Ein Beitrag von Daniel Bäumer, Otto Zuhr, Markus Hürzeler, alle München
Während die Anfänge der Implantologie durch das „chirurgisch orientierte“ Implantieren geprägt waren, etablierte sich später der Begriff des „prosthetically driven implant placement“. Dieser schaffte durch eine optimierte Implantatposition technische Vorteile sowie die bestmöglichen Voraussetzungen hinsichtlich biologischer Langzeitkomplikationen, die gerade hinsichtlich des Risikos periimplantärer Erkrankungen besondere Beachtung verdienen. Dadurch können Suprastrukturen derart gestaltet werden, dass sie die optimale Reinigungsmöglichkeit durch den Patienten und in der Erhaltungstherapie (Sondierbarkeit) erlauben. Neben dem positiven Effekt für die Reinigbarkeit der Suprastrukturen eröffnet sich auch die Möglichkeit zur Wahl der präferierten Befestigungsart. Im Falle verschraubter Suprastrukturen, die durch neuartige implantatprothetische Komponenten an Attraktivität gewinnen, können Zementreste mit ihren biologischen Risiken vermieden sowie Schwierigkeiten bei technischen Langzeitkomplikationen reduziert werden. Zudem kann eine Vereinfachung des klinischen Prozedere erreicht werden.
Einleitung
Ein charakteristischer Begriff in der Implantologie war für lange Zeit das Konzept des „chirurgisch orientierten“ Implantierens, bei welchem das vorhandene Knochenangebot maßgeblich für die Implantatposition war. In vielen Situationen allerdings führte eine solche Vorgehensweise zu prothetischen und biologischen Kompromissen. Während in den Anfängen der Implantologie das prothetische Ziel nur sekundär war, etablierte sich aus diesem Grund später sehr schnell das Konzept des „prosthetically driven implant placement“ oder Backward-Planning. Das Implantat als Ersatz für die fehlende Zahnwurzel musste fortan strategisch gesetzt werden, um die besten Bedingungen für den Zahnersatz inklusive dessen Reinigbarkeit zu schaffen. Förderlich für diese Entwicklung war dabei die Bereitstellung praxistauglicher 3-D-Bildgebung und innovativer Navigationssysteme, mit deren Hilfe die gewünschte Implantatposition mit hoher Genauigkeit erreicht werden konnte.
Durch das zunehmende Bewusstsein für das Risiko periimplantärer Erkrankungen, die eben auch durch ungünstige implantatprothetische Restaurationen – wie in der Ära des chirurgisch-orientieren Implantierens – begünstigt werden konnten, hat sich die Bedeutung der stärkeren prothetischen Orientierung als Schlüsselelement zur Vermeidung biologischer Komplikationen entwickelt. Das Ziel dabei ist es, die Implantatposition und -achsausrichtung so zu optimieren, dass die bestmöglichen Voraussetzungen (putzbar und sondierbar) für den Langzeiterfolg eines Implantats hinsichtlich möglicher biologischer Komplikationen geschaffen werden. Das Backward-Planning erfolgt dabei sowohl unter Beachtung des prothetischen Ziels, als auch immer mit dem Augenmerk auf die biologischen Anforderungen. Bei optimaler Implantatposition aus prothetischer Sicht ergeben sich nicht nur technische Vorzüge, sondern auch biologische Kompromisse erübrigen sich.
Die biologisch optimale Implantatposition
Ein biologisch ideal positioniertes Implantat mit günstig gestalteter Suprastruktur erlaubt im Sinne der Primärprävention die optimale Reinigungsmöglichkeit durch den Patienten bei der häuslichen Mundhygiene sowie während der Erhaltungstherapie in der Praxis (Abb. 1). Dieses ist insbesondere hinsichtlich der demografischen Entwicklung mit einer zunehmenden Zahl an alten Patienten mit reduzierten manuellen Fähigkeiten von Bedeutung. Da es Gemeinsamkeiten in der Ätiologie periimplantärer Erkrankungen und der Entwicklung parodontaler Erkrankungen zu geben scheint1, ist die Ausbildung eines bakteriellen Biofilms zu vermeiden2,3. Werden um ein Implantat herum nicht zu reinigende Bereiche geschaffen, ist das Risiko für spätere periimplantäre Entzündungen erhöht4. Eine Fehlpositionierung des Implantats, welche zu überhängenden Suprastrukturen führt, sollte daher vermieden werden (Abb. 2 und 3). Auch die regelmäßige Sondierung der periimplantären Weichgewebe muss möglich sein (Abb. 4), um eine gegebenenfalls vorliegende Mukositis oder Periimplantitis diagnostizieren zu können5. Dies kann bei stark fehlpositionierten Implantaten durch massiv überkonturierte Suprastrukturen erschwert sein. Ist der direkte Zugang mit der Parodontalsonde nicht gegeben, werden Taschentiefen leicht unterschätzt. Bei festsitzenden implantatgetragenen Totalprothesen (Abb. 5) und abgewinkelten Abutments ist zum Beispiel eine Sondierung teilweise gar nicht möglich. Zudem ist die Reinigung durch den Patienten vor allem mit zunehmendem Alter stark eingeschränkt. Wenn der Patient es akzeptiert, ist in diesen Fällen eine herausnehmbare implantatgetragene Versorgung mit Locatoren und Teleskopen zu bevorzugen, da sowohl die Sondierung als auch die Reinigung wesentlich einfacher erfolgen kann (Abb. 6). Hohe Weichgewebemanschetten im Molarenbereich sollten von vornherein vermieden werden, um Schwierigkeiten in der Nachsorge zu vermeiden und bereits die Implantatabformung zu vereinfachen (Abb. 7). Im Rahmen der Implantation oder der Implantateröffnung kann dazu, wenn erforderlich, eine Ausdünnung des Lappens auf eine Dicke von 2 bis 3 mm durchgeführt werden (Abb. 8 bis 10).
