Neue Ausgaben in Millionenhöhe für die zahnärztliche Versorgung von Pflegeheimbewohnern verfehlen bisher ein wesentliches Ziel. Denn die therapeutischen Leistungen durch den Zahnarzt verharren nach wie vor auf einem niedrigen Niveau. Diese Bilanz zieht die Barmer zumindest aufgrund der Analysen ihres Zahnreports 2018, den die Krankenkasse am 19. April 2018 in Berlin vorgestellt hat.
Mehr Patientenkontakte, aber keine zusätzliche Therapie
Der Schwerpunkt des diesjährigen Zahnreports ist der vertragszahnärztlichen Versorgung pflegebedürftiger Senioren gewidmet. Dank neuer und modifizierter Leistungsziffern im Bema seit 2013 und 2014 können Zahnärzte den Besuch bei Heimbewohnern besser abrechnen. Dadurch sollte sich die Versorgung Pflegebedürftiger verbessern. „Heute müssen wir feststellen, dass die Leistungsziffern nicht den erwünschten Effekt bringen,“ sagte Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer, bei der Präsentation des Zahnreports. Die Krankenkassen haben allein 2016 bundesweit mehr als 55 Millionen Euro für die neuen Leistungsziffern ausgegeben, aber totzdem sei laut Mundgesundheitsstudie von 2016 die Zahngesundheit von Bewohnern in Pflegeheimen im Vergleich zu Nicht-Pflegebedürftigen schlechter. (Die Daten für die DMS V sind allerdings bereits von Oktober 2013 bis Juli 2014 erhoben worden und können daher mögliche Effekte durch die neuen Positionen kaum abbilden.)
Der aktuelle Barmer-Zahnreport hat herausgestellt, dass die neuen Gebührenziffern zwar mit steigender Tendenz in Anspruch genommen werden – so wurden sie allein 2016 krankenkassenweit 1,9 Millionen Mal abgerechnet –, allerdings im Wesentlichen durch Besuchsziffern und die damit verbundenen Zuschläge. Nicht einmal die Inanspruchnahme einfacher Therapieleistungen wie kleinerer Reparaturen an Zahnprothesen habe zugenommen, so die Analyse der Daten.
„Durch die neuen Abrechnungsziffern werden mehr Pflegeheimbewohner durch den Zahnarzt erreicht, und vermutlich kommt es auch zu mehr Prävention. Allerdings erfolgte bei mehr als zwei Dritteln der Besuche am selben Tag keine therapeutische Leistung und bei mehr als der Hälfte auch innerhalb der folgenden 90 Tage nicht“, betonte Studienautor Prof. Dr. Michael Walter, Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik an der Uniklinik Dresden und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). Er und sein Team haben wie schon in den vergangenen Jahren die Daten ausgewertet.
Ausstattungsmängel und Transportaufwand als Erschwernis
Auf der Suche nach Erklärungen haben die Autoren daher Interviews mit Pflegeheimbetreibern und kooperierenden Zahnärzten geführt. Demnach war mehr als die Hälfte der Befragten in Pflegeheimen der Meinung, dass sich die Mundgesundheit ihrer Bewohner trotz neuer Leistungsziffern nicht verändert hat. Das Ausbleiben therapeutischer Leistungen begründeten sie vor allem mit der nicht vorhandenen zahnärztlichen Ausstattung im Pflegeheim und mit dem bürokratischen Aufwand rund um den Krankentransport zum Zahnarzt. Zudem würden sich manche Patienten weigern, zum Zahnarzt zu gehen, und es bestehe häufig ein Unterschied zwischen dem, was die Patienten als behandlungsbedürftig empfinden und dem, was aus zahnmedizinischer Sicht wünschenswert wäre.
Positive Erfahrungen mit Kooperationsverträgen
Einige Leistungsziffern lassen sich nur abrechnen, wenn Zahnärzte mit Pflegeheimen Kooperationsverträge abgeschlossen haben. Nach Angaben der KZBV bestehen aktuell rund 3.700 Verträge mit den etwa 13.600 Einrichtungen, was bundesweit einen Versorgungsgrad von 27 Prozent ergibt. In den Interviews berichteten die Vertreter von Pflegeheimen sowie die Zahnärzte von überwiegend positiven Erfahrungen mit Kooperationsverträgen. „Kooperationsverträge zwischen Zahnärzten und Pflegeheimen gibt es tendenziell etwas häufiger in Ballungsgebieten. Bundesweit gibt es große Unterschiede“, sagte Walter. Auch ungeachtet der Frage, ob Kooperationsverträge vor Ort bestehen oder nicht, fällt die Bilanz bezüglich der Inanspruchnahme des Zahnarztes und therapeutischer Leistungen in den Bundesländern sehr uneinheitlich aus.
