Fachkräftemangel und Fachkräfte, die den Beruf verlassen wollen, voraussichtlich kein staatlicher Corona-Bonus für Medizinische und Zahnmedizinische Fachangestellte, vielfach sehr niedrige Gehälter, kein flächendeckender Tarifvertrag – es gibt mehr als genug Baustellen für die Zahnmedizinische Fachangestellten (ZFA) und die qualifizierten Fachkräfte in den Zahnarztpraxen. Auf der anderen Seite stehen Begeisterung für einen vielseitigen Beruf, der viele Aufstiegsmöglichkeiten bietet, eine neue, moderne Ausbildungsordnung und mehr Arbeitgeber, die die Wertschätzung für ihre Fachkräfte auch in höheren Gehältern und Leistungen dokumentieren.
In diesem Spannungsfeld bewegt sich der Verband medizinischer Fachberufe derzeit. Im Interview mit Quintessence News geben Sylvia Gabel, Referatsleiterin ZFA und selbst in einer Zahnarztpraxis im Rheinland tätig, und Hannelore König, Präsidentin des Verbands, Auskunft zu den aktuellen Themen und den Perspektiven für den Beruf in Politik und Praxis.
Der Verband medizinischer Fachberufe hat immer wieder darauf hingewiesen, dass voll ausgebildete ZFA offensichtlich zum gesetzlichen Mindestlohn oder sogar noch darunter beschäftigt werden. Anfang Februar haben Sie – auch mit Blick auf die angekündigte Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ab Oktober dieses Jahres – eine Online-Umfrage auch unter ZFA gemacht. Hat sich diese Annahme bestätigt?
Sylvia Gabel: Im Vergleich zu unserer Umfrage 2019 hat sich wenig getan: Zwischen 5 und 6 Prozent gaben damals wie heute an, den Mindestlohn und weniger zu erhalten. Von der geplanten Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro würden ca. 13 Prozent der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer profitieren. Hier muss allerdings angemerkt werden, dass sich überproportional viele ZMF, ZMP, ZMV und DH an der Umfrage beteiligt haben, die in der Regel mehr Entgelt erhalten. Die Realität sieht also eher schlechter aus.
Wie stellt sich das Gehaltsgefüge bei den ZFA nach dieser Umfrage insgesamt dar?
Hannelore König: Etwa 26 Prozent der ZFA, die an der Umfrage teilgenommen haben, werden genau nach Tarif bezahlt, sind also auch in der richtigen Tätigkeitsgruppe eingruppiert beziehungsweise erhalten ohne Tarifbindung ein Entgelt, das sich am Tarif orientiert. Weitere 36 Prozent werden übertariflich bezahlt. Damit erhalten etwas mehr als 60 Prozent mindestens das Tarifgehalt. Leider gaben aber auch 33 Prozent an, dass sie weniger Entgelt erhalten, als im Tarifvertrag vereinbart wurde. Dieses Verhältnis ist übrigens seit unserer Befragung 2019 in etwa gleichgeblieben.
Der Beruf ZFA ist bei jungen Frauen nach wie vor einer der beliebtesten Ausbildungsberufe. Trotzdem fehlt es in den Zahnarztpraxen an qualifizierten Fachkräften. Viele ZFA kehren dem Beruf auch den Rücken. Hat die Umfrage dazu neue Erkenntnisse gebracht?
Gabel: Auch hier hat es leider keine Besserung gegeben. Waren es 2019 rund 36 Prozent der Umfrageteilnehmerinnen, die mindestens mehrere Male im Monat daran dachten, aus dem Beruf auszusteigen, so waren es dieses Mal 35 Prozent.
Welche Rolle spielt die Qualität der Ausbildung selbst dabei? Und was erhoffen Sie sich von der neuen Ausbildungsordnung, die zum nächsten Ausbildungsjahr im Sommer gelten soll?
Gabel: Mit der Novellierung der neuen Ausbildungsordnung besteht die Chance, den Beruf interessanter und moderner zu gestalten. Dazu gehörten vor allem die vertieften Kompetenzen in der Kommunikation, Hygiene- und Medizinprodukteaufbereitung und Betreuung der Patienten, aber auch Datenschutz, Dokumentation und Leistungsabrechnung.
Ob das Realität wird, hängt davon ab, wie die neuen Anforderungen auch tatsächlich in einer qualitativ guten Ausbildung umgesetzt werden. Ich erhoffe mir, dass die Praxen bei der Einstellung genau überlegen, wer die Anforderungen erfüllen kann und „wie mache ich den Schulabgängerinnen und -abgängern die Ausbildung und den Verbleib im Beruf interessant und attraktiv“. Man darf nicht vergessen: ZFA tragen auch zur Patientensicherheit bei.
„Es fehlt nicht an Perspektiven in diesem schönen Beruf“
Fehlt es an Perspektiven für ZFA im Beruf?
