Die Zahngesundheit der Menschen in Hessen verbessert sich zunehmend: Versicherte kommen länger ohne zahnärztliche Eingriffe aus. Das ergaben die Daten aus dem der Barmer Zahnreport 2022 für Hessen, den die Barmer Hessen und die Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen bei einem Pressegespräch am 17. Februar in Frankfurt thematisierten. Die für Hessen ausgewerteten Daten zeigten aber auch, dass Patienten nicht in allen Regionen gleichermaßen profitierten. Ein Faktor: In bestimmten ländlichen Regionen sinkt die Zahl der Zahnarztpraxen. Die verbliebenen Praxen und die dort tätigen Zahnärztinnen und Zahnärzte kommen an ihre Grenzen in der Patientenversorgung.
Der aktuelle Zahnreport beleuchtet die Mundgesundheit bei drei unterschiedlichen Altersgruppen. Untersucht wurde, über welchen Zeitraum die Befragten keine zahnärztlichen Eingriffe wie Wurzelbehandlungen, Füllungen, neue Kronen oder Parodontitis-Behandlungen in Anspruch nahmen. Der Report macht deutlich, dass sich in der Altersgruppe der 20-Jährigen die Zahngesundheit weiterhin verbessert hat: In den Jahren von 2012 bis 2020 verlängerte sich der Zeitraum ohne invasive zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen um knapp drei Monate auf 4,37 Jahre. In der Gruppe der 40-Jährigen lag dieser Zeitraum bei 2,24 Jahren; im Vergleich zum Jahr 2012 entspricht das einem Anstieg von vier Monaten. Bei den 60-Jährigen stieg die therapiefreie Zeit im genannten Zeitraum um zwei Monate auf 1,89 Jahre an.
Dabei haben Männer auch in Hessen – wie auf der Bundesebene – längere Zeiträume ohne invasive Behandlungen. Ob dies tatsächlich an einer besseren Mundgesundheit oder an „ausgesessenen“ Problemen liege, lasse sich anhand der Daten nicht erklären. Martin Till, Landesgeschäftsführer der Barmer Hessen, und der Vorstandsvorsitzende der KZV Hessen, Stephan Allroggen, wiesen beide darauf hin, dass Frauen auch beim Zahnarzt häufiger Vorsorgetermine wahrnehmen und dabei entdeckte Probleme sofort behandeln lassen.
Hier müsse sicher die Motivation für die Vorsorgetermine bei den Männern noch erhöht werden, so Till. Er zeigte sich aber insgesamt angesichts der Zahlen zufrieden: „Hessen hat in den vergangenen Jahren einen großen Schritt in Richtung einer nachhaltigen und präventionsgeprägten Zahnmedizin vollzogen, die Zahnerkrankungen möglichst vermeidet, bevor sie entstehen. Ein Blick auf die Mundgesundheit in einzelnen Regionen zeigt jedoch: Regelmäßige Besuche in Zahnarztpraxen sollten selbstverständlicher und häufiger erfolgen. Sie sind ein wichtiger Baustein zur Erhaltung gesunder Zähne.“
Regionale Unterschiede in der Mundgesundheit
In den hessischen Landkreisen variiert der Zeitraum ohne zahnärztliche Eingriffe deutlich. Den Menschen im Rhein-Main-Gebiet und in Südhessen blieben invasive Eingriffe am längsten erspart. In der Altersgruppe der 20-Jährigen gab es in Darmstadt mit im Schnitt rund 4,8 Jahren die längsten Zeiträume ohne invasive Therapie. Bei den 40-Jährigen liegen die Versicherten aus Frankfurt mit rund 2,8 Jahren an der Spitze. Und mit 2,2 Jahren ohne invasive Zahntherapie lagen in der Altersgruppe der 60-Jährigen die Menschen aus Offenbach vorne.
