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Behandlungsmöglichkeiten, Bewertung der Therapieoptionen und Empfehlungen für den klinischen Alltag


Prof. Jan Kühnisch

Schmelzeinbrüche aufgrund einer Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) sind neben der Karies die zweithäufigste Ursache für die Restauration von Zähnen im Kindes- und Jugendalter. Autor Prof. Dr. Jan Kühnisch beschreibt in seinem Beitrag in der Quintessenz 3/18 dass Spektrum der aktuell gegebenen Therapiemaßnahmen in Relation zu klinischen Indikatoren. Während bei MIH-assoziierten Opazitäten grundsätzlich kein operativer Behandlungsbedarf besteht, ist die Restauration an Schmelzeinbrüchen angezeigt. In der Mehrzahl aller klinischen Situationen ist die direkte adhäsive Füllungstherapie das Vorgehen der Wahl. Deutlich seltener sind indirek­te Restaurationen oder die Extraktion mit einem nachfolgenden Lücken­schluss indiziert.

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Parallel zu dem erfreulichen Trend eines stetig rückläufigen Kariesbefalls im Kindes- und Jugendalter wurde in den vergangenen Jahrzehnten über ein markantes Vorkommen der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) be­richtet. Nationale und internationale epidemiologische Erhebungen ermittelten bei Kindern beziehungsweise Jugendlichen Prävalenzraten von 10 bis 30 Prozent15,20,23,34. Bei detaillierter Betrachtung von zahnbezogenen Analysen wurde offensichtlich, dass etwa 90 Prozent aller von einer MIH betroffenen Zähne lediglich Opazitäten ohne Ober­flächendefekte aufwiesen20. Nur ca. 10 Prozent aller MIH-Zähne – vordergründig im Seitenzahnbereich – zeigten Oberflächeneinbrüche beziehungsweise Zahnhartsubstanz­defekte und haben demzufolge einen mehr oder weniger umfangreichen Behandlungsbedarf. Mit Blick auf die klinische Praxis ist hervorzuheben, dass Zahnhartsubstanz­defekte einerseits eine sehr heterogene Ausprägung (Abb. 1 bis 5) aufweisen und andererseits Faktoren wie zum Beispiel endodontische Komplikationen, der Stand der Gebissentwicklung oder die Kooperationsfähigkeit der Kinder maßgeblich das therapeutische Vorgehen beeinflussen. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit MIH aufzuzeigen, die Therapieoptionen einer kritischen Bewertung zu unterziehen und daraus Empfehlungen für den klinischen Alltag abzuleiten.

Wie wird eine MIH diagnostiziert?

Als Hypomineralisation werden alle qualitativen Veränderungen der Mineralisation des Zahnschmelzes charakterisiert, welche als weiße, gelbliche oder bräunliche Opazitäten des Zahnschmelzes imponieren11. Wenn diese eine scharfe Abgrenzung zum gesunden Zahnschmelz aufweisen, können sie dem MIH-Formenkreis zugeordnet werden. Da abgegrenzte Opazitäten an Frontzähnen und Prämolaren auch als Folge trauma- und kariesbedingter apikaler Parodon­titiden der Milchzähne auftreten, bedarf es der differenzialdiagnostischen Abklärung21,22. Demgegenüber sprechen diffuse Opazitäten eher für eine fluoridbedingte Störung der Mineralisation (Dentalfluorose).

