Der Misserfolg einer Wurzelkanalbehandlung kann multifaktoriell begründet sein; die gründliche klinische und röntgenologische Diagnostik trägt zum Erkennen der Gründe für den Behandlungsmisserfolg bei und erleichtert die Entscheidung über das Vorgehen und das Ausmaß der Revisionsbehandlung, die sich unter Umständen auf einen Teilbereich des Wurzelkanalsystems beschränken kann. Dieser Fallbericht von Maythem Al-Fartousi, MSc, für die Endodontie 1/2022, beschreibt eine selektive Revisionsbehandlung in einem von mehreren Wurzelkanälen eines Unterkiefermolaren.
Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.
Einleitung
Die sorgfältige Durchführung der Wurzelkanalbehandlung, beginnend mit der sorgfältigen Diagnostik bis zum hermetischen Verschluss von Wurzelkanal und Zahn, bildet die Grundlage für den endodontischen Behandlungserfolg1. Die Vernachlässigung jedes einzelnen Behandlungsschrittes kann andererseits zum Misserfolg führen2. Durch eine sorgfältige klinische intraorale, intrakanaläre und radiologische Diagnostik lassen sich Informationen über die Ursachen für einen Misserfolg ermitteln.
Abhängig von der Ursache der postendodontischen Erkrankung kann der Zahn in vielen Fällen durch eine orthograde oder chirurgische Revisionsbehandlung erhalten werden3. In der Regel erfolgen bei der orthograden Revisionsbehandlung die Entfernung kariöser Läsionen, wenn vorhanden, die Entfernung insuffizienter Restaurationen, die Entfernung der Wurzelkanalfüllungen, die (Neu-)Präparation aller Wurzelkanäle, die adäquate Desinfektion und Spülung der präparierten Wurzelkanäle, das Legen der Wurzelkanalfüllungen und eine dichte koronale Versieglung von Kanalsystem und Zahn4.
Das Vorgehen bei der retrograden chirurgischen Revisionsbehandlung unterscheidet sich technisch und praktisch von dem der orthograden Behandlung: Hier werden nur betroffene Wurzeln behandelt. Des Öfteren werden Wurzelspitzenresektionen nur an einer Wurzel eines mehrwurzeligen Zahnes durchgeführt. Die Wurzeln, die röntgenologisch keine apikalen Veränderungen zeigen, benötigen in der Regel keine Intervention5.
Nudera publizierte 2015 einen Fallbericht über die selektive Revisionsbehandlung6. Weitere Publikationen über das Thema wurden nicht gefunden. Im folgenden Fallbericht wird eine selektive Revisionsbehandlung an einem Molaren mit zuvor bereits alio loco revidierter Wurzelkanalbehandlung beschrieben.
Klinische Ausgangssituation und Anamnese
Der 53-jährige Patient stellte sich aufgrund von Beschwerden an Zahn 47 vor, der seinen Angaben zufolge bereits mehrfach endodontisch behandelt worden war, ohne dass die Perkussionsempfindlichkeit verschwand. Die Fremdröntgenbilder konnten angefordert werden. Der Zahn 47 war leicht perkussionsempfindlich, die Sensibilitätsprüfung fiel negativ aus. Die Gingiva war unauffällig und der Zahn zeigte keine erhöhten Sondierungstiefen. Zahn 46 fehlte, wobei die Lücke nicht geschlossen war.
Das zwei Jahre alte Fremdröntgenbild zeigt eine insuffiziente Wurzelfüllung in der mesialen Wurzel und eine sich distalwärts ausbreitende apikale Aufhellung. Die Wurzelspitze der distalen Wurzel war röntgenologisch nicht involviert (Abb. 1 und 2). Zur genauen Darstellung der Wurzelkanäle und zur Beurteilung der Ausdehnung der apikalen Läsion wurde eine DVT-Aufnahme angefertigt (CS 8100 3D, Carestream Dental LLC, USA). Die koronalen Schnitte der mesialen Wurzel offenbaren eine zu kurze Wurzelfüllung im mesiobukkalen Wurzelkanal und einen nicht gefüllten mesiolingualen Wurzelkanal mit einer ca. 2 x 2 mm großen Läsion (Abb. 3). Der sagittale Schnitt der distalen Wurzel zeigt eine suffiziente Wurzelkanalfüllung und keine apikale Aufhellung (Abb. 4).
