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Ärzteschaft kritisiert Reform zulasten der ambulanten Versorgung – Bundesländer wollen Vermittlungsausschuss, Kassen und PKV kritisieren Kosten

(c) Matthias Erke/Shutterstock.com

Die Krankenhausreform ist auf dem Weg in die Realität: Der Deutsche Bundestag hat am Donnerstag, 17. Oktober 2024, dem von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach vorgelegten Gesetzentwurf mit Änderungsanträgen in 2. und 2. Lesung mit den Stimmen der Regierungskoalition zugestimmt. Die Bundesländer haben angekündigt, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Und auch von den Krankenkassen und aus der Ärzteschaft kommt Kritik.

Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt kommentierte das Gesetz so: „Es ist anzuerkennen, dass es im parlamentarischen Verfahren zu einigen relevanten Verbesserungen gekommen ist. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Berücksichtigung der ärztlichen Weiterbildung und der ärztlichen Personalausstattung. Hier wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass die Personalausstattung der Dreh- und Angelpunkt für eine gute Patientenversorgung ist.

Gleichwohl ist die dringend erforderliche Krankenhausreform in unserem Land noch nicht am Ziel. Es stimmt nachdenklich, dass die Reform beschlossen werden soll, obwohl mit dem Leistungsgruppen-Grouper und der Auswirkungsanalyse zentrale Reformbausteine noch nicht vorgelegt wurden. Viele offene Fragen stellen sich auch weiterhin mit Blick auf die Vergütungs- und Finanzierungsseite der Reform, deren Effekte nicht verlässlich abschätzbar sind. Bei der sektorenübergreifenden Versorgung und den Auswirkungen auf die ambulanten Strukturen ist die richtige Balance noch nicht erreicht. Auch das selbstgesteckte Ziel des Bürokratieabbaus wird verfehlt.“

Fehlender Austausch mit den Akteuren

Er verwies zudem auf die noch fehlende Einigkeit zwischen Bund, Ländern und Selbstverwaltung, ohne die eine große Krankenhausreform in Deutschland nicht gelingen könne. Er setzte auch einen Seitenhieb auf die Alleingänge des Ministers: „Der enge Austausch insbesondere mit den maßgeblichen Akteuren aus der Versorgung ist Voraussetzung dafür, dass diese Reform echte Verbesserungen sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch der Beschäftigten in den Gesundheitseinrichtungen bringt. Die Bundesärztekammer wird sich in diesem Sinne weiter für das Gelingen der Krankenhausreform einsetzen.“

Ambulantisierung nicht gestärkt

Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) kritisierte das Gesetz und verwies auf ihre Stellungnahme zu den 50 Änderungsanträgen. Das Gesetz führe auf einen Irrweg einer krankenhauszentrierten Versorgung. Die Reform sei dringend nötig, aber sie werde so nicht funktionieren, sagte der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen. Er vermisse vor allem eine stärkere Ambulantisierung. „Wir sehen unverändert eine Krankenhausreform, die aus unserer Sicht mit den Ländern nicht wirklich gut abgestimmt ist“, sagte Gassen in einem Video-Interview. Auch wenn einige SPD-regierte Bundesländer nun aus Konformitätsgründen mitzögen, so bleibe das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) handwerklich schlecht gemacht.

Drängende Probleme in der Gesundheitsversorgung würden durch die geplante Reform womöglich noch verschlimmert, warnt der KBV-Vorstandsvorsitzende mit Blick auf die vorgesehene Ermächtigung der Krankenhäuser, in Zukunft weite Teile der ambulanten Versorgung abzudecken. Vor dem Hintergrund, dass Krankenhäuser sowohl im ärztlichen wie auch im pflegerischen Bereich mit einem erheblichen Personal- und Fachkräftemangel zu kämpfen hätten, „fragt man sich natürlich schon, welche Ärztinnen und Ärzte sollen denn dann diese ambulanten Fälle bearbeiten, zumal wir ja noch eine funktionierende Struktur von Praxen haben.“

Beschwerde bei der Europäischen Kommission

Er gehe davon aus, dass die Umsetzung des Gesetzes kaum zu verwirklichen sei, so Gassen. Nicht zuletzt deshalb, weil auch einige Bundesländer Klagen angekündigt hätten. Und auch die Krankenkassen seien alles andere als glücklich aufgrund der Verpflichtung, in den Transformationsfonds einzuzahlen. Gegen besagten Transformationsfonds hat die KBV eine EU-Beschwerde eingereicht, „weil dieser aus unserer Sicht eine deutliche Ungleichbehandlung von stationärem und ambulantem Bereich darstellt.“

Die KBV sieht in der Finanzierung durch den Transformationsfonds eine Wettbewerbsverzerrung, denn Haus- und Fachärzte erhalten diese Förderung nicht. „Einem Gutachten zufolge ist es sogar ein Verstoß gegen das Beihilfenrecht der Europäischen Union“, so die KBV.