Quantitative Schmelzdefekte sind als Hypoplasien durch Abweichungen von der regulären Schmelzdicke gekennzeichnet. Im Fall der MIH können Schmelz­hypoplasien sich bereits präeruptiv aufgrund einer unvollständigen oder ausbleibenden Schmelzentwicklung formieren. Posteruptive Einbrüche treten hingegen erst im Zuge der funktionellen Belastung auf. Die Kauflächen der (ersten) bleibenden Molaren sind prädis­poniert und können bereits unmittelbar nach dem Zahndurchbruch Einbrüche aufweisen. Klinisch lassen sich geringfügige beziehungsweise moderate Schmelzdefekte (vgl. Abb. 2 und 3) von ausgeprägten Einbrüchen mit einer Dentinexposition abgrenzen (vgl. Abb. 4). Die wesentliche klinische Symptomatik dieser Zähne besteht in einer ausgesprochenen Hypersensitivität auf thermische, chemische oder mechanische Reize13,37. Aufgrund der Überempfindlichkeit hypomineralisierter Zähne ist eine adäquate tägliche Mundhygiene oftmals schwierig und begründet gegebenenfalls ein erhöhtes Kariesrisiko der betroffenen Zähne beziehungsweise Patienten.

Die Diagnosestellung einer MIH wird gegenwärtig anhand unterschiedlicher Definitionen vorgenommen. Am gebräuchlichsten ist die Betrachtung von Indexzähnen, wie sie zum Beispiel von der European Academy of Paediatric Dentistry (EAPD) favorisiert wird30,38. Die EAPD empfiehlt, dass für die Diagnosestellung mindestens ein erster bleibender Molar von einer MIH-Läsion betroffen sein muss. Dem ist aber entgegenzusetzen, dass diesem Ansatz erstens nur eine empirische Annahme zugrunde liegt39, welche bis in die Gegenwart keine Validierung erfahren hat. Zweitens ist herauszustellen, dass das Auftreten von Struktur­störungen immer vom Expositionszeitpunkt abhängt und demzufolge variabel sein kann. In der klinischen Praxis bedeutet dies, dass letztlich alle Zähne beider Dentitionen betroffen sein können und die Diagnostik anhand von Indexzähnen zu einer Unterschätzung der Prävalenz führt. Nach Auffassung der Autoren sollte daher die Diagnosestellung anhand von Indexzähnen zugunsten der zahn- und zahnflächenbezogenen Erfassung von abgegrenzten Opazitäten, Oberflächen­einbrüchen, atypischen Restaurationen und MIH-bedingten Extraktionen verlassen werden20.

Zur Ätiologie der MIH

Als Ursache für das Auftreten von Hypomineralisationen und/oder Hypoplasien werden sowohl systemische als auch lokale Faktoren diskutiert1,5. Im Hinblick auf die Ätiologie der MIH besteht Konsens, dass eine systemisch bedingte Schädigung der Ameloblasten während der Zahn- beziehungsweise Schmelzentwicklung vorliegen muss. In der Literatur werden dabei verschiedenste Faktoren diskutiert. Hierzu gehören eine umweltbedingte Bisphenol-A- oder Dioxinexposition, früh­kind­liche Infekte, Antibiotikagaben im frühen Kindesalter, Sauerstoffmangel unter der Geburt, erniedrigte Serum- Vitamin-D-Spiegel26 und Störungen im Calcium- oder Phosphatstoffwechsel. Aktuell muss jedoch konstatiert werden, dass eine stichhaltige Ätiologiekette nicht bekannt ist1,5,19,24.

Ist eine Prävention der MIH möglich?

Mit Blick auf das Fehlen einer wissenschaftlich nachge­wiesenen Ätiologiekette ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein effektiver Ansatz zur Prävention der MIH gegeben. Dies unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Anstrengungen, um die Ursachen für die Störung dieser Zahnhartsubstanzentwicklung zu identifizieren.

Nicht- bzw. minimal-invasive Therapie­optionen

In der klinischen Praxis werden am häufigsten cremig- weiße bis gelb-braune Hypomineralisationen beziehungsweise Opazitäten ohne Schmelzeinbrüche beobachtet, deren typisches Merkmal eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Hypersensibilität ist. Solche Zähne bedürfen keiner restaurativen Therapie, und das trifft auf die überwiegende Mehrzahl aller MIH-assoziierten Hypomineralisationen zu. Dennoch sollten an diesen Zahnflächen die „klassischen“ kariespräventiven Maß­nahmen wie lokale Fluoridapplikationen12 oder die Fissuren- und Grübchenversiegelung25 zum Einsatz kommen. Die Anwendung von Fluorid zielt dabei auf die Mineralisation der hypermineralisierten Oberflächen ab. Zudem ist es so möglich, dem Problem der Überempfindlichkeit präventiv zu begegnen. Durch die Versiegelung sollen die Fissuren und Grübchen an betroffenen Molaren geschützt werden.