Die „biologisch korrekte“ Implantatposition hat nicht nur einen positiven Einfluss auf die Reinigbarkeit der Suprastruktur. Ein ideal gesetztes Implantat eröffnet dem Kliniker gleichzeitig auch die Wahl der präferierten Befestigungsart. Auch diese sollte mit dem Ziel der möglichst niedrigen Komplikationsrate nach Implantatversorgungen überdacht werden. Die Entscheidung für die Zementierung oder die Verschraubung einer Suprastruktur hat relevante Unterschiede zur Folge. Hinsichtlich der biologischen Komplikationen beispielsweise stellen Zementreste im periimplantären Weichgewebe ein bedeutendes Risiko dar. Das zufällige Entdecken von Zementresten um Implantatkronen in der Nachsorge, beispielsweise auf Röntgenbildern, ist keine seltene Begebenheit (Abb. 11). Wenn doch die Wahl auf die Zementierung fällt, sollten daher immer individuelle Abutments zur idealen Positionierung des Zementspalts sowie Zementierungsprotokolle unter Verwendung von Retraktionsfäden zum Einsatz kommen.
Bei der klinischen Symptomatik von periimplantärer Mukositis oder Periimplantitis sollten Zementreste stets als ein möglicher ursächlicher Faktor in Betracht gezogen werden. Zurückgebliebene Zementreste, auf denen sich ein Biofilm bilden kann6, gehen erwiesenermaßen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Periimplantitis einher. In einer Untersuchung von Wilson7 wurden 42 Patienten mit Symptomen periimplantärer Erkrankungen unter Zuhilfenahme eines dentalen Endoskops auf das Vorliegen von Zementresten untersucht. Bei 81 % dieser Patienten wurden Zementreste gefunden, die vermutlich bei der Pathogenese eine Rolle spielten. 30 Tage nach der Entfernung der Zementreste waren die Entzündungszeichen in 74 % der Fälle abgeklungen. Auch in anderen Untersuchungen wurden ähnlich hohe Anteile an betroffenen Fällen mit gefundenen Zementresten festgestellt8. In systematischen Reviews zum Vergleich zementierter und verschraubter Implantatrekonstruktionen traten Knochenverluste von über 2 mm in der Gruppe der zementierten häufiger auf als bei verschraubten Suprastrukturen9. Zudem war die Häufigkeit biologischer Komplikationen, insbesondere das Auftreten von Fistelung und Suppuration bei Zementierung, insgesamt signifikant höher10. Auch wenn noch nicht viele Studien zu diesem Thema veröffentlicht worden sind, darf nicht missachtet werden, dass Zementüberschüsse zu den bedeutendsten iatrogenen Faktoren für Periimplantitis gehören11.
Vorteile für die Prothetik
Während die Gewährleistung einer guten Reinigbarkeit um Implantate maßgeblich durch die adäquate Gestaltung der Suprastruktur erreicht werden kann, ist das Setzen des Implantats gerade im Frontzahnbereich und bei schwierigen anatomischen Gegebenheiten für eine Verschraubung anspruchsvoll für den Behandler. Ob die Verschraubung möglich ist, hängt zusätzlich neben der dreidimensionalen Implantatposition auch von der Art der verwendeten Implantatkomponenten ab, insbesondere vom Design der Abutmentschraube.
Lange Zeit galt die Verschraubung von Suprakonstruktionen daher als überholt: der Zugangskanal beeinflusste die Ästhetik aufgrund seiner Größe wesentlich und reduzierte die Stabilität keramischer Suprastrukturen. Vor allem im Vergleich zu älteren Verschraubungs-Systemen war die Zementierung aus technischer Sicht daher attraktiver: die simplere und kostengünstigere Herstellung, die bessere Ästhetik durch das Wegfallen des Schraubenkanals, der „passive fit“ sowie seltenere Schraubenlockerungen waren überzeugende Vorteile.
