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Rechtliche Rahmenbedingungen, Bedarf und Hilfestellungen für Praxen und Pflegepersonal

Für Seniorinnen und Senioren mit Pflegebedarf ist der Besuch in der Zahnarztpraxis oft schwierig. Für sie ist die aufsuchende Betreuung besonders wichtig.

(c) shutterstock

Die zahnmedizinische Versorgung im Alter gewinnt zunehmend an Bedeutung, da die weltweite Lebenserwartung steigt. Laut Statistischem Bundesamt wird die Anzahl der pflegedürftigen Personen bis zum Jahr 2055 voraussichtlich um 37 Prozent zunehmen13. Ende 2021 waren bereits fünf Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig, wobei etwa ein Sechstel von ihnen in Pflegeheimen vollstationär betreut wurde12.

Mundgesundheit im Alter

Die Ergebnisse der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) von 2016 zeigen, dass sich die Krankheitslasten verstärkt auf das höhere Alter und insbesondere auf pflegebedürftige Menschen verlagern, was zu einem erhöhten Bedarf an therapeutischen Maßnahmen führt (Abb. 1). Dieser Effekt wird als „Morbiditätskompression“ bezeichnet. Die Studie zeigt auch, dass ältere Menschen mit Unterstützungsbedarf im Allgemeinen eine schlechtere Mundhygiene aufweisen, weniger eigene Zähne haben und häufiger auf herausnehmbaren Zahnersatz angewiesen sind. In der Gruppe der pflegebedürftigen Personen ist jede zweite Person zahnlos. Zusätzlich benötigen 29,8 Prozent der Menschen mit Pflegebedarf Unterstützung bei der täglichen Mundhygiene, da sie sich nicht mehr selbst um die Pflege ihrer Zähne und Zahnprothesen kümmern können. Sogar 60 Prozent sind nicht mehr in der Lage, eigenständig einen Zahnarzttermin zu organisieren und die Praxis aufzusuchen6. Mit zunehmender Pflegebedürftigkeit nimmt die Belastbarkeit ab, was zu einer verminderten Therapiefähigkeit führt (Abb.  2).

Mit dem Älterwerden steigt nachweislich auch das Risiko für Karies und Parodontitis. Schwierigkeiten bei der täglichen Zahnpflege aufgrund von motorischen Einschränkungen, kognitiven Beeinträchtigungen oder Erkrankungen wie Arthritis und Demenz nehmen zu. Die Vernachlässigung der Mundgesundheit kann für ältere Menschen in Pflegeeinrichtungen schwerwiegende Auswirkungen haben. Nicht nur Schmerzen, Infektionen und Beschwerden bei der Nahrungsaufnahme sind die Folge. Es ist wissenschaftlich belegt, jedoch wenig kommuniziert, dass die Mundgesundheit einen direkten Einfluss auf die Allgemeingesundheit haben kann. Bakterien im Mundraum können zu kardialen, pulmonalen, endokrinologischen und vaskulären Problemen führen2,4,7,8,10. Erkrankungen wie Diabetes mellitus, welche Inflammationsreaktionen im Körper fördern, können auch im Zahnhalteapparat eine Entzündung begünstigen1,9. Eine erfolgreiche Parodontitistherapie kann positive systemische Auswirkungen durch die Senkung des HbA1c-Werts bewirken5,11.

 

Das „AuB“-Konzept

Die aufsuchende Betreuung in Pflegeeinrichtungen stellt daher eine wichtige Maßnahme dar, um vulnerable Personen adäquat zu versorgen und ihre Mundgesundheit sicherzustellen. Im Jahr 2010 wurde das „AuB“-Konzept („Alter und Behinderung“) zur vertragszahnärztlichen Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung – „Mundgesundheit bei Handicap und Alter“ – von Bundeszahnärztekammer, Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung, Deutscher Gesellschaft für Alterszahnmedizin und Bundesverband Deutscher Oralchirurgen aufgestellt und ein Maßnahmenpaket entwickelt. Ziel des Konzepts ist es, diesen vulnerablen Gruppen eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige zahnmedizinische Versorgung zu ermöglichen. Prävention, Aufklärung und regelmäßige Kon­trolluntersuchungen sind wichtige Bestandteile des Konzepts, um die Mundgesundheit und die allgemeine Lebensqualität dieser Zielgruppen zu fördern (Abb.  3).

In Paragraf 22a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) werden Art und Umfang der zahnärztlichen Leistungen zur Verhütung von Zahnerkrankungen bei gesetzlich Versicherten mit Pflegegrad oder Eingliederungshilfe geregelt. Dieser wurde 2018 durch den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschuss zur „Verhütung von Zahnerkrankungen bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen“ ergänzt. Er umfasst neben den regulären Vorsorgeuntersuchungen zusätzliche Leistungen wie die Erhebung des Mundgesundheitsstatus, die regelmäßige Überprüfung des individuellen Mundgesundheitsplans und Aufklärungen zur Mundgesundheit, die von den gesetzlichen Krankenkassen für Menschen mit Pflegegrad oder Behinderung übernommen werden. Die zusätzlichen Leistungen können in der Zahnarztpraxis oder im Rahmen der aufsuchenden zahnärztlichen Versorgung in der Pflegeeinrichtung oder Wohngemeinschaft in Anspruch genommen werden.