Mehr Studien und bessere Leistungsbeschreibungen
Warum die neuen Gebührenziffern nicht den gewünschten Effekt bringen, die Mundgesundheit Pflegebedürftiger zu verbessern, lasse sich noch nicht beantworten: „Nun müssen Analysen ergeben, an welcher Stelle konkrete Maßnahmen in Zukunft zu mehr zahntherapeutischen Leistungen führen können, damit das Geld zielgerichtet und effizient eingesetzt werden kann“, sagte Straub.
Auch Walter hält weitere Studien unter Einbeziehung des Methodeninventars der Versorgungsforschung für erforderlich, um die Grundlage für wirksame Verbesserungen zu schaffen. Als Ziele aus zahnmedizinischer Sicht sieht Walter:
- eine realistische Beschreibung der sinnvollen Maßnahmen im stationären Pflegeumfeld inklusive Therapie im Rahmen von Handlungsempfehlungen und Leitlinien, unter Berücksichtigung allgemeinmedizinischer Aspekte und des jeweiligen Grades der Beeinträchtigung und Behinderung
- die weitere Förderung dieser Maßnahmen durch versorgungspolitische Schritte
- eine wissenschaftliche Bewertung geplanter Veränderungen vor deren Einführung, um eine adäquate Ressourcenlenkung zu ermöglichen
- die wissenschaftliche Begleitforschung bei der Implementierung entsprechender Änderungen im System
Zahnärzte leisten ihren Beitrag
Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und Bundeszahnärztekammer (BZÄK) forderten anlässlich des Zahnreports die Krankenkassen auf, ihre Anstrengungen bei der Betreuung von alten und pflegebedürftigen Menschen deutlich auszuweiten, indem sie beispielsweise ihre Versicherten besser über bestehende Ansprüche informieren. „Alte, chronisch Kranke und behinderte Menschen werden von den Kassen systematisch benachteiligt. Sie erhalten schlechtere Leistungen oder ihre Anträge auf Rehabilitation und Hilfsmittel werden häufiger abgelehnt. Das verstößt gegen das Solidarprinzip! Wir Zahnärzte leisten in der Pflege seit Jahren aktive Beiträge, etwa durch die aufsuchende Versorgung mit bedarfsgerechten Schwerpunkten bei Prävention und Therapie. Wer die Praxis nicht mehr erreicht, den behandeln wir – soweit möglich – im Heim oder Zuhause“, so der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer. Betreiber von Pflegeeinrichtungen, die bislang keine Kooperation geschlossen haben, fordert die KZBV auf, eine solche Zusammenarbeit zeitnah zu vereinbaren. Langfristig könne es nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung gelingen, die Mundgesundheit in der Pflege nachhaltig zu verbessern.
Fehlende Ausbildung der Pflegekräfte in der Mundhygiene
Die BZÄK weist darauf hin, dass die Mundhygiene für Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf in der Ausbildung der Pflegekräfte leider nicht ausreichend vermittelt und somit auch im Pflegealltag zeitlich nicht ausreichend abgebildet werde. „Die stärkere Berücksichtigung von Mundhygieneverhalten in der Pflegeaus- und Fortbildung ist also von zentraler Bedeutung für die Verbesserung der Mundgesundheit und die Lebensqualität der betroffenen Patienten. Mit der Modernisierung der Pflegeausbildung über das neue Pflegeberufereformgesetz gibt es Chancen dafür“, mahnt BZÄK-Vizepräsident Prof. Dr. Dietmar Oesterreich. Ein entsprechendes Konzept hat die BZÄK gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin erarbeitet. Zudem bieten die Kammern Schulungen und Informationsmaterial für den Pflegealltag an.
Der vollständige Zahnreport 2018 steht zum Download auf der Barmer-Website bereit.