Menschen in Nordhessen benötigen häufiger eine zahnärztliche Behandlung
„Insgesamt zeigt sich in Hessen ein deutliches Nord-Süd-Gefälle bei der Zahngesundheit. Die Menschen in den nördlichen Landkreisen benötigen erheblich mehr invasive Zahntherapie als Mittel- und Südhessen“, sagt Martin Till. Insbesondere im Werra-Meißner- Kreis, Fulda und Hersfeld-Rotenburg seien jüngere Menschen überdurchschnittlich betroffen. Unter 20-Jährigen aus dem Werra-Meißner- Kreis habe der durchschnittliche invasivtherapiefreie Zeitraum bei rund 3,7 Jahren gelegen, fast 25 Prozent unter dem Niveau von Darmstadt.
Hessen deutlich besser ab als der Bundesschnitt
In der Altersgruppe der 60-Jährigen stieg der mittlere Zeitraum ohne invasive Zahntherapie zwischen den Jahren 2012 und 2020 um 10,4 Prozent auf 1,89 Jahre. Damit haben die hessischen 60-Jährigen die Zeit, in der sie keine invasive Zahnbehandlung brauchten, deutlich stärker ausgebaut als der Bundesschnitt dieser Altersgruppe, der es auf eine Steigerung von 5,7 Prozent und 1,62 invasivtherapiefreie Jahre brachte.
Zu den hier betrachteten Prophylaxeleistungen gehören bei Kindern die Früherkennungsuntersuchung, die praktische Anleitung der Betreuungspersonen zur Mundhygiene sowie die lokale Fluoridierung der Zähne. Bei erwachsenen Patientinnen und Patienten versteht man unter Prophylaxeleistung die Entfernung harter Zahnbeläge. „Die meiste Zeit ihres Lebens müssen Patienten ohne eigene IP-Leistungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung auskommen“, merkte der KZV-Vorstandsvorsitzende Allroggen an.
Vor allem 20-Jährige mit guter Situation
Erheblich unter der Steigerungsrate des Bundes lagen die hessischen 20-Jährigen, die 5,8 Prozent auf 4,37 Jahre zulegten, während der Bundesschnitt der Altersgruppe eine Zunahme von 13,6 Prozent auf 4,39 Jahre verzeichnete. Die hessischen 20-Jährigen seien bereits auf recht hohem Niveau in den Untersuchungszeitraum gestartet, erklärt Martin Till. Denn schon im Jahr 2012 habe der mittlere Zeitraum ohne invasive Zahntherapie bei den hessischen 20-Jährigen bei 4,13 Jahren und damit rund sieben Prozent über dem Bundesschnitt der Altersgruppe von 3,86 Jahren gelegen. Auch die hessischen 60-Jährigen starteten mit 1,71 invasivtherapiefreien Jahren im Jahr 2012 rund 12 Prozent über dem Niveau ihrer Altersgruppe auf Bundesebene. Umso erfreulicher sei es, dass die Zahngesundheit dieser Altersgruppe in Hessen sogar noch weiter zugenommen habe, so Till.
Probleme mit der Versorgung in der Fläche
Zur Situation im Werra-Meißner-Kreis, in Fulda und in Hersfeld-Rotenburg – die Kreise liegen an der Grenze zu Thüringen im ehemaligen sogenannten Zonenrandgebiet, einer eher strukturschwachen Region – ergänzte Allroggen, dass in den Regionen mit häufigeren Eingriffen auch die Versorgungsdichte nicht mehr so gut sei. In den Ballungsräumen sei die zahnärztliche Versorgung sehr gut. In der Fläche gebe es in einigen Kreisen aber Probleme. Erste Praxen hätten der KZV Hessen bereits gemeldet, dass sie an der Grenze ihrer Kapazität angelangt seien und eigentlich keine Neupatienten mehr aufnehmen könnten. Damit seien für die Praxen dann auch rechtliche Fragen verbunden, die sie an die KZV stellten.
