Das Frühjahrsfest der Zahnärzteschaft in Berlin ist ebenso wie der Neujahrsempfang ein Ort für Austausch und öffentliche Standortbestimmung zwischen Standespolitik, Politik, Ministerien, Verbänden und Wissenschaft. Wo aktuell die Diskussionsfronten verlaufen, war am Abend des 23. April 2024 nach der Begrüßung der Gäste durch den Vorstandsvorsitzenden der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Martin Hendges, und dem Statement der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Sabine Dittmar, MdB (SPD), schnell klar. Und ob das abschließende Versprechen der Staatssekretärin wirklich Hoffnung machen sollte, darüber dürften die Meinungen der rund 350 Gäste aus Politik, Selbstverwaltung, Medien und Gesundheitswirtschaft sicher auseinandergegangen sein.
Aber zunächst freute sich der Dienststellenleiter der Vertretung des Landes Baden-Württemberg, Stephan Ertner, dass die KZBV und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) erneut sein Haus für das Frühjahrsfest gewählt hatten. Er hob auf die Initiativen und die Unterstützung der baden-württembergischen Landesregierung unter anderem für die stärkere Regulierung der investorenbetriebenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) ab. Auch ein vernünftiger Rechtsrahmen in der Europäischen Union, so zum Europäischen Gesundheitsdatenraum und zur Medical Device Regulation, liegen der Landesregierung im Interesse der Innovationsfähigkeit der Medizintechnik und der Versorgung am Herzen, erklärte er. „Wir schätzen die Arbeit der Bundeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung sehr.“
Zahnärzteschaft mit dem Anspruch, Gesundheit zu gestalten
Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der KZBV, skizzierte im Anschluss die großen Linien der vertragszahnärztlichen Versorgung. Mit seinem Amt verbinde ihn der Anspruch, „Gesundheit gestalten“ zu wollen. Für ihn stehen dabei die Stärkung der Präventionsorientierung, die Digitalisierung sowie die Frage im Vordergrund, wie die zahnmedizinischen Versorgungsstrukturen zukunftsfest gemacht werden können. Er verwies auf das, was die Zahnärzteschaft zum Beispiel in der Betreuung pflegebedürftiger Patienten und vor allem bei einer modernen Parodontitistherapie erreicht habe – der Erfolg letzterer stehe nun wegen der Budgetierung auf der Kippe.
Grundlage für die PAR-Therapie wieder verbessern
Das Gesundheitsstärkungsgesetz (GVSG) sei jetzt die letzte Chance, hier das Ruder für 2024 noch herumzureißen und die Budgetierungsfolgen für die PAR-Therapie abzufedern – oder wenigstens für 2025 die Finanzierung der PAR-Theraie wieder auf die Füße zu stellen. Überhaupt sei das GVSG jetzt eine Art Nagelprobe für eine an der Realität und sicheren Versorgung der Menschen orientierten Gesundheitspolitik, stellte Hendges in seiner Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf heraus. Von den von Bundesgesundheitsminister Lauterbach angekündigten Regulierungen der iMVZ sei nichts zu finden. „Lassen Sie sich nicht von den billigen Forderungen der Investoren nach Transparez einlullen“, so sein Appell an die Politiker. Mehr Transparenz sei nicht mehr als ein Feigenblatt, das nichts an den Gefahren der iMVZ für die (zahnärztliche) Versorgung ändere.
Die Bedingungen für den Nachwuchs verbessern
Endlich ernst machen mit der Entbudgetierung, Entbürokratisierung und am Nutzen für Mediziner und Patienten orientierten, praxisnahen Digitalisierung – das müsse die Ampel-Koalition jetzt leisten, stellte er heraus. Statt die Selbstverwaltung mit weiteren Kontrollen zu überziehen, müsse sie vielmehr gestärkt und ihre Expertise endlich wieder einbezogen werden. Man müsse wegkommen von einer Gesundheitspolitik, die am Reißbrett gemacht wird, und sich endlich wieder hinwenden zur Versorgungsrealität, sagte der KZBV-Vorstandsvorsitzende unter langem Beifall. Er appellierte an die Politiker: „Nutzen Sie die Chance auf einen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik“. Dies auch vor dem Hintergrund der Nachwuchsproblematik: „Dem zahnärztlichen Nachwuchs und denen, die Versorgung heute aufrechterhalten, dürfen wir die Freude am Beruf nicht durch fehlende finanzielle Planungssicherheit, überbordende Bürokratie und eine versorgungsferne Digitalisierungsstrategie nehmen.“
Noch Zuversicht, dass ein Wechsel möglich ist
Er habe noch die „notwendige Zuversicht, dass ein Wechsel möglich ist“, so Hendges. Für einige Erheiterung sorgte Hendges mit dem Hinweis, dass er in die „Ampel-WG“ einziehen wolle, wenn der Wechsel nicht gelinge, und dann mit Lauti, Lindi, Harbecki, Baerbocki, Scholzi und Laschi mal die Politik diskutieren werde. (Die „Ampel-WG“ ist eine sehr beliebte Comedy-Reihe des WDR, jeden Tag mit einer aktuellen Folge, die Folgen sind auch als Podcast in der ARD-Mediathek verfügbar.)
