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Die Rekonstruktion von hart- und weichgewebigen Defekten des Alveolarkamms mit rein weichgewebiger Augmentation ist weniger invasiv und langfristig stabil

Von bukkal unterminierende Präparation Regio 12 im Sinne einer Spaltlappenpräparation.

Am Beispiel einer Adhäsivbrücke am lateralen Schneidezahn stellen Dr. Philip Stähler et al. in der Quintessenz Zahnmedizin 1/22 die ästhetisch motivierte Kieferkammaugmentation vor. Der heutzutage übliche weichgewebige Kieferkammaufbau erfolgt mit tunnelierenden Techniken sowie intraoral gewonnenen Bindegewebetransplantaten. Der gleichzeitige bindegewebige Kammaufbau mit Einbringen der prothetisch bereits ideal ausgeformten Adhäsivbrückenbasis ermöglicht die einzeitige Etablierung eines ästhetischen Emergenzprofils am Brückenglied.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wird 2024 wie der Verlag selbst 75 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit elf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

 

Einleitung

Hart- und weichgewebige Defekte am Alveolarfortsatz können als Folge von Zahnextraktionen5,6,12,13,15 entstehen oder bei Nichtanlagen von Zähnen vorkommen. Im ästhetisch relevanten Bereich der Oberkiefer- beziehungsweise Unterkieferfront erschwert dies die prothetische beziehungsweise implantatprothetische Versorgung der Patienten insofern, als kein natürlich wirkender Übergang der Krone in das Weichgewebe erzielt werden kann11. Kompromisslösungen zur Kompensation des Defekts mit verlängerten Zahnkronen oder gingiva­farbener, rosa Keramik erreichen nur unbefriedigende ästhe­tische Ergebnisse, gerade bei Patient/-innen mit hohen Lachlinien. Unabhängig davon, ob die Zahnlücke implan­tatprothetisch mit Implantation in rekonstruierten oder ortsständigen Knochen oder rein prothetisch über (Adhäsiv-)Brücken versorgt wird, können ästhetische Ergebnisse daher nur mit zusätzlichen Augmentationen erzielt werden. Selbst erfolgreich durchgeführte prä­implantologische Hartgewebeaugmentationen können die darüberliegende ästhetisch relevante Weichgewebekontur nicht zufriedenstellend rekonstruieren.

Verschiedene Klassifizierungen zur Defektbeschreibung sind publiziert. Die meiste Verbreitung findet die Klassifikation nach Seibert et. al.16. Dabei werden drei Defektklassen in bukkolingual, apikal-koronal sowie kombinierte Defekte unterschieden. Darauf aufbauende Klassifikationen der folgenden Jahre ergänzten neben den qualitativen Aspekten nach Seibert et. al. lediglich quantitative Messgrößen zur Defektbeschreibung1,17.

Während in der Vergangenheit hartgewebige Augmentationsmaterialien zur ästhetischen Kieferkammaugmentation vorgeschlagen wurden1, steht heutzutage die rein weichgewebige Augmentation im Vordergrund. Anfangs erwartete Schrumpfungstendenzen des transplantierten Gewebes stellten sich in verschiedenen Studien nicht ein3,4,7,9,14. So untersuchten Sanz-Martin et. al.14 das Weichgewebe unterhalb von Brückengliedern bei 24 Patient/-innen, von denen 12 ein subepitheliales Bindegewebetransplantat zur Augmentation des Brückengliedbereichs erhalten hatten. Die digitale volumetrische Vermessung des weichge­webigen Bereichs unterhalb des Brückenglieds zeigte über 5 Jahre keine signifikante Schrumpfung, weder im augmentierten noch im nichtaugmentierten Bereich.

Wurde früher die sukzessive Ausformung des weich­gewebig augmentierten Bereichs mithilfe von Provisorien, die sogenannte Weichgewebekonturierung19, angewendet, um das Weichgewebetransplantat in die ästhetisch erwünschte Form zu bringen, wird dieser Prozess inzwischen durch das Einbringen eines bereits final ausgeformten Provisoriums zum Zeitpunkt des Weichgewebeaufbaus überflüssig. Durch das Einbringen des Provisoriums mit idealem Emergenzprofil lassen sich beim Weichgewebeaufbau das ortsständige und transplantierte Gewebe in der richtigen Position mit Nähten fixieren. Beim anschließenden Integrationsprozess des transplantierten Gewebes entlang des Provisoriums wird die erwünschte Weichgewebekontur etabliert.

Der folgende Fall zeigt exemplarisch einen ästhetischen Kieferkammaufbau an einem lateralen Schneidezahn mit gleichzeitigem Einbringen einer provisorischen Adhäsivbrücke mit bereits ideal ausgeformten Emergenzprofil.

Fallpräsentation

Der 20-jährige Patient stellte sich zur Beurteilung der Oberkieferfrontsituation in unserer Praxis vor. Der allgemein­medizinische Zustand sowie der zahnmedizinische Status waren unauffällig. Die nicht angelegten seitlichen Schneidezähne waren prothetisch mit zweiflügeligen Adhäsivbrücken versorgt. Darüber hinaus zeigte sich in den betroffenen Regionen 12 und 22 ein ausgeprägtes Defizit an Weich- und Hartgewebe. Um den ästhetischen Ansprüchen des Patienten gerecht zu werden, wurden verschiedene Behandlungsoptionen wie konventionelle Brücken, Implantate und Gaumenimplantate diskutiert. Basierend auf sehr guter externer und interner klinischer Evidenz wurde entschieden, die prothetische Versorgung mittels zweier einflügeliger Adhäsivbrücken10 sowie einer Weichgewebeaugmentation zur Wiederherstellung des verloren gegangenen Gewebes durchzuführen. Im Nachfolgenden werden die einzelnen Schritte der Behandlung (Abb. 1 bis 14) erläutert.