Pläne von Menschen gemacht, die Versorgung nicht kennen

Mit Blick auf die schwierige wirtschaftliche Lage etlicher Krankenhäuser sei es illusionär zu glauben, diese ohnehin mit Behandlungsfällen überlasteten Kliniken könnten in Zukunft auch noch zusätzlich ambulante Versorgung mit schultern, sagt der KBV-Vorstandsvorsitzende. „Ich kann es nur dahingehend interpretieren, dass diese Pläne von Menschen gemacht werden, die eigentlich nicht wirklich wissen, wie Versorgung stattfindet.“

Die KBV bleibe in jedem Fall dialogbereit und werde auch nach dem Beschluss des Gesetzes auf Schwachpunkte hinweisen und auf Korrekturen dringen, so Gassen. Er bestreite nicht die Notwendigkeit einer Reform zur Verbesserung der Versorgung: „Dazu ist es aber erforderlich, dass man beide Seiten, nämlich den stationären Bereich und auch den ambulanten betrachtet, weil der eine nicht ohne den anderen kann.“

Level-Ii-Kliniken mit Fachärzten

Für die niedergelassen tätigen Ärztinnen und Ärzte dürfte ebenso wie für die Zahnärztinnen und Zahnärzte das Thema Level-Ii-Kliniken relevant werden. Diese Häuser, die nur eine Grundversorgung/Pflege anbieten sollen, sollen in der Zusammenarbeit mit den Fachärzten künftig ambulante Krankenhausbehandlungen anbieten können. Vonseiten der Ärzteschaft wird kritisiert, dass damit die niedergelassenen Facharztpraxen infrage gestellt werden. Dass Lauterbach die „Doppelstrukturen“ mit Fachärzten an den Kliniken und in ambulanten Praxen am liebsten abschaffen würde, ist bekannt.

Ministerium sieht Erfolg für Versorgung

Das Bundesgesundheitsministerium präsentiert diese Änderung so: „Besonders in ländlichen Gebieten stehen manche Patientinnen und Patienten vor dem Problem, keine Fachärztin bzw. keinen Facharzt zu finden. Sie müssen weite Wege fahren für Spezialuntersuchungen. In Gebieten, in denen Facharztsitze unbesetzt sind, sollen künftig sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen (Level 1i-Krankenhäuser) und Sicherstellungskrankenhäuser fachärztliche Leistungen anbieten können. Statt zum niedergelassenen Facharzt können Patientinnen und Patienten ins Krankenhaus. Sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen können dort, wo Hausärztinnen und Hausärzte fehlen, auch allgemeinmedizinische Behandlungen anbieten. Die Klinik wird dafür innerhalb des KV-Systems wie eine Praxis bezahlt.“

Scharfe Kritik aus den Ländern

Der „G+G“-Dienst des AOK-Bundesverbands hat die Kritik am Gesetz zusammengefasst: „Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann kündigte an, sich in der Länderkammer für die Anrufung des Vermittlungsausschusses einzusetzen. Die Ampelkoalition habe ‚Wortbruch‘ begangen und sei nicht auf die Einwände der Länder eingegangen. Zudem gebe es keine Auswirkungsanalyse, so dass niemand wisse, was die Reform ‚in Cent und Euro‘ für die Kliniken bedeute.“ Auch Bayern unterstütze ein Vermittlungsverfahren, erklärte Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) und forderte deutliche Nachbesserungen.

Dass es keine Analyse gebe, wie sich die Reform auf Angebot und Finanzen auswirke, hatte auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion Tino Sorge (MdB) in der Debatte kritisiert. Der Grünen-Gesundheitspolitiker Dr. Janosch Dahmen erklärte, die Ampelfraktionen hätten mit 50 in der vergangenen Woche eingebrachten Änderungsanträgen wichtige Hinweise der Länder aufgegriffen.

Steuerzahler statt Beitragszahler in der Pflicht

Der AOK-Bundesverband sieht das Vorhaben weiter mit „gravierenden Mängeln” behaftet. Wesentliche Fragen zum erforderlichen Strukturwandel und zur Qualitätsorientierung würden „auf die lange Bank geschoben“, bemängelte Vorständin Carola Reimann. Die Beteiligung der gesetzlichen Kassen an der Finanzierung des Transformationsfonds mit 25 Milliarden Euro lehnte Reimann strikt ab. Dies sei die Aufgabe aller Steuerzahler.