Gabel: Es fehlt nicht an Perspektiven in diesem schönen Beruf. Ganz im Gegenteil, es gibt kaum einen Beruf, welcher ein so großes Spektrum mit so vielen Fort- und Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Es ist aber wichtig, dass diese Perspektiven im Praxisalltag gelebt werden. Und das werden sie nicht, wenn beispielsweise Professionelle Zahnreinigungen an ZFA ohne die nötigen Aufstiegsfortbildungen delegiert werden.
Welche Wirkung hat der erneut für MFA und ZFA nicht vorgesehene staatliche Corona-Bonus?
Gabel: Es stimmt uns sehr traurig, wie wenig wir von der Politik und der Öffentlichkeit gesehen werden. In den zwei vergangenen Jahren waren die ZFA immer in den Praxen tätig, haben dafür gesorgt, dass der Versorgungsauftrag erfüllt wurde. Es haben alle von Aerosolen gesprochen, aber keinem war klar, dass die ZFA mitten im Aerosolnebel stehen und 30 Zentimetern über der geöffneten Mundhöhle arbeiten.
Wir geben aber nicht auf, denn wir sehen darin auch eine Chance, immer wieder auf die Situation der von uns vertretenen Berufe aufmerksam zu machen.
Was hat Sie bei der Auswertung der Umfrage besonders überrascht – positiv wie negativ?
Gabel: Positiv überrascht hat mich, dass es nun einigen Arbeitgebern klar geworden ist, wie wichtig eine gute Entlohnung der Mitarbeiter ist, denn ohne gute Mitarbeiter läuft die Praxis nicht.
König: Aber viel zu viele Arbeitgeber nutzen bedauerlicherweise das Instrument der Tarifbindung über den Arbeitsvertrag nicht. Gerade angesichts des massiv zunehmenden Fachkräfteengpasses bei ZFA wäre das ein immenser Beitrag zur Mitarbeiterbindung.
Gabel: Ja, viele Kolleginnen überlegen immer häufiger, aus dem Beruf auszusteigen oder in andere Berufe abzuwandern. Mittel- bis langfristig wird sich der Engpass beim zahnärztlichen Personal weiter verschärfen – und das lässt sich von den verbleibenden Beschäftigten nicht mehr auffangen. Dann wird es die „One-man show“ beziehungsweise „One-woman show“ in den Zahnarztpraxen in Deutschland geben, und zwar ohne Fachpersonal mit qualifizierter Ausbildung.
„Immer mehr ZFA stimmen mit den Füßen ab“
Seit vielen Jahren arbeiten Sie und der Verband medizinischer Fachberufe intensiv dafür, dass es für Zahnmedizinische Fachangestellte einen bundesweiten Tarifvertrag gibt. Wie ist der aktuelle Stand und sehen Sie – auch angesichts der schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt und mit den Erfahrungen aus der Corona-Pandemie – Bewegung bei diesem Thema?
Gabel: Wenn sich auf diesem Gebiet in naher Zukunft nichts tut, wird sich das Problem von allein erledigen. Die jungen Kolleginnen haben kein Interesse daran, für „’nen Appel und ’n Ei“ arbeiten zu gehen. Von diesem Gehalt, was zurzeit in vielen Praxen an Entlohnung gezahlt wird, kann keine Kollegin überleben, geschweige denn sich eine Wohnung mieten.
König: Immer mehr ZFA stimmen mit den Füßen ab und wechseln in andere Bereiche, in denen besser bezahlt wird.
Wir werden allerdings unsere Bemühungen für bundesweite Tarifverträge weiter verstärken. Aktuell rufen wir unsere Kolleginnen zum stillen Protest auf, indem sie uns Protestbriefe zum fehlenden Tarifvertrag schicken, die wir in den tariflosen Regionen den Zahnärztekammern persönlich übergeben oder per Boten zustellen. Wir werden aber auch gegenüber der Politik auf die fehlenden Tarifverträge aufmerksam machen und neben dem Corona-Sonderbonus mehr Tarifverbindlichkeit fordern.
Warum wäre ein solcher Tarifvertrag für alle Seiten von Vorteil? Und welche Gegenargumente hören Sie dazu von zahnärztlicher Seite?
Gabel: Bei einem bundeseinheitlichen Tarifvertrag weiß jede ZFA, ZMF, ZMP, ZMV, DH oder Praxismanagerin, was sie verdient beziehungsweise wie die zukünftigen Verdienste ausfallen. Wobei gilt: Tariflöhne sind für uns das Minimum, nach oben ist alles offen.
Außerdem werden in den Verträgen auch die Rahmenbedingungen, wie Urlaub, betriebliche Altersvorsorge und sonstige Leistungen vertraglich geregelt und sind für beide Seiten klar.
Häufige Gegenargument der Zahnärzte sind „man kann es allerdings nicht verallgemeinern“, „wie sollen wir es finanzieren, denn die GOZ ist seit Jahren eingefroren“.
Mit welchen Perspektiven gehen Sie in die nächsten Tarifverhandlungen im April?
