Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich Ende Oktober 2020 mit einem Brief an die Zahnärzteschaft gewandt. Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte nahm den Brief zum Anlass, seinerseits einen offenen Brief an Spahn zu veröffentlichen, dessen Tonlage und Diktion allerdings auch in der Zahnärzteschaft und im Verband selbst auf Kritik stoßen.
So nehmen die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund-und Kieferheilkunde (DGZMK) gemeinsam dazu am 9. November 2020 Stellung: „Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) hat am 5. November 2020 mit einem Brief auf ein Anschreiben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn an die niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte in Deutschland reagiert. Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, Bundeszahnärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde stellen zunächst fest, dass dieser Brief nicht mit ihnen abgestimmt worden ist. Zudem distanzieren sie sich von der gewählten Diktion und von einigen Passagen des Briefes des FVDZ. Der politische Diskurs muss auch in Krisenzeiten von einem Mindestmaß an Respekt geprägt bleiben. Die Situation darf nicht dazu führen, dass Emotionalität und Respektlosigkeit die Oberhand gewinnen“, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme.
„Dürfen erwarten, dass die Politik mit uns praktische Lösungen findet“
Spahn hatte in seinem Schreiben an die Zahnärzteschaft seine Wertschätzung und Anerkennung für den gesamten Berufsstand klar zum Ausdruck gebracht und sich für die besonderen Leistungen und den Einsatz während der Corona-Pandemie bedankt, so KZBV, BZÄK und DGZMK. „Wir stellen gemeinsam fest: Die Lage für viele Kolleginnen und Kollegen ist in der Pandemie weiterhin schwierig und in Teilen sogar existenzbedrohend. Hier dürfen wir gemeinsam erwarten, dass sich die Politik mit uns zusammen den sich stellenden Fragen und Problemen zuwendet und praktische Lösungen findet.“
Klar, aber „fair und angemessen im Ton“
Auch künftig werde man die Auswirkungen der Pandemie auf Zahnarztpraxen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit belastbaren Analysen und Auswertungen untermauern – „klar und ergebnisorientiert in der Argumentation, aber jederzeit fair und angemessen im Ton. Auf dieser Grundlage werden wir unsere Lösungsvorschläge zur Bewältigung der Pandemie einbringen und uns für die Kolleginnen und Kollegen mit allen Kräften einsetzen.“
FVDZ-Landesverband Nordrhein distanziert sich vom FVDZ-Brief
Bereits am 7. November 2020 hatte der Vorsitzende des FVDZ-Landesverbands Nordrhein auf den Brief des Bundesvorstands und des erweiterten Vorstands des FVDZ reagiert und sich in einem Schreiben an den FVDZ-Bundesvorsitzenden ZA Harald Schrader von der Art des Schreibens distanziert. Der Landesvorsitzende Dr. Thorsten Flägel konstatierte, dass der Brief des FVDZ in dieser Form und Diktion kontraproduktiv sei und die Bemühungen der Standespolitik konterkariere. Die Kritik an den politischen Entscheidungen gegenüber den Zahnärzten sei berechtigt, aber „all das darf aber aus unserer Sicht nicht dazu führen, sich in einer derart respektlosen und emotional überladenen Art und Weise an den Gesundheitsminister Spahn als Replik auf seinen an die Zahnärzteschaft gerichteten Brief, in dem er klar und deutlich die Wertschätzung gegenüber dem zahnärztlichen Berufsstand und allen Mitarbeitern zum Ausdruck bringt und sich für unseren großen Einsatz in der schwierigen Pandemiezeit ehrlich bedankt, mit dem besagten offenen Brief zu wenden. Solche emotional getragenen Worte gegenüber politischen Entscheidungsträgern mögen für den ein oder anderen wie Balsam für die Seele wirken und ein wenig die erhitzten Gemüter abkühlen“, so Flägel.
Auf der Ebene der politischen Entscheidungsfindung kontraproduktiv
Auf der Ebene der politischen Entscheidungsfindung seien solche Briefe absolut kontraproduktiv „und führen letztendlich mit aller Konsequenz dazu, dass die unermüdlichen Bemühungen unserer körperschaftlichen Standesvertretung auf der Bundes- und Landesebene, unsere Forderungen über die Politik in gesetzliche Regelungen gießen zu können, konterkariert werden.“ Schrader wisse als Mitglied der Vertreterversammlung der KZBV über den aktuellen Stand der Gespräche mit der Politik Bescheid. Es sei ohnehin schon schwer, die Anliegen der Zahnärzteschaft in dieser Zeit in die politische Diskussion zu bringen. Äußerungen wie der Brief an Spahn erschwerten dies zusätzlich.
FVDZ konstatiert im Brief „politischen Zynismus“
Der FVDZ-BV wirft Spahn in seinem Offenen Brief vom 5. November 2020 politischen Zynismus vor. Der Dank komme zu spät, die Zahnärzte seien in der Situation auf sich allein gestellt. „Nun jedoch, mit der Erfahrung der demonstrativen politischen Geringschätzung des vergangenen halben Jahres, hat Ihre Form der Dankesbekundung den schalen Beigeschmack des halbherzigen Klatschens auf den Balkonen dieser Republik.“
Neben weiterer Kritik fordert der FVDZ den Minister auf, die Kampagnen der Zahnärzteschaft zur Aufklärung der Patienten über die hohe Sicherheit beim Zahnarztbesuch zu unterstützen. Außerdem müsse es jetzt ein Reagieren auf die Situation in den Praxen geben, die Corona-Pandemie führe zu einer Gefährdung der gesamten Versorgungsstruktur. Der vollständige Brief ist auf der Internetseite des FVDZ nachzulesen.
VZÄ+ verweist auf Probleme der Zahnärztinnen und der jungen Generation
Auch der Verband der Zahnärztinnen plus (VZÄ+) hat einen Offenen Brief an Spahn gerichtet, in dem er feststellt, dass er mit dem Brief des FVDZ inhaltlich „ausdrücklich konform“ gehe. Der Verband erläutert ausführlicher die aktuelle Situation auch für Praxisgründer und junge Zahnärztinnen und verweist auf Probleme zum Beispiel mit der Versorgung in der Fläche, auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mit dem nächtlichen Notdienst. In der ersten Welle Pandemie seien vor allem Zahnärztinnen und Mitarbeiterinnen zusätzlich dadurch belastet gewesen, dass es aufgrund der Ignoranz gegenüber den Zahnärzten keine Klarstellung des Ministeriums oder des Ministers zur Systemrelevanz der Zahnärzte gegeben habe und somit Probleme mit der Kinderbetreuung aufgetreten seien.