In diese Richtung geht auch die Kritik des BKK Dachverbands: Ein unabhängiges Rechtsgutachten bestätigt, dass die vorgesehene Mittelverwendung nicht mit der Verfassung vereinbar ist. „Es ist schlicht nicht hinnehmbar, dass angesichts der prekären Finanzlage der GKV im großen Umfang auf Beitragsmittel zurückgegriffen werden soll, um die Finanzierungsverpflichtungen der Länder zu erfüllen. Diesem verfassungswidrigen Griff in die Taschen der Beitragszahler werden wir nicht tatenlos zuschauen“, erklärt Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbands: „Es ist die originäre Verantwortung der Länder, für Investitionen in die Krankenhausinfrastruktur aufzukommen und nicht die der GKV-Gemeinschaft. Nur wenn dieser Grundsatz eingehalten wird, kann eine ausgewogene und verfassungskonforme Finanzierung sichergestellt werden, die gesamtgesellschaftlich akzeptiert ist und auch den Finanzierungsgrundsätzen der Bundesrepublik entspricht.“

GKV-Spitzenverband will Reform, aber Finanzierung verfassungswidrig

Diese Kritik kam auch vom GKV-Spitzenverband, dessen Vorständin Stefanie Stoff-Ahnis erklärte: „Wir blicken konstruktiv nach vorn, kritisieren aber weiterhin die enormen Umsetzungskosten des KHVVG und die Folgen für die Beiträge der GKV-Beitragszahlenden. Wir haben kein Verständnis dafür, dass die Koalition die verfassungsrechtlichen Bedenken den Transformationsfonds betreffend ignoriert hat. Die Finanzierung des Transformationsfonds ist in großen Teilen verfassungswidrig. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass es hier zu einer fairen und verfassungskonformen Finanzierung kommt.“

PKV-Verband sieht neue Versorgungsmängel

Auch der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) kritisiert das neue Gesetz: „Sollte die neue Vorhaltevergütung wie geplant eingeführt werden, drohen damit gesundheitliche Nachteile für die Versicherten“, warnt der PKV-Vorsitzende Thomas Brahm. Nach diesem Gesetz könnten Kliniken künftig ihre Einnahmen verbessern, indem sie weniger Leistungen für Patienten erbringen. Dies gebe den Krankenhäusern völlig falsche Impulse. „So drohen neue Versorgungsmängel, wenn spezialisierte Kliniken künftig weniger Patienten annehmen, weil sie das Geld auch ohne diese Arbeit bekommen“, befürchtet Brahm. Überdies verursache die Vorhaltevergütung viel mehr Bürokratie.

Lohnerhöhungen zulasten der Versicherungen

Mit Sorge beobachtet die PKV, dass in den Änderungsanträgen zur Krankenhausreform kurzfristig auch ein weiterer Kostentreiber zu Lasten der Versicherten eingebaut wurde. Demnach sollen die Lohnerhöhungen im Krankenhaus zusätzlich zu den bisher schon auf Landesebene geregelten Erhöhungen des Basisfallwertes von den Krankenversicherungen übernommen werden – und das auch rückwirkend für das Jahr 2024. „Hier droht ein neuer Kostenschub in Milliardenhöhe zu Lasten der Versicherten“, warnt Brahm.

Verfassungswidrige Finanzierung des Transformationsfonds

Der Aufbau und Umbau von Krankenhausstrukturen ist verfassungsrechtlich klare Aufgabe der Bundesländer. Notwendige Investitionen müssen aus dem Steueraufkommen beglichen werden und dürfen keinesfalls auf die kleinere Gemeinschaft der Versicherten umgelegt werden. „Die Länder kommen seit Jahrzehnten ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht zur Finanzierung der Investitionskosten nur sehr unzureichend nach“, bemängelt Brahm. Es sei jedoch verfassungswidrig, die Kosten des geplanten Transformationsfonds zum Umbau der Krankenhausstrukturen anstelle der Länder nun den Versicherten aufzudrücken. „Dieser Finanzierungsplan zu Lasten der Versicherten sowohl in der PKV als auch in der GKV ist verfassungsrechtlich unzulässig. Er verstößt gegen die Finanzverfassung des Grundgesetzes und gegen das Prinzip der dualen Krankenhausfinanzierung“, kritisiert Brahm.

 

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