Die zahnmedizinische Fachwelt trauert mit Familie und Freunden um Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dieter Weingart, der Ende vergangener Woche nach schwerer Krankheit gestorben ist. Der MKG-Chirurg gehörte zur Gruppe junger Zahnmediziner in Freiburg um Prof. Schilli und Prof. Krekeler, die die Implantologie in der Zahnmedizin in Deutschland vorangetrieben und geprägt haben.
Im Nachruf von Dr. Georg Bach, Communications Officer der Deutschen ITI-Sektion, der schon als Student und Assistent Weingart erlebt und bei und von ihm gelernt hat, heißt es, die deutsche ITI Sektion trauere um einen hervorragenden Kieferchirurgen, herausragenden Wissenschaftler und begnadeten Lehrer. „Als Kind des badischen Pforzheim wuchs Dieter Weingart nicht nur im Südweststaat auf, nein er blieb diesem – mit kurzen Unterbrechungen - auch ein Leben lang treu. Wer indes aus dieser lokalen Beständigkeit darauf schließen möge, dass Dieter Weingart ein ‚fixiertes, in engen Grenzen verlaufendes‘ Leben geführt hätte, der sieht sich indes komplett-getäuscht:Das exakte Gegenteil traf zu – Offenheit, enorme Schaffenskraft und die Lust, Neues zu entdecken, das vielmehr zeichneten Dieter Weingart aus.“
Vor seiner akademischen Laufbahn absolvierte der junge Weingart (Jahrgang 1954) von 1975 bis 1978 Zahntechnikerlehre, dem sich rasch die Studien der Human- und Zahnmedizin in Tübingen und Freiburg und dann die Ausbildung zum Mund-, Kiefer- und Geschichtschirurgen anschlossen. 1989 beendete er diese Ausbildung ab, 1992 erwarb er die Zusatzbezeichnung Plastische Operationen.
Freiburg als prägende Station
Diese kieferchirurgische Ausbildung konnte Dieter Weingart in Freiburg im Breisgau absolvieren und stieß zur legendären „Freiburger Truppe“ um Professor Dr. Wilfried Schilli, der zu seinem sicherlich wichtigsten Förderer und akademischen Lehrmeister wurde. Dort habilitierte er sich 1992/1993 auch mit dem Thema „Therapie des zahnlosen Kiefers – Knochentransplantate, enossale Implantate und implantatgetragene Suprastrukturen“.
„Aber im 6. Stock der Freiburger Zahnklinik bekam Weingart nicht nur das breite Spektrum der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie vermittelt, nein zu dieser Zeit war Freiburg auch eines der entscheidenden Zentren für orale Implantationen und für das junge, gerade gegründete Internationale Team für Implantologie. Und dieses ITI avancierte zu einem roten Faden, der sich durch das künftige Leben von Dieter Weingart durchgehend zog“, so Bach. Das kongeniale Freiburger Duo Schilli/Prof. Gisbert Krekeler sei somit für den Einstieg Weingarts in die orale Implantologie verantwortlich gewesen, nahtlos schloss sich die westfälische Zeit hier an, als Weingart nach der Habilitation mit Professor Ulrich Joos und Professor Johannes Kleinheinz von Freiburg nach Münster wechselte.
Doch der Weg führte ihn bald in die Heimat zurück: 1996 wurde er zum Ärztlichen Leiter der Abteilung für Mund-, Kiefer-Gesichtschirurgie des Katharinen-Hospitals in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart berufen, seit 2007 war er Ärztlicher Leiter des Kopfzentrums am Klinikum Stuttgart – und hatte diese Position bis zu seinem viel zu frühen Tod Mitte August 2020 inne.
Hervorragender Lehrer, engagierter Netzwerker
Diese steile Karriere „kann mit Fug und Recht als beredter Beweis für die außerordentlichen Fähigkeiten Weingarts gewertet werden“, so Bach. In seiner neuen Position in Stuttgart zeigten sich neben den anerkannten wissenschaftlichen und fachlichen Fähigkeiten Weingarts weitere Eigenschaft, die sich für seine Abteilung als segensvoll erweisen sollte, die der ausgesprochenen Befähigung zur Lehre und zur Netzwerkbildung. „Und so bildete Weingart nicht nur eine ganze Generation bemerkenswerter Wissenschaftler und Oral- und Kieferchirurgen aus, nein diese konnten wiederum das erworbene Wissen an ihren neuen Wirkungsstätten an Universitäten und in freien Praxen weitergeben“, so Bach.