Mit dem Ziel der Stabilisierung von Schmelzoberflächen und der Reduktion von Hypersensibilitäten wurde jüngst der Einsatz von (Nano-)Hydroxylapatitprodukten auch an Zähnen mit MIH-Defekten beworben. Erfahrungen aus wissenschaftlichen Untersuchungen liegen dazu gegenwärtig noch nicht vor. Demgegenüber berichteten Baroni und Marchionni2 bei der Anwendung von modifizierten, calcium- und phosphatreichen Milchproteinen (CPP-ACP, GC Tooth Mousse, GC Germany) über eine Verbesserung der Schmelzstruktur und der klinischen Symp­tomatik an MIH-Zähnen. Ebenso konnte beim Einsatz einer Wirkstoffkombination aus Calciumcarbonat und Arginin (Elmex Sensitive Professional, CP Gaba) eine Reduktion der Hypersensibilität beobachtet werden4. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass Effekte durch die lokale Applikation allenfalls an der Oberfläche des Zahnschmelzes erwartet werden können und eine vollständige Reparation des hypomineralisierten Zahnschmelzes bislang unmöglich ist. Darüber hinaus muss im Rahmen dieser Betrachtungen die empirische Beobachtung ergänzt werden, dass nach dem Zahndurchbruch die initial bestehenden Hypersensibilitäten im Laufe der weiteren Dentinreifung und -entwicklung in vielen Fällen subjektiv abnehmen und damit eine langsame, aber stetige Besserung der Symptomatik eintritt.

Ein weiterer Aspekt besteht darin, dass Patienten immer wieder auf die beeinträchtigte Ästhetik verweisen, wenn die Vestibulärflächen der bleibenden Frontzähne betroffen sind8,28,30. Als Therapieoption wird in diesen Fällen der Einsatz der mikroinvasiven Infiltrationstechnik (Icon, DMG) diskutiert. Allerdings signalisieren die wenigen bislang vorliegenden Studienergebnisse6,27 heterogene Erfolgsraten. Für die klinische Praxis bedeutet dies, dass die Infiltration von Hypomineralisationen nicht immer zu einem zufriedenstellenden ästhetischen Ergebnis führt. Daher wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt empfohlen, die Indikation für die klinische Anwendung restriktiv zu handhaben.

Endodontologische Überlegungen

Umfangreiche Zahnhartsubstanzverluste infolge von Hypomineralisationen sind letztlich mit einer (profunden) Dentinkaries vergleichbar und führen zu ähn­lichen Reaktionen des Pulpa-Dentin-Systems36. Dies bedeutet, dass mit der Dentinexposition an MIH-

Zähnen gleichfalls eine mikrobiologische Besiedlung stattfindet, in deren Folge das Dentin infiziert und de­struiert werden kann. Mit der Progression des Prozesses in Richtung der Pulpa nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Pulpitis zu. Als deren Kennzeichen gelten (Hyper-)Sensibilitäten auf Temperaturreize und eine Schmerzwahrnehmung bei der Nahrungsaufnahme. Während im Anfangsstadium immer reversible Entzündungszeichen überwiegen, nimmt im Fall einer voranschreitenden und pulpanahen Ausdehnung das Risiko für eine irreversible Pulpitis beziehungsweise Pulpanekrose zu. Wesentliche klinische Marker für irreversible Entzündungsprozesse sind Spontan- und Nachtbeschwerden. Davon abgegrenzt werden müssen Zähne mit Aufbissbeschwerden, die typischerweise mit einer Parodontitis apicalis vergesellschaftet sind.