Erstes westliches Bundesland mit Strukturfonds
Die KZV Hessen habe daher Ende 2022 als erste KZV in einem westlichen Bundesland von den neuen gesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht und einen Strukturfonds aufgesetzt, um Anreize setzen zu können und um Zahnärztinnen und Zahnärzte gezielt bei der Weiterführung oder Neugründung einer Praxis in solchen Regionen zu helfen. Der Strukturfonds ist zum Januar 2023 an den Start gegangen.
Auch im Fokus: Parodontitis
Nur ein geringer Anteil an Versicherten im mittleren Lebensalter kommt langfristig ohne Therapie aus. Eine Ursache ist die in dieser Lebensphase häufig auftretende Parodontitis. Diese chronische Erkrankung erfordert einen erheblichen Therapiebedarf. Mittlerweile ist rund jede zweite Person in Deutschland von Parodontitis betroffen. Besorgniserregend ist dieser Befund besonders deshalb, weil die Entzündungen des Zahnfleischs nicht im Mund bleiben: Zu den möglichen Folgen einer Parodontitis zählen zum Beispiel Herzinfarkte, Schlaganfälle, Diabetes, Lungen- und Nierenerkrankungen.
„Nur durch konsequente Aufklärung und kontinuierliche Behandlung der von Parodontitis betroffenen Menschen können wir diese weit verbreitete Krankheit wirksam bekämpfen“, betonte Allroggen. „Das Thema Prävention ist bei der Erhaltung und Verbesserung der Mundgesundheit von immenser Bedeutung. Die hessischen Zahnärztinnen und Zahnärzte stehen den Patientinnen und Patienten dabei in allen Leistungsbereichen beratend und unterstützend zur Seite. Dass sich Hessen auf einem guten Weg befindet, zeigt auch der Barmer-Zahnreport 2022.“
Allroggen merkte aber auch kritisch an, dass die Budgetierung durch das GKV-Finanzstärkungsgesetz die Prävention und gerade die Behandlung der Parodontitis konterkariere. „Nichtsdestotrotz setzen wir in Hessen weiterhin auf die präventionsorientierte Zahnmedizin. Regelmäßige Besuche in der zahnärztlichen Praxis sind für alle Menschen in jeder Altersgruppe wichtig. Daher unterstützen wir von Anfang an die Kleinsten und ihre Eltern. Mit Blick auf pflegebedürftige Menschen und Menschen mit Behinderung fordern wir die Erarbeitung neuer Behandlungskonzepte.“
Hohe Zahl von Kooperationsverträgen
Die Zahl der mit stationären Pflegeeinrichtungen abgeschlossenen Kooperationsverträge sei in Hessen höher als im Bundesdurchschnitt, erklärte Allroggen. Anfragen von Pflegeeinrichtungen nach Zahnärzten für diese Kooperationen könne die KZV in der Regel auch erfolgreich vermitteln. Die zahnärztliche Versorgung von Menschen, die zuhause gepflegt würden, sei allerdings nach wie vor schwierig. Vielen Versicherten und ihren Angehörigen sei nicht bekannt, dass es diese Möglichkeit der aufsuchenden Betreuung gebe. Hier seien die Krankenkassen gefordert, mehr aufzuklären und zu informieren.
Keine Kapazitäten für Behandlung unter Narkose
Bei einigen Herausforderungen stießen die Zahnärzte aber auch an Grenzen, so Allroggen. So in den Regionen mit weniger Zahnärzten, aber auch, wenn Behandlungen wegen des schlechten Allgemeinzustands der Pflegebedürftigen nur noch unter Narkose möglich seien. „Dafür gibt es in Hessen überhaupt keine Kapazitäten“, so Allroggen. „Unser Schwerpunkt ist der Ausbau der zahnärztlichen Kontakte in der häuslichen Pflege, aber in einigen Regionen fehlt es uns dafür leider schlicht auch an zahnärztlicher Manpower.“
Dr. Marion Marschall, Berlin
(Mit Material der Barmer Hessen und KZVH)