Das war lautstark: Mit Trillerpfeifen und „Roten Karten“ machten Zahnärztinnen, Zahnärzte und sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Zahnarztpraxen am 3. Mai 2023 „auf Schalke“ ihrem Ärger über die Politik und insbesondere die Gesundheitspolitik von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach Luft. Im Fokus: Die durch das sogenannte GKV-Finanzstärkungsgesetz von 2022 wieder eingeführte Budgetierung, die vor allem bei der gerade neu eingeführten modernen Therapie der Parodontitis zu Lasten der Gesundheit der Patientinnen und Patienten geht.
Mehr als 1.100 Teilnehmer waren in die Lounge der Veltins-Arena in Gelsenkirchen zur Protestaktion gekommen, die von den Landesverbänden Nordrhein und Westfalen-Lippe des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte (FVDZ) initiiert und organisiert worden war. Über diese für Deutschland ungewöhnlich große Resonanz freuten sich die beiden FVDZ-Landesvorsitzenden Patricia Wachter und Oktay Sunkur in ihrer Begrüßung.
Lautstarke Reaktionen
Das Warum dieser Budgetierung und ihre Folgen für Mundgesundheit, Patientenversorgung und die Praxen und ihre Mitarbeiterteams, aber auch die konsequente Ignoranz des amtierenden Bundesgesundheitsministers gegenüber dem ambulanten Bereich machten als Rednerin und Redner der KZBV-Vorstandsvorsitzende Martin Hendges, der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Prof. Christoph Benz, die Präsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe, Hannelore König, der Vorsitzende der Freien Ärzteschaft, Wieland Dietrich, und der Bundesvorsitzende des FVDZ, Harald Schrader deutlich. Ihre Ausführungen wurden von Beifall und ohrenbetäubenden Trillerpfeifen begleitet. Moderator und Organisator Dr. Dagwin Lauer forderte immer wieder dazu auf, der Politik die Rote Karte zu zeigen – dem folgten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer prompt und lautstark. „Platzverweis für Lauterbach“ war eine oft gehörte Forderung.
Weitere Spargesetze angekündigt
„Bislang war die zahnmedizinische Versorgung erstklassig und wir waren in den vergangenen Jahren sozusagen jede Saison in der Champions League. In der Mundgesundheit sind wir Weltklasse. Mit den Spargesetzen droht uns jetzt der Abstieg in die Zweitklassigkeit“, so er KZBV-Vorstandsvorsitzende Martin Hendges. Denn das GKV-FinStG sei noch nicht das Ende, es seien weitere Spargesetze mit Leistungskürzungen in Vorbereitung, für Ende Mai seien Vorschläge angekündigt. Und es sei zu befürchten, dass auch die zum 30. September 2023 anstehende Evaluierung der Auswirkungen des GKV-FinStG auf die Versorgung nach der neuen PAR-Strecke vom Ministerium „schöngerechnet“ werde.
Politik hat bewusst die PAR-Leistungen ignoriert
Hendges legte noch einmal dar, dass die gemeinsam mit Wissenschaft, Krankenkassen, Gemeinsamem Bundesausschuss und Politik auch in ihren finanziellen Rahmenbedingungen konsentierte und als großer Erfolg gefeierte, 2021 eingeführte neue PAR-Richtlinie von Lauterbach und seinem Haus beim GKV-FinStG bewusst ignoriert worden sei. Es sei bekannt gewesen, dass und in welcher Höhe für die PAR-Strecke Mittel eingeplant werden mussten, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen. Doch trotz aller Forderungen aus der Zahnärzteschaft und der Politik, so aus dem Bundesrat, sei die PAR-Therapie nicht von der Budgetierung ausgenommen worden.
Öffentlichkeitskampagne angekündigt
Hendges bezeichnet dies als einen toxischen Polit-Cocktail, der rein der Kostendämpfung folge. Dieses Spargesetz werde fatale Folgen haben und den Patienten über Jahre schaden. Er kündigte eine Öffentlichkeitskampagne an, die diese Auswirkungen der Spargesetze auf die Patientenversorgung den Menschen verdeutlichen soll.
„Das Rückgrat unserer Praxen“
Hendges wandte sich auch an das Personal: „Sie sind ohne Zweifel das Rückgrat unserer Praxen“, erklärte er unter Beifall. Er freue sich, dass so viele ZFA gekommen seien: „Sie verdienen unsere allerhöchste Wertschätzung“, nicht nur wegen des großen und selbstverständlichen Einsatzes in der Corona-Pandemie. Mit den Spargesetzen und der Missachtung des ambulanten Bereichs – Hendges verwies unter anderem auf die für MFA und ZFA ausgebliebene staatliche Corona-Prämie als Anerkennung – verschlechterten sich auch die Rahmenbedingungen für die Fachkräfte. „Lauterbach entreißt uns alle Mittel“, um die Berufe in der Zahnarztpraxis attraktiver zu machen und weiterzuentwickeln.