Wissenschaftliche Implantologie vorangetrieben
Unter den vielen Dingen, die Professor Dr. Dr. Dieter Weingart in seiner Schaffensphase und darüber hinaus angestoßen hat, hebt Bach hervor: „Unbedingt erwähnt werden sollten aber seine Entwicklungen und Forschungen zur osteosynthetischen Versorgung von Kieferfrakturen, zur Behandlung von Malignomen und dann natürlich zur Implantologie. Als Visionär, wie Weingart es lebenslang war, erkannte er das unglaubliche Potenzial des zahnärztlichen Fachbereichs der Implantologie und führte diesen vehement in die wissenschaftliche Forschung ein.“
Präsident und Ehren-Fellow des ITI
Als früher Fellow des ITI und später als dessen (zweiter deutscher) Präsident (nach Schilli) von 2005 bis 2009 habe er es vermocht, der oralen Implantologie einen weiteren, erheblichen Schub zu geben. Weingart war erster Gewinner des André-Schroeder-Forschungspreises des ITI 1992 und seit 2012 ITI Ehrenmitglied. „Wir trauern um einen großen Visionär, hervorragenden Wissenschaftler und Chirurgen und um einen ganz besonderen Menschen, der uns viel zu früh verlassen musste und der eine ungemein große Lücke hinterlässt“, so Bach in seinem Nachruf für die deutsche ITI-Sektion.
In Fachgesellschaften und Körperschaften vielfältig aktiv
Weingart war vielfältig in Körperschaften und Fachgesellschaften aktiv. So war er 1. Vorsitzender der Vereinigung für Wissenschaftlichen Zahnheilkunde in Stuttgart, Referent für Katastrophenschutz der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg und in der Kammer seit 2002 auch Mitglied der Gutachterkommission und Schlichtungsstelle für Fragen Ärztlicher Haftplicht. Auch in der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI) war er aktiv und dort der erste Vorsitzende des Landesverbands Baden-Württemberg. Für seine Verdienste um die Implantologie wurde er auf der DGI-Jahrestagung 2018 in Wiesbaden zum Ehrenmitglied der DGI ernannt, die Laudatio auf ihn hielt der kürzlich verstorbene Dr. Karl-Ludwig Ackermann.
Autor in vielen hochrangigen Journals
Dem Quintessenz-Verlag war Weingart unter anderem als Autor und Co-Autor von Fachbeiträgen in deutschsprachigen wie der „Implantologie“ und internationalen Fachzeitschriften wie dem „The International Journal of Oral & Maxillofacial Implants“ (JOMI) und als Mitherausgeber einer DVD zum Sinuslift (Buser/Weingart/Katsuyama: Sinus Floor Elevation Procedures) aus der Publikationsserie des ITI verbunden. Zudem haben Forschergruppen unter seiner Beteiligung mit ihren Posterpräsentationen immer wieder Eingang in das International Poster Journal of Dentistry and Oral Medicine (online) gefunden.
„Ein Gentleman im besten Sinne des Wortes“
Sein Freund und Wegbegleiter Prof. Joachim S. Hermann (Stuttgart) schreibt in einem Nachruf für Quintessenz: „Für alle seine Patienten, Studenten und Kollegen war Dieter immer verlässlich, ein Gentleman im besten Sinne des Wortes. Er lebte und arbeitete in voller Übereinstimmung mit dem hippokratischen Eid. Mit viel Demut, großem Talent sowohl auf persönlicher als auch auf wissenschaftlicher/klinischer Ebene gab er immer sein Bestes und wurde ein wichtiger Experte für uns alle auf regionaler, nationaler und globaler Ebene.
Engagement, Ehrgeiz, Tatkraft und Fleiß waren seine Triebkräfte, die ihn dauerhaft erfolgreich machten und ihm ein hohes Ansehen verschafften. […] Seine und unsere Vision war immer von einem Maximum an gegenseitigem Respekt geprägt und akzeptierte, dass wir alle Zahnärzte und Mediziner waren und sind, unabhängig von unserer Ausbildung, unserer Erfahrung und unserem Hintergrund. Nur durch einen solchen gemeinsamen und offenen Ansatz konnten und können wir alle die Ziele erreichen, von denen wir früher nur geträumt haben.“