Schmerzen, Fieber, Mattigkeit: Treten unerwünschte Nebenwirkungen nach einer Impfung gegen das Coronavirus auf, so liegt das nicht unbedingt am Impfstoff, sondern an einem umgekehrten Placeboeffekt. Das hat ein internationales Forschungsteam um den Marburger Psychologen Prof. Dr. Winfried Rief herausgefunden, indem es Impfstoffstudien analysierte. Das Team berichtet im Wissenschaftsmagazin „JAMA Network Open“ über seine Ergebnisse.
Bei wissenschaftlichen Studien bekommen nicht alle Probanden den Wirkstoff verabreicht, der getestet werden soll – eine Kontrollgruppe erhält zum Vergleich eine harmlose Substanz, ein Placebo. „Unerwünschte Nebenwirkungen nach einer Placebobehandlung kommen in klinischen Arzneimittelstudien häufig vor“, schreibt das Autorenteam, das genau wissen wollte, wie stark diese Effekte sind. Denn die Sorge über unerwünschte Wirkungen sei ein Grund für die mangelnde Impfbereitschaft gegen das Coronavirus.
Originalveröffentlichung:
Julia W. Haas, Friederike L. Bender & al.: Frequency of Adverse Events in the Placebo Arms of COVID-19 Vaccine Trials: A Systematic Review and Meta-analysis, JAMA Network Open 2022, DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2021.43955
Die Forschungsgruppe wertete zwölf Artikel aus, die über unerwünschte Nebenwirkungen bei wissenschaftlichen Studien zu Impfstoffen gegen das Coronavirus berichten. An diesen Studien nahmen insgesamt 45.380 Probanden teil. 22.578 davon, also fast die Hälfte erhielt ein Placebo.
Nur geringfügig mehr Nebenwirkungen als in Placebogruppe
Trotzdem klagten 35 Prozent der Personen aus diesen Kontrollgruppen über Nebenwirkungen; bei denjenigen, die tatsächlich den Impfstoff erhielten, waren es nur wenig mehr, nämlich 46 Prozent.
Die eingebildeten Effekte machten dem zufolge nach der ersten Dosis fast drei Viertel der unerwünschten Nebenwirkungen aus, nach der zweiten Dosis waren es immer noch ein bisschen mehr als die Hälfte. Meist berichten die Betroffenen über Kopfschmerz und Müdigkeit. Die Fachleute sprechen von einem Nocebo-Effekt. „Das Ergebnis unserer Analyse sollte bei öffentlichen Impfprogrammen berücksichtigt werden“, empfehlen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Noch immer halten sich manche Grundüberzeugungen hartnäckig, etwa die Idee der Langzeitfolgen von Corona-Impfstoffen. Die Impfstoffe seien sehr neu, so das Argument, daher seien langfristige Nebenwirkungen noch nicht ausreichend untersucht. Doch die Grundannahme ist schon falsch, heißt es in einem Beitrag auf merkur.de zu den Stiko-Empfehlungen für Booster-Impfungen vom 21. Januar 2022: Erstens sind die Corona-Impfstoffe extrem gut untersucht. Weltweit seien demnach bereits laut Johns Hopkins University über acht Milliarden Impfdosen verabreicht worden. „Die Covid-19-Impfstoffe wurden in kürzester Zeit an viele Menschen weltweit verabreicht. Deshalb können sehr seltene Nebenwirkungen schneller als sonst erkannt und beurteilt werden“, erklärt die Stiko.
Zweitens gibt es Langzeit-Nebenwirkungen bei Impfstoffen generell nicht. Alle Folgen, die ein Impfstoff hat, treten wenige Stunden, Tage oder Wochen nach der Impfung auf. „Nebenwirkungen, die unerwartet und erst lange Zeit (etwa mehrere Jahre) nach der Impfung auftreten, sind bei noch keiner Impfung beobachtet worden“, so die Stiko. Eine unerwünschte Wirkung, die erst nach langer Zeit eintritt, muss also niemand befürchten.
Definiert man Langzeitfolgen hingegen als Wirkung, die lange anhält, sind diese bei Corona-Impfstoffen durchaus möglich. Eine erwünschte Langzeitfolge ist der lang anhaltende Schutz vor einer Corona-Infektion oder vor einem schweren Verlauf. Doch auch bei Covid-Impfungen können schwere Nebenwirkungen vorkommen. In sehr seltenen Fällen kann es beispielsweise zu Sinusvenen-Thrombosen oder einer Herzmuskelentzündung im Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung kommen. Diese treten kurz nach der Impfung auf, können aber langfristige Auswirkungen haben.
Im Grunde handelt es sich um eine Risikoabwägung. Das Risiko einer schwerwiegenden Nebenwirkung durch eine Impfung liegt bei etwa 0,02 Prozent. Die Gefahr für alle, die ungeimpft auf das Virus treffen, ist ungleich größer: Jeder Zehnte, der sich infiziert (10 Prozent), muss mit einem schweren Verlauf rechnen – Long-Covid-Symptome noch nicht eingerechnet.