Wie umfangreich die Arbeit der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) in den vergangenen Monaten war, zeigten die ebenso umfangreichen Berichte des KZBV-Vorstands auf der Vertreterversammlung am 30. Juni und 1. Juli 2021 in Köln. Sie gaben zugleich auch Einblick in die Aufgaben und Positionierungen für die kommenden Monate, wie sie auch in der einstimmig verabschiedeten neuen „Agenda Mundgesundheit“ zusammengestellt sind.
Der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer zog in seiner Rede (auch nachlesbar auf der Internetseite der KZBV) eine Bilanz der zurückliegenden Pandemie-Monate – mit einer Parallele zur Flüchtlingskrise 2015/2016: „Wir haben in der Pandemie wie schon zuvor in der Flüchtlingskrise bewiesen, dass sich die Menschen in unserem Land genauso wie die Politik auf Zahnärztinnen und Zahnärzte auch in Krisenzeiten hundertprozentig verlassen können. Welchen größeren Beweis für die Bedeutung eines freiberuflichen Berufsstandes und einer leistungsfähigen Selbstverwaltung kann man erbringen als den, den wir mit unserem Krisenmanagement eindrucksvoll abgeliefert haben?“
Für die Zahnärzte doch positive Maßnahmen
Auch wenn der Berufsstand vor allem zu Beginn der Pandemie von der Politik allein gelassen und auf sich allein gestellt war und kaum Unterstützung erfahren habe, müsse er doch die zuletzt erreichten Maßnahmen der Bundesregierung und des Ministers anerkennen, die zu einer verbesserten Krisenreaktionsfähigkeit der vertragszahnärztlichen Versorgung beitragen würden. Auch würdigte er in diesem Zusammenhang die Vereinbarung zwischen der KZBV und dem GKV-SV, mit der ab dem 1. Juli ein von den Krankenkassen finanzierter „Pandemiezuschlag“ von 275 Millionen Euro zum Ausgleich für die besonderen Aufwände der Vertragszahnärzte durch die KZVen zur Auszahlung kommen werde. Den dafür notwendigen Verteilungsschlüssel mit einer möglichst hohen Rechtssicherheit habe man in nächtelangen Beratungen mit den KZVen erarbeitet, berichtete er.
KZVen müssen Möglichkeiten nutzen
Bei künftigen epidemischen Lagen von nationaler Tragweite sollen die KZVen wie schon die Kassenärztlichen Vereinigungen von den Krankenkassen die Kosten für außerordentliche Maßnahmen zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung erstattet bekommen, dies sei eine wichtige Klarstellung in Paragraf 105 SGB V. Eßer mahnte zudem die KZVen, die neu bereitgestellten Möglichkeiten des Strukturfonds für die Zahnärzteschaft zu nutzen.
Zahl der PAR-Behandlungen steigern
Als großen versorgungspolitischen Erfolg der KZBV und Durchbruch bei der Bekämpfung der Volkskrankheit Parodontitis nannte Eßer die neue Parodontitis-Richtlinie: „Trotz der widrigen Umstände während der Pandemie haben wir dieses Leuchtturmprojekt der Zahnärzteschaft zielstrebig weiterverfolgt und über die Ziellinie gebracht.“, so Eßer. Mit der Richtlinie habe man im Schulterschluss mit der Wissenschaft die systematische Parodontitisbehandlung im Rahmen der GKV grundsätzlich neu ausgerichtet. „Jetzt haben wir mit der Richtlinie die notwendigen Instrumente in der Hand, um die nach wie vor viel zu hohen Prävalenzen in Deutschland zu senken.“ Dafür sei es „ausdrückliches Ziel, die Zahl der PAR-Behandlungen zu steigern“.
Vergewerblichung eindämmen
Als Kernaufgabe der KZBV bezeichnete es Eßer, die zunehmende Vergewerblichung der zahnärztlichen Versorgung und des deutschen Gesundheitssystems einzudämmen, die Freiberuflichkeit und die Niederlassung in eigener Praxis zu fördern und die Selbstverwaltung zu stärken. Diese Forderungen sind auch wichtige Bestandteile der „Agenda Mundgesundheit 2021-2025“. Durch Fremdinvestoren betriebene sogenannte iMVZ beteiligten sich nicht adäquat an der Sicherstellung der flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung, auch die zahnärztliche Versorgung der vulnerablen Gruppen –kleine Kinder, Pflegebedürftige, Patienten mit Handicap – scheine für sie nicht interessant zu sein. „Die Abrechnungszahlen zeigen derlei Tendenzen deutlich auf.“
Digitalisierung aktiv mitgestalten
Eßer betonte den Anspruch der KZBV, die Digitalisierung und den digitalen Transformationsprozess im Gesundheitswesen auch weiterhin aktiv mitzugestalten. Digitale Prozesse und Anwendungen seien längst gelebter Alltag in Zahnarztpraxen – in Administration und Abrechnung, bei Diagnostik und Therapie sowie bei der Befund- und Behandlungsdokumentation. „Statt viel zu kurze Fristen festzulegen und permanent neue Sanktionen zu verhängen, sollte die Politik endlich versorgungspolitisch nutzstiftende Anwendungen schaffen, für eine Refinanzierung der Investitionen in den Praxen Sorge tragen und keine unnötigen zusätzlichen Bürokratiemonster erschaffen“, sagte Eßer.