„1.111 Freunde müsst Ihr sein“
Prof. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer, legte anschließend nach: „Wenn medizinisch berechtigte Behandlungen, wie zum Beispiel die Parodontitisbehandlung nicht mehr bezahlt werden, ist das GKV-FinStG ein grobes Foulspiel an Patientinnen und Patienten!“ Auch er zeigte sich von der großen Teilnehmerzahl beeindruckt: „1.111 Freunde müsst Ihr sein“, wandelte er ein bekanntes Fußballschlagwort ab.
„Ihr seid Paro“
„Ihr seid Paro“, sagte er zu den zahlreichen ZFA, ZMF, ZMP und DH im Publikum, und forderte alle auf, zur nächsten öffentlichen Demo am 14. Juni 2023 nach Köln zu kommen, um auch der ambulanten Versorgung den Rücken zu stärken. „Wir sind halb so viele Menschen, wie in der Autoindustrie arbeiten. Wenn die niest, bekommt die Politik Schnupfen. Wir müssen laut werden und öffentlich. Wir müssen raus aus unseren Bohrtürmen, wo wir immer weitermachen und denken, dass es schon irgendwie gutgehen wird“, so sein Appell.
„Unser Beruf braucht Perspektiven“
„Ihr werdet gebraucht, und wir haben noch große Herausforderungen vor uns.“ Hannelore König, Präsidentin des Verbands medizinische Fachberufe, stärkte den Praxisteams den Rücken. Höhere Betreuungsbedarf bei den Patienten wegen der demografischen Entwicklung, das Ausscheiden der Babyboomer aus den Praxen seien nur einige Themen. „Unser Beruf braucht Perspektiven“, so König, auch für die Kolleginnen, die 2022 mit der neuen Ausbildungsordnung gestartet sind. Die Ampel habe angekündigt, die Gesundheitsberufe zu stärken. „Jetzt hat die Regierung bald Halbzeit“, aber passiert sei bis auf Spargesetze nichts.
„Die Praxen wissen nicht mehr, wie sie unter den aktuellen Bedingungen im Wettbewerb um die Fachkräfte mithalten sollen“, erklärte sie mit einem Seitenhieb auf die Krankenkassen, die aus dem GKV-Topf höhere Gehälter anbieten können. Die Leidtragenden seien die Patienten, für deren Behandlung in den Praxen dann das qualifizierte Fachpersonal fehle. „Wir müssen sie darüber aufklären, so kann es nicht weitergehen“, so König: „Wir müssen lauter werden.”
Freie Ärzteschaft an der Seite der Zahnarztpraxen
Dass die Zahnärzte im Kampf um eine funktionierende medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht allein dasteht, davon konnte Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft, berichten. Denn auch dort sind die Verwerfungen in der Gesundheitspolitik immens, was nicht nur an aktuell fehlenden Medikamenten zu sehen ist. Allein 5.000 Vertragsarztsitze seien nicht mehr besetzt, Tendenz steigend. Und auch er richtete eine Spitze gegen die Krankenkassen mit ihren rund 160.000 Mitarbeitern und hohen Personalkosten. „Wir müssen die Patienten aufklären, dass die medizinische und zahnmedizinische Versorgung systematisch an die Wand gefahren wird“, so Dietrich.
Anerkennung für die geleistete Arbeit gefordert
Abschließend mahnte Harald Schrader, Bundesvorsitzender des FVDZ, die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland müsse erstklassig bleiben: „Die ambulante Zahnmedizin geht den Lauterbach runter“, betonte Schrader, „unsere Patienten müssen aber in der 1. Dental-Liga bleiben!“ Das Maß sei voll, sagte er in Richtung Lauterbach. Man fordere von der Politik „Anerkennung für das, was wird und unsere Mitarbeiterinnen täglich leisten“, auch finanziell. „Was wir für unsere Patienten erbringen, müssen wir auch bezahlt bekommen.“ Schrader kündigte neben der Unterstützung der weiteren Aktionen ebenfalls eine Öffentlichkeitskampagne des FVDZ an.
Die Patienten ins Boot holen
In einer kleinen Plenumsrunde kamen auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Wort. Die Patientinnen und Patienten seien froh, dass sie jetzt als Kassenpatienten eine moderne Parodontitistherapie inklusive Nachsorge bekommen können. Sie seien zugleich aber erstaunt und entsetzt, dass die bei ihnen durch die Zahnärztinnen und Zahnärzte und das Fachpersonal durchgeführten Behandlungen nicht oder nicht vollständig bezahlt würden, berichtete eine Teilnehmerin. Die Patienten wollten mitdemonstrieren, die müsse man mit ins Boot holen: „Die sind genauso kampfbereit wie wir.“
Nächste Aktionen am 14. Juni in Köln und am 8. September in Berlin
Die Veranstaltung in der Veltins-Arena war erst der Auftakt. Am 14. Juni 2023 steht eine öffentliche Kundgebung auf dem Roncalli-Platz am Kölner Dom an. Und für Freitag, den 8. September 2023, plant der Verband medizinischer Fachberufe wieder eine Protestaktion in Berlin. „Diese Veranstaltung hier ist super“, so Hannelore König. „Aber die Politik wird in Berlin gemacht. Da müssen wir hin.“
Dr. Marion Marschall, Berlin