Zahnunfälle beim Sport passieren häufig, das Risiko hängt sehr von der Sportart, dem Leistungsniveau und der Position auf dem Spielfeld ab. Das Verhalten unmittelbar nach einem Zahnunfall beeinflusst die Prognose der verletzten Zähne zum Teil erheblich. Die Autoren Prof. Dr. Andreas Filippi und Prof. Dr. Gabriel Krastl beschreiben in Ihrem Beitrag für die Quintessenz Zahnmedizin 9/21, welche Voraussetzungen an den Sportstätten gegeben sein sollen, welcher Zahnschutz im Sport wirklich schützt und welche Maßnahmen bei der Erstversorgung zu treffen sind.
Entsprechende Informationsposter, wie man sich nach einem Zahnunfall korrekt verhält, sollten heute in allen professionell organisierten und/oder betreuten Sportstätten wie Stadien, Sporthallen, Schwimmbädern etc. vorhanden sein, ebenso eine Zahnrettungsbox. Zur Prävention von Zahnunfällen sollte das Tragen eines professionellen Zahnschutzes im organisierten Sport gefördert werden. Ein Zahnschutz, der tatsächlich vor Zahnunfällen schützen soll, muss über einen Zahnarzt und einen Zahntechniker oder ein Praxislabor angefertigt werden. Konfektionierter oder konfektionierter und individuell adaptierbarer Zahnschutz bieten keinen ausreichenden Schutz vor Zahnunfällen beim Sport.
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Zahnunfälle beim Sport
Zahnverletzungen aller Art beim Sport passieren regelmäßig. Der jeweilige Schweregrad sowie die Häufigkeit und Art oraler, aber auch perioraler Verletzungen hängen von der Sportart (Mannschafts- oder Individualsport), dem (Nicht-)Tragen der dort vorgeschriebenen Schutzkleidung (zum Beispiel Helme beim Eishockey, insuffizienter Zahnschutz bei Kampfsportarten), dem Niveau, auf dem die Sportart ausgeübt wird (Freizeit-, Amateur-, semiprofessioneller oder professioneller Sport), der Exposition (wie lange wird der Sport bereits ausgeübt, Zahl der Trainingseinheiten pro Woche, Zahl der Wettkämpfe pro Jahr etc.) ab30,39. Wissenschaftliche Untersuchungen über die Häufigkeit von Zahn-, Mund- und Kieferverletzungen beim Sport gibt es unzählige (gute Übersicht bei Putzke30). Auch das Zahnunfallzentrum in Basel hat sich über viele Jahre intensiv mit der Thematik bei verschiedenen Sportarten beschäftigt4–6,9–16,19,20–23,25–29,31–37: Über alle Sportarten und alle Leistungsniveaus hinweg haben etwa 10 Prozent der untersuchten Sportler ein Zahntrauma erlitten39. Nur 2,5 Prozent aller Untersuchten trugen regelmäßig einen Zahnschutz bei Sportarten ohne Zahnschutzpflicht, davon die meisten beim Handball (9 Prozent, gefolgt von Wasserball (8 Prozent) und Mountainbiking (5 Prozent)4–6,9–16,19,20–23,25–29,31–37,39. Bei Kampfsportarten, bei denen das Tragen eines Zahnschutzes im Wettkampf obligatorisch ist, konnte in Untersuchungen gezeigt werden, dass der Zahnschutz oft noch nicht einmal die Minimalanforderungen erfüllt12: keine okklusale Abstützung, zu dünn, falsch angefertigt, durchgebissen, mikrobiologisch inakzeptabel oder im Seitenzahnbereich abgeschnitten (Abb. 1a bis f). Der Kampfrichter überprüft zu Beginn des Kampfes nur, ob ein Zahnschutz im Mund ist. Dessen Qualität soll und kann er nicht kontrollieren.