Doch inzwischen wurden die Schraubendesigns weiterentwickelt und die genannten Nachteile bei modernen Implantatsystemen dadurch weitgehend aus der Welt geschaffen. Heutzutage stehen Systeme mit wesentlich kleineren Abutmentschrauben zur Verfügung (Abb. 12), bei denen gemäß bisheriger klinischer Erfahrungen der Autoren keine höhere Wahrscheinlichkeit für Frakturen besteht. Die kleinste seit 2002 auf dem Markt verfügbare Schraube weist am Schraubenkopf nur noch einen Durchmesser von 1,85 mm auf (Thommen Medical AG, Grenchen, Schweiz). Infolgedessen kann der Durchmesser des Zugangskanals in der Okklusalfläche der Suprastruktur auch kleiner gestaltet werden, was sich beim klinischen Handling in der routinemäßigen Anwendung deutlich bemerkbar macht. Selbst im Frontzahnbereich kann unter Zuhilfenahme von Navigationsschablonen bei palatinal ausgerichteter Implantatpositionierung eine Verschraubung vorhersagbar erreicht werden (Abb. 13 und 14).
Die geringe Dimensionierung der Abutmentschraube lässt sich bereits direkt nach der Implantation nutzen. Die Herstellung eines stuhlgefertigten Sofortprovisoriums aus Kunststoff ist wesentlich einfacher, da auch das provisorische Abutment kleiner ausfällt und ausreichend Platz für die provisorische Krone zulässt (Abb. 15 bis 17). Dadurch kann das periimplantäre Weichgewebe bereits früh ausgeformt werden (Abb. 18 und 19) und der Patientenkomfort durch die Ersparnis eines herausnehmbaren Zahnersatzes erhöht werden. Das Beschleifen des provisorischen Abutments entfällt, wodurch eine relevante Zeitersparnis gelingt. Gleichzeitig erhält der Behandler ein sofortiges Feedback über die Position und Achsausrichtung des gesetzten Implantats und kann abschätzen, ob eine Verschraubung der definitiven Krone voraussichtlich möglich sein wird (Abb. 20 und 21).
Mit der Verschraubung als routinemäßiges Konzept lässt sich unter Verwendung biokompatibler Materialen (z. B. Zirkonoxidkeramik) eine 1-Stück-Philosophie umsetzen. Hierbei erfolgt keine Trennung zwischen Abutment und Krone mehr (Abb. 22), sodass der übliche Zementspalt am Kronen-Abutment-Interface ausbleibt. Dadurch entfällt das Risiko von Zementresten und es entsteht neben dem Implantat-Abutment-Interface kein zweiter Mikrospalt, der die ungehinderte Ausbildung eines Biofilms erlaubt12. Auch technische Komplikationen in der Nachsorge lassen sich einfacher lösen. Da die Verblendungsfraktur zu den häufigsten technischen Komplikationen gehört, ist das einfache Abschrauben der Prothetik wichtig für ihre Reparaturmöglichkeit.
Auch für den Zahntechniker ergeben sich relevante Vorteile durch durchmesserreduzierte Abutmentschrauben. Zum einen steht mehr Platz für die Keramik der Suprastruktur zu Verfügung und auch die Ästhetik wird durch den okklusalen Zugangskanal nicht mehr so stark beeinträchtigt wie früher (Abb. 23 und 24). Zum anderen ergeben sich bei der Konstruktion von Brücken ästhetische Vorteile, da durch das Wegfallen des Abutments bei 1-Stück-Konstruktionen mehr Platz für das Gerüst und die Verblendung verfügbar ist. Im Gegensatz dazu müsste im Fall einer zementierten Suprastruktur unter das Gerüst zusätzlich das Abutment modelliert werden, welches im Endeffekt den Platz für die Verblendung nimmt. Wurden die Implantate in der korrekten Position und Achsausrichtung gesetzt, kann so vom Verzicht auf eine Mesostruktur profitiert werden. Des Weiteren steht nicht nur mehr Platz zur Verfügung, sondern es ergeben sich auch mehr Freiräume bei der Gestaltung: die Möglichkeit zum Separieren einer okklusal verschraubten Brücke ist deutlich besser, da der Zahntechniker direkt auf das Gerüst verblenden kann und keinen Mindestabstand von der Separierung zum Abutment einhalten muss (Abb. 25). Die Möglichkeiten einer ästhetischen Gestaltung scheinen in solch einem Fall mit Verschraubung daher sogar wesentlich günstiger zu sein (Abb. 26 und 27).
Schlussfolgerungen
Die Verschraubung stellt als Befestigungsmethode dank moderner prothetischer Komponenten wieder eine attraktive Variante dar. Die Verbesserung von Implantatdesigns und Implantatoberflächen sowie die Entwicklung von Strategien zur Behandlung von Periimplantitis stehen im Fokus vieler wissenschaftlicher Untersuchungen. Während diese Aspekte nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, lohnt es sich auch, die Bedeutung weiterer Eigenschaften eines Implantatsystems, wie beispielsweise seiner prothetischen Komponenten, näher zu betrachten und weiter zu verbessern. Hierdurch können nicht nur eine Reduzierung von Langzeitkomplikationen und Vorteile in der Nachsorge, sondern auch die Vereinfachung der klinischen Vorgehensweise erreicht werden.
Literatur
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