfallversorgung, das Apothekenreformgesetz und die Folgekosten des Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) – noch gar nicht eingepreist. Um nicht missverstanden zu werden: Strukturreformen sind dringend nötig, insbesondere im Bereich der Krankenhäuser und an den Schnittstellen des ambulanten und stationären Sektors. Es ist allerdings ordnungspolitisch ein absolutes „no go“, die jahrzehntelangen Versäumnisse in der auskömmlichen Finanzierung der Krankenhäuser und damit eine der Folgen der Krankenhausreform zu 50 Prozent den Beitragszahlern aufzubrummen, obwohl die (Teil-)Verursacher in den Regierungen sämtlicher Bundesländer zu finden sind. Der andere (Teil-)Verursacher sitzt derzeit als Gesundheitsminister in der Regierung und hat das aktuelle System der Krankenhausbezahlung in Deutschland mittels DRGs zu verantworten.

Das Credo der Beitragssatzstabilität war einmal

Man kann es drehen und wenden, wie man will: In Folge des Schaffens des gelernten Mediziners und Gesundheitsökonomen wird tatsächlich der Vorrang der Beitragssatzstabilität in der GKV von der Politik zu Grabe getragen. Und das liegt diesmal nicht an den diesbezüglich gerne öffentlich angeschuldigten Zahnärzten, Ärzten oder Apothekern. Hier werden sogar die Krankenkassen sehr deutlich. Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Dr. Carola Reimann, bezeichnete den amtierenden Gesundheitsminister angesichts der zu verkündenden Beitragserhöhungen in offiziellen Pressemitteilungen als den „teuersten Gesundheitsminister aller Zeiten“. 

Kostensteigerungen ohne echten Mehrwert

Und weiter: „Statt auf die Ausgabenbremse zu treten, damit die Sozialbeiträge nicht weiter aus dem Ruder laufen, will der Minister das Geld der Beitragszahlenden weiter mit vollen Händen ausgeben. Inzwischen räumt er offen ein, dass alleine die anstehende Krankenhausreform zu höheren Beitragssätzen für die GKV-Versicherten führen wird. Aber die hälftige Finanzierung des Krankenhaustransformationsfonds, die der GKV trotz Nicht-Zuständigkeit aufgedrückt werden soll, ist ja nicht die einzige Maßnahme der Ampel, die den Druck auf die Beitragssätze erhöhen wird. Auch die Aufhebung des Budgetdeckels für die Hausärzte, das Aufweichen der AMNOG-Leitplanken und die geheimen Erstattungsbeträge für Arzneimittel werden zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe verursachen, ohne einen echten Mehrwert zu bieten“.

Ohne Entbudgetierung keine Lotsen

Dem ist im Prinzip – bis auf die für den bestmöglichen Erhalt der hausärztlichen Versorgungsstruktur entscheidende Voraussetzung – zuzustimmen: Die auch im Kontext der geplanten gesetzlichen Entwicklungen notwendige Entbudgetierung der Hausärzte. Denn ohne ausreichend verfügbare Hausärzte wird es weder eine Lotsen- noch eine Gatekeeper-Funktion für die allseits als dringend notwendig apostrophierte Patientensteuerung geben. Damit wäre – Lauterbachs inhaltliche Zappeleien hin oder her – eine der entscheidenden Stellgrößen für eine bessere und auch ökonomischere Patientenversorgung im Kontext der geplanten Gesetze bereits entscheidend geschwächt, bevor diese überhaupt an den Start gehen konnte.

 

Dr. Uwe Axel Richter zu Gast bei „Dental Minds“

Die Gesundheitspolitik begleitet den Mediziner und Fachjournalisten schon seit Jahrzehnten, auch in der ärztlichen und zahnärztlichen Standespolitik ist er zuhause: Dr. Uwe Axel Richter. Für „Quintessence News“ nimmt er in seiner Kolumne alle 14 Tage aktuelle politische Themen kritisch unter die Lupe. Jetzt ist er zu Gast bei „Dental Minds“ und schaut mit Dr. Marion Marschall und Dr. Karl-Heinz Schnieder auf das, was sich in Gesundheits- und Standespolitik bewegt – oder auch nicht.