Die häufigste unfallbedingte Zahnverletzung beim Sport ist mit Abstand und in allen wissenschaftlichen Untersuchungen die Kronenfraktur (60 bis 80 Prozent aller Zahnunfälle). Dislokationsverletzungen (laterale Dislokationen, Intrusionen, Avulsionen) sind deutlich seltener39. Kiefergelenkverletzungen und -frakturen sind im Vergleich zu Zahnverletzungen selten. Am häufigsten ereigneten sich (bei den in Basel untersuchten Sportarten) Verletzungen beim Spitzenskisport (26 Prozent aller untersuchten Sportler), Wasserball (21 Prozent) und Basketball (18 Prozent), gefolgt von Floorball (12 Prozent), Handball (11 Prozent) und Inlineskating (9 Prozent)39. Die schwersten Zahnverletzungen hingegen ereigneten sich beim Skispringen, Floor- und Wasserball39.
Verhalten am Unfallort
Das Verhalten unmittelbar nach einem Zahnunfall kann für die Therapie und die Prognose des verletzten Zahns entscheidend sein8,18. Dies gilt vor allem für Kronenfrakturen und Avulsionen bleibender Zähne. Zähne oder deren Bruchstücke müssen sofort gesucht werden. Während Kronenfragmente lediglich in Wasser gelagert werden, um ein Austrocknen und somit eine schlechtere Haftung und eine ungünstige Farbanpassung nach Wiederbefestigung zu verhindern, müssen avulsierte bleibende Zähne möglichst rasch in eine zellphysiologische Umgebung eingebracht werden. Das Überleben der Zementoblasten und Parodontalfibroblasten auf der Wurzeloberfläche ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Replantation mit parodontaler Heilung2,3,7,8. Der Verlust dieser Zellen führt immer auch zum Verlust des Zahns durch externe Wurzelresorption („Osseous replacement“, bei unbehandelter Pulpanekrose „Infection related root resorption“), was bei Kindern und Jugendlichen auch zum Stopp des lokalen Kieferwachstums und somit zu kaum lösbaren Problemen führt1,7.
Die empfindlichen Zellen auf der Wurzeloberfläche können nur in einer Zahnrettungsbox (SOS Zahnbox, Hager & Werken, oder Dentosafe, Medice) nennenswerte Zeiträume (24 bis 48 Stunden) überleben (Abb. 2). Der enthaltene Farbindikator zeigt zusätzlich den Zustand des Mediums an (Abb. 3). Ist eine Zahnrettungsbox nach Avulsion eines bleibenden Zahns nicht spontan in der Sporthalle, im Schwimmbad oder Stadion verfügbar, können kalte Milch oder das Einwickeln in Frischhaltefolie max. 2 Stunden überbrücken38. Tagsüber und an einem Arbeitstag dürfte dies ausreichen, damit in einer Zahnarztpraxis der Zahn in eine Zahnrettungsbox umgelagert und der Patient entsprechend professionell versorgt werden kann17. Am Abend oder am Wochenende dürfte das deutlich komplizierter werden. Alternativen wie Wasser oder Speichel sind unphysiologische Medien, die innerhalb von Minuten zum Absterben der genannten Zellen führen. Sterile isotone Kochsalzlösung oder Ringer-Lactatlösung können max. 1 Stunde das Überleben der Zellen gewährleisten.
Betreut ein Zahnarzt einen Sportverein oder sind bei größeren nationalen oder internationalen Turnieren beziehungsweise Wettkämpfen Zahnärzte involviert, sollten diese über einen Notfallkoffer zur zahnärztlichen Erstversorgung verfügen. Dieser sollte – neben der bereits erwähnten Zahnrettungsbox – latexfreie Handschuhe, Spiegel, Sonde und Pinzette, eine Spülspritze, sterile isotone Kochsalzlösung zum Aufziehen, sterile Aufbisstupfer, Watterollen, Okklusionsfolie, alles für eine zahnärztliche Lokalanästhesie, eine Kronenschere, eine Titan-Trauma-Schiene (Medartis) und alles für eine Schienung vor Ort (inklusive kabellose Polymerisationslampe) enthalten. Ebenso sollte auch alles verfügbar sein, was für eine Nahtversorgung verletzter Weichgewebe vor Ort benötigt wird. Und nicht zuletzt darf auch ein kurzer Befundbogen nicht fehlen (www.andreas-filippi.ch). Ein solcher Notfallkoffer wurde beispielsweise bei der Fußball-Europameisterschaft 2008 eingesetzt (Abb. 4).