Diagnose
Die Diagnose lautete auf Parodontitis apicalis aufgrund insuffizienter Wurzelkanalbehandlung.
Therapie
Nach Leitungsanästhesie erfolgte die Isolation des Zahns mit Kofferdam und OpalDam Green (Ultradent, USA). Die alio loco gelegte Zementfüllung (Glasionomerzement, GIZ) wurde unter mikroskopischer Vergrößerung mit rotierenden Instrumenten entfernt. Die Darstellung der Wurzelkanaleingänge erfolgte mithilfe von Rosenbohrern und Ultraschallansätzen. Die intrakanaläre Untersuchung zeigte zwei mit Guttapercha gefüllte mesiale Wurzelkanäle, den mesiobukkalen und den distobukkalen Wurzelkanal, und eine Kanalöffnung ca. 1 mm bukkal des mesiolingualen Wurzelkanals, die nicht instrumentiert war. Diese dritten mesialen Wurzelkanäle werden als „middle mesial“ bezeichnet7.
Die instrumentelle Entfernung der alten Guttapercha-Füllungen erfolgte zunächst nur an den beiden mesialen Wurzelkanälen mit der ProTaper Universal Revisionsfeile D2 (Dentsply Sirona). Die Präparation des sogenannten „middle mesialen“ Wurzelkanals erfolgte mit K-Feilen und Hedström-Feilen (VDW). Dieser Wurzelkanal mündete nach 4 mm Eindringtiefe in den mesiolingualen Wurzelkanal (Abb. 5).
Die Bestimmung der Arbeitslängen der beiden anderen Wurzelkanäle der mesialen Wurzel erfolgte elektrisch, simultan zur Präparation mit dem VDW Gold-Motor (VDW) und mit 25/.08- und 4/.06-Reciproc-NiTi-Instrumenten (VDW). Die Desinfektion wurde mit Natriumhypochlorit (NaOCl) 5 Prozent und Ethylendiamintetraazetat (EDTA) 17 Prozent durchgeführt. Die Lösungen wurden mit Schallspitzen (EDDY, VDW) aktiviert. Nach Anfertigung einer Masterpointaufnahme wurden die Wurzelkanäle getrocknet, nachdem sie mit 5 Prozent NaOCl nochmals desinfiziert worden waren.
Für die Wurzelkanalfüllung mit Guttaperchastiften (Reciproc 40, VDW) wurde ein Sealer auf Kalziumsilikat-Basis gewählt (BC Sealer TotalFill, FKG Dentaire) (Abb. 6). Die vorhandene Wurzelkanalfüllung im distalen Wurzelkanal wurde zur sicheren koronalen Versieglung koronal um 3 mm gekürzt und mit fließfähiger Guttapercha wieder aufgefüllt (BeeFill, VDW). Der restaurative Aufbau erfolgte mit adhäsivem Kompositmaterial.
Röntgenkontrollen und Recalls
Ein Röntgenbild zur Kontrolle der Wurzelkanalfüllung wurde direkt nach der Obturation angefertigt (Abb. 7). Der Patient war 24 Stunden nach der Behandlung schmerzfrei. Eine erste Röntgenkontrolle erfolgte 3 Monate, ein zweites Recall 8 Monate später (Abb. 8 und 9). Es zeigte sich eine deutliche Verkleinerung der apikalen Aufhellung. Im Recall nach 30 Monaten waren die periapikalen Strukturen ohne pathologischen Befund (Abb. 10).
Diskussion
Bei persistierender oder wiederkehrender endodontischer Erkrankung wird in vielen Publikationen die vollständige Entfernung aller Wurzelkanalfüllungen und − wenn vorhanden − Wurzelkanalstifte während der Revisionsbehandlung empfohlen4.