Mundgesundheit ist Kernanliegen
Zu den weiteren Kernanliegen zählt der Ausbau der Präventionserfolge bei der Mundgesundheit. „Unsere Konzepte waren und sind konsequent an den Bedürfnissen der Patienten ausgerichtet. Insbesondere vulnerable Gruppen wie ältere und pflegebedürftige Menschen sowie Patienten mit einer Beeinträchtigung haben wir immer im Blick.“
Mehr zur KZBV-VV
1. Bericht bei Quintessence News: „PAR-Richtlinie, TI und Forderungen an die Politik“
„Agenda Mundgesundheit 2021–2025“ und Videostatements von Gesundheitspolitikern auf der Themenseite der KZBV
Agenda Mundgesundheit
Zusammengefasst sind die politischen Kernforderungen und Aufgaben der KZBV in der einstimmig von der VV beschlossenen „Agenda Mundgesundheit 2021–2025“. Sie gibt einen umfassenden Überblick über die wichtigsten vertragszahnärztlichen Themen und zentralen politischen Positionen des Berufsstands. Zu den Inhalten gehören unter anderem der weitere Ausbau der Präventionserfolge bei der Mundgesundheit, die Chancen der Digitalisierung zur Verbesserung der Versorgung und Entlastung der Praxen, die Eindämmung der zunehmenden Vergewerblichung der zahnärztlichen Versorgung bei gleichzeitiger Förderung der Niederlassung vor allem junger, freiberuflicher Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie die Stärkung der Krisenreaktionsfähigkeit des vertragszahnärztlichen Versorgungssystems als Lehre aus der Corona-Pandemie. Zudem setzt sich KZBV seit vielen Jahren dafür ein, die Selbstverwaltung im Gesundheitssystem zu stärken.
Umfangreiche Materialien zur PAR-Richtlinie
Einen ähnliche Parforce-Ritt wie der Vorstandsvorsitzende Eßer legte auch der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Martin Hendges zu seinen Themen vor – und das gleich zweimal. In seinem Bericht am ersten Tag standen die umfangreichen Umsetzungsarbeiten der PAR-Richtlinie und der besonderen PAR-Richtlinie für vulnerable Gruppen nach Paragraf 22a SGB V für die KZVen, die Zahnarztpraxen und Praxisteams erstellten Informationsmaterialien im Fokus – hier vor allem die drei Erklärvideos, die die KZBV dazu erstellt hat. Ein FAQ zu häufig gestellten Fragen zur Auslegung und Abrechnung soll in Kürze folgen.
Neue UPS-Leistungen voraussichtlich im Herbst
Umfangreich gestaltet sich auch die Umsetzung der neuen zahnärztlichen Leistungen für Unterkieferprotrusionsschienen (UPS) bei Schlafapnoe – hier müssen die neu zu beschreibenden und zu bewertenden Leistungen auch mit den ärztlichen Leistungen verzahnt werden. Bei der UPS komme es erstmals zu einer solchen Verzahnung zwischen ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Parallel verhandelten die Krankenkassen mit den Zahntechnikern über die Beschreibung und Vergütung der bei den UPS anfallenden Laborleistungen. Auch die PVS-Anbieter auf ärztlicher und zahnärztlicher Seite seien einbezogen. Als Ziel für die Umsetzung in die Praxen sei bislang der Oktober 2021 geplant.
Elektronisches Beantragungswesen vor der Testphase
Eine Fülle von Arbeiten ergeben sich auch aus der Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur (TI) und neuen Regelungen, so zu den Vergütungen für Praxen, für die zahnärztlichen Inhalte und deren Aufbereitung für die elektronischen Patientenakte, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die ICD-10-Kodierung (dazu kommt eine Information auf der KZBV-Website). Zudem gibt es eine neue Anlage 18 zum BMV-Z für die Auslandskrankenversicherung. Das elektronische Beantragungswesen befindet sich vor der Pilotphase, die frühestens zum 1. Oktober 2021 starten wird. Die Einführungsphase für die Praxen soll ab 1. April 2022 starten und am 31. März 2023 abgeschlossen sein.
Rückgang bei Kassenleistungen von 2,1 Prozent
Zu Hendges Aufgabengebiet gehört neben den Prüfungen zur Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement auch das Leistungsgeschehen. Nach den bislang vorliegenden Zahlen gab es 2020 in den Vertragszahnarztpraxen einen Rückgang bei KCH, KfO und vor allem Zahnersatz, dafür einen Zuwachs bei Schienen. Insgesamt ergebe sich gegenüber 2019 ein Rückgang von 2,1 Prozent (ohne Bereinigung der Punktwerterhöhung), allerdings fielen die Rückgänge regional sehr unterschiedlich aus, so Hendges. Die Zahl der Kooperationsverträge mit Pflegeeinrichtungen ist auf 5.774 gestiegen, die Zahl der Besuche sei wegen der Pandemie 2020 kurzzeitig zurückgegangen. Insgesamt liege der Abdeckungsgrad mit Kooperationsverträgen jetzt bei 37,5 Prozent.
Sondererhebung zu Amalgamfüllungen
Gesondert erfasst wird seit kurzem in einer Reihe von KZVen die Zahl der Amalgamfüllungen unter den Füllungsleistungen nach Bema-Nr. 13 a-d. Hendges appellierte an die KZVen und die Zahnarztpraxen, sich an dieser Erhebung zu beteiligen und Amalgamfüllungen in den Abrechnungen entsprechend zu kennzeichnen. Die Zahlen seien in der Diskussion um Dentalamalgam als zu erhaltendes Füllungsmaterial wichtig. Nach der ersten Stichprobe lag der Anteil von Amalgam im 1. Quartal 2021 bei 4,9 Prozent, mit großen Unterschieden vor allem zwischen den alten und neuen Bundesländern, wo der Anteil doppelt so hoch sei wie in den westlichen Bundesländern, so die erste Momentaufnahme.
ZäPP mit Mehrnutzen für Praxen und Zahnärzteschaft
Die zweite umfangreiche Präsentation lieferte Hendges am zweiten Tag der KZBV-VV zum Zahnärztepraxispanel, kurz ZäPP. Hier konnte er berichten, dass die Zahl der teilnehmenden Praxen mit rund 3.200 in den Jahren 2019 und 2020 relativ konstant sei und auch gut 1.700 Praxen an allen drei Erhebungen seit 2018 teilgenommen hätten. Dies sei besonders wichtig und wertvoll, da sich nur so im Zeitvergleich Kostenentwicklungen und Trends erkennen ließen.
KZVen sollen Beteiligung fördern
Hendges appellierte an die KZVen, die Teilnahme der Praxen durch Incentives und Anreize weiter zu fördern. Zudem soll die Erhebung für die Praxen erleichtert und 2022 auf eine digitale Lösung umgestellt werden. Auch sollen die Benefits für die Praxen aus den Feedbacks und Benchmarks verbessert werden. Praxen, die noch nicht mitgemacht haben, könnten jederzeit einsteigen.
Wichtige Datengrundlage für Verhandlungen
ZäPP habe für die einzelne Praxis, für die KZVen und für die gesamte Vertragszahnärzteschaft einen hohen Nutzen, so Hendges. Schon jetzt greife man immer wieder auf die dort erhobenen validen Zahlen zurück, so in den Verhandlungen für die Pandemiepauschale, die Bewertung der Corona-Folgen, die ZE-Verhandlungen und natürlich für die Vergütungsverhandlungen im Bund und den Ländern.
Entscheidung gegen eigenen KIM-Dienst richtig
Die TI stand – neben KZBV-internen Themen wie Personal und die Diskussion um das vom Bundesrechnungshof geforderte, von der KZBV aber vehement zurückgewiesene Prüfrecht – im Vordergrund des Berichts von Dr. Karl-Georg Pochhammer. Er verteidigte angesichts der Erfahrungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Marktentwicklung die Entscheidung der KZBV, sich nicht mit einem eigenen Dienst „Kommunikation im Medizinwesen“ (KIM) beteiligt zu haben. Den Praxen stünde jetzt eine Vielzahl von bereits zertifizierten Dienstleistern für diese KIM-Dienste zur Verfügung, sie könnten nach ihren Bedürfnissen daraus auswählen. „Der Markt hat es geregelt“, so Pochhammer.
„Tempo raus, Qualität rein“
Insgesamt liege die Anbindung der Zahnarztpraxen an die TI mit 95 Prozent weit vor der der Arztpraxen. Auch seien fast alle Praxen bereits mit dem jetzt erforderlichen eHBA ausgestattet. Nach wie vor schädlich für die Qualität der neuen Anwendungen und die Akzeptanz in den Praxen seien der hohe Zeitdruck in Verbindung mit angedrohten Sanktionen. Komponenten seien nicht zeitgerecht verfügbar, vorgeschriebene Testphasen würden massiv gekürzt oder ganz gestrichen, die Fehler und Probleme damit zu den Anwendern in die Praxen verlagert. Das werde die KZBV so nicht weiter akzeptieren. „Tempo raus, Qualität rein“, so seine kurzgefasste Forderung (die vollständige Rede ist auf der Internetseite der KZBV eingestellt).
Die Herbst-VV der KZBV wird am 24. und 25. November 2021 – nach der Bundestagswahl –in Düsseldorf stattfinden.
Dr. Marion Marschall, Berlin