„Wir werden das Flixbus-Syndrom erleben: Nicht alle, die jetzt in Zahnarztpraxen investieren, werden erfolgreich sein. Auch bei den Investoren im zahnärztlichen Bereich werden wie bei den Fernbussen am Ende zwei oder drei Fremdkapital-Praxisketten übrigbleiben. Der Anteil dieser Ketten am Markt dürfte in fünf Jahren bei etwa 8 bis 10 Prozent liegen.“ Diese Bilanz zog Dr. Karl-Heinz Schnieder, Rechtsanwalt aus Münster (kwm Rechtsanwälte), in seinem Vortrag „Wenn Generation Y auf Private Equity trifft – wie verändert sich die dentale Praxislandschaft?“ auf dem 18. Berliner Tisch des Quintessenz Verlags am 31. August 2018.
Nicht nur er traf mit seinem Vortrag bei den Teilnehmern aus Industrie, Agenturen und Handel voll ins Schwarze. Auch der Fachvortrag von Dr. Werner Schupp aus Köln mit einer Potenzialanalyse zu den Aligner-Systemen in der Kieferorthopädie fand sehr große Aufmerksamkeit. Schupp, Chefredakteur des „Journal of Aligner Orthodontics“ und einer der Aligner-Anwender der ersten Stunde, zeigte anschaulich Möglichkeiten und Grenzen der kieferorthopädischen Therapie mit modernen Schienensystemen.
Fast alle Behandlungen mit Alignern möglich
Die Idee der Aligner sei nicht neu, schon 1944 sei dieses Therapiekonzept erstmals vorgestellt worden. Einen enormen Aufschwung erlebte es aber erst mit der Firma Align Technoloy, die 1998 gegründet wurde und im Jahr 2001 auch in Deutschland aktiv wurde. „Wir haben damals ohne jegliche Evidenz und mit wenig Erfahrung angefangen“, so Schupp, der heute ausschließlich mit Alignern arbeitet.
Im Video fassen Schupp und Schnieder den Kern ihrer Vorträge zusammen. Außerdem stellen Marschall und Queitsch die Neuigkeiten aus dem Verlag vor. (Quelle: QTV)
„Wir können damit fast alle kieferorthopädischen Behandlungen durchführen, und zwar wesentlich schonender für Zähne, Kiefer und Weichgewebe, als mit herausnehmbaren Apparaturen oder mit Brackets“, erklärte er. Dies sei durch entsprechende wissenschaftliche Studien inzwischen auch untersucht und belegt (eine Übersichtsarbeit dazu ist in der Ausgabe 1/2017 des JAO erschienen). Dank Intraoralscanner und Schienen könnten auch Kinder mit einem Handicap behandelt werden, die mit den klassischen Verfahren oft nicht kieferorthopädisch therapiert werden könnten.
Ohne Fachwissen geht es nicht
Allerdings sei dafür biomechanisches und kieferorthopädisches Fachwissen erforderlich. Es sei eben nicht so, dass der Computer die Planung alleine machen könne. Ein Vorteil der Aligner-Therapie sei es, dass Zähne, die nicht bewegt werden sollen, auch nicht bewegt werden. Das sei mit Blick auf Okklusion und Funktion entscheidend: „Was nützen die schönen geraden Zähne in der Front, wenn die Zähne im Seitenzahnbereich höflich Abstand zueinander halten und der Patient wegen der gestörten Okklusion nicht mehr kauen kann?“
Therapie gehört in die Hand des Zahnarztes
Damit erteilte Schupp auch allen Werbe- und Marketingaussagen und Versprechungen der Industrie eine Absage, ebenso den Do-it-yourself-Angeboten für Schienen im Internet und Zahnkosmetik-Shops. Die Aligner-Therapie gehöre in die Hand des Zahnarztes, und dieser müsse ein Konzept für die Behandlung haben und dürfe sich eben nicht auf Computerprogramme verlassen.
Es sei positiv, dass es jetzt bei den Aligner-Systemen mehr Wettbewerb gebe. Einen neuen Schub auch für neue Behandlungsmöglichkeiten werde es mit dem 3-D-Druck geben, so seine Einschätzung.
Standespolitik hätte vieles selbst regeln können
Eine differenzierte Analyse bot Dr. Karl-Heinz Schnieder in seinem spannenden Vortrag. Die jetzt von der zahnärztlichen Standespolitik beklagten Probleme wie ein verändertes Gründungsverhalten der jungen Zahnärzte, den steigenden Frauenanteil im Beruf, den Trend zur Anstellung und die große Zahl der Babyboomer, die bis 2020 ihre Praxen abgeben will (ein Drittel aller Zahnärzte, 60 Prozent davon noch ohne Nachfolger, so Schnieder), seien ja schon länger absehbar gewesen. „Die Kammern und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen hätten viele Dinge selbst regeln können, um eine bessere Vergütung auf dem Land, mehr Gründungsanreize und mehr Möglichkeiten zur Anstellung zu schaffen. Die Gesetze geben das her“, so Schnieder. Dass die Zahl der angestellten Zahnärzte pro Zahnarzt mit Kassenzulassung auf zwei beschränkt sei, hätten Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Krankenkassen so beschlossen, das stehe nicht im Gesetz. Bei den Ärzten seien zum Beispiel drei angestellte Ärzte möglich. Auch fehle es an Motivations- und Unterstützungsseminaren für junge Zahnärztinnen und Zahnärzte.