In jeder Sport- und Schwimmhalle sowie in jedem Sportstadion und auch an jeder anderen professionell organisierten oder professionell betreuten Sport- und Spielstätte sollten heute Informationsposter zum korrekten Verhalten nach einem Zahnunfall aufgehängt sein. Das Zahnunfallzentrum in Basel hat für diverse Auftraggeber solche Poster erstellt (Abb. 5). Sie können kostenfrei als PDF heruntergeladen und ausgedruckt werden (www.zahnunfallzentrum.ch oder www.andreas-filippi.ch). Entsprechende Untersuchungen in der Schweiz und in Österreich konnten zeigen, dass diese Poster heute gerade auch in Schwimmhallen einen hohen Verbreitungsgrad haben20,23. Dies gewährleistet, dass Aufsichtspersonen vor Ort wie Sportlehrer, Bademeister und Trainer, die zu diesem Zeitpunkt für die Gesundheit insbesondere von Kindern und Jugendlichen verantwortlich sind, wissen, was unmittelbar nach einem Zahnunfall zu tun ist.
Zahnschutz
Grundsätzlich gibt es vier verschiedene Arten von Zahnschutz: der konfektionierte (der für wenige Euro in jedem Sportgeschäft oder online erworben werden kann), der konfektionierte und individuell adaptierbare (ebenfalls im Sportgeschäft oder online erhältlich), der individuell angefertigte Monolayer-Zahnschutz (eine dicke Tiefziehfolie) sowie der individuell angefertigte Multilayer-Zahnschutz39. Der Übergang zwischen den beiden Letzteren ist fließend, da die Folienhersteller heute idealerweise Monofolien liefern, die bereits aus verschiedenen Folien unterschiedlicher Festigkeiten beziehungsweise Elastizitätsmodule bestehen (zum Beispiel Playsafe triple, Erkodent, Abb. 6). Dies reduziert für den Sportler das Tragevolumen im Mund sowie das Gewicht des Zahnschutzes und verbessert somit den Tragekomfort. Außerdem können Herstellungsfehler bei Zahntechnikern deutlich reduziert werden (Abb. 7).
Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, die alle zeigen konnten, dass das Tragen eines individuellen Zahnschutzes den Schweregrad intraoraler Verletzungen erheblich reduzieren sowie vor Verletzungen im Bereich der Kiefergelenke und auch in gewissem Umfang vor Schädel-Hirn-Traumata schützen kann. An dieser Stelle wird auf die umfangreiche Literatur verwiesen (gute Übersicht bei Mrusek24). In praktisch allen Studien, bei denen Sportlerinnen und Sportler befragt worden sind, warum sie keinen Zahnschutz tragen, wurden erschwerte Kommunikation, behinderte Atmung und Beeinträchtigung der Ästhetik genannt. Die Akzeptanz, einen Zahnschutz beim Sport zu tragen, wird dann plötzlich sehr hoch, wenn der oder die Betroffene einen schweren Zahnunfall beim Sport erlitten hat oder alle im Team einen Zahnschutz tragen31.
Ein professionell angefertigter Zahnschutz muss aus Sicht der Zahnmedizin schlag- und stoßinduzierte Energien auffangen, absorbieren und verteilen können29. Er muss eine gewisse Elastizität besitzen, er muss geschmacks- und geruchsneutral sowie hygienefähig sein29. Obligatorisch ist nicht nur der Schutz vor Frontzahnverletzungen, sondern auch vor Kronen-Wurzel-Frakturen im Seitenzahnbereich, die nicht selten im Renn- oder Skisport auftreten (Abb. 8). Aus Sicht der Sportmedizin sind eine unbehinderte Flüssigkeitsaufnahme und ein unveränderter Sauerstoffumsatz relevant. Aus Sicht der Sportlerin oder des Sportlers muss er sehr gut passen (guter Sitz ohne zu drücken oder zu stören), einen gewissen Tragekomfort besitzen, auch bei körperlicher Belastung gut halten, nur sehr gering die Kommunikation und das Atmen beeinträchtigen und selbstverständlich ein Schutzgefühl vermitteln29.