Vom gesundheitsreformerischen Dauerfeuer des amtierenden Bundesgesundheitsministers mit Krankenhausreform und mehr über die Möglichkeiten und Grenzen der zahnärztlichen Standespolitik bis zur AS Akademie, der Akademie für freiberufliche Selbstverwaltung und Praxismanagement in Berlin, erklärt und beleuchtet Richter im Gespräch die aktuellen Themen. Hier geht es zum Podcast.

„Sondervermögen“ Krankenkassenbeiträge

Doch zurück zu dem unsäglichen Finanzgebaren auf Seiten der Politik und dem bereits vor Jahren parteiübergreifend entdecktem „Sondervermögen“ des Bundes namens GKV-Beiträge. „Ein Sondervermögen ist im deutschen Haushaltsrecht ein wirtschaftlich verselbstständigter Nebenhaushalt, der ausschließlich zur Erfüllung einzelner begrenzter Aufgaben des Bundes in einer besonderen Situation bestimmt ist und deshalb von dem sonstigen Bundesvermögen getrennt verwaltet werden muss.“ So die Definition auf Wikipedia. Übersetzt: Schulden außerhalb der Reichweite der Schuldenbremse.

Zehn Milliarden Euro „Spende“ der Beitragszahler an den Bund

In einem Punkt hinkt der Vergleich des Sondervermögens für den Griff des Bundesfinanzministers in die Kasse der GKV jedoch: Es handelt sich hier nämlich nicht um zusätzliche Schulden, sondern um den Griff in eine von den Beitragszahlern gefüllte Kasse. Was die Sache nicht weniger dreist macht. Um zusätzliche Schulden des Bundes für das ALG 2 und das Bürgergeld zu umgehen, erstattet man der GKV halt nur einen Teil der ihr gesetzlich aufgebrummten Leistungsverpflichtungen des Bundes. Und schwups – zehn Milliarden Euro weniger für die von den Beitragszahlenden finanzierte Krankenversorgung.

Da klingt es wie ein Hohn, wenn angesichts dieser Zahlen der Bundesrechnungshof ein Prüfrecht für die Mittelverwendung in den Selbstverwaltungen fordert. Immerhin würde der Staat ja einen wesentlichen Zuschuss aus Steuergeldern zur Finanzierung der GKV beitragen. Und das bei Unterzahlungen von zehn Milliarden Euro.

Keiner will auf die Mehrwertsteuer verzichten

Um das Bild zu vervollständigen: Sämtliche Finanzminister von rechts bis links haben sich bis heute geweigert, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel wenigstens auf den Steuersatz von Schnittblumen anzupassen. 2020 betrugen die Mehrwertsteuersteuereinnahmen bei 700 Millionen Verordnungen bereits circa 5,5 Milliarden Euro. 

Karl ist lieber allein zu Haus

Nun geriert sich unser Gesundheitsminister gerne als Daniel Düsentrieb des deutschen Gesundheitswesens. Motto: Weiß alles, kann alles – und zwar immer besser als alle anderen. Und dafür will und muss er auch keinem zuhören. Sie wissen schon: Alles Lobbyisten! Üblicherweise führt schon das Negieren der Erfahrungen von profunden Praktikern zum Scheitern. Doch die von ihm bislang erreichten Ergebnisse lassen an einer weiteren Grundqualifikation des Ökonomen zweifeln: der, rechnen zu können.

Im besten Fall sollten die Gewinner überwiegen

Wenn man dann auch noch Bundesgesundheitsminister ist, darf man ein Mindestmaß an politischer Kunst – oder genauer Basisfähigkeit – von Politikern erwarten. Dazu zählt auch, die imaginären Waagschalen mit Gewinnern und Verlieren möglichst gleichmäßig zu füllen. Am besten jedoch so, dass zahlenmäßig die Gewinner überwiegen. Schließlich sind alle vier Jahre Bundestags- und alle fünf Jahre Landtagswahlen. Auf den alten (westdeutschen) Glaubenssatz, dass Wählerinnen und Wähler ein kurzes Gedächtnis haben, sollte man sich als Politiker allerdings besser nicht mehr verlassen.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Reference: Politik Nachrichten

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