Diskussion

Hart- und weichgewebige Defekte des Alveolarkamms können besonders im ästhetisch relevanten Bereich für unbefriedigende Behandlungsergebnisse sorgen. Nachdem in den 80er-Jahren noch hartgewebige Rekonstruktionen zum Aufbau des Kieferkamms versucht wurden1, hat sich inzwischen die rein weichgewebige Augmentation als überlegen und langfristig stabil herausgestellt4,14.

Früher vorgeschlagene Verfahren zur Weichgewebeaugmentation wie zum Beispiel weichgewebige Onlay-graft-Plastiken16 führen aufgrund von Narbenbildung und der erkennbaren unterschiedlichen Gewebeherkunft zu kompromittierten äs­thetischen Ergebnissen. Da die Verbesserung der Ästhetik jedoch indikationsgebend ist, werden zur weichgewebigen Augmentation heutzutage tunnelierende Techniken angewandt.

Alternativ zur im vorliegenden Fall durchgeführten vestibulären Tunnelierung unter Einbeziehung der lückenangrenzenden Zähne hätte ein palatinaler Verschiebelappen mit Mobilisierung der gaumenseitigen Weichgewebe und Tunnelierung der vestibulären Weichgewebe erfolgen können22. Die Miteinbeziehung der palatinalen mastikatorischen Mukosa erhöht die Lappenmobilität nach vestibulär und ermöglicht darüber hinaus noch die Möglichkeit, den Lappen spannungsfrei weiter koronal zu fixieren. Aufgrund der ausreichenden vertikalen Weichgewebehöhe an den lücken­begrenzenden Zähnen war die alleinige vestibuläre Lappenpräparation in diesem Fall ausreichend zur Kompensation der hauptsächlich horizontalen Defektkom­ponente.

Da bei ästhetisch bedingten Kieferkammaufbauten ein Volumendefizit ausgeglichen werden soll, ist die freie Transplantation von Weichgewebe naheliegend. Das hier verwen­dete subepitheliale Bindegewebetransplantat vom seitlichen Gaumen zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es selbst bei Exponierung kleiner Transplantatbereiche noch ästhetisch unauffällig einheilt und durch die lockere Gewebezusammensetzung keine Nekrosen in diesen Bereichen auftreten. Es gilt immer noch als „Goldstandard“ der Weichgewebetransplantate21. Nachteilig sind die begrenzte Größe durch die Rücksichtnahme auf die Ausdehnung der Arteria palatina und eine etwas größere Schrumpfungstendenz18. Als Alternative zu dem hier angewandten subepithelialen Bindegewebetransplantat ist das als freies Schleimhauttransplantat entnommene, extraoral entepi­the­lisierte Binde­gewebetransplantat nach Zucchelli verfügbar20. Vorteilhaft ist die deutlich größere verfügbare Transplantatgröße, da durch die oberflächliche Entnahme am Gaumen keine Gefahr einer Verletzung der tiefer liegenden Arteria palatina besteht. Gleichzeitig zeigen diese Transplantate allerdings ästhetisch weniger ansprechende Ergebnisse und sollten darüber hinaus nicht exponiert gelassen werden. Eine weitere Entnahmestelle ist die Tuberregion21. Dieses Bindegewebe zeichnet sich durch seinen hohen Kollagenanteil aus und bietet sich zur Augmentation großvolumiger Defekte an. Gleichzeitig entsteht durch die Entnahme am Tuber im Vergleich zur Entnahme am Gaumen kaum Patientenmorbidität2. In einigen Fällen wurde jedoch ein hyperplastisches Wachstum des Tuberbinde­ge­webes nachgewiesen, sodass die Anwendung im nicht­äs­the­tischen Bereich bzw. – wenn dort nicht vermeidbar – die großzügige Entfernung des Epithels über dem Tuber­bin­de­gewebetransplantat empfohlen wurde8. Perspektivisch wünschenswert wäre es, die autologen Transplantate durch allogene, xenogene oder alloplastische Materialien zu ersetzen. Daten zur weichgewebigen ästhetischen Kiefer­kammaugmentation mit Ersatzmaterialien sind jedoch kaum vorhanden. Im Bereich der Rezessionsdeckung wurden verschiedene Materialien getestet, die bisher jedoch keinen gleichwertigen Ersatz für autologe Materialien bieten können21.

Fazit

Ästhetisch motivierte Kieferkammaugmentationen können heute vorhersagbar mit autologen Weichgewebetransplanten durchgeführt werden. Abhängig von Defektgröße und -ausdehnung kommen tunnelierende Techniken mit oder ohne Einbeziehung der Gaumenmukosa in Betracht. Durch das Einbringen der prothetischen Versorgung – in diesem Fall eine Adhäsivbrücke am lateralen Schneidezahn – in die Operationswunde des gleichzeitig durchgeführten Kieferkammaufbaus wird einzeitig das ideale Emergenzprofil des Weichgewebes hergestellt. Weitere, früher notwendige schrittweise Ausformungen der Basis des Brückenglieds mit Kunststoff entfallen. Perspektivisch könnten Ersatz­materialien anstelle von autologen Weichgewebetransplantaten eingesetzt werden, wodurch die Morbidität einer zweiten Operationswunde verhindert würde.

Ein Beitrag von Dr. Philip Stähler, Erdem Gülnergiz, beide München, Dr. Otto Zuhr, Frankfurt am Main, und Univ.-Prof. Dr. Markus Hürzeler, Freiburg im Breisgau

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 01/2022 Zahnmedizin Chirurgie Prothetik

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