Gabel: Ich gehe immer optimistisch in die Tarifverhandlungen. Ja, ich habe meine Vorstellung, wie eine gute Entlohnung aussehen könnte. Ich weiß um den Engpass in meinem Beruf und ich kenne die Bedeutung einer fairen Bezahlung. Als Referatsleitung für die Zahnmedizinischen Fachangestellten werde ich meine Kolleginnen in der Tarifrunde nach besten Kräften vertreten. Unser Verhandlungsteam mit Hannelore König als Präsidentin ist eingespielt und die Vorbereitungen mit unserer Tarifkommission haben begonnen.
PKV und GKV müssen Tarifsteigerungen direkt berücksichtigen
Frau König, Sie haben anlässlich der Anhebung des Mindestlohns erklärt, dass sie auch die Krankenkassen in der Pflicht sehe, bei den Honorarverhandlungen den Mindestlohn als Faktor zu berücksichtigen. Entziehen sich die Kassen – mit Blick auf die GOZ auch die Kostenerstatter Beihilfe und PKV – hier zu leicht ihrer Verantwortung, bei den Honorarverhandlungen generell eine angemessene Vergütung der Beschäftigten im Gesundheitswesen sicherzustellen?
König: An dieser Stelle muss ich richtigstellen, dass nicht der Mindestlohn bei den Honorarverhandlungen als Faktor berücksichtigt werden sollte, sondern die Tarifsteigerungen zeitnah gegenfinanziert werden sollten. Wenn wir auf die Medizinischen Fachangestellten, die MFA, schauen, so wird die 6- bis 11,8-prozentige Tariferhöhung zum 1. Januar 2021 aufgrund der sozialgesetzlichen Regelungen erst bei den Honorarverhandlungen für 2023 berücksichtigt. Somit müssen die ärztlichen Arbeitgeber die höheren Gehälter ihrer MFA zwei Jahre finanzieren, dies verzerrt den Wettbewerb erheblich.
MFA sind in den Kliniken und in der ambulanten Pflege ausgesprochen begehrt. Wenn sie dort als qualifizierte Pflegehilfskräfte eingesetzt werden, erhält die Einrichtung die Personalkosten mit jeder Tarifverhandlung oder bei Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns in der Pflege automatisch. Inzwischen wechseln auch immer mehr ZFA in die Pflege und profitieren dort vom erhöhten Mindestlohn für Pflegehilfskräfte von derzeit zwölf Euro pro Stunde, der zum 1. April 2022 auf 12,55 Euro und zum 1. September 2022 auf 13,70 Euro steigt. Sie brauchen lediglich ein dreimonatiges Training absolvieren, schließen damit die wachsende Personallücke und verdienen mehr.
Die fehlende zeitnahe Gegenfinanzierung der Tarifsteigerungen kritisiert der Verband medizinischer Fachberufe e.V. gemeinsam mit den ärztlichen Berufsverbänden und Institutionen seit einigen Jahren und hat dazu auch bereits Gespräche mit Verantwortlichen in der Politik geführt. Wenn es uns gelingt darüber mehr Spielraum bei den Personalkosten für die niedergelassenen Arztpraxen zu erhalten, sollte in diesem Zusammenhang auch über mehr Tarifverbindlichkeit nachgedacht werden.
„Es ist bereits fünf nach zwölf“
Die Arbeitsbedingungen und damit auch die Gehälter der MFA und ZFA im ambulanten Gesundheitswesen müssen verbessert werden. Die Ampel-Koalition hat dies für die Gesundheitsberufe im Koalitionsvertrag vereinbart und darf die MFA und ZFA nicht vergessen.
Der Gesetzgeber entzieht sich im PKV-Bereich der Verantwortung, denn auch bei einer längst überfälligen Novellierung mit Punktwertsteigerungen ließe sich eine Regelung verankern, die Tarifsteigerungen bei den Personalkosten automatisch zeitnah gegenfinanziert. Dies gilt auch für den GKV-Bereich, denn im stationären Sektor funktioniert es bei den Tarifsteigerungen, Zuschlägen und Sonderboni für Pflegekräfte und sichert den Kliniken die Möglichkeit die Pflegekräfte auf Grundlage der Tarifverträge zu vergüten. In der Altenpflege wurde von der alten Bundesregierung die Tariftreue eingeführt, nachdem die Allgemeinverbindlichkeit gescheitert war. Auch dies wäre ein Weg der Gegenfinanzierung der Personalkosten für das Praxispersonals und würde mittel- bis langfristig dem zahnärztlichen Praxispersonal tarifliche Gehälter sichern.
Es gibt sicherlich noch andere Lösungsmöglichkeiten, wie ein Branchenmindestlohn, denn zwölf Euro Mindestlohn für MFA und ZFA sind definitiv zu wenig. MFA und ZFA absolvieren eine dreijährige staatlich anerkannte Ausbildung und arbeiten mit hoher Verantwortung für die Gesundheit und deren Wohlbefinden am Menschen – das muss sich auch in den Gehältern spiegeln. Wir sind offen, gemeinsam mit der Ärzte- und Zahnärzteschaft nach Lösungen zu suchen, denn es muss sich etwas ändern und es ist bereits fünf nach zwölf.