Kooperation und Aufklärung

Bei der aufsuchenden zahnmedizinischen Betreuung kommen Zahnärzte und Fachpersonal direkt zu den Bewohnern in die Pflegeeinrichtungen. Neben präventiven Leistungen können dabei auch einfache Therapien wie die bis zu zweimal jährliche Entfernung von Zahnstein, die Behandlung von Mundschleimhauterkrankungen sowie die Anpassung von Prothesen durch zum Beispiel Druckstellenentlastungen, Unterfütterungen oder kleinere Reparaturen vor Ort angeboten werden.

Eine enge Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten, Pflegepersonal und anderen Gesundheitsdienstleistern ist dabei gefragt. Diese Zusammenarbeit erfolgt auf Grundlage eines Kooperationsvertrags, der den ein- bis zweimal jährlichen Besuch des betreuenden Zahnarztes regelt. Die genauen Aufgaben und Pflichten des Kooperationszahnarztes sind in der „Rahmenvereinbarung kooperative und koordinierte zahnärztliche und pflegerische Versorgung von stationär Pflegebedürftigen (Anlage 12)“ festgelegt. Dazu gehören neben der Erstellung individueller Mundgesundheitspläne auch Schulungen des Pflegepersonals und der Angehörigen, die ein Bewusstsein für die Bedeutung der Mundgesundheit schaffen und nützliche Tipps für die alltägliche Zahn- und Zahnersatzpflege der Heimbewohner sowie Hinweise zur frühzeitigen Identifizierung von Zahnproblemen geben sollen. Für einrichtungsinterne Schulungen stellen die Zahnärztekammern häufig einen Schulungskoffer zur Verfügung. Es zeigt sich, dass durch solche Schulungen die Kenntnisse von Pflegepersonal und Angehörigen vertieft und in Folge die Mundhygiene von Menschen in Pflegeeinrichtungen nachhaltig verbessert wurden.

Zusätzlich sind schriftliche Hilfsmittel für die Betreuung von Heimbewohnern von großer Bedeutung. Die Deutsche Gesellschaft für Alterszahnmedizin hat hierfür verschiedene Formulare wie beispielsweise den Befund-Pass, der den Mundgesundheitsplan dokumentiert, und die Pflege-Ampel entwickelt, die individuell für jeden Patienten ausgefüllt werden können (Abb. 4). Therapeutische Maßnahmen erfolgen in der Pflegeeinrichtung nur dann, wenn diese entsprechend den Umständen vor Ort und den zahnmedizinischen Anforderungen fachgerecht erbracht werden können.

Eine Herausforderung können die Kosten für die zahnärztliche Versorgung in Pflegeeinrichtungen darstellen, insbesondere wenn die Bewohner auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Häufig fehlen in den Einrichtungen auch entsprechende Hilfsmittel, wodurch eine Bereitschaft der Bewohner zur Eigenfinanzierung erforderlich ist. Es ist wichtig, dass finanzielle Unterstützungssysteme eingerichtet werden, um den Zugang zur zahnärztlichen Versorgung sowie zu adäquaten Mundhygienetools für alle sicherzustellen.

Ausblick

Trotz einiger Fortschritte in den vergangenen Jahren besteht weiterhin Aufklärungs- und Handlungsbedarf. So hatten 2019 von rund 15.000 Pflegeeinrichtungen nur etwa 4.300 Kooperationsverträge mit einem Zahnarzt abgeschlossen (zum 31.Dezember 2023 gab es laut Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung 6.904 mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossene Kooperationsverträge, Anm. d. Red.). Die geringe Anzahl von Kooperationsverträgen verdeutlicht die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Herangehensweise. Für Zahnärzte bieten einige Zahnärztekammern Weiterbildungsprogramme an, die eine umfassende Ausbildung in der Alterszahnmedizin, einschließlich Diagnose, Behandlung und präventiver Maßnahmen für ältere Patienten vermitteln und zum Fachzahnarzt für Alterszahnmedizin spezialisieren.

Um den Pflegekräften in den Einrichtungen einen Leitfaden für eine qualitativ hochwertige Mundgesundheitsversorgung ihrer Bewohner zu bieten, wurde ein sogenannter Expertenstandard zur „Förderung der Mundgesundheit in der Pflege“ vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege entwickelt und im März 2023 veröffentlicht. Dieser Expertenstandard soll Pflegekräfte und Angehörige für die Bedeutung des Themas Mundgesundheit sensibilisieren und aktuelles, handlungsleitendes Wissen für eine professionelle und sichere Pflege zur Verfügung stellen3.

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt mund-pflege.net bietet eine Informations- und Beratungsplattform, ausgelegt für alle digitalen Endgeräte, die die Empfehlungen des Expertenstandards anhand von Bild- und Filminhalten leicht verständlich und zielgruppengerecht erläutert und innovative Schulungsmaterialien bereitstellt. Darüber hinaus dient es als Forum, das Pflegekräften, Zahnärzten, Experten und anderen Akteuren im Bereich der Mundgesundheit einen Raum für fachlichen Austausch, Diskussion und Wissenstransfer bietet.

Fazit

Die angemessene und nachhaltige Betreuung der Mundgesundheit älterer Menschen in Pflegeeinrichtungen kann nur durch eine engagierte Zusammenarbeit, die Förderung von Informationskampagnen und Kooperationsverträgen sowie den Abbau finanzieller Barrieren sichergestellt werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass die erforderlichen Ressourcen verfügbar sind und das Bewusstsein geschaffen wird , um die Mundgesundheit älterer Menschen kontinuierlich zu verbessern und ihre Lebensqualität langfristig zu steigern.

Ein Beitrag von Elisabeth Völler und Dr. Linn Baumann, beide Frankfurt am Main

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Reference: Studium & Praxisstart

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