Abb. 6 Übersicht von Therapieoptionen bei MIH mit unterschiedlichen Schweregraden eines Schmelzeinbruchs

Mit Blick auf das Diagnosespektrum sind zwei therapeutische Strategien zu erörtern (Abb. 6). Im Fall einer reversiblen Entzündung steht der Schutz des Pulpa-Dentin-Systems im Vordergrund, welcher in Analogie zum Kariesmanagement über die Entfernung des bakteriellen Biofilms und die Schaffung einer dichten Restauration erreicht wird16. Gerade an jugendlichen Zähnen mit einem nicht abgeschlossenen Wurzelwachstum ergänzt die direkte Überkappung oder die Pulpotomie indikationsgerecht das Behandlungsspektrum. Zeigen die sorgfältige Anamnese und die klinische Untersuchung Zeichen einer irreversiblen Pulpitis, Pulpanekrose oder apikalen Parodontitis auf, so sind folgende Maßnahmen indiziert: Trepana­tion, Reinigung, Aufbereitung, Spülung, Desinfektion und temporäre beziehungsweise definitive Füllung des Wurzel­kanalsystems. Vor allem in der letztgenannten Situa­tion hat die Zahnextraktion mit nachfolgendem kieferorthopädischem Lückenschluss als Therapiealternative ihre Berechtigung.

Restaurative Therapieempfehlungen

Beim Auftreten von Schmelzeinbrüchen sind mehrheit­lich restaurative Behandlungsmaßnahmen erforderlich29,30,32. Während im Fall von minimalen Schmelzdefekten zunächst eine Verlaufskontrolle angezeigt sein kann, ist die direkte Füllungstherapie bei moderaten und ausgeprägten Einbrüchen indiziert (Abb. 7 und 8 sowie 9 bis 11). Die indirekte Restauration mit adhäsiv befestigten (Teil-)Kronen ergänzt das Repertoire der Therapieoptionen insbesondere bei ausgeprägten Defekten im Seitenzahngebiet (Abb. 12 bis 18). Sie ist jedoch eine Ausnahmeindikation.

Wesentlich für die Erhaltungsfähigkeit eines MIH-Zahns mit direkter Füllungstechnik sind seine Res­tau­rierbarkeit und das Fehlen von pulpitischen Symptomen im Sinne einer irreversiblen Pulpitis. Bei umfangreichen Schmelzeinbrüchen mit Exposition des Dentins, welche typischerweise mit einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit bei der Nahrungsaufnahme oder der täglichen Mundhygiene vergesellschaftet sind, ist die direkte Restauration der Zähne gleichfalls indiziert. Dies zielt auf die Sicherstellung der Kaufunktion, die Vermeidung späterer endodontischer Komplikationen sowie die Ausheilung bestehender reversibler Pulpitiden ab.

Mit der Entscheidung zur Restauration ist aber auch die Forderung nach einer langlebigen und qualitativ hochwertigen zahnärztlichen Versorgung verbunden, um aufwendige Wiederholungsbehandlungen zu vermeiden und die Kooperationsfähigkeit des kindlichen Patienten zu erhalten. Aus werkstoffkund­licher Sicht sind adhäsiv befestigte Kompositmaterialien zu bevorzugen. Mit Blick auf die wenig retentiven beziehungsweise okklusionstragenden Kavitäten ist die Verwendung von Amalgam oder Glasionomerzement wenig geeignet und sollte deshalb auf Ausnahmesituationen beschränkt bleiben.