Lob für die Initiativen der Zahnärzteschaft
Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, Sabine Dittmar, stellte in ihrem Grußwort zunächst die enormen Verbesserungen heraus, die die Mundgesundheit in Deutschland in den letzten Jahrzehnten erfahren habe: „Daran haben die Zahnärzteschaft und ihre Spitzenorganisationen einen ganz maßgeblichen Anteil.“
Die von KZBV, BZÄK und auch den zahnmedizinischen Fachgesellschaften eingebrachten Versorgungskonzepte hätten wesentlich dazu beigetragen, die Prävention in der zahnmedizinischen Versorgung auf ein neues Niveau zu heben. „Dafür gebührt Ihnen, die an der Entwicklung und der Verbreitung dieser Versorgungskonzepte beigetragen haben, ein großer Dank“, erklärte die Parlamentarische Staatssekretärin weiter. Sie lobte auch die Initiative der KZBV mit einem „Runden Tisch“ für die Lösung der Probleme bei der Behandlung besonders vulnerabler Patientengruppen in Vollnarkose.
Staatssekretärin hält „Kassandra-Rufe“ für nicht angebracht
Zu den wichtigen Blaupausen für eine bessere Versorgung gehöre auch das 2017 von KZBV, BZÄK und DG PARO vorgelegte „Konzept für die Behandlung von Parodontalerkrankungen bei Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung“ (PAR-Versorgungskonzept), auf dessen Grundlage 2021 die neue, präventionsorientierte Parodontitistherapie eingeführt wurde. Die Kritik der Zahnärzteschaft am GKV-FinStG, wonach die strikte Budgetierung insbesondere die modernisierte Parodontitisversorgung hart treffe und mit Blick auf die hohe Prävalenz schwere Negativfolgen für die Patientenversorgung mit sich bringe, teile sie jedoch nicht. „Ich höre die Befürchtungen, aber teile sie nicht“, erklärte sie, und legte dann die Sicht des Ministeriums zu den PAR-Behandlungszahlen dar, die vor allem die Zunahme der Neufälle in 2022 würdigte. Sie halte die Kassandra-Rufe für nicht angebracht.
Man handele, wenn man Veränderungsbedarf sehen
Die mit dem Gesetz beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen seien notwendig gewesen, um das Defizit der GKV zu verringern, verteidigte die Parlamentarische Staatsekretärin den Sparkurs von BMG und Ampel: „Gleichwohl begrüße ich, dass die Kritik der Zahnärzteschaft immer von dem Ziel geleitet ist, die Versorgung der Patientinnen und Patienten weiterzuentwickeln. (...) Dass es dabei auch unterschiedliche Sichtweisen zwischen der Zahnärzteschaft und dem BMG geben kann, liegt in der Natur der Dinge und ist insbesondere in Zeiten enger gewordener Spielräume nicht überraschend.“
Zum Abschluss erklärte sie, es sei „wichtig, dass Sie wissen, wir haben einen Blick auf die Themen und wo wir Veränderungsbedarf sehen, werden wir handeln“. Ob im Interesse der Zahnärzteschaft und der Patienten, blieb offen.
Praxen von unnötiger Bürokratie befreien
Der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Prof. Dr. Christoph Benz, kam in seinem sehr frei gehaltenen Schlusswort auf die anstehenden Europawahlen zu sprechen und forderte auf, zur Wahl zur gehen. Zudem forderte er – anknüpfend an den Redebeitrag von Martin Hendges – die Politik auf, die Praxen von unnötiger Bürokratie zu befreien. Die Politik müsse wieder mehr Vertrauen in den Berufsstand zeigen. Auch beim Thema Digitalisierung forderte er Vertrauen und Praxisbezug, sie müsse funktionieren, dann sei auch die Akzeptanz da.
Dr. Marion Marschall, Berlin
Mit Material der KZBV und der BZÄK.