Schwierige Situation für Praxisabgeber
Hoch interessant war auch seine differenzierte Analyse der Marktaktivitäten der verschiedenen Investoren. Die schwierige Situation für die Praxisabgeber sei für diese Investoren positiv: „Immer mehr Zahnärzte schon um die 50, gerade mit großen und erfolgreichen Praxen, wollen wegen der zunehmenden Bürokratie ihre Praxen früher abgeben, aber gerne noch weiter arbeiten“, so seine Erfahrung aus seiner täglichen Arbeit. Sie fänden aber eben oft keine Käufer. Es bestehe also durchaus ein Bedarf für Fremdinvestoren und dies sei für beide Seiten – Investoren und Zahnärzte – interessant.
Die Investoren umgingen das Fremdbesitzverbot für Zahnarztpraxen, indem sie marode Krankenhäuser mit Zulassung kauften und diese als Gründer für zahnärztliche Medizinische Versorgungszentren (MVZ) nutzten und Zahnarztpraxen dafür kauften. „So hohe Preise wie jetzt für Zahnarztpraxen gezahlt werden, werden wir in fünf Jahren nicht mehr haben“, so Schnieders Einschätzung.
Investoren differenziert betrachten
Man müsse zudem unterscheiden zwischen fondsgetriebenen oder kapitalgetriebenen Investoren – ersteren komme es vor allem auf hohe laufende Ausschüttungen an, letzteren auf eine gute Kapitalanlage. „Die fondsgetriebenen Investoren haben nach unseren Beobachtungen in der Regel keine Strategie für den Markt, sie kennen sich mit den spezifischen Gegebenheiten in Deutschland oft kaum aus. Wenn die von ihnen gekauften Praxen nicht so laufen, wie sie sich das erhofft haben, werden sie anfangen, an der Kostenschraube zu drehen. Wer das tut, wird schnell keinen Erfolg mehr haben. Natürlich gibt es in den Zahnarztpraxen Optimierungspotenziale, aber man muss sich schon gut auskennen, um diese so zu realisieren, dass die Praxen erfolgreicher werden“, berichtete er aus seinen Erfahrungen.
Die Marktkenntnis und das Konzept entscheiden
Die Marktkenntnis und das Verständnis der Prozesse und Leistungen in Zahnarztpraxen werden aus seiner Sicht darüber entscheiden, welche der vielen Investoren im deutschen Markt dauerhaft erfolgreich sein werden. Zahnärzte, die von Investoren angesprochen würden oder selbst überlegten, mit diesen zu verhandeln, sollten daher unbedingt die präsentierten Konzepte und Angebote kritisch hinterfragen und sich externe Beratung holen, so seine Empfehlung.
Polen ist ein anspruchsvoller Markt
Abgerundet wurde das Vortragsangebot durch eine interessante Präsentation von Ireneusz Czyzewski, Leiter der Quintessence Publishing Poland, zum Dentalmarkt in Polen. Die 32.000 praktizierenden Zahnärzte in Polen seien fachlich sehr anspruchsvoll, 75 Prozent seien Frauen, jeder zweite sei Fachzahnarzt. Fast 60 Prozent arbeiten in eigener Praxis, viele sind sogar in zwei oder drei Praxen tätig. Die Quintessence Publishing Poland organisiert jährlich die vier größten zahnmedizinischen Fachkongresse im Land und ist der führende zahnmedizinische Verlag bei den Büchern und Spezialzeitschriften dort.
Ausblick auf das Jubiläumsjahr 2019
Christian W. Haase als Geschäftsführer und Vertreter der Eigentümerfamilie des Verlags, Markus Queitsch, Head of Media Sales, und Dr. Marion Marschall, Chefredakteurin Quintessence News, stellten für die Quintessence Publishing Deutschland auf dem Berliner Tisch die Neuheiten und einen Ausblick auf das Jubiläumsjahr 2019 mit 70 Jahren Quintessenz vor. Im Fokus standen neben dem großen Jubiläumskongress „7Decades“ vom 10. bis 12. Januar 2019 die Angebote zur IDS und die Präsentation von „Quintessence News“ als neuem Online-Informationsangebot des Verlags. Pünktlich zur Veranstaltung konnten auch die neuen Mediadaten an die Teilnehmer übergeben werden.
Den angenehmen und entspannten Rahmen für die Veranstaltung bot das Precise Resort Schwielowsee südlich von Berlin mit seiner herrlichen Lage am See und seinen Annehmlichkeiten. Die Teilnehmer genossen die Atmosphäre und nutzten intensiv die Gelegenheit zum Austausch und zum Gespräch miteinander. MM