In der Literatur finden sich einige Daten zu Prädiktoren für den endodontischen Behandlungserfolg8. Die vollständige Elimination der Mikroorganismen aus dem Inneren des Zahns, eine Sterilisation des Wurzelkanalsystems, ist erwiesenermaßen nicht möglich, daher wird die Reduzierung der Zahl der Mikroorganismen unter einen Schwellenwert angestrebt9,10. Verbleibt oder bildet sich ein Biofilm in einem unvollständig gefüllten Wurzelkanal, so können die Mikroorganismen bei Überschreitung des Schwellenwertes die Entstehung einer apikalen Läsion begünstigen. Eine unvollständige, undichte oder zu kurze Wurzelfüllung kann aber auch ohne Assoziation von apikalen Läsionen vorliegen, wenn der Schwellenwert nicht erreicht ist. Eine selektive Revisionsbehandlung kann in beiden Fällen durchgeführt werden, wenn davon auszugehen ist, dass die anderen Wurzelkanäle vollständig gefüllt sind und keine klinischen und röntgenologischen Befunde zeigen.
Essenziell für das korrekte Vorgehen bei der Behandlung dieser persistierenden oder wiederkehrenden Entzündungen ist die genaue Diagnose. In einigen Fällen reicht das präoperative periapikale Röntgenbild nicht, um genügend Informationen über das Ausmaß und die Lokalisation der Läsion zu gewinnen. 3-D-Aufnahmen erleichtern in komplexen Fällen nach Ausschluss anderer Misserfolgsursachen (insuffiziente Restaurationen, Karies oder Parodontitis) die Entscheidung für eine komplette oder selektive Revision11.
Im vorliegenden Fall zeigte der distale Wurzelkanal in der DVT-Aufnahme keine Assoziation zu der apikalen Läsion an der mesialen Wurzel. Die Wurzelfüllung sah röntgenologisch zufriedenstellend aus, die koronale Restauration erschien suffizient und das marginale Parodontium war unauffällig. Somit fiel die Entscheidung zugunsten einer selektiven Revision in den mesialen Wurzelkanälen. Der Patient wurde über die Behandlung und über die eventuelle Notwendigkeit einer kompletten Revision im Falle eines Misserfolges aufgeklärt.
Der Zeitraum zwischen der insuffizienten Erstrevisionsbehandlung alio loco und der Vorstellung in der Praxis betrug 18 Monate. Die Heilung apikaler Parodontitiden kann 12 Monate und auch länger dauern12. Einige systemische Erkrankungen können den Heilungsverlauf negativ beeinflussen. Anamnestisch waren solche Erkrankungen ausgeschlossen13. Die apikale Aufhellung an der mesialen Wurzel war trotz der alio loco durchgeführten Revisionsbehandlung viele Monate später noch präsent. Gründe hierfür liegen vermutlich in der Nichtbehandlung des dritten mesialen Wurzelkanals und den deutlich zu kurzen Arbeitslängen in den mesialen Wurzelkanälen14,15.
Das Kontrollbild acht Monate nach der Durchführung der selektiven Revisionsbehandlung zeigte bereits eine deutliche Verkleinerung der apikalen Läsion. Die Entscheidung zugunsten der selektiven Wurzelkanalrevision ersparte dem Patienten Kosten, die entstanden wären, wenn alle Wurzelkanäle behandelt worden wären. Sie verhinderte außerdem Manipulationen an intaktem Wurzeldentin und stellte sich in diesem Fall als gute Alternative zur vollständigen Instrumentierung aller Wurzelkanäle dar16. Die Zugangskavität zur Durchführung der selektiven Revisionsbehandlung wird in der Regel kleiner gestaltet als die Zugangskavität zur Durchführung der Revisionsbehandlung an allen Wurzelkanälen. Dieser minimalinvasive Zugang verringert das Ausmaß des Schadens an vorhandenen Restaurationen17,18.
Die sorgfältige Auswertung eines 3-D-Röntgenbildes ist für die Revisionsbehandlung in vielen Fällen vorteilhaft19. Dennoch können Artefakte die Röntgendiagnostik erschweren beziehungsweise unmöglich machen20, was die Entscheidung für eine selektive Revisionsbehandlung erschweren kann. Durch die selektive Revision wurde unnötiges Abtragen von Zahnhartsubstanz vermieden21. Auch die Risiken, die bei der Revision möglicherweise auftreten können, wurden dadurch reduziert.
Ein Beitrag von Maythem Al-Fartousi, Emsdetten
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