Auf den genauen Herstellungsprozess eines Zahnschutzes wird hier aus Platzgründen nicht eingegangen. Zahntechnikerinnen und Zahntechniker, die einen Zahnschutz herstellen, sollten sich bei den Herstellern der Folien zertifizieren lassen und geeignete Tiefziehgeräte besitzen. Letzteres ist nicht selbstverständlich (Abb. 7). Wichtige Punkte bei der Anfertigung sind: Ein Zahnschutz wird grundsätzlich für den Oberkiefer angefertigt (Ausnahme: Progenie). Bukkal ist der gesamte Alveolarfortsatz bis in die Umschlagfalte bedeckt (Abb. 9). Lippen und Wangenbänder werden ausgespart. Daher ist eine klassische Abformung einem Scan unbedingt vorzuziehen. Die ersten Molaren werden grundsätzlich gefasst, die zweiten nie (Abb. 10). Dies beeinflusst den Tragekomfort, den Würgereiz und auch die Kommunikationsfähigkeit positiv. Palatinal sind die Zähne zirkulär gefasst, die Gaumenschleimhaut ist jedoch nicht mehr oder nur noch wenig bedeckt (vgl. Abb. 10). Die Impressionen des Gegenkiefers entstehen thermoplastisch im Artikulator (Abb. 11). Diese sind sehr wichtig, damit bei einem Tritt, Schlag oder Sturz der Unterkiefer nicht lateral wegrutschen kann und es dadurch zu Frakturen im Bereich des Kiefergelenkes kommt. Ebenfalls im Artikulator findet eine anteriore Bisshebung von 4 bis 5 mm statt (Abb. 12).
Bei der Abgabe des Zahnschutzes an den Patienten wird dieser zunächst in einer desinfizierende Mundspüllösung eingelegt. Nach der Anprobe und eventuellen Korrekturen wird dem Sportler folgendes empfohlen: Nach jedem Tragen des Zahnschutzes sollte man diesen kurz unter fließendem Wasser abspülen und in eine geeignete, mit Luftlöchern versehene Aufbewahrungsbox legen, analog zu abnehmbaren kieferorthopädischen Apparaturen. Hin und wieder sollte ein Zahnschutz mit den entsprechenden Reinigungssets der Hersteller gesäubert werden (zum Beispiel Oxydens Clean Set, Erkodent, Abb. 13). Gerade im Wechselgebiss verändern sich der Kiefer und die Anzahl der Zähne in kurzer Zeit teilweise erheblich. Ein professionell angefertigter Zahnschutz muss dann nicht neu angefertigt werden, sondern kann mehrfach thermoplastisch in der Zahnarztpraxis an die aktuelle Gebiss- und Kiefersituation angepasst werden. Auch eine aktive festsitzende kieferorthopädische Behandlung ist unter einem Zahnschutz problemlos möglich. Dies muss jedoch im Vorfeld eingeplant werden. Grundsätzlich sollte ein Zahnschutz bei jeder zahnärztlichen Kontrolluntersuchung mitgebracht und untersucht werden.
Fazit
Kinder und Jugendliche sollen Sport machen. In Abhängigkeit von der Sportart, der Intensität und dem Leistungsniveau passieren Zahnunfälle allerdings vergleichsweise häufig. Das Verhalten unmittelbar nach einem Zahnunfall sowie auch eine professionelle Erstbehandlung in der zahnärztlichen Praxis17 beeinflussen die Prognose der betroffenen Zähne erheblich. Informationen zum korrekten Verhalten nach einem Zahntrauma sowie eine Zahnrettungsbox sollten heute an allen professionellen Sport- und Spielstätten vorhanden sein. Gerade bei Kontaktsportarten ist das Tragen eines Zahnschutzes grundsätzlich zu empfehlen. Häufig geäußerte Bedenken bezüglich Kommunikation, Atmung und Optik können mit einem professionell angefertigten Zahnschutz auf ein erträgliches Minimum reduziert werden. Die heute angebotenen Triple-Folien begünstigen dies noch.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Andreas Filippi, Basel, und Prof. Dr. Gabriel Krastl, Würzburg
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de