Der direkten Restauration von mehrflächigen Zahnhartsubstanzdefekten mit Kompositen sind insbesondere im Seitenzahngebiet klinische Grenzen gesetzt. Obwohl der Einsatz mehrflächiger, okklusionstragender Kompositfüllungen grundsätzlich möglich ist (Abb. 9 bis 11), muss berücksichtigt werden, dass mit zunehmender Restaurationsgröße die Wahrscheinlichkeit für partielle oder vollständige Verluste zunimmt. Daher sind indirekte Restaurationen in Situationen mit einer (nahezu) vollständigen Einbeziehung der Okklusalfläche eine funktionelle und langlebige Therapiealternative31. Gerechtfertigt wird dies durch die strategische Bedeutung der (ersten) bleibenden Molaren für die Gebissentwicklung und die Kaufunktion. Aus heutiger Sicht sind keramische (Teil-)Kronen in vielen Fällen die indirekte Versorgungsform der Wahl zur zahnhartsubstanzschonenden Restauration hypomineralisierter Zähne9,17. Der Vorzug von Keramiken begründet sich in der hartsubstanzschonenden Präparation, die kongruent zu den Grenzen der Hypomineralisation gestaltet werden kann und ohne zusätzliche Retentionsform auskommt (Abb. 12 bis 18).

Dem Einsatz indirekter Restaurationen steht jedoch der erhebliche klinische und labortechnische Aufwand entgegen, der die Kooperationsfähigkeit des kindlichen oder jugendlichen Patienten häufig übersteigt. Mit der Verfügbarkeit chairsidebasierter CAD/CAM-Fertigungs­techniken, die eine einzeitige und schnelle Herstellung indirekter Keramikrestaurationen ermöglichen3,40, wird das Dogma einer Kontraindikation im Kindes- und Jugendalter zunehmend relativiert. Die Anwendung setzt eine gute Kooperationsfähigkeit des Patienten – in Analogie zur Behandlung des Erwachsenen – oder die Umsetzung in Allgemeinanästhesie35 voraus. Obwohl zum jetzigen Zeitpunkt keine systematischen Langzeit­erfahrungen zu dem gewählten Vorgehen im Kindes- und Jugendalter vorliegen, deuten die bisher gesammelten Erfahrungen aus ähnlichen Fallsituationen auf ein gute Langzeitprognose hin33,42.


Abb. 19 Im vorliegenden Fall erfolgte die Versorgung mit einer konfektionierten Krone wegen einer ausgeprägten MIH im Alter von 7 Jahren. Aufgrund des nur bedingt individualisierbaren Kronenrandes stellte dieser im Alter von 11 Jahren ein Durchbruchshindernis während der Eruption des zweiten bleibenden Molaren dar. Die konfektionierte Krone wurde entfernt.

Die in der Kinderzahnmedizin verbreitete konfektionierte Krone sollte aufgrund der erforderlichen Tangen­tialpräparation an bleibenden MIH-Molaren heute eine kritische Würdigung erfahren. Diese Versorgungs­form ist zwar einfach durchführbar, wenig techniksensitiv, langlebig und verhindert weitere Schmelzabbrüche beziehungsweise -defekte auch an Molaren mit einer MIH18,41, weist aber wesentliche Nachteile bei einer späteren indirekten Restauration auf. Mit der in der Regel subgingival verlaufenden Tangentialpräparation an den Approximalflächen wird die spätere definitive Versorgung mit Keramikrestaurationen deutlich begrenzt, da adhäsive Restaurationsformen aufgrund der subgin­givalen Präparationsgrenzen nur bedingt realisierbar sind. Nach Ansicht der Autoren sollte die konfektionierte Krone daher in der bleibenden Dentition allenfalls ohne Tangentialpräparation zum Einsatz kommen, was wiederum die Wahrscheinlichkeit für überstehende Kronen­ränder erhöht (Abb. 19). Des Weiteren wurde über parodontale Komplikationen als Folge des nicht individualisierten Kronenrandes berichtet10. Darüber hinaus können überstehende Kronenränder ein potenzielles Durchbruchshindernis für später durchbrechende Nach­barzähne werden (Abb. 19). Ferner ist das ästhetische Ergebnis für viele Patienten beziehungsweise deren Eltern nicht zufriedenstellend. Aufgrund der genannten Nach­teile sollte der Einsatz konfektionierter Kronen in der bleibenden Dentition restriktiv gehandhabt werden.

Präparationsrichtlinien

Eine immer wiederkehrende Frage ist die nach der Notwendigkeit/dem Umfang der Entfernung struk­turgestörter Zahnhartsubstanz. Die Beantwortung der Frage hängt wesentlich von dem Defektumfang und der Kooperationsfähigkeit des Kindes ab. Bei Betrachtung der Charakteristik von Oberflächeneinbrüchen sei an dieser Stelle ausgeführt, dass viele Hypomineralisationen trotz eines Oberflächendefektes eine ausreichende Stabilität aufweisen, um einer kaufunktionellen Belastung auch langfristig standzuhalten. Dies bedeutet für die Präparation, dass keinesfalls die gesamte hypomineralisierte Zahnhartsubstanz entfernt werden muss und demzufolge ein defektbezogenes Vorgehen – gerade auch im Kindesalter – der Regelfall sein sollte. An kleinflächigen beziehungsweise moderaten Defekten kann daher oftmals ein nicht beziehungsweise minimalinvasives Kavitätendesign genutzt werden, so dass der adhäsive Defektverschluss im Vordergrund des Managements steht. Mit zunehmender Defektgröße und dem Vorliegen einer Dentinbeteiligung gewinnt die Gestaltung einer suffizienten Umrisskavität an Bedeutung, um die Wahrscheinlichkeit von Teil- oder Totalverlusten zu reduzieren. Aus klinischer Sicht trägt dazu sowohl die weitgehende Entfernung hypomineralisierter Zahnhart­substanz als auch die Lage der Kavitätengrenzen im gesunden Zahnschmelz bei. Im Fall der Entscheidung für eine indirekte Restauration sollten die letztgenannten Präparationsprinzipien konsequent umgesetzt werden.

Extraktion und kieferorthopädischer Lückenschluss

Als eine weitere Option ist die Extraktion von MIH-Molaren mit nachfolgendem kieferorthopädischem Lückenschluss zu diskutieren14. Aus Sicht der Autoren beschränkt sich die Extraktion auf Einzelfälle, da dieses Vorgehen immer umfangreiche Begleit- und Folgemaßnahmen erforderlich macht, welche ggf. mit einer notwendigen Allgemeinanästhesie des Kindes sowie etlichen Herausforderungen für die Familie, den Zahnarzt und den Kieferorthopäden einhergehen. Als In­dikatoren zur Extraktion sind umfangreich destruierte Molaren und endodontische Komplikationen ein­schließ­lich apikaler Parodontitiden zu nennen. Die Indikationsstellung wird des Weiteren durch kieferortho­pädische Befunde wie zum Beispiel Engstände und das Alter des Patienten beeinflusst. Optimalerweise sollte die Extraktion erster bleibender Molaren unmittelbar vor dem Durchbruch des zweiten bleibenden Molaren erfol­gen, um Wachstumshemmungen im Fall einer frühzeitigen Extraktion zu vermeiden7. Darüber hinaus ermöglicht dieses Vorgehen eine körperliche Mesialwanderung des zweiten bleibenden Molaren bereits während des Zahndurchbruchs. Damit wird deutlich, dass der richtige Extraktionszeitpunkt maßgeblich den geplanten Lückenschluss unterstützen kann. Letztlich erfordert eine solche Strategie aber in der Regel auch die temporäre Zahnerhaltung bis zur Extraktion. Im klinischen Alltag bedeutet dies, dass betroffenen Kindern eine temporäre endodontische und suffiziente restaurative Versorgung (direkte Füllungstherapie oder konfektionierte Stahlkrone) zwischen dem 6. und dem 11. Lebensjahr angeboten werden muss.

Verschiebung aufwendiger Therapiemaßnahmen in das Jugend- oder Erwachsenenalter

Bei der Erstvorstellung von Kindern mit einer MIH im frühen Schulalter stehen die zahnbezogenen Pro­bleme in Form von Hypersensibilitäten und ausgeprägten Zahnhartsubstanzdefekten im Vordergrund. Beide Faktoren beeinflussen die Kooperationsfähigkeit der betroffenen Kinder während der restaurativen Behandlung13. Bei korrekter Indikationsstellung und Einschätzung der Prognose hat sich die Umsetzung einfacher Maßnahmen bewährt. Aufwendige und herausfordernde Behandlungssitzungen können dann bei verbesserter Mitarbeit im Jugendalter nachgeholt werden. Zu diesen einfachen Maßnahmen zählt die minimalinvasive Abdeckung von Schmelzeinbrüchen mit einem Universaladhäsiv und einem (fließfähigen) Komposit ohne aufwendige Präparation des Zahnes mit dem Ziel, die Hypersensitivität zu reduzieren und den Defekt zu verschließen. Nachteilig bei dem vereinfachten Vorgehen sind mögliche Retentionsverluste. Als Faustregel kann formuliert werden, dass Wiederholungsrestaurationen mit der Defektgröße und der okklusalen Beanspruchung proportional ansteigen. Als Konsequenz dieser klinischen Erfahrung sollten umfangreiche beziehungsweise mehrflächige Zahnhartsubstanzdefekte eher einer frühzeitigen definitiven Therapie im Kindes- bzw. Jugendalter zugeführt werden. Kompromissbehandlungen im Sinne temporärer Lösungen sind hier nicht empfehlenswert. Dies wird weiterhin durch die Beobachtung bestärkt, dass die Koopera­tionsfähigkeit der Patienten nach wiederholten zahnärztlichen Maßnahmen unter Umständen sinkt und eine Sanierung letztlich nur in Allgemeinanästhesie erfolgen kann. Insofern sind eine gute Patientenführung während der zahnärztlichen Behandlung und adäquate Maßnahmen zur lokalen Schmerzausschaltung bedeutungsvoll (Abb. 6).

Schlussfolgerungen für die zahnärztliche Praxis

Die in Abb. 6 vorgestellte Konzeption illustriert die Möglichkeiten und Herausforderungen bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit einer MIH. Da eine effektive Schmerzausschaltung in Lokalanästhesie vielfach erschwert oder gar nicht möglich ist, erfordern umfangreiche invasive Behandlungsmaßnahmen bei einer eingeschränkten Kooperationsfähig­keit des kindlichen Patienten gegebenenfalls die Indikation für

eine Behandlung in Sedierung oder Allgemeinan­ästhesie. Direkte adhäsive Restaurationen sind die zahnerhaltenden Maßnahmen der Wahl im Fall von kleinflächigen beziehungsweise moderaten Oberflächeneinbrüchen. Bei Hypomineralisationen mit großflächigen Schmelz- und Dentineinbrüchen ist die Entscheidung zwischen einer adhäsiven Füllungstherapie oder der Versorgung mit Keramikrestaurationen zu treffen. Letztere können dazu beitragen, Restaurationszyklen zu verlängern und die Kooperationsfähigkeit sowie die Lebensqualität der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu verbessern. Die Extraktion von Molaren mit einer MIH und der nachfolgende kieferorthopädische Lückenschluss beschränken sich auf Zähne mit einer ausgeprägt destruierten klinischen Krone und sind daher vergleichsweise selten indiziert.

Literatur auf Anfrage unter news@quintessenz.de


Ein Beitrag von Prof. Dr. med. dent. Jan Kühnisch, Dr. med. dent. Andreas Keßler, Dr. med. dent. Katharina Bücher, Dr. med. Jan Pfisterer, alle München, Kerstin Aurin, Heidelberg, Prof. Dr. med. dent. Reinhard Hickel, München, und Prof. Dr. med. dent. Roswitha Heinrich Weltzien, Jena

Reference: Quintessenz Zahnmedizin, Ausgabe 3/18 Restaurative Zahnheilkunde Zahnmedizin Prävention